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Restaurantkritik 11.Dezember 2018

Zurück im Schlaraffenland

So gerne wir als Vielfresser das Neue und Unbekannte suchen, versuchen wir doch, uns bei unseren liebsten Restaurants an eine Regel zu halten: Alle 2-3 Jahre müssen wir uns die Entwicklung der Küchen anschauen. Das klingt nach einem Luxusproblem, aber in der Praxis ist dieser Vorsatz gar nicht so leicht einzuhalten – die Logistik unserer diversen Trips ist eine Wissenschaft für sich.

Deshalb konnten wir auch beim Bareiss den Rhythmus nicht einhalten: im Sommer 2018 stellten wir fest, dass wir zuletzt 2015 dort waren. Auch das ein Luxusproblem, aber eben trotzdem ein Problem. Also flugs gebucht und nix wie hin, solange es noch warm ist und wir nach dem Mittagessen die herrliche Poollandschaft genießen können. Tatsächlich haben wir Glück: Während es an den Tagen vor unserer Ankunft regnete, geht mit unserem Eintreffen in Mitteltal die Sonne auf. So muss es sein.

Schon letztes Mal schrieben wir, dass wir über das Bareiss und Claus-Peter Lumpp eigentlich schon alles gesagt haben – nur um uns dann doch zu wiederholen. Geändert hat sich inzwischen lediglich, dass Lumpp nach dem Abgang von Harald Wohlfahrt nun der dienstälteste Dreisterne-Chef in Baiersbronn ist. Ansonsten wollen wir diesmal tatsächlich ohne Umschweife zur Sache kommen: Das große Menü soll es sein, was sonst. Dazu eine Weinpaarung vom neuen Sommelier des Hauses, Teoman Mezda. Ein alter Bekannter aus dem Restaurant Sackmann.

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Zum Aperitif kommt die traditionelle Bareiss-Etagére auf den Tisch. Von oben nach unten haben wir da Rahmkuchen mit Soja-Gel und Salzzitrone, Sushi mit Avocado und Estragon, Rauchforellenmousse mit Schüttelbrot, Dillcrème und gepickeltem Apfel sowie Kalbspastrami mit Röstzwiebeln, Sauerrahm und rosa Pfeffer. Einmal mehr sind die vier Petitessen von beeindruckender Filigranität bei gleichzeitiger Geschmackstiefe. Da ist der hauchzarte Knusperteig beim Rahmkuchen, der Biss und die überraschende Estragonwürze beim Sushi, die Frische der Forellenmousse und die elegante Rustikalität bei der Pastrami – die Kunst, solche Kleinigkeiten so exakt hinzubekommen, beeindruckt uns immer wieder.

Als erstes Amuse kommt ein Stück Saibling aus eigener Zucht (vom hauseigenen Forellenhof Buhlbach) auf den Tisch, kombiniert mit Gurke und Saiblingskaviar. Der butterzarte Fisch wird zu Recht lediglich von frischen, leichten Gurkenzubereitungen und etwas Kaviar umspielt – so ein Produkt muss klar im Mittelpunkt stehen. Sehr gut.

Amuse Nummer zwei besteht aus Wassermelone "orientalisch" mit Zitronen-Koriander-Granité – angenehm frisch und gekonnt zwischen Fruchtsüße und exotischer Würze austariert. Im Extraschälchen ein Falafelbällchen auf Melonensalat, das uns wegen seiner Trockenheit leider nicht überzeugt.

An dieser Stelle schieben wir hier im Bericht ein Gericht ein, das wir erst am Abend in der Bareiss-Dorfstube (auf Wunsch) als kleines Amuse aus dem Gourmetrestaurant bekamen: Seezunge in Croutons gebraten, mit gerillter Wassermelone und Passepierre-Vinaigrette. Feinst gewürfelte, unglaublich krosse, buttrige Croutons umhüllen ein saftiges, aromatisches Stück Fisch, dazu die mit etwas Garam Masala gewürzte Melone und eine feinherbe Passepierre-Vinaigrette – so simpel, so großartig! Oder salopp gesagt: das wohl weltbeste Fischstäbchen.

Das Menü eröffnet Lumpp traditionell mit einer Variation von der Gänsestopfleber, diesmal mit Kirschen und Haselnüssen. Eine sehr ähnliche Komposition hatten wir bereits 2015, nur erweitert durch schwarzen Sesam und geröstetes Sesamöl. Die Terrine ist auch diesmal von idealer Konsistenz (nicht zu kalt, nicht zu fest) und wie immer hervorragend gewürzt; die Mini-Crème-brûlée und das Foie-gras-Eis erweitern das aromatische Spektrum, die Kirschzubereitungen setzen fruchtige Akzente. Im Glas eine Art Kirschcocktail (arg fruchtig), im Töpfchen ein Foie-gras-Schaum mit Kirsch.

Das ist in seiner klassischen Art alles sehr gut, aber wir müssen sagen: Mit dem Sesam als Kontrapunkt gefiel es uns besser. Er brachte eine sehr originelle, leicht asiatisch anmutende Exotik in die Komposition und federte die Süße ab. Ohne dieses aromatische i-Tüpfelchen mutet diese Foie-gras-Variation dann doch allzu traditionell an, und auf Dauer macht sich auch eine recht deutliche Süße breit. Hier fehlt ein Kontrapunkt.

Ein Bekannter vom letzten Besuch ist auch der marinierte Kingfisch, mit Zitronenpfeffer und Oregano aromatisiert, auf Ochsenherztomaten, Büffelmozzarella und Basilikum. Letztes Mal gab es den Modekäse Burrata, aber der sehr gute, cremige Büffelmozarella gefällt uns mit seiner typischen, leicht erdigen Geschmacksnote noch besser. Auch sonst lebt dieses Gericht vor allem von der Qualität der Produkte. Die Tomaten sind perfekt gereift, insbesondere die kleinen Grünen bestechen durch ihren vollen, leicht herben Geschmack. Die Scheiben vom hervorragenden Fisch sind leicht scharf und mit etwas Oregano mariniert, wunderbar. Dazu etwas Tomatencoulis und Püree, um die Intensität zu heben, sowie ein paar Kräuter für aromatische Spannung. Das ist Italien auf dem Teller. Frisch und leicht und köstlich.

So richtig klasse wird es beim Carabinero mit Fenchel, Kopfsalat und Knusperoliven. Man sieht dem Krustentier die pralle Knackigkeit schon an – und Carabineros sind denn auch mit unsere liebsten Vertreter dieser Gattung, eben wegen ihrer Konsistenz, aber auch wegen ihres kraftvollen Geschmacks. Dazu gibt es eine leichte Krustentiermayonnaise, gerösteten und gehobelten Fenchel und knusprige Olivenstücke: allein diese Reihung macht schon einen sehr köstlich-mediterranen Teller, der an griechische Tavernen und Füße im Sand denken lässt. Jetzt kommt aber erst der Clou: knackig-saftiger Kopfsalat! Wie schon beim Steinbutt im Sonnora gibt diese simple Zutat der Kreation den entscheidenden Schwung, bereitet allen anderen Komponenten eine wunderbare Bühne, ohne selbst nur ein Nebendarsteller zu sein. Ein für das Bareiss bemerkenswert modern anmutender Gang, der prächtig funktioniert.

Deutlich klassischer wird es beim Kabeljau in Olivenöl pochiert mit Pulpo, geräucherter Paprika und emulgiertem Pulposud. Kabeljau gehört nicht zu unseren Fisch-Favoriten, weil er geschmacklich meist so blass bleibt wie sein Fleisch. Gerade das scheint ihn aber bei Spitzenköchen so beliebt zu machen: Er fungiert wie eine Leinwand, die alle möglichen Aromenspiele aufnimmt, sei es asiatisch mit Kokos, als warmer Salat mit Spinat und Granatapfel oder mediterran wie nun im Bareiss. Und es funktioniert, wobei der Kabeljau (mit toller Knusperhaube) vor allem als Saucenträger fungiert. Diese Aufgabe erfüllt er mustergültig, der Star ist der elegante Pulposud, der mächtig aussieht, sich aber leicht wie ein Samthauch auf den Gaumen legt. Darin butterzarte Pulpostücke und etwas Paprika – mehr bräuchten wir eigentlich gar nicht. Aber: Mit einem charaktervolleren Fisch könnte das vielleicht sogar eine Götterspeise sein.

Mittelmeer und speziell Italien erweisen sich als Leitmotiv des Menüs, denn nun gibt es ein Safranrisotto mit gebratener Wachtelbrust, Zucchini und Gremolata. Das sieht vielleicht etwas ungeschliffen aus, ist aber von einem eingängigen Wohlgeschmack, wie wir ihn in den deutschen Spitzenküchen nur noch selten erleben. Das Risotto ist herrlich cremig, bissfest und perfekt abgeschmeckt (schon ein Hauch zu viel Safran schmeckt medizinisch). Als wäre das nicht genug Wonne, sitzt es dazu noch in einem kraftstrotzenden Jus, der mit zitrusfrischer Gremolata gewürzt ist. Dazu geröstete Zucchini und saftige, knusprige Wachtelbrust – traumhaft. Damit so ein Teller funktioniert, muss das Handwerk perfekt sein. Und das ist hier über jeden Zweifel erhaben. Zugleich wird uns schmerzhaft bewusst, dass man solche Gerichte heutzutage jenseits italienischer oder französischer Drei-Sterne-Restaurants kaum mehr findet. Das sollte zu denken geben.

Das nächste Gericht kommt uns wieder bekannt vor: bretonischer Steinbutt mit Kalbsjus und Ochsenmark poéliert auf Pfifferlingspüree. Letztes Mal hatten wir einen deutlichen Kritikpunkt, nämlich ein Übermaß an Liebstöckel (Maggikraut) in der Sauce, und wir sind gespannt, wie es diesmal damit aussieht. Die prachtvolle Tranche vom Butt ist schon mal exzellent, die Pilze sind schön knackig. Und die Sauce? Ist viel besser als letztes Mal! Vielleicht hat man sich unsere Kritik ja zu Herzen genommen, jedenfalls wirkt diesmal alles sehr rund und süffig. Auch die Idee mit dem gepfefferten Ochsenmark als Aromenturbo gefällt uns gut. Unser Favorit ist diese vergleichsweise schwere und aromatisch dunkle Kreation zwar immer noch nicht, aber wir können durchaus klassischen Genuss attestieren.

Auf zu den Hauptgängen, bei denen wir zweigleisig fahren. Einer von uns bekommt gebratenes Zwischenrippenstück vom Black-Angus-Ochsen mit Auberginen, Rucola und Pinienkernen – einmal mehr ein mediterran-italienisch angehauchter Gang. Lumpp reduziert den Teller wohltuend auf das Wesentliche: zwei Scheiben köstlich marmorierten Fleischs mit etwas Sauce und einer kleinen, feinen Auberginenvariation (geschmort, gebraten, als Püree) sowie ein paar Pinienkernen. Ähnlich wie beim Risotto gilt hier, dass nur perfektes Handwerk einen solchen Teller funktionieren lässt. Und einmal mehr geht die Rechnung auf. Das ist einfach richtig gut.

Aber Lumpp wäre nicht Lumpp, wenn er diesen Teller alleine stehen ließe. Also gibt es in einer Schale noch sautierte Rinderfiletwürfel mit Fregola sarda und Ruccolapesto. Oh man, das ist gut! Wir können nicht oft genug unsere Liebe für die kleinen Fregola sarda betonen, mit ihrem Biss und ihrer Cremigkeit. Der Effekt ist hier denn auch ähnlich wie beim Risotto mit Wachtel: würzige Schlonzigkeit, gepaart mit Umami-Power und einer frischen Würze vom Ruccolapesto. Das geht rein wie nix.

Der alternative Hauptgang ist ein ewiger Klassiker des Hauses: Reh aus der Bareiss-Jagd, in Wildaromen gebraten, mit Steinpilzen und Zitronenthymian. Auch hier glänzt der Hauptteller durch einen Purismus, der sich ganz auf die Produkte fokussiert, das exzellente Rehfleisch und die nicht minder guten Steinpilze. Dazu nur etwas Wildjus und eine schöne Auffrischung durch einen Hauch Zitronenthymian. Gute Küche kann so einfach sein.

Natürlich gibt es auch hier einen Satellitenteller, mit Rehnüsschen, in Spätburgunder pochiert, auf Steinpilzen à la crème. Das ist an sich sehr gut, nicht zuletzt das cremige Pilzragout. Trotzdem ist uns das kompositorisch zu nah am Hauptteller und bietet keine echte Variation des Reh-Themas. Bis auf einen Punkt: Da liegt noch eine Scheibe kross gebratener Rehleber, und die ist nicht nur königlich gut, sondern auch eine selten kredenzte Innerei. Hier ließe sich doch wunderbar für einen eigenen Extrateller ansetzen!

Wir sind jetzt pappsatt. Wirklich. Aber dieser Käsewagen ist so verlockend, ...

... dass wir uns eine mittelkleine Auswahl teilen. Auf wundersame Weise schließt der Käse dann auch nicht unsere Mägen, sondern macht sie vielmehr bereit für etwas Süßes.

Als da wäre: ein Schokoladentörtchen mit Waldheidelbeeren und Holunderblütengranité. Darauf haben wir uns gefreut, sind wir doch große Fans der selten verwendeten Waldheidelbeere. Pâtissier Stefan Leitner verarbeitet sie zu Sorbet, Gel und Gelee auf dem wolkenleichten Törtchen. Er bringt sie aber auch als ganze Beeren in Kompott auf den Teller. Gerade diese pure Komponente fehlt uns leider meist, wenn Früchte und Beeren in Desserts abstrahiert werden. So oder so: Dieses Dessert ist ein Hochgenuss klassischer Pâtisseriekunst.

Noch besser wird es beim Topfensoufflé mit Aprikosensorbet, Butterstreusel und Tahiti-Vanilleeis. Der Service hatte unsere Vorfreude mit der Ansage gesteigert, dass niemand so gute Soufflés zubereite wie Stefan Leitner. Solche Vorschusslorbeeren gehen oft nach hinten los – nicht so hier. Dieses Soufflé ist nachgerade perfekt, besser als alles, was wir je in Frankreich serviert bekamen. Es ist fluffig-leicht, im Innern aber trotzdem stabil und nicht schaumig-cremig-matschig (wie in Frankreich so oft). Am Tisch wird noch ein gar köstlicher Aprikosencoulis ins Soufflé gegossen, da jagt uns schon das Zuschauen einen wohligen Schauer über den Rücken. Dazu braucht es dann gar nicht mehr als Vanilleeis und ein paar knuspernde Butterstreusel.

Irgendwann, das schwören wir uns, werden wir uns von Stefan Leitner ein komplettes Dessert-Menu servieren lassen.

Ein Blick auf den Petits-Fours-Wagen ...

... und die Pralinenschachtel ...

... und unsere kleine Auswahl, denn es geht jetzt beim besten Willen nicht mehr rein.

Eine Stunde später liegen wir am Schwimmteich unterm Sonnenschirm und lassen das Mittagessen bei einer Flasche weißem Burgunder Revue passieren. Welch eine Tour-de-force! Claus Peter Lumpp bleibt seinem Stil treu, keine Frage: klassisch, süffig, üppig. Als Musterbeispiel sei hier das Risotto genannt, dessen herrlicher Geschmack uns noch heute präsent ist. Zugleich überraschte Lumpp uns diesmal auch mit reduzierten, geradezu leichten Kreationen, die das Hauptprodukt für sich sprechen lassen, siehe der Ochse und das Reh – das gefällt uns gut.

Foto: Das Service-Team um Thomas Brandt

Andererseits merkten wir diesmal aber auch, dass im Bareiss nur wenig Experimente gemacht werden: Drei Gänge unseres Menüs hatten wir in nahezu identischer Form bereits drei Jahre zuvor (Foie gras, Kingfisch, Steinbutt). Vielleicht handelt es sich um Klassiker, und wir wollen auch nicht etwas kritisieren, das wir in Frankreich als normal betrachten. Trotzdem dürften es gerne auch ein paar mehr neuere, ungewöhnlichere Kreationen sein, wie etwa der großartige Carabinero mit Kopfsalat, der zusammen mit dem Risotto unser Highlight des würzigen Menüabschnitts war. Wir werden jedenfalls dranbleiben, nicht wieder drei Jahre warten – und nächstes Mal vielleicht auch einer anderen Menü-Jahreszeit eine Chance geben. Schwimmteich und Sonnenliege hin oder her ...

Fazit

Das Bareiss ist (küchen- und serviceseitig) eine Bank, kein Zweifel. Was hier auf den Tisch kommt, hat Hand(werk), Fuß und jede Menge Wohlgeschmack. Ein bisschen mehr Mut zu Neuem würden wir uns aber doch wünschen, damit die Küche nicht in Schönheit erstarrt.

Text: Kai Mihm

Wein

Die Weinauswahl im Restaurant Bareiss in Baiersbronn

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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