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Restaurantkritik 12.November 2016

NUR FÜR DESSERTEURE

Berlin pulsiert: Gefühlt jeden Tag öffnet ein neues, von Blogs und altgedienten Medien umjubeltes Lokal seine Pforten. Verfolgt man dieses rege Treiben wird allerdings schnell klar, dass die meisten Neueröffnungen nur selten wirklich „Neues“ bringen. Unzählige Burgerbuden und Tapas-Bars, Superfood-Lokale und Restaurants, die sich "modern-regional" geben, zeigen, dass in der Hauptstadt zwar enorm viel Gutes passiert, der kulinarische Innovationsfaktor jedoch auf der Strecke zu bleiben droht. Genau deshalb spitzten wir unsere Ohren, als sich der Pâtissier René Frank an die Umsetzung der ersten Dessert-Bar Deutschlands machte – eine Idee, die wir bislang nur aus Barcelona (Espai Sucre) und New York (ChikaLicious) kannten und die in Deutschland nach unseren Informationen vergangenes Jahr von Christian Hümbs erstmals avisiert wurde.

René Frank muss dem geneigten Fresser eigentlich nicht mehr vorgestellt werden: Nach diversen Auszeichnungen zum „Pâtissier des Jahres“ sowie seiner sechsjährigen Tätigkeit als Süßspeisen-Oberhaupt im dreifach besternten „La Vie“ in Osnabrück gilt er als einer der renommiertesten seiner Zunft. Dass er sich ausgerechnet Berlin für sein Vorhaben ausgesucht hat, kommt nicht von ungefähr: Die Stadt ist gastronomischen Experimenten gegenüber offen und feiert Konzepte, bei denen das Ambiente mindestens so edel und der Sehen-und-gesehen-werden-Faktor mindestens so hoch sind wie die Speisen auf den Tellern geschmackvoll (also ein bisschen wie München – vor 20 Jahren...).

Kein Schild, dafür Graffitis und Fahrräder an der bröckeligen Hauswand – das Coda ist leicht zu übersehen. Der Innenraum wiederum passt zur Stadt, aber nicht unbedingt zur Gegend. Umringt von Dönerläden und Kneipen im Neuköllner Abriss-Schick kommt das Interieur eher nobel daher und ist geprägt von einer dunklen, fast schon kühlen Stimmung. Schaut man genauer hin, entdeckt man die subtil gesetzten Bezugspunkte zum Bezirk: der Beton, aus dem die Tische gefertigt sind, erinnert an die unzähligen Tischtennisplatten der Umgebung, und die Teller kommt aus einer kleinen Neuköllner Manufaktur. Frank und Bischoff suchen gerade wegen ihres Sonderstatus über diesen Weg den direkten Kontakt zu den Menschen im Kiez, die Berührungsängste mit einem Gastro-Konzept dieser Art haben könnten. Das sieht neben À-la-carte-Desserts auch zwei-, drei- und fünfgängige Menüs vor. Zu jedem Gericht wird ein Longdrink-Pairing angeboten. Klingt spannend, legen wir los...

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Zum Einstieg ein paar Knabbereien: Erdnüsse mit Bonito-Pulver und knusprige Schweinehaut mit Five-Spices, dazu ein erfrischender, hausgemachter Coda Ginger Most. Das setzt Akzente zu Beginn.

Als erste Süßspeise erreicht uns Paprika, Pfirsich und Büffelmilch. Süßlich, mit leichtem Rauch von der angegossenen Paprika-Sauce, spielt dieser Teller mit Temperaturen aus lauwarm und kalt. Der cremige Pfirsich passt prima zur crunchigen, dehydrierten Buttermilch. Richtig Pfeffer bekommt dieser leichte Einstieg durch den säuerlich-alkoholischen Drink, Vanille, Orange und Ingwer mit Barbados-Rum und Zitrone, der die Süße hervorragend pariert. Starker Auftakt.

Etwas komplexer die Kiwi mit Dinkelgras, Himbeere und Mandelmilch. Die Beerenfrucht als Spaghetti-Eis (das wir vor einigen Jahren im La Vie serviert bekamen) bringt eine schön bissige Säure, die in der Masse allerdings zu dominant ist. Etwas weniger vom Eis wäre uns hier lieber gewesen. Belegen wir unseren Löffel allerdings sorgsam, entsteht ein ausbalanciertes Geschmacksbild, bei dem die Mandelmilch alle Elemente süffig zu verbinden weiß. Der zugehörige Drink aus Traube, Nuss und Alge mit Cognac, Maraschino und Aprikosenkern-Öl neutralisiert und kommt erst sehr spät mit einer herben Branntwein-Note zurück, die der präsenten Säure gut tut. Schon jetzt haben wir große Freude an den Pairings, die offenbar mit äußerster Sorgfalt auf die Gerichte abgestimmt wurden.

Kirsche, Azukibohne und Jasmin ist, kurzum, einfach nur köstlich. Eine erdige, direkte Frische macht sich mit jedem Bissen breit und wird passend um alkoholisch-fruchtige Bitterstoffe im Pairing mit Lychee, Orange und Reis mit Tequila, Sherry und Maraschino ergänzt. Der bisher stringenteste und am besten ausbalancierte Teller.

Für Freunde des eher herzhaften Desserts ist die Aubergine mit Pekannuss, Apfelbalsamico und Lakritz-Salz wie gemacht. Grandios, wie hier mit der leichten Süße des Auberginen-Eises und den kurzen Spitzen der Lakritze gespielt wird. Die scheinbare Komplexität der Zutatenkombination zergeht mit jedem weiteren Löffel zu absolutem Wohlgeschmack, den wir gar nicht weiter zerpflücken wollen. Das begleitende Glas Sherry Oloroso mit Cream und Cesar Florido ordnet sich diesmal eher unter, schmeckt für sich dennoch prima.

Wie in einer klassischen Menüfolge folgt nun der Käsegang mit Cironé-Käse, Karottengrün, Cashewnuss, Roggen und Earl-Grey-Tee. Der Teller erinnert optisch ein klein wenig an Massimo Botturas „Oops! I dropped the lemon tart“ aus der Osteria Francescana, wenngleich René Franks Interpretation herzhafter ausfällt. Geschmacklich geht es durch die Nüsse und das Getreide in Richtung „Käsebrot“, wenn auch sehr viel schmelziger und vegetabiler. Das Pairing ist diesmal puristisch; aber alles andere als der reine Geschmack eines Kirin Sake (Vintage 2014) würde dem dominanten Käsegericht auch nicht so gut in die Karten spielen. Hervorragend.

Den Abschluss macht die klassische Kombination aus Schokolade (70 %) und Pflaume mit Zichorie, Haselnuss und Holzkohle. Das Raucharoma ist nicht zu überriechen, geschmacklich jedoch erfreulicherweise dezent, sodass die dunkle, herbe Süße des Tellers brillieren kann. Perfekt ist der Schokowürfel in der Mitte, der für sich mancherorts schon ein eigenes Dessert wert wäre. Eine ungewöhnliche Kombination finden wir mit Lambrusco Amabile und Peated Single Malt als Begleiter, der diesmal eher für sich als im Kontext des Gerichts steht. In Summe eher ein „gelerntes“, dennoch sehr gut umgesetztes Dessert.

Zu den abschließenden, ebenfalls hervorragend austarierten Drinks aus der Cocktail-Karte (im Bild: Sancho, Erdbeere und Kapern mit Gin und Limette, nicht im Bild: Rote Bete, Himbeere und Lakritz mit Chachaca, Eiweiß und Limette) wird uns eine Auswahl an Petits Fours aus dem Humidor serviert: Haselnüsse mit weißer Schokolade und Chlorella-Algen sowie mit roter Bete (grüne und rote Kugeln), daneben Mandel-Cassis-Pralinen. Süß, knusprig, cremig – gelungen.

Zugegeben, einerseits waren wir skeptisch: Ein Menü, das sich ausschließlich aus Süßspeisen zusammensetzt Wird das nicht zu viel, zu eintönig? Insbesondere, wenn nicht – wie bei Christian Hümbs' Aromenmenü – auch Elemente aus der klar würzigen Welt im Spiel sind? Andererseits dachten wir uns, dass sich jemand wie René Frank nicht mit Vanille-Eiscremes und Schoko-Espumas zufrieden gibt. Und siehe da: Die kreativen Kreationen, die wir hier auf jedem Teller erleben konnten, waren zu keinem Zeitpunkt zu süß, sondern (bis auf die Kiwi) immer ausbalanciert, manchmal komplex, manchmal simpel und einfach nur rund.
Besonders gelungen fanden wir die Pairings, von denen wir uns gut und gerne auch ein Glas ohne zugehörigen Teller genehmigen könnten. Der lässige Rahmen und das unprätentiöse Anrichten zeugen von dem Wissen, dass Neukölln nicht Osnabrück ist und man sich bewusst ein wenig zurücknimmt, um die Gerichte erschwinglich und die Atmosphäre so „casual“ wie möglich zu halten. Locker und entspannt auch der Service (ganz links: Julian Kunzmann neben Pâtissière Julia Anna Leitner), der sich in diesem Fall besonders mit der Küche abstimmen muss, damit Teller und Drinks pünktlich zum Gast kommen. Wir sind gespannt, wie die Guides auf diesen in Deutschland einzigartigen "Sweet-Spot" reagieren.

Fazit

Das Coda ist ein El Dorado für Fans der Dessertküche: kreativ, ausgefallen und köstlich.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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