Restaurantkritik 28.März 2015

Herr der Aromen

Spitzenpâtissier Christian Hümbs stellte erstmals 2012 im Sylter La Mer ein für Deutschland gänzlich neues und darüber hinaus enorm innovatives kulinarisches Konzept vor: sein "Aromenmenü". Ganz seinem eher weit gefassten Dessertbegriff entsprechend geht es dem talentierten Querdenker bei seinem Menü vor allem darum, das Spektrum dessen zu erweitern, was unter dem Begriff „süß“ subsumiert wird. Gerne greift er dafür auf all jene Produkte zurück, die normalerweise in der herzhaften Küche zum Einsatz kommen. Tabu sind lediglich Fisch und Fleisch. Seine Nachspeisen zeigen sich mal eher herb und würzig, bisweilen säuerlich oder gar leicht herzhaft – hinterlassen aber insgesamt immer einen aromatisch "süßlichen", man könnte auch sagen "sensiblen", Gesamteindruck.

Nicht zuletzt deshalb begeisterte uns sowohl die erste Auflage als auch die folgende im Jahr 2013. In einer meisterlichen Dramaturgie gelang es Hümbs, die ebenso komplexen wie ungewöhnlichen Kreationen unterschiedlicher Couleur in einem Menü zu vereinen, ohne sie ihres Dessertcharakters zu berauben. 

In der Zwischenzeit hat der gebürtige Oberhausener die nördlichste deutsche Insel verlassen. Im Hamburger Haerlin leitet er seit Mai 2014 mit einem komplett neuen Team die Pâtisserie der Christoph-Rüffer-Brigade. Der Wunsch, auch an der neuen Wirkungsstätte ein Aromenmenü zu gestalten, wurde ihm glücklicherweise erfüllt – und so gab es ab Februar 2015 drei Termine (den letzten am 19. April) in der großen, bilderbuchhaften Showküche des Zwei-Sterne-Restaurants. Kurz nach dem Platznehmen geht es direkt mit einem Gruß los...

...Kürbis, Kokos, Estragon und Vanilleessig sorgt allein ob seiner einnehmenden Schönheit für eine kurze, aber andächtige Stille am Tisch. Diese Ruhe in der Tafelrunde wird alsbald von mal leisen, mal etwas lauteren "Mhmmms" abgelöst – ohrenscheinlich findet der Auftakt Anklang! In der Kombination von Kürbis und Kokos eröffnet sich eine aromatische Bandbreite aus Süße, Exotik und minimaler Schärfe, die punktuell von den Anis-Akzenten des Estragons bereichert und von der milden, aromatischen Säure des Essigs abgerundet wird. Die Unterschiede in der Textur und der Temperatur tun ihr Übriges, um geschmacklich zu begeistern.

Das Amuse-Bouche Rhabarber, Petersilie, Verbene und Sauerteig knüpft qualitativ nahtlos an. Auch wenn beim Lesen der Zutaten der Begriff Harmonie nicht wirklich nahe liegt, so gelingt es Hümbs, die starken Charaktere der Produkte in einer sehr eingängigen Kreation aufgehen zu lassen. Die süß-saure, florale Aromatik des Rhabarbers geht hier mit den würzig-mineralischen und minimal bitteren Kräutern Hand in Hand, getragen von einer feinen Süße, die dem Gericht zugrunde liegt, und wunderbar durch die fein-säuerlichen Nuancen des Sauerteiges ergänzt. Herrlich.

Danach sind wir sehr auf das "Sushi" gespannt, ein Name, der natürlich für allerlei Verwirrung sorgen kann. Wer aber der japanischen Alltagskost nicht abgeneigt ist, weiß, dass der Reis für sich genommen durchaus süßliche Züge trägt, die durch die Anklänge von Säure noch verstärkt wird. Diese zugegebenermaßen plumpe Herleitung eines süßen Sushi hat natürlich nichts mit dem zu tun, was uns nun – optisch wieder überaus beeindruckend – in einer Glaskugel serviert wird. Darin befinden sich unterschiedlichste Verarbeitungen von Reis, Reisessig, Wasabi und Soja, die die gesamte Spannbreite aller vorstellbaren Texturen und Temperaturen abdecken und die Kreation hochkomplex machen – vielleicht sogar zu komplex. Hier nun kommt das gläserne Geschirr ins Spiel, welches dafür sorgt, dass beim Essen stets alle Komponenten in der Mitte des Bodens zusammenlaufen und man somit immer „von allem etwas“ auf dem Löffel hat. Dann entfaltet sich eine beeindruckend köstliche Reis-Aromatik auf der Zunge, leicht süß, erfrischend und dank der dunkeln Soja-Jus zugleich angenehm tief und herzhaft. Besser geht es nicht,…

… so zumindest denken wir. Aber mit seiner Weiterentwicklung eines Klassikers belehrt uns Christian Hümbs eines Besseren. Kartoffel, Dill, grüner Apfel und Fromage Blanc basiert in seinen Grundzügen auf der „Ofenkartoffel“ von 2013, ist aber deutlich komplexer aufgebaut und mit der Zugabe des Granny-Smith-Apfels nochmal spannender geworden. So haben wir hier nicht nur ein – zum wiederholten Male – visuelles Highlight, sondern auch ein geschmacklich herausragendes Gericht. Dabei ist jede Komponente durchdacht und fügt sich mit ihren Begleitern in ein rundes, perfekt proportioniertes Gesamtbild vollendeten Genusses: der warme, süffige Rösti, das kühlend-frische Eis von Fromage Blanc, die belebende Würze des Dills und die alles verbindende süß-säuerliche Frucht des Apfels. Eine Götterspeise, keine Frage.

Als kleines Intermezzo folgt ein Beurre-Blanc-Eis mit Zitrone und Kopfsalat. Optisch eher minimalistisch und im Vergleich zu den anderen Kreationen geradezu unauffällig gehalten, besticht diese Petitesse mit einem wunderbaren Pendelspiel zwischen buttrigem Schmelz und feiner Säure, aufgelockert durch die knackige Frische des Salatstrunks.

Als kleine Aromen-Kracher entpuppen sich die Teeblätter des Woolong-Tees, die getrocknet, dann mit weißer Schokolade überzogen und schließlich mit Cassis- und Teepulver bestreut wurden. Das Ergebnis sind kleine Wunderwerke, in dene sich süße, florale, saure und herbe Noten vermengen, abgerundet durch das ebenfalls florale Bouquet des Woolong-Tees.

Da hat es der Hauptgang sichtlich schwer, auch wenn das abgedroschen klingt. Die gegrillte Tomate mit Kardamom, Zartbitterschokolade, Ahorn-Balsamico-Jus und Wacholder ist sperriger und auch etwas schroffer als die Gerichte zuvor. Hier bestimmt die Tomate mit ihren Grillnoten deutlich die Sensorik. In Kombination mit der Säure des Ahorn-Balsamico-Jus macht sie es den anderen Komponenten schwer, aromatisch in Erscheinung zu treten. Es schmeckt sehr gut, kein Zweifel, aber für uns wirkt dieser Gang in seiner Wucht und Fülle etwas deplatziert. Eine Reduzierung der Portionsgröße bei gleichzeitiger Optimierung der Proportionen könnte hier helfen, denn diese Unwucht zwischen den Komponenten entwickelte sich nicht zuletzt auch aufgrund der schieren Fülle auf dem Teller.

Fenchel, Preiselbeere, Sandelholz, Joghurt, Honig ist der letzte Gang des Menüs und damit auch so etwas wie das Dessert unter den Desserts. Optisch scheint hier eine süße Insel inmitten eines Ozeans zu liegen, und das passt konzeptionell, denn auch wenn der Fenchel zunächst darüber hinwegtäuschen mag, so ist diese Komposition deutlich süßer als alle Gänge zuvor. Dies möchten wir aber ausdrücklich nicht als Makel verstehen, denn dafür schmeckt dieses Gericht einfach zu gut. Die leichte würzige Anis-Note des Fenchels hält sich dezent im Hintergrund und bildet so das Fundament für das köstliche Hin und Her zwischen süß-sauren Preiselbeeren, cremig-frischem Joghurt, samtigem Sandelholzöl und dem wärmend-süßen Honig. Ein gelungenes Finale.

Zumindest fast, denn den würdigen Abschluss bilden dann verschwenderisch präsentierte Macarons & Profiterole, die ob der drei Glaskugeln bei uns Gedanken an "Total Recall" aufkommen lassen und alleine dafür schon in eine Hall of Fame der kulinarischen Filmverweise gehören. Diesen Anspruch unterstreichen sie mit ihrem wohligen Changieren zwischen Süße und Herzhaftigkeit.

Einmal mehr schaffen es Christian Hümbs und sein Team, die definitorischen Grenzen des Begriffs "Dessert" zu verschieben und uns zu verblüffen. Allerdings müssen wir auch eingestehen, dass es dieses Jahr zuweilen anstrengend wurde, da das Menü höchste und unablässige Konzentration erfordert, um die Nuancen vollständig zu erfassen. Insofern wäre eine optisch reduziertere Darbietung eventuell hilfreich. Auch wenn dies zunächst platt klingen mag, aber manchmal wussten wir vor optischem Amusement nicht recht, wie wir das Gericht guten Gewissens zerlegen sollten. Es schwang bisweilen die unbestimmte Angst mit, durch falsches Hantieren etwas vom Aromenspiel zu verpassen.

Fakt ist, dass Hümbs noch einmal mutiger geworden ist und es dabei virtuos versteht, scheinbar unmögliche Produktpaarungen schlüssig und köstlich zu verbinden. Dass dies nicht bei jedem Gang in der Stringenz einer erprobten Speisenfolge gelungen ist, liegt wohl in der Natur der Sache. Gleiches gilt für die Getränke, bei denen wir das letzte Quäntchen in der Abstimmung zwischen einigen Gerichten und ihren Begleitern vermissten. Darüber hinaus häuften sich die alkoholfreien und stillen Angebote zu Beginn – ein prickelnder Einstieg in das Menü wäre nach unserer Auffassung besser weil erfrischender gewesen. Insgesamt tut dies der Faszination "Aromenmenü" aber keinen Abbruch und schmälert das Gesamterlebnis kaum.

Fazit

Trotz neuer Wirkungsstätte schafft es Christian Hümbs mit dem Aromenmenü 'Edition 2015' abermals, die Grenzen des scheinbar Machbaren in der Pâtisserie zu verschieben – und macht jetzt schon Lust auf ein Wiedersehen in 2016.

Aromenmenü 2016

Auch in diesem Jahr knüpft Christian Hümbs an sein Aromenmenü an. Am 26. August und am 7. September kommen jeweils 40 Personen in den Genuss der außergewöhnlichen Gerichte – dieses Mal gespickt mit Produkten wie Lardo, Burrata, Kaisergranat oder Gänseleber. Reservieren könnt Ihr telefonisch unter 040-34943302 oder per Mail unter gastronomie.hvj@fairmont.com. Die Eintrittskarte kostet inkl. der Getränkebegleitung 245 Euro pro Person.

Außerdem habt Ihr die Möglichkeit, zwei der begehrten Plätze bei uns zu gewinnen. Dazu einfach diesen Artikel liken, sharen oder twittern und eine Mail mit Eurer postalischen Adresse an quiz@sternefresser.de schicken (Daten werden nicht weitergegeben). Einsendeschluss ist der 4. Juni 2016 um 12 Uhr. Der Rechtsweg oder ein finanzieller Ausgleich sind wie immer ausgeschlossen.  

Wein

Terra Tulsi-Tee

pHenomenal Tonic, Soda und Rhabarber

Fentimans Traditional Ginger Beer

2013 Fontanasanta, Manzoni Bianco, Foradori

Oolong "Woolong" Tee

Robinson's Old Tom Chocolate Strong Ale

Raumland Apfel Secco mit Hümbs' Sirup

2010 Luddite Saboteur, Südafrik

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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