Restaurantkritik  7.Januar 2016

Schaum mer mal

Bad Griesbach im Rottal ist ein Kurort im niederbayrischen Landkreis Passau. Bekannt für seine Thermalquellen, verzeichnet der Ort mit seinen 8.500 Einwohnern jährlich ein über Hundertfaches an Übernachtungen. Außer mit Gesundheit und Kuren profitiert das bei unserem Besuch leicht verschlafen wirkende Nest noch von einem weiteren wirtschaftlichen Standbein: mit sechs 18-Loch-Meisterschaftsplätzen und diversen weiteren Grüns ist Bad Griesbach ein Eldorado für Golfer.

Bei diesem relaxten und sportiven Hintergrund mit vielen gut situierten, älteren Gästen überrascht es nicht, dass sich auch die gehobene Hotellerie und vor allen Dingen Gastronomie vor Ort angesiedelt hat. Seit 2012 funkeln gar zwei Michelin-Sterne am niederbayrischen Firmament. Passend zu den Straßenschildern "Kurort – bitte Ruhe!" haben wir das Gefühl, dass es beim "Il Giardino" um den in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgenommensten Zweisterner handelt – nur das August in Augsburg wirkt ohne Website und jedwede Berichterstattung noch mysteriöser.

Zum Umfeld passend und unsere Neugierde weckend nennt Küchenchef Denis Feix seinen Stil „moderne Naturküche“. Seit 2006 steht der 39-Jährige in der Villa des Columbia Hotels Bad Griesbach am Herd. Der gebürtige Sauerländer hat zuvor bei namhaften Adressen der Spitzengastronomie Halt gemacht: Er kochte unter anderem bei Dieter Müller im Schloss Lerbach, in der Résidence in Essen, bei Thomas Bühner im Dortmunder La Table und als Souschef bei Christian Bau. Nach den kulinarischen Rochaden bei der Columbia-Hotelkette – Kevin Felhling verließ bekanntermaßen das La Belle Epoque in Travemünde Richtung The Table, und das Navette in Rüsselsheim wurde geschlossen – ist Feix kulinarisch „last man standing“ im Unternehmen.

Einen kurzen Fußmarsch vom etwas in die Jahre gekommenen und im Deutsch-Toskanastil eingerichteten Hotel mit Türmchen beherbergt eine ehemalige Zahnarzt-Villa das Gourmetrestaurant. Die Wände sind teils holzvertäfelt und die Decken niedrig – das war einmal der Garagenanbau des Doktors. Mit einem Kachelofen und bequemen Sitzmöbeln könnte trotzdem so etwas wie Stubengemütlichkeit aufkommen, wäre der Gastraum an einem Freitagabend nicht weitestgehend leer.

Das ändert aber nichts daran, dass wir uns mit Genuss über Snacks und Brotauswahl hermachen. Die Backwaren und die hauchdünnen, röschen Cracker sind gut, wenngleich sich letztere nicht in unsere Erinnerung einbrennen. Sie sind sehr mild.

Ganz anders dann Mett, Radieschen und Wirsing. Das zünftige Amuse-Gueule ist würzig, mit Eigelb und einer dicklichen Senfcrème, gerade beim in der Schüssel angerichteten Teil, aber auch enorm mächtig. Und das vor dem eigentlichen Menü. Mit etwas Wohlwollen ein rustikales Schmankerl, das in Bayern auch gut ein Helles begleiten könnte – ein Pendant zum rheinischen Metthappen.

Bei Roter Garnele, Fenchel und Bergamotte bleibt es ähnlich süffig und diesmal mit einer Art mayonnaise-igem Fenchelpüree wieder sehr reichhaltig. Für den klassisch-gefälligen Geschmack können wir uns erwärmen, weil das Krebstier saftig gegart ist und die Begleiter knackige Frische bringen.

Der Menüauftakt mit Rosenkohl, wilder Erdnuss und Preiselbeeren löst direkt das Versprechen einer "modernen Naturküche" ein und erinnert uns an beste Gemüseküche wie in der Villa Merton oder im Essigbrätlein. Das ist einfach, aber nicht simpel, puristisch oder freudlos! Die Geschmackspaarung mit der leichten Bitterkeit der kurz blanchierten Blätter des Kreuzblütlers, den in diesem Zusammenhang überhaupt nicht penetranten Erdnüssen und der süßen erdig-herben Frucht gelingt wunderbar. Dass die Erdnüsse hier zu einem cremigen, recht festen Schaum verarbeitet wurden, ist sinnvoll, da die Kombination verbindend wirkt. Als À-part-Reichung gibt es das Ganze mit identischen Zutaten als wieder zusammengesetzte Rosenkohlröschen variiert. Genial einfach, sehr gut und eine Götterspeise.    

Für Heilbutt, Kokos und Kaviar hat Feix den Plattfisch ganz sanft gegart und das feine Stück aufgespießt. So schmeckt dieser obenauf liegende Happs sehr mild und wird vom Osietra, einem Hauch Kokos und lauchiger Frische angenehm unterstützt. Beim anschließenden Lüften des Gebäck-Deckels vom Glas schlagen uns dann allerdings recht starke Räucheraromen entgegen und dominiert für einen längeren Moment unsere olfaktorische Wahrnehmung. Nachdem sich der Rauch ein wenig gelichtet hat, schmeckt der Glasinhalt im Prinzip nicht schlecht. Wir sehen aber davon ab, alles davon zu verspeisen – die Sauce zum Fisch und Spinat ist schlichtweg zu mächtig.

Bei Schnecken, Schwarzwurzel und Daidai sind die Weichtiere angenehm untypisch eingefasst, wenngleich wir den Geschmack etwas unzusammenhängend empfinden. Besonders die gebackenen Exemplare schmecken sehr gut. Wieder begegnen uns, besonders im linken Schosselchen, zu üppig eingesetzte, texturell ermüdende Elemente: Schwarzwurzel-Crème gepaart mit einer Sauce Hollandaise – zukünftig werden wir uns nie wieder über den hohen Absatz von ISI-Spendern in der Gastronomie wundern. Als Antidot hat die Küche hier mit der asiatischen, äußerst bitteren Orange Daidai direkt ein verdauungsförderndes Mittelchen beigefügt.

Aromatisch gefällt uns der folgende Gang: Pulpo, Paprika und Minze. In dem mediterranen Kontext wirkt nur der Minz-Schnee ein wenig irritierend. Müßig zu erwähnen, dass sich auch hier ein recht festes, überdimensioniertes Schäumchen (aus Paprika mit einer Prise Thymian) auf dem Teller befindet. Dieser Gang kommt auch ganz ohne spiegelndes Pendant aus. Da wir vorsichtig dosieren können, bleibt es am Ende ein ordentliches Gericht.

Am Huhn mit Kräuterseitlingen und mildem Knoblauch haben wir geschmacklich nichts auszusetzten, lediglich ist der selbst fermentierte Knoblauch zu üppig eingesetzt. Das Gericht um das schmackhafte Pfaffenstück schmeckt unaufgeregt schlüssig und gut. Croûtons von der Salzzitrone sorgen für erfrischende, originelle Akzente, und das Hühnerbrot aus krosser Haut auf die Hand könnten wir uns kleiner dimensioniert auch als einen tollen Apéro-Happen vorstellen. Gut.

Frühjahr – unser Besuch datiert von Anfang März - verheißt als weiterer Fleischgang Kaninchen, Spargel und Senf. Die unnötige pre-saisonale Verwendung des Gemüses lässt dem Gericht eine willkommene Leichtigkeit angedeihen. Nah am Produkt und recht pur bewahrt ein Coppa-Mantel das empfindliche Rückenfleisch des Kaninchens vor dem Austrocknen beim Garen. Mit einer leichten Schärfe von Senfkörnern und pikanter Kräutrigkeit der Senfblätter schmeckt uns das. Die cremig-schlotzige Spargelsuppe mit einer Art Kaninchen-Dumpling passt hier geschmacklich und proportional wunderbar.

Das aus regionaler Aufzucht stammende Fleisch (Rücken und Schulter) vom Poltinger Lamm mit Spitzkohl und Kreuzkümmel ist ausgezeichnet. Die angegrillte Kohlroulade mit Lammfüllung –  natürlich auf einem großen Kleks Schaumsauce – und die dezent orientalische Note des Doldenblütlers sind sehr gute Begleiter. Ruhig mehr Mut zu Reduktion: Mehr braucht es für ein gelungenes Ergebnis nicht.

Noch reduzierter präsentiert die Küche Rind, Gewürzpfeffer und Trüffel. Der Fokus liegt hier auf dem aromatischen Schaufelstück, das nur von etwas Topinamburpüree- und -chips begleitet wird. Ansonsten bereichert den Teller eine Pastrami-Rolle – alles erfreulich puristisch.

Mit Ziegenfrischkäse, Thymian und Quitte folgt ein reduzierter Käsegang. Das ist nicht aufregend oder innovativ, aber in seiner Natürlichkeit rundum solide.

Bei Nougat, Banane und Feijoa sind wir überrascht, positiv überrascht. So leicht und übersichtlich hätten wir das Dessert nach all den Crèmes und Schäumen nicht erwartet. Mit karamellig-nussigen Noten, minimaler Salzigkeit und willkommener Frische der brasilianischen Guave schmeckt das äußerst gut. Nicht mehr, nicht weniger.

Die Petits Fours schaffen wir so gerade noch. Sie sind übersichtlich und schmecken einfach mal anders.

Was lief an diesem Abend schief, dass der Funke bei uns nicht übersprang? Am Ende des Menüs waren wir pappsatt, obwohl wir öfter mehr als einen Anstandsbissen übrigließen – und das will bei uns schon etwas heißen. Die mit den Schlagworten "Moderne Naturküche" und "Naturreise" geschürte Erwartungshaltung wurde nicht erfüllt oder von uns von vornherein falsch verstanden.  Wir erwarteten eine zeitgemäß leichte und fokussierte Küche, die verstärkt auch von regionalen Viktualien getragen wird – etwa in der Art des Rosenkohl-Gangs oder auch des Poltinger Lamms. Modern und innovativ war bei durchaus guten Gerichten der Einsatz der Breitband-Sattmacher (Crèmes, Pürees, (Schaum-)Saucen) nicht; uns waren sie zu häufig eingesetzt, zu üppig dimensioniert und letztlich auch zu schwer. Weniger – hier und da nur ein Tupfer und gelegentlich etwas Reduktion – könnte schon Abhilfe schaffen. Dass im Il Giardino ohne größeren Einsatz von Texturgebern gearbeitet wird, begrüßen wir ausdrücklich. Insgesamt vermissten wir jedoch einen Spannungsbogen zwischen filigranen und kräftig gearbeiteten Gerichten – schon das Mett als Auftakt setzte eine deutliche Marke an Intensität, wenngleich wir bei diesem Dauerdruck nicht unbedingt die Salinität des Essens meinen.

Die Weinbegleitung von Sommelière und Restaurantleiterin Kathrin Feix (2.v.r.) gefiel uns ausgesprochen gut. Ein ums andere Mal stimmte sie uns in Verbindung mit dem Essen versöhnlicher. Mit professioneller und gleichzeitig charmanter Contenance begleiteten sie und ihre Servicemitarbeiterin uns durch den Abend. Ein Abend, der mit einigen nur halb gegessenen Tellern und vielen Anmerkungen und Fragen auch am Service nicht unbemerkt vorüberging und natürlich in die Küche zu Ehemann und Küchenchef Denis Feix (links) kommuniziert wurde.

Fazit

Im Il Giardino gibt es gute Ideen, deren Umsetzung uns aber nicht befriedigen konnte – das Menü war insgesamt zu schwer und altbacken.

Wein

Weine im Restaurant Il Giardino in Bad Griesbach

2013 Scheurebe Spätlese, Katharina Wechsler, Rheinhessen

2013 Heida, Leo Mengis, Wallis / Schweiz

2012 Riesling Spätlese Alte Reben, Weingut Kirsten, Mosel

2008 Savennières „Les Vieux Clos“, Nicolas Joly, Loire 

2007 Traminer, Domaine de la Tournelle, Jura

2011 Chardonnay „Clos de Schulz“, Chat Sauvage, Rheingau

2008 Calisto Sangiovese die Romagna, Stefano Berti, Emilia-Romagna, Italien

2009 Merlot, My Wyn Franschhoek, Südafrika

2011 Scheurebe Auslese, Weingut Bassermann-Jordan, Pfalz

2008 I Capitelli Passito (Garganega), Tenuta Anselmi, Venetien, Italien

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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