Restaurantkritik 12.Mai 2014

Frankfurts grüne Seite

Dass Matthias Schmidt in Deutschland als Vorreiter einer Regionalküche im Sinne der "New Nordic Cuisine" gilt, ist längst bekannt. Dabei geht der 33-jährige Frankfurter noch einen ganzen Schritt weiter als seine skandinavischen Vorbilder: Während man dort auf Produkte aus ganz Skandinavien zurückgreift, hat Schmidt seinen Erzeugerkreis auf einen Radius von 150 Kilometer beschränkt. Vom Michelin wurde dieser mit kreativen Ideen und handwerklicher Meisterschaft gepaarte Mut Ende 2012 mit dem zweiten Stern belohnt – wir berichteten.

Anfang 2014 gab es die Nachricht, dass Kofler & Kompanie und damit auch Matthias Schmidt die ehrwürdige Villa Merton zum Ende des Jahres verlassen werden, um an neuer Wirkungsstätte den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wir machen keinen Hehl daraus, dass dieser Schritt für uns durchaus konsequent ist, da sich die progressive Küche Schmidts mit der Zigarrenlounge-Atmosphäre der Villa des Union International Clubs nicht immer vereinen lassen wollte. Trotzdem oder gerade deshalb war diese Nachricht für uns ein schöner Anlass, Schmidt an diesem für seine Karriere durchaus prägenden Ort noch einmal zu besuchen.

Als erstes Amuse wird ein alter Bekannter serviert: Ei im Stroh. Ein pochiertes Wachtelei wird von rohen Lauch- und Kartoffelspänen umhüllt. Der Kontrast zwischen dem warmen Dotter, der milden Lauchschärfe und der Frische der rohen Kartoffel gefällt uns zwar wieder gut, aber mit etwas weniger "Stroh" würde das Ei sicher noch besser zur Geltung kommen.

Wunderbar danach das feinwürzige, luftgetrocknete Heidschnuckenfleisch sowie der Ziegenfrischkäse mit getrockneten Holunderblüten und Vogelbeere, welche einen schönen, feinherben "Säureblitz" beisteuert. Man beachte auch die Präsentation auf dem echten Ziegenhorn.

Von schöner Würze und feiner Säuerlichekt auch die Radieschenschoten mit Johannisbeerstrauchemulsion – solch ungewöhnliche Produkte, ganz simpel präsentiert, gefallen uns immer besonders gut.

Die Schmandkekse mit Wacholdergrün und eingelegten Fichtentrieben überzeugen durch das Spiel mit weichen und krossen Texturen sowie einen Geschmacksverlauf zwischen mildwürzig, buttrig und süßlich.

Ein Knaller ist danach die vollmundige, ungemein dicht schmeckende Linsenbrühe mit Bärenklauöl – nach den bislang durchweg kühlen Amuses wirkt dieser vergleichsweise rustikale Suppenshot auf uns umso wohliger.

Ein Kontrast ist der gefrorene Herrschaftsgespritzte: Ein edler, intensiver Apfelwein in Form eines Miniatur-Eis am Stil – ungewöhnlich, herrlich belebend und ein kleines Ausrufezeichen, bevor es mit dem eigentlichen Menü losgeht.

Der erste Menügang besteht aus Klettenwurzel mit Wintersalat und Liebstöckel. In Asien kommt die Wurzel der Großen Klette schon lange auf den Teller – Schmidt entdeckt sie (natürlich aus regionaler Ernte) nun für die deutschen Gaumen. Mit ihrer festen Textur und ihrem kräftigen, erdigen, an Schwarzwurzel und Artischocke erinnernden Aroma passt sie bestens zum intensiven Jus vom Liebstöckel, besser bekannt als "Maggikraut". Davon hätte es gerne etwas mehr sein dürfen… Der Salat gibt zusätzliche Saftigkeit und Frische. In seinem Purismus und seinem Fokus auf durchaus ungewohnte vegetabile Aromen dürfte dieses Gericht für so manchen Esser eine echte Herausforderung darstellen – uns gefällt es gerade deshalb ausgezeichnet.

Zugänglicher kommt der nächste Gang daher: Bachsaibling im eigenen Fond mit weißer Rübe, Knochenmark und Mariendistelöl. Der rohe Fisch wird mit der heißen Brühe aufgegossen und dadurch leicht angegart. Fisch und Fond sind für sich genommen bereits köstlich, die Rübenstücke bringen Textur und Würze, das Mark Schmelz, während wir das sehr milde Öl nicht bewusst ausmachen können – aber immerhin, so lesen wir später, ist es gut für die Leber. Ein Wink der Küche?

Bei Sonnenblume, Topinambur, Feldsalat, Holzkohleöl und Meerrettich handelt es sich im die vegetarische Variante eines Gerichts, das wir bei unserem letzten Besuch genossen, damals mit gebeizter Lachsforelle – aber es funktioniert auch ohne den Fisch ganz ausgezeichnet. Sämtliche der zahlreichen Komponenten greifen ineinander und ergeben ein bemerkenswert differenziertes, aber keineswegs verkopftes Zusammenspiel herber, erdiger und fein-scharfer Nuancen, stimmig untermalt von der Rauchigkeit des Öls. Exzellent.

Ungewöhnlich geht es weiter: Welsleber mit Zwiebel, Beifuß und Engerlingen kommt als eine Art Mini-Eintopf auf den Tisch. Die Leberstücke bekommen durch deutliche Anröstung ein sehr volles Aroma, sind zugleich aber von wunderbarem Schmelz. In Verbindung mit den knackigen Zwiebeln, den Pilzen und dem kräftigen Fond wird daraus Umami-Bombe sondergleichen, wobei die balsamischen Bitternoten des Beifußes dafür sorgen, dass das Ganze nicht zu mächtig wirkt, sondern einfach nur köstlich.

Nicht minder begeisternd bleibt es auch bei Weinbergschnecke mit Bucheckern, Haselnüssen, Grünkohl und Wacholder bringt sozusagen Wald und Wiese auf den Teller. Der Kohl ist nur leicht gegart, knackig und hat nichts mit dem fiesen Matsch gemein, der normalerweise als "Grünkohl" serviert wird. Die Eckern und Nüsse geben Biss, die eingemachten Wacholderbeeren steuern etwas Säure bei. Der Clou aber sind die aromatischen Schnecken, die Schmidt von einem Bio-Züchter aus dem benachbarten Offenbach bezieht – wer hätte gedacht, dass die oft gescholtene Nachbarstadt solche Schätze beherbergt?

Als Fleischgang serviert Schmidt Henne mit Pimpernellensamen, Haferwurzel und Buchenkeimblättern. Von der Henne gibt es die zarten Pfaffenstücke im eigenen Jus, die von der süßlich-nussigen Haferwurzel und den feinherben Buchenkeimblättern spannend flankiert und gewissermaßen auch gewürzt werden. Das schmeckt sehr gut; trotzdem haben wir das Gefühl, dass dieses Gericht ein klein wenig "soßiger" und damit süffiger sein dürfte.

Als Käsegang dann ein Klassiker des Hauses: Schmidts Interpretation des Handkäs' mit Musik. Geröstete Brotwürfel und Zwiebelvariationen werden mit heißem, flüssigem Handkäs' umgossen. Die Idee gefällt uns sehr gut, der Geschmack grundsätzlich auch, wobei wir mit den Proportionen diesmal Probleme haben: Die Käsemenge ist zuviel und dominiert dadurch die Aromatik – beim klassischen Handkäs' besteht der Clou ja auch in der exakten Abstimmung von Brot und Käse. Die drei Zwiebelsphären wiederum setzen punktuell zu große Mengen an Säure frei. Etwas weniger Sauce und kleinteiligere Sphären könnten hier Wunder wirken. Dennoch eine sehr schöne und vor allem ausgesprochen originelle Kreation.

Notiz am Rande: Aus konzeptueller Sicht stellt sich uns bei den Sphären die Frage, ob die für die Herstellung nötigen Texturgeber auch aus dem Frankfurter Umland gewonnen werden. Vielleicht wäre es gar möglich, mit einem säurebetonten Eis zu arbeiten, was durch den Temperaturkontrast zusätzlich helfen könnten, den Käse zu „entwuchten“.

Nach dieser Bombe kommt das gefrorene Felsenblümchen mit Speierling und Senfkaramell genau richtig: süßlich, säuerlich, ganz leicht herb-scharf – ein wunderbarer Muntermacher.

Das erste Dessert besteht aus Apfel, Brennnessel, Haferflockeneis, Blütenpollen und Traubenkernöl. Hier hält Schmidt eine gelungene Balance aus der nötigen Dessertsüße, feiner Würze und leichter Erdigkeit. Besonders das Haferflockeneis mit seiner getreidigen Süße gefällt uns ganz ausgezeichnet.

Zum Abschluss dann nochmal ein Knaller: Rote Bete, Traube, Schwarzbier und Rosen. Hier verbindet Schmidt den erdigen Geschmack und die natürliche Süße der Roten Beete mit den süßlichen, ebenfalls leicht erdigen Bitternoten des Schwarzbiers. Das intensiv blumige Rosenaroma gibt dem Ganzen eine Leichtigkeit, die uns schon jetzt an den nächsten Sommer denken läßt. Verblüffend die Wirkung der unter dem Eis verborgenen Trauben: Durch die starke Kühlung und die Verbindung mit dem Rosenduft erinnern sie texturell und geschmacklich verblüffend an Lychees. So bringt der Regionalist Schmidt zum guten Schluss noch einmal einen Hauch Exotik ins Menü. So oder so: Es schmeckt grandios.

Als Petits Fours gibt es Weingummis, süßes Getreide und Salz-butterkaramell. Das ist alles hübsch präsentiert und geschmacklich nett, aber nicht herausragend.

Es war, einmal mehr, ein äußerst spannender Abend, den wir in der Villa Merton verbrachten. Matthias Schmidt wird in der Ausgestaltung seiner kulinarischen Philosophie immer souveräner – und auch immer radikaler, was wir ausdrücklich als Kompliment meinen. Kreationen wie die Klettenwurzel und die Weinbergschnecke sind sicher nicht jedermanns Sache, aber in solchen Grenzgängen liegt für uns ein Teil der Spannung dieser Art von Küche. Hinzu kommt, dass Schmidts Kreationen fast durchweg hervorragend schmecken. Kritikpunkte hatten wir eigentlich nur vereinzelt in der Feinabstimmung mancher Kompositionen.

Empfanden wir den Service bei unseren bisherigen Besuchen stets als etwas formell, agierte die Brigade diesmal angenehm locker und humorvoll, ohne dass es plump-vertraulich gewirkt hätte. Ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung! Und wir sind sicher, dass in einem etwas entspannteren Ambiente auch der Service noch weiter aufblühen wird. Wir jedenfalls sind äußerst gespannt, wie es nach dem Umzug 2015 mit Schmidt und seiner Crew weitergeht.

FAZIT

Matthias Schmidt macht mit ebenso herausfordernden wie köstlichen Kreationen seinem Ruf als kompromissloser Regionalist alle Ehre – weiter so! Wir sind darüber hinaus sehr gespannt, welche Location sich für sein neues Restaurant findet.

Weinbegleitung

2012 Oliver Zeter, Viognier, Pfalz

2011 Rings, Sauvignon "R", Pfalz

2007 St. Antony, Ölberg, Riesling, Rheinhessen

2011 Dreissigacker, Einzigacker, Weißburgunder, Rheinhessen

2012 Domaine De la Rectorie, Grenache Blanc

2007 Thörle, Spätburgunder "R", Rheinhessen

2002 Erlenwein, Sylvaner Eiswein, Pfalz

Oliver Zeter, Goldschatz

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