Restaurantkritik 14.Februar 2023

La Société – gute Gesellschaft

Während der Bahnfahrt Richtung Köln stellt sich heraus, dass unsere Abendplanung aus unvorhersehbaren Gründen nicht klappt. Wohin also? Die naheliegendste Wahl ist in Köln immer das »Le Moissonnier«, doch uns steht der Sinn nach Unbekanntem. Wir haben viel Gutes über das »La Société« gehört, wo seit anderthalb Jahren Leon Hofmockel für die kulinarische Linie verantwortlich zeichnet. Er war vorher als Souschef von Sven Elverfeld tätig, gut möglich also, dass wir bereits ein paar Kreationen von ihm probiert haben. Auf OpenTable ist für den Abend noch ein Zweiertisch verfügbar. So schnell geht das manchmal.

Als wir um 19 Uhr eintreffen, sind alle Tische des kleinen Restaurants belegt – bis auf den unseren, ganz hinten neben der Bar. Das Interieur hat etwas von einem Pariser Edelbistro, mit samtigen Polsterbänken, weiß eingedeckten kleinen Tischen und jeder Menge nostalgisch gerahmter Bilder und Spiegel an den Wänden. Es herrscht eine lebhafte Atmosphäre, das Publikum ist bunt gemischt. Auch in dieser Hinsicht erinnert das ein bisschen an Paris.

Zu »Wahl« steht ein festes Menü mit fünf bis acht Gängen. Wir entscheiden uns für das komplette Programm – eh' klar. Einmal tauschen wir den Fischgang gegen Kaisergranat von einer kleinen Extrakarte. Beim Wein lassen wir uns auf das Pairing ein, natürlich nicht ohne #sidebottle von der ansprechend bestückten Karte: die Wahl fällt auf den großartigen Savennières »Clos de la Hutte« (2018, 180€) von Thibaud Boudignon.

Zum Aperitif werden zwei Snacks aufgetischt. Eine Tartelette mit Pilzmousse, Sellerie-Trüffelemulsion und Rauchmandel-Parmesancreme wirkt im ersten Moment etwas mächtig, entwickelt aber sehr schnell eine elegante Komplexität zwischen Knusprigkeit und Schmelz, reich an Umami, aufgefrischt von dünnen Scheiben eingelegtem Kohlrabi und neckisch knackenden Rauchmandelstückchen. Ziemlich aufwändig und am Ende bemerkenswert gut ausbalanciert.

Ebenfalls sehr gut gefällt ein knusperndes Brikteig-Röllchen mit einer süßlich-würzigen Mischung aus Kürbistatar und Cashewkernen, duftig von Zitronenmelisse und mit einer anregend nachhallenden Ingwerschärfe.

Ganz hervorragend wird es beim Amuse: in einem Schälchen finden sich zwei Röllchen von saftig geschmortem Schweinebauch, gefüllt mit Spitzkohl und Erdnuss. Sie ruhen auf samtigem Auberginenkompott mit Schweine-Dashi und Krustentieröl. Gepuffter Buchweizen und gepoppte Schweineschwarte bringen knuspernde Textur ins Spiel. Diese »dunkle« und dichte Aromenwelt schmeckt phänomenal mundfüllend, würzig und mit kitzelnder Chili-Schäfe.

Nicht so überzeugend gerät der erste Gang des Menüs. Er stellt nominell Rosenkohl und Rauchaal in den Mittelpunkt, nur wird diese reizvolle Kombination von einer Reihe cremiger Komponenten überlagert. Als da wären: Fichtensprossen-Hollandaise, Ziegenfrischkäseeis und vor allem eine Rapsöl-Senfmayonaise, verborgen in einem gefüllten Kohlköpfchen. Ein paar Knusperelemente gehen da hoffnungslos unter, auch die geschmorten Rosenkohlstückchen haben keine Chance. Uns ist das alles zu cremig, zu mastig und zu fett, gerade auch in der Verbindung mit dem Aal.

Deutlich besser gefällt ein Gang um Gelbschwanzmakrele. Zwei marinierte Scheiben des Fischs – eine vom mageren Rücken und eine vom fettreichen Bauch – sind mit vielfältigen Beigaben angerichtet: auf der einen Scheibe liegt ein knackig-cremiges, mit Sesam, Peperoni und Ingwer gewürztes Karottentatar, auf der anderen ein Makrelentatar mit exzellentem rotem Shisosorbet. Außerdem sind da noch in Kimchi eingelegte Karottenröllchen und eine spicy Karottencreme, sowie ein Escabechefond mit Korianderöl. Anders gesagt: auf dem Teller ist verdammt viel los. Das macht uns skeptisch, am Ende funktioniert es jedoch erstaunlich gut. Alles fügt sich, im Vordergrund stehen gaumenschmeichelnde Frische und kitzelnde Schärfe – eine Art roter Faden des Menüs. Vor allem der fettreiche Bauch der Makrele (eindeutig unser Favorit) kann das gut vertragen. Wir probieren hin und her, kombinieren dies und jenes; alles macht Freude und ehe wir uns versehen ist alles weg.

Eine weitere Steigerung bringt ein vegetarischer Gang auf Basis von Rote Bete, Pilz und Zwiebel. Die Rübe wurde im Salzteig gebacken und anschließend mit Rauchmandel und PX-Essig mariniert; zusätzlich gibt es sie noch als in Nussbutter gebratene Scheiben. Das Ganze sitzt mit Zwiebelcreme in einem leichten Pilzschaum mit eingelegten Waldpilzen (Pfifferlinge, Semmelstoppel, Buchenpilze). Erdigkeit, Umami und Süße spielen hier auf betörend süffige Weise zusammen. Superkrosse Röstzwiebeln und ein Kräutersalat ergänzen Textur und kurzweilige Frische; etwas Fichtensprossenöl unterstreicht den wunderbar »waldigen« Charakter dieses Gerichts. Sehr stark. Ach ja: À part wird in einem Glas eine heiße, würzige, seelenwärmende Rote-Bete-Essenz gereicht.

Steinbutt aus Wildfang kommt gedämpft auf den Teller, getoppt von zartem Stabmuschelsalat und einer dünnen Schicht aus saftigem Lauchgemüse. Dieses Ensemble könnte bereits für sich genommen glänzend funktionieren. Hofmockel gibt indes noch eine Scheibe gerösteten Fenchel und ein federleichtes Fenchel-Safran-Püree hinzu. Es sind kleine Twists wie etwas Pernod am Fenchel, winzige Peperonistücke in den Muscheln und karamellisierte Fenchelsaat und Yuzu in der Beurre Blanc, die diesem sehr klassisch anmutenden Gericht den letzten Schliff geben. Ganz unaufgeregt, absolut köstlich. Hier bewegt sich die Küche deutlich über dem vom Michelin attestierten Niveau.

Parallel zum exzellenten Steinbutt steht ein norwegischer Kaisergranat auf dem Tisch, ein Exemplar von prachtvoller Größe und köstlicher Saftigkeit. Er wurde zu idealer Bissfestigkeit gebraten und ruht in einer mit Koriander und Limette abgeschmeckten Kimchi-Vinaigrette. Deren dichte Würze wird von einer sehr guten Krustentierbisque ausbalanciert, dazwischen knuspern und knacken Reisflakes und kleine Macadamia-Stückchen. Südostasiatisch geprägte Gerichte wirken schnell plakativ, hier funktioniert die Idee sehr gut. Bemerkenswert vor allem, wie deutlich der wunderbar Eigengeschmack des Kaisergranat durchweg im Vordergrund steht.
Aufgrund der verwendeten Gewürze und Zubereitungen (Kimchi, Karottenröllchen) erinnert das zwar deutlich an den Makrelen-Gang, bekommt als warmes Gericht und durch die kleinen Abweichungen dennoch einen eigenen Charakter.

Beim nächsten Gang sitzt auf knackigen Kalbskopfgraupen ein Onsen-Eigelb, das leider einen Tick zu lang gegart wurde und deshalb im Kern nicht mehr ideal flüssig ist. Eine entscheidendes Manko stellt das nicht dar, denn das Dotter lässt sich trotzdem prima mit dem samtigen Kartoffel-Nussbutterespuma und einem feinwürzigen Schnittlauchschaum vermengen. Für den Texturkontrast sorgen diesmal knuspriges Eiweiß und frittierte Kartoffelfäden. Alles in allem ein nicht ganz so »spannendes«, aber süffiges Wohlfühlgericht.

Allmählich leeren sich die ersten Tische. Wir kommen mit einer gut gelaunten Servicemitarbeiterin ins Gespräch und staunen nicht schlecht als sie erzählt, dass sie bereits seit fünfundzwanzig Jahren im »La Société« arbeitet (notabene: der heute nicht anwesende Restaurantleiter Stefan Helfrich ist sogar noch zehn Jahre länger dabei). Von einer solchen Treue können die meisten Gastronomen nur träumen. Kein Wunder, dass hier eine so familiäre Grundstimmung herrscht. Welchen der diversen Küchenchefs des Hauses, darunter der spätere Fernsehkoch Mario Kotaska, die schlagfertige Veteranin am Sympathischsten fand, vergessen wir leider zu fragen.

Weiter zum Hauptgang. Hier zieht das Niveau nochmal ordentlich an. Die ideal rosa, aber nicht »blutig« gegarte Brust einer appetitlich gerösteten Mieral-Taube wird von einem Klecks Artischockenpüree flankiert. Dazu gibt es noch eine weich geschmorte, mit feinem Keulen-Innenreinragout und Flower Sprouts gefüllte Zwiebel – das ist kräftig, aber nicht (wie so oft) von überbordender Intensität. Am Tisch kommt noch ein hervorragender, sehr »pur« schmeckender Taubenjus hinzu. Diese absolut klassische Darreichung peppt die Küche mit der eleganten Bitterkeit eines Radicchiosalats sowie einer süßsäuerlichen Radicchiosauce mit Himbeeressig auf. Im souverän überraschenden Jonglieren mit vermeintlich vertrauten Geschmacksbildern erinnert dieses Gericht durchaus an die Küche von Hofmockels Lehrmeister Sven Elverfeld. Exzellent.

Das Pre-Dessert aus Mandarinensorbet und Topfenschaum wirkt ebenfalls in positivem Sinne klassisch. Die sonnige Süße der Mandarine und die Üppigkeit des Topfens sind mit milder Ingwerschärfe und einem Hauch Zitronengras unterlegt. Das ist insofern passend, da Mandarinenfrüchte einst aus Asien nach Europa kamen. Ein unter dem Topfen verborgenes, saftiges Mandarinenküchlein in süßem Mandarinensud wertet diese Kreation fast zu einem vollständigen Dessert auf. Sehr gut.

Nach diesem beinahe sommerlichen Intermezzo wird es mit Kaffee, Quitte und Topinambur recht winterlich. Leider kann uns die ansprechend präsentierte Vielfalt aus Nougat-Topinamburmousse. gedämpften Quittenscheiben, eingelegten Topinamburscheiben, Kaffeegelee, Kaffee-Eis und Salzkaramellcreme mit gereifter Sojasauce und Kaffeelikör geschmacklich nicht überzeugen. Insbesondere die Kreuzung von Kaffee und Sojasauce fanden wir bereits im »Memories« wenig ansprechend, und auch hier schmeckt das in Kombination mit dem Salzkaramell, der herbsüßen Quitte und der erdigen Topinambur vor allem spröde. Nach wenigen Löffeln ist Schluss. Das ist bedauerlich, am Ende bleibt es eine Randnotiz.

Nennen wir es eine glückliche Fügung, dass wir heute Abend hier gelandet sind. Sehr gute Produkte, akkurates Handwerk, eine gut dosierte Prise Kreativität und eine mehr als angenehme Atmosphäre machten diesen spontanen Besuch zu einer ausgesprochen befriedigenden Maßnahme. Einem Ex-»Aqua«-Souschef muss man das Talent natürlich nicht mehr groß attestieren, bemerkenswert finden wir dennoch, dass Leon Hofmockel – wie wir bei seiner kurzen Visite am Tisch erfahren – gerade einmal 28 Jahre alt ist.

Mit jugendlicher Gelassenheit nimmt er denn auch unsere Anmerkung zur Kenntnis, dass auf manchen seiner Teller ganz schön viel los ist. Das sei gerade sein Stil, gibt er jungenhaft lächelnd zurück, mal schauen, wie sich das im Lauf der Zeit entwickele. Beste Antwort. Und bestes Schlusswort. Bloß nicht verrückt machen lassen. Die Dinge laufen. Alles andere kommt von selbst.

Kai Mihm

Wein

Umfrage

Achtet Ihr auf die vorherigen Stationen eines jungen Küchenchefs?

 

Hinweis

Bei dem Besuch handelte es sich um eine Einladung. Der Inhalt bleibt davon unberührt. Details zum Umgang mit Einladungen und anderen Pressekonditionen findet Ihr hier.

Das könnte dich auch interessieren