In Stein(heuer) gemeißelt
11 Jahre? Ernsthaft? So lange soll es her sein, seit wir Hans Stefan Steinheuers Restaurant Zur Alten Post besucht haben? Wir sind auf dem Weg nach Bad Neuenahr-Ahrweiler, da wird uns diese Zeitspanne schlagartig bewusst. Einer war privat dort, der andere zur Berichterstattung, das Fazit fiel identisch aus: Ziemlich gut, manches mit Götterspeisen-Potenzial, manche Gänge aber auch schwächer. In Summe für uns grüne Jungspunde damals etwas zu klassisch. Zu dieser Zeit wollten wir noch aufgestellte Gemüse, Sponges, Crèmetupfer und Airs auf dem Teller.
Tatsächlich hätte die klassische Ausrichtung Steinheuers ein Grund sein müssen, längst wieder einmal in der Alten Post einzukehren. Denn mit den Jahren wuchs nicht nur unsere Erfahrung, sondern auch unsere Wertschätzung der klassischen Küche. Geklappt hat es irgendwie nie. Ein Cooktank in Bonn bot schließlich eine Gelegenheit, die es zu nutzen galt. Also ab in den Zug und raus nach Bad Neuenahr-Ahrweiler ...
Die Alte Post ist ein klassischer Familienbetrieb, wie sie in der (deutschen) Spitzengastronomie inzwischen selten geworden sind – ein Umstand, auf den man sichtlich stolz ist. Eine schön gestaltete Timeline auf der Webseite des Hauses zeigt die Entwicklung des 1938 von Hans Stefan Steinheuers Großvater gegründeten Betriebs. 1985 übernahm Steinheuer mit seiner Frau die Leitung, ein Jahr später kam der erste Stern. Nummer 2 folgte 1998.
Der letzte größere Umbruch fand im Jahr 2014 statt, als Tochter Desirée (uns als Restaurantleiterin von Nils Henkel in Lerbach noch in bester Erinnerung) und ihr Ehemann Christian Binder in den Betrieb eintraten: Desirée Steinheuer als Restaurantleiterin, Binder, der auf Stationen unter anderem bei Marcus Wareing in London (zusammen mit Desirée Steinheuer) und als Souschef von Nils Henkel in Lerbach zurückblicken kann, als ausführender Küchenchef. Patron Hans Stefan Steinheuer, der kürzlich seinen 60. Geburtstag feiern konnte, damit sicherlich auch etwas weniger temperamentvoll wurde, bleibt gleichwohl Küchendirektor.
Wir sind gespannt. Auch deshalb wählen wir zwei Menüs mit unterschiedlichen Gängen, um uns ein umfassenderes Bild zu machen.
Als ersten Snack gibt es einen Cracker aus Roter Bete und Tapioka mit weißer Bete, die mit Matjes gefüllt ist. Obenauf etwas Gartenkresse und Rote-Bete-Gel. Das schmeckt alles zusammen schön kräftig, würzig und frisch; eine feine Miniatur der traditionellen Kombi von Matjes mit Roter Bete.
In eine ähnliche Richtung geht die Reiswaffel mit Büsumer Krabben, eingelegten Gurkenperlen, Krabbenmayonnaise und Dill: ein klassisches, normalerweise eher rustikales Geschmacksbild, delikat ausgearbeitet.
Ein Kracher ist der Filororing mit Rindertatar, Baeri-Kaviar und Wachtelei- auch dies ein sehr traditioneller Geschmacksakkord, umgesetzt mit einer Finesse und einem Gespür für ideale Würze, die uns begeistert. Einfach? Mitnichten!
Nun kommt eine ziemlich komplexe Kreation auf den Tisch: In der Tellermitte ein "Stein" aus Tomatenmousse mit Basilikumkern, daneben Kerngehäuse von schwarzer Tomate, Laacher See-Aal, Canneloni von Aal, Tomatensorbet, Tomatencrissini sowie eine Tomatenreduktion mit Basilikumöl. Hola, das klingt fordernd, speziell für den Beginn eines Menüs – doch siehe da: Am Gaumen erweist sich die vielgestaltige Tomatenvariation als spannend, harmonisch und in jedem Detail stimmig. Die Produktqualität der Tomaten ist bestechend, mit ihrer Fruchtigkeit und der delikaten Säure spielen sie auch prima mit dem kräftigen Aal zusammen. Klasse.
Es geht vegetarisch weiter, mit Burrata, mexikanischer Minigurke, Andengurke, eingelegter Zitronengurke, Gartengurke, Junglauch, Borretschkresse und Zitronensud. Wurde zuvor die Tomate dekliniert, ist es nun die Gurke, die in diversen Varietäten und Zubereitungen auf den Teller kommt. Das ist als reine Produktschau schon ziemlich spannend, denn Gurken sind für gewöhnlich ein recht nichtssagendes Gemüse. Auch die Burrata ist von hervorragender Qualität, spielt hier jedoch eher die Rolle des cremigen Bindeglieds zwischen den Gurkenzubereitungen. Als Clou empfinden wir allerdings den Zitronensud. Er macht das Ganze enorm frisch und elegant und verleiht den milden Gurken und dem milden Käse geschmackliche Tiefe. Ein simpel anmutender Gang mit verblüffender Vielschichtigkeit.
Als nächstes bekommt einer von uns Foie gras, nämlich in Gestalt einer Gänseleberkugel mit Erdnusskern und Erdnuss umhüllt, einer Gänseleber-Erdnuss-Praline, Gänselebercrème, Gänseleber-Tokayer-Terrine, gebratener Gänseleber und Gänseleber-Jus, dazu eingelegter Minimais und Maismousse. Wir sind zugegebenermaßen keine allzu großen Fans von Gänseleber mehr. Sie ist uns oft, nun ja, zu fett, zu schwer und als Terrine zu alkoholisch. Umso überraschter sind wir, wie gut die Variation des Produkts (bereits die Dritte dieses Menüs!) funktioniert. Terrine und Crème sind schmelzend-zart und bestens gewürzt; auch die Erdnuss ist so dosiert, dass sie nie dominant wirkt oder das Ganze Richtung Süßspeise verschiebt. Gut gefällt uns vor allem der Mais, der hier nicht so sehr süß wirkt, sondern vielmehr eine gemüsige, feinherbe Note einbringt. Alles sehr harmonisch, wenn auch kein Favorit – außer dem Stückchen gerösteter Foie: Das ist irre köstlich, gerade auch mit dem Gänseleber-Jus als Katalysator.
Als Alternative gibt es Kaisergranat mit Taschenkrebstatar, Taschenkrebsfleisch, Buttermilch-Erbsen-Mousse, Buttermilchperlen, Erbsen, Krustentierconsommé und Erbsenschaum. Das ist eine klassische Kombi, die genau so gut funktioniert, wie sie aussieht: Das leicht nussig-süßliche Aroma der satten, saftigen Kaisergranate harmoniert bestens mit dem zarten Krebsfleisch und den süßlichen Erbsen. Tatar finden wir im Rahmen warmer Gerichte immer schwierig, weil es oft störend kühl ist und dadurch penetrant wirkt. Nicht so hier: Das Krebstatar sitzt unter der Erbsenmousse in der heißen, köstlichen Consommé und wird dadurch leicht angewärmt. Auf diese Weise ist es harmonisch eingebunden, entfaltet aber trotzdem seine ganz spezielle Tatar-Aromatik und -Textur. Sehr gut.
Nun gibt es Hummer, bretonischen Hummer, um genau zu sein (auch wenn die Unterschiede zur kanadischen Sorte in unseren Augen nicht ganz so groß sind). Dazu Kohlrabi-Spaghetti, Kohlrabi-Ravioli, geflämmter Kohlrabi, Kerbelmayonnaise, Hummernage und Kerbelöl. Wow! Die schlichte Anmutung lässt nicht den Wohlgeschmack dieser Kreation erahnen. Das bemerkenswert zarte, saftige Hummerfleisch ist eine Wonne, die durch die meisterhafte Hummernage noch verstärkt wird (sehr wichtig auch die leicht herben Kräuterakzente durch das Kerbelöl). Nicht zu schwer, nicht zu sahnig, einfach perfekt.
Der unerwartete Hit ist jedoch die Kohlrabi-Variation, insbesondere die mit Hummertatar gefüllten Ravioli und die knackigen Spaghetti: so fein, so elegant, und in Kombination mit dem Fleisch und der Sauce von einer gaumenschmeichelnd-klassischen Köstlichkeit, wie wir sie in Deutschland höchstens noch aus dem Sonnora kennen. Dieses Gericht entspricht vielleicht nicht dem Instagram-Schönheitsideal, aber dafür schmeckt er besser als die meisten Pinzettenteller zusammen. Ab in unsere Hall of Fame mit dieser Götterspeise!
Weiter geht es mit Steinbutt, obenauf Schwertmuscheln, Steinbuttlamellen und Pomme Soufflée, dazu Kartoffelrisotto und eine Taubnessel-Velouté. Und auch diese Kreation gefällt uns ausgesprochen gut. Der perfekt gebratene Fisch bekommt durch die knackig-zarten Muschelstücke einen spannenden Mitspieler, sowohl geschmacklich als auch texturell. Überhaupt sind die Texturabstufungen für uns das Meta-Thema dieses Tellers: Da sind nämlich noch die krossen Pomme Soufflé und das perfekt knackige Kartoffelrisotto. Nicht zu vergessen die cremige Velouté von der mildwürzigen Taubnessel. Da kommt Spannung auf, und doch bleibt alles harmonisch. Oh-la-la, das ist nun das dritte hervorragende Gericht in Folge. Soll es wirklich so weitergehen?
Okay, nicht ganz. Das Herzbries mit Kalbskopfchip, Kalbskopf-Consommé, Kichererbsen, Rosa-Pfeffer-Joghurt, Falafel und Lauch ist uns nach all den eleganten Gerichten einfach zu sehr auf der plakativ-orientalischen Seite. Die kräftigen, heftigen Aromen wirken wie ein Bruch in der Dramaturgie. Das Bries ist gut, doch der Effekt von Falafel und Kirchererbsen ist bei uns ähnlich wie bei gelbem Curry: Wir müssen unwillkürlich an Imbissbuden in den frühen Morgenstunden denken.
Auf zu den Hauptgängen! Für einen von uns gibt es Lammrücken und geschmorte Lammbrust mit Sonnenblumenkernen, Artischocken, Bohnenkernen, Lammleber, Pfifferlingen und Naturjus. Hier arbeitet die Küche wieder mit einem sehr klassischen Geschmacksbild. Da gibt es nicht viel zu sagen: Das Fleisch ist exzellent, die Beigaben sind stimmig und abwechslungsreich. Passt alles bestens, ohne spektakulär zu sein. Hervorzuheben sind die gerösteten Würfel von der Lammleber, eine Delikatesse, die wir im Zweifel sogar der ach-so-edlen Kalbsleber vorziehen.
Der alternative Hauptgang hat Nantaiser Entenbrust als fleischiges Zentrum, dazu Keulen im Tramezzini, gedörrte und refreshte Karottenröllchen, Aniskarottenpüree und Anis-Enten-Jus. Auch dies ist mit den eher süßlichen Beigaben zur Ente eine recht klassische Kreation; den Pep bringt der Anis, der das Ganze in eine leicht mediterrane Richtung verschiebt. Eine willkommene Deftigkeit bringt das mit geschmortem Keulenfleisch gefüllte Tramezzini. Ansonsten gilt hier wie beim Lamm: "What you see is what you get" - nämlich exzellentes Fleisch, tolle Sauce und harmonische Beilagen, alles mit makellosem Handwerk zubereitet.
Als Prè-Dessert gibt es Pfirsichsorbet mit etwas eingelegtem Pfirsich, Verveine-Panna-Cotta, Champagner-Verveine-Sud und obenauf etwas Verveine-Zucker. Fruchtig, frisch und nicht zu süß, dank Verveine und Champagner. Old-schoolig, aber fein.
Vom gut bestückten Käsewagen darf es heute nur eine ganz kleine Auswahl sein ... Aber man muss diese Tradition auskosten, wo immer sie noch gepflegt wird!
Als Dessert folgt eine Variation rund um die Zwetschge: Gewürzzwetschgenmousse gerollt in Gewürzzwetschgen-Bröseln, Financier-Hippe, mit Zwetschgengelee und weißer Kardamomcanache gefüllt, dazu Kardamom-Panna-Cotta, Zwetschgengel, Grüner-Tee-Eis und Zwetschgensud. Dieser Teller hat ganz klar zwei Stars: den Mousse-Zylinder mit seinem delikaten Schmelz, dem feinsäuerlichen Zwetschgengeschmack sowie den ganz leicht knuspernden Bröseln und das Panna-cotta, dessen ganz spezielles Kardamomaroma so wunderbar zur Zwetschge passt. Moment – damit unterschlagen wir natürlich das tolle Tee-Eis und den dichten Sud. Machen wir es also kurz: ein sehr befriedigendes Dessert.
Die alternative Nachspeise besteht aus Vanillesorbet mit karamellisierter Brombeercrème, Beerensud-Praline, weißer Schokoladencanache, Heidelbeergel, frischen Beeren und Hippe von weißer Schokolade und Brombeere. Was für eine Freude, endlich einmal ein Beerendessert zu bekommen, in dem die Beeren auch als naturbelasse Frucht vorkommen! Angesichts der Qualität wäre jede Verfremdung auch ein Frevel. Zusammen mit dem Sorbet, der Crème und der zarten Canache ergibt das eines der besten Fruchtdesserts seit langem. Ultraklassisch, keine Frage, und darin äußerst stimmig. Der Pâtissier Tatsuya Shimizu ist ein Könner, den wir im Auge behalten werden ...
Zum Kaffee die obligatorischen Naschereien: ein wohl von Jonnie Boer inspirierter Kussmund mit Passionsfrucht gefüllt, ein Kokos-Macaron, eine Passionsfruchtpraline, ein Ananas-Pate-de-Fruits und eine Kokos-Krustenpraline. Alles qualitativ auf der Höhe der Desserts, also top.
Nach diesem ausgiebigen Mittagsmenü stellte sich uns vor allem eine Frage: Warum waren wir so lange nicht hier? Soweit wir uns erinnern, hat sich die Küche von Hans Stefan Steinheuer seit unserem letzten Besuch vor elf Jahren stilistisch nur in Details verändert – Christian Binder führt die Linie des Hauses also nahtlos weiter. Aber genau das macht ihre Qualität aus. Die Alte Post ist ein Klassiker, wie zum Beispiel auch die großen Franzosen Klassiker sind. Viele haben ihren jeweiligen Stil entwickelt, der stimmig und authentisch ist. Warum also davon abweichen? Diese Souveränität ist nicht zu unterschätzen.
Steinheuers Küche war stets eine Küche der Harmonie und des Wohlgeschmacks. Fast alle Gänge unseres Menüs gefielen uns sehr gut, einige ganz ausgezeichnet. Und eine Götterspeise gab es auch. Einzelne Kreationen blieben ironischerweise gerade im Bemühen um eine gewisse Modernität oder Exotik etwas konventionell (etwa die Foie gras und das Bries), und die Hauptgänge dürften vielleicht etwas mehr Pep bekommen; aber es gab nur einen Gang, der uns nicht gefiel. Auch das erleben wir nicht allzu oft.
Fazit
In der Alten Post gibt es jene Art Küche, in die man sich mit Wonne hinein isst, die leicht zugänglich, dabei aber nicht langweilig ist. Es gibt von dieser Sorte Restaurant nicht mehr viele in Deutschland – lasst sie uns schätzen.
Text: Kai Mihm
Wein
Hinweis
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.