Der Adler ist gelandet
Man denkt das nicht, wenn man hier vorfährt. Da steht ein Fachwerkhaus im malerischen 700-Seelen-Dorf Kraftshof, einem Gemeindeteil Nürnbergs, und man erwartet hier Sauerbraten, Spätzle und als Dessert Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Aber dann kommt alles anders. Doch der Reihe nach: Bei der Planung unserer Tour ins Fränkische, zum schönen Sosein, hielten wir Ausschau nach einer weiteren lohnenden Station.
Zum Glück fiel uns René Stein ein, ein einstiger Amador-Schüler, der in den letzten Jahren einige Restaurants in den USA auf die Höhe brachte und in seinem eigenen New Yorker Lokal Seasonal einen Stern erkochte – mit deutsch-österreichischen Gerichten wie Kaisergulasch, Kaiserschmarrn, Wiener Schnitzel und Sauerbraten. Womit sich der Kreis zur jetzigen Wirkungsstätte wieder schließt.
Seit Anfang 2018 kocht Stein im rustikalen Ambiente des Schwarzen Adlers. Ein schönes Haus, keine Frage, das mit seiner historischen Aura und dem Fachwerk auch ein bisschen an das Amador in Langen erinnert. Der Gastraum strahlt eine gehobene Wirtshaus-Atmosphäre aus: alte Holztische, an den Wänden und der Decke ebenfalls Holz, Vorhänge mit feinem Blumenmuster an den Fenstern – trotzdem wirkt nichts schwer oder altbacken. Das Ambiente passt zum Haus und zur Region. Schauen wir mal, ob auch die Küche passt.
Das Amuse nennt sich "Momentaufnahme Kraftshof" und besteht aus Wildkräutern mit Crème fraîche. Durch die fette Crème werden die herb-frischen Aromen der diversen Kräuter sehr schön nach vorne gebracht. Ein hübscher Auftakt und eine nette Idee.
Dann geht es gleich richtig los, mit roh marinierter Jakobsmuschel mit Molke, Gurke und Sauerklee. Hübsch angerichtet ist das, ein bisschen wie ein essbarer Maikranz – und es schmeckt auch ausgezeichnet: Die Nussigkeit der exzellent gewürzten Muschelstücke (nicht zu klein geschnitten!) harmoniert prächtig mit der Säuerlichkeit von Klee und Molke sowie der Frische des Gurkensaftes. Der Clou sind aber die Semmelbrösel im Tatar – sie geben Textur, Mundfülle und nicht zuletzt dunkle Röstaromen. Ganz exzellent.
Vom Meer geht's auf die Weide, mit Rindertartar, Giersch, Mandel und Laugenbrötchen. Was für eine Kombi! Auch hier besticht das Tatar durch eine hervorragende Würze und eine etwas gröbere Schnittgröße. Stein kombiniert das Rohfleisch wie ein klassisches Steak, nämlich mit einer Art Hollandaise. Sie gibt Cremigkeit und Dichte, unterstützt und harmonisiert den Eigengeschmack des Tatars. Köstlich. Dazu der an Petersilie erinnernde Giersch und ein gutes Laugenbrötchen – fertig ist ein edles, modernes Wirtshaus-Gericht.
Es folgt Kalbsbries, Zweierlei von der Zwiebel, Mohn und Apfelessig. Beim Anblick des glänzenden Bries läuft uns schon das Wasser im Mund zusammen – und der Duft von zwiebeliger Süße und Röstaromen tut ein Übriges, um uns beherzt Messer und Gabel ansetzen zu lassen. Das Bries ist von einer unfassbar krossen Panade umhüllt – die Quintessenz von Knusprigkeit. Sie schmeckt süßlich-säuerlich (vom Essig) und passt damit bestens zum weichen, ebenfalls leicht süßen Bries. Diese Mischung aus krosser Hülle, weichem Fleisch und süßsaurer Aromatik mutet fast chinesisch an. Zugegeben, die Innerei mit ihrer zarten Textur geht auf Dauer etwas unter, aber eine Wonne ist es allemal.
Ach ja, die Beigaben! Zwiebel, einmal geröstet und dann als flaumiges Püree, sowie ein paar Stückchen bitterer Chicoree runden das Geschmacks- und Texturbild prima ab. Ein toller Gang, keine Frage.
Der Zander mit geröstetem Lorbeersud, Eigelb, Speck und Linsen klingt ebenfalls sehr intensiv, erweist sich aber als überraschend feingliedrig. Der Fisch von bemerkenswerter Güte sitzt in einem angenehm rein und klar schmeckenden Sud mit nur leichter Röstaromatik – sehr fein, und da braucht es auch gar nicht mehr als die würzende Kruste aus weichem Ei, feinrauchigem Speck und leicht knackigen Linsen. Ein sehr schönes Beispiel für ein traditionell und bürgerlich anmutendes, "deutsches" Gericht, das für die gehobene Küche adaptiert wurde.
Ganz ähnlich verhält es sich beim Seeteufel mit La-Ratte-Kartoffeln, Gurke und Velouté. Stein bindet den hervorragenden Fisch (schön in Butter geröstet) in ein klassisches Geschmacksbild ein, das man der deutschen Hausmannskost entlehnt nennen könnte: Aus Kartoffel, Gurke, Velouté und einigen Kräutern macht er eine Art moderne Interpretation des klassischen Kartoffelgemüses – nur eben leicht und elegant, aber trotzdem kraftvoll und sehr süffig (um das ungeliebte "lecker" zu vermeiden). Das löffeln wir weg wie nix.
Als Erfrischung vor den Fleischgängen gibt es ein Ananas-Sorbet mit Olivenöl und getrockneter Olive. Ananas und Olive halten wir schon für lange eine tolle Kombi, und auch hier funktioniert die Mischung aus exotischer Süße und herber Oliven-Fruchtigkeit ganz wunderbar.
Und es bleibt schlonzig-süffig-köstlich: Die Entenmaultaschen mit Fenchel und Hummerbisque bringen Berg und Meer aufs Schönste zusammen. Exzellent gearbeitete Maultaschen sind unter einer überraschend leichten, schaumigen Bisque versteckt – und wir sind selbst erstaunt, wie gut diese Geschmackswelten ineinandergreifen. Die knackigen, pastaähnlichen Fenchel-Streifen wirken nicht nur als Auffrischung, sondern auch als Brücke zwischen Geflügel und Krustentier.
Noch etwas rustikaler wird es beim Hauptgang. Es gibt geschmortes Bäckchen vom fränkischen Weiderind, rosa Radicchio und Kräuterseitling. Mit dem Pilz war die Küche sparsam: es liegt exakt ein halbes Exemplar auf dem Teller. Der ist allerdings, zugegebenermaßen, sehr gut. Auch das Fleisch ist ganz ausgezeichnet, mürbe und saftig, umhüllt von einem seidigen Jus. Dazu geschmorter Radicchio, dessen Bitterstoffe dem Ganzen die Schwere nehmen. Schmeckt alles prima, ist in Summe aber schon eher auf der mächtigen und deftigen Seite.
Als Vordessert erfreut uns ein Eis von brauner Butter mit Met und Brot-Crunch. Eis von brauner Butter (auch: Nussbutter) hatten wir erstmals im Osloer Maaemo - und haben es geliebt. Die Version im Schwarzen Adler wirkt auf uns nicht ganz so üppig und komplex, ist aber dennoch sehr gut. Speziell die Kombination mit dem Honigwein und dem getreidigen Brot-Crunch gefällt uns. Im Grunde haben wir ein gebuttertes Honigbrot als Dessert auf dem Teller, nur eben abstrahiert und delikater im Geschmack.
Vom Aufbau ist das nächste Dessert sehr ähnlich: "Frühling“: Rhabarber und weißer Spargel besteht aus einem Spargel-Sorbet mit Rhabarberkompott und -sud. Das exzellente, deutlich süße und zugleich angenehm herb-frische Sorbet geht bestens mit dem süßsauren Rhabarber. Was sollen wir sagen: schmeckt prima.
Etwas gehaltvoller wird es bei den Brombeeren vom letzten Sommer mit Quark und Kamille. Auch hier haben wir eine angenehm klare Sache vor uns: sensationelles Sorbet, herrlich fluffige Mousse und röstige Streusel, die texturelle Länge und geschmackliche Tiefe geben. Sehr fein ist auch die Kamille eingearbeitet, die mit ganz leichter Bitterkeit dafür sorgt, dass das alles nicht zu gefällig wird. Ganz toll.
Gefällig im besten Sinne ist dann der Kaiserschmarrn nach Art des Hauses, den wir aus Neugier nachträglich ordern. Er ist nahezu perfekt. Außen kross karamellisiert (und nicht so dunkel, wie die Bilder ihn aussehen lassen), innen fluffig-leicht. Dazu nur ein bisschen Sahne – Herz, was willst Du mehr?
Ein paar Petits Fours dürfen es noch sein: Rhabarber-Baiser, Schokolade-Haselnuss, Kürbiskernöl-Gummibärchen.
Nein, das hätten wir so wirklich nicht gedacht, als wir hier vorgefahren sind. Was war das für eine beeindruckende Vorstellung. Milde gesagt. René Steins (2.v.r.) Küche hat uns mit ihrer Mischung aus Bodenständigkeit und Finesse geradezu euphorisiert. Es kommt tatsächlich selten vor, dass wir bei einem Menü so viel Freude haben. Die Gerichte waren unkompliziert, aber nicht anspruchslos, leicht zugänglich, aber nicht trivial. Bei unseren zehn Gängen gab es keinen einzigen, den wir nicht mochten oder den wir in irgendeiner Weise als "Ausfall" bezeichnen würden. Hier und da dürfte es einen Tick komplexer sein (etwa beim Bäckchen oder manchen Desserts), oder man könnte an der Feinjustierung arbeiten (Kruste beim Bries). Aber das trübt das Gesamtbild für uns praktisch nicht. Es schmeckt hier einfach richtig gut, dezent gesagt. Den fehlenden Stern und die läppischen 15 Punkte im Gault Millau können wir jedenfalls überhaupt nicht nachvollziehen, insbesondere mit Blick auf manch anderes besternte Restaurant in Deutschland. Die 7 Gusto-Pfannen treffen es da schon wesentlich präziser. Mal wieder.
Uns gefiel vor allem, wie es Stein und seinem Team gelingt, konkret deutsch-österreichische Gerichte wie Zander mit Speck, Maultaschen oder Kaiserschmarrn auf unprätentiöse Weise in einen Hochküche-Kontext zu bringen – auf ganz andere Weise, als etwa im nahen Sosein, aber in sich nicht weniger stimmig. So gesehen haben wir hier zwei Restaurants, die sich prächtig ergänzen. Für Fressverrückte auf Tour immer gut zu wissen...
Fazit
Unprätentiös, geradlinig, köstlich – für uns sind Restaurants wie der Schwarze Adler ein Lichtblick im Sterne-Einerlei.
Wein
Hinweis
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.