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Restaurantkritik 22.November 2018

Oben – jetzt auch in grün

Soviel steht fest: Das Oben nimmt bei unseren gesammelten Restaurantkritiken eine Sonderstellung ein – für kein anderes Restaurant mussten wir bei drei Besuchen drei verschiedene Lokalitäten ansteuern. So oft nämlich wechselte das Oben innerhalb von drei Jahren die Location: 2015 starteten Küchenchef Robert Rädel und Betreiber Florian Hofbauer im Landgut Lingental bei Leimen; nach einem verheerenden Wasserschaden zog das Oben Ende 2016 in die Mannheimer Manufaktur im Hafenpark, allerdings nur als Pop-up. Seit Sommer 2018 nun hat das Restaurant ein neues Zuhause gefunden: im Heidelberger Kohlhof, etwa 15 Autominuten vom Stadtzentrum entfernt. Als erklärte Fans von Rädels Küche haben wir uns nach einer kurzen Karenzzeit auf den Weg dorthin gemacht.

Bereits die Anfahrt hat es in sich: Aus der Stadt hinaus fahren wir auf einer schmalen, gewundenen Straße durch dichte Wälder und vorbei an sattgrünen Wiesen. Idylle pur. Es geht immer tiefer in die Natur, und gerade als wir uns fragen, ob der Taxifahrer sich womöglich verfranzt hat, taucht zwischen den Bäumen eine winzige Siedlung auf: Der Kohlhof (benannt nach den einst dort ansässigen Köhlern) ist ein malerischer Weiler, der einem historischen Bilderbuch entstammen könnte. Eine Handvoll Backsteinhäuser mit spitzen Giebeln, hölzernen Fensterläden und prächtigen Gärten, alles sorgsam gepflegt, aber nicht kulissenhaft-steril. Ein bisschen wie eine alternative Kommune. Dazwischen immer wieder der Blick auf sanft geschwungene Streuobstwiesen und üppigen Wildwuchs. In direkter Nachbarschaft eine Rehaklinik und eine Akademie für Ganzheitsmedizin. Passt irgendwie alles ins Bild.

Und ganz am äußersten Rand dann das Oben, angesiedelt im "Alten Kohlhof", einem historischen Anwesen, in dem schon früher Gastronomie untergebracht war (Günter Grass zählte zu den Stammgästen). Schon der Gang über den mit allerlei Skulpturen verzierten Vorhof hat etwas Erhabenes. Der eigentliche Gastraum ist auf eigenwillige Weise geschmackvoll eingerichtet, die Atmosphäre hat etwas ungemein Intimes. Dazu gehört auch die offene Profiküche, in der Robert Rädel mit nur einer Köchin werkelt.

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Unser Menü startet mit einem dreiteiligen Prolog. Als erstes gibt es ein Sandwich vom Lamm mit feinst gehobeltem Fenchel – warm und duftend, außen knusprig, innen weich, kräftig im Geschmack, durch den Fenchel aber auch frisch. Hervorragendes Soulfood zum Einstieg.

Danach eine Suppe von Karotte und Kamille, schön heiß, von dichter Konsistenz, geschmacklich zwischen Süße und Herbheit. Auch das sehr gut.

Der letzte Teil des Prologs nennt sich Tomaten und Himbeeren – und wir sind selbst überrascht, wie gut diese beiden Früchte zusammengehen. Ein paar Zwiebelringe bringen süßlich-scharfe Würze dazu, Tapioka-Chips ein wenig Crunch (den wir hier aber gar nicht bräuchten). Es gibt nur ein Problem: Durch das Tomatensorbet ist alles viel zu kalt. Die Aromen gehen unter, und der Mundraum wir von der Eiseskälte betäubt. Das bringt diese an sich exzellente Petitesse um einen Großteil ihrer Wirkung.

Brot kommt als eigener Gang, nämlich als Sauerteigbrot mit salziger Butter und Ziegenfrischkäse – der Brotteig wird am Tisch in einem antiken Waffeleisen ausgebacken. Die Idee dieser kleinen Tableside-Action gefällt uns, allein das Ergebnis überzeugt uns leider nicht. Das Brot schmeckt für sich genommen nicht wirklich gut, es fehlt Knusperkruste und vermutlich auch eine angemessene Backzeit. Zugleich überlagert der Teig die anderen Aromen. Warum, fragen wir uns (und Rädel), nicht besser eine herbe Waffel im Waffeleisen backen anstelle des Brotes?

Dafür startet das Menü mit einem Knaller: Forellenmatjes „Hausfrauen-Art“ mit Anabelle-Kartoffeln überträgt einen deutschen Klassiker in verfeinerte Küchensphären, ohne den bodenständigen Charakter des Gerichts zu negieren. Alle Komponenten sind da, vom Sauerrahm bis zur sauren Gurke, aber was normalerweise ein diffuses Ragout ist wurde hier so fein dekonstruiert (Rahm als Kugel, Gurke als nackte Scheibe), dass man das Zusammenspiel viel differenzierter wahrnimmt. Neben der Forelle begeistert uns vor allem die Qualität der Kartoffel – selten haben wir eine Erdknolle mit so köstlichem Eigengeschmack gegessen. Dazu der Dill und die sämige Sauce – es ist ein Genuss und würde tatsächlich auch als vegetarische Komposition funktionieren.

Kaum weniger gelungen der nächste Gang aus Kohlrabi, Mohn, Nuss und Rose. Kohlrabi gehört zu jenen Gemüsesorten, die leider viel zu selten Verwendung in den Toprestaurants findet. Rädel serviert ihn weich geschmort und roh mariniert, ein spannendes Textur- und Aromenspiel. Dazu ein intensiver Kohlrabisud und ein Hauch von Rose – gerade genug, um den milden Kohl mit blumiger Süße zu unterstützen. Obenauf als besonderer Clou eingelegte Mohnkapern. Sehr delikat, das alles.

Es folgen Champignons mit Wachsbohne und Stachelbeere. Aktuell ist der Türmchenbau in den Spitzenküchen ja wieder schwer in Mode; manchmal scheinen die Chefs testen zu wollen, was sie wohl alles auf dem einen Stückchen Fisch oder Fleisch unterbringen können. Meisten ergibt das kulinarisch wenig Sinn. Hier schon: Die confierten Champignons sind mit einem Püree von gerösteten Champignons gefüllt, darauf eine rohe Champignonscheibe, darauf eine halbierte Stachelbeere, eine eingelegte Wachsbohne, eine Saubohne und ein eingelegter roter Zwiebelring. Puh! Wir bugsieren jeden der Champignons komplett in den Mund, mit allem obendrauf – und genau so muss man sie auch essen, um die volle Geschmackswucht zu bekommen! Umami und Säure, Schärfe und Erdigkeit, alles spielt zusammen, alles ist perfekt austariert. Dazu löffeln wir nachträglich die exzellente Sauce aus grünen Bohnen und Bohnenkraut mit Bohnenkrautöl, die das Ganze mildwürzig umschmeichelt. Eine echte Wonne!

Mit Kalbsbries liegt man bei uns nie daneben, speziell wenn es klassisch mit jungen Erbsen serviert wird. Das Hier ist die kostbare Innerei knackig und weich, die Dicke der Panade genau richtig. Dazu die Erbsen, pur und als Püree – prima. Rädel gibt noch weiße Speckwürfel, krossen Speck und unreife Erdbeeren dazu, alles schöne Ergänzungen zum süßlichen Grundton der Bries-Erbsen-Kombi. In Summe ein schmackhaftes Gericht, das aber für Rädels Verhältnisse relativ harmlos bleibt. Soll heißen: Hier dürfte ruhig noch etwas mehr Pep ins Spiel kommen.

Nun folgt ein Signature Dish, auf das wir uns gefreut haben: Krosser Wedel mit Boskoop, Kren und Senfsaat. Beim letzten Mal erklärten wir dieses Gericht zur Götterspeise – und so gut es diesmal wieder ist, kommt es nicht ganz an den ersten Eindruck heran. Das Schweineschwänchzen ist wunderbar knusprig und aromatisch, aber innen nicht ganz so enorm zartschmelzend wie letztes Mal. Uns scheint der Fleischanteil diesmal etwas höher, der Fettanteil geringer, was ein Grund sein dürfte. Trotzdem bleibt es köstlich, und die lauwarme Vinaigrette bricht mit ihrer leichten Schärfe und Säure die Intensität, während sie zugleich noch andere Aromen aus dem Fleisch kitzelt. Dieses Gericht sollte immer auf der Karte stehen.

Nach zwei Fleischgängen gibt es einen vegetarischen Zwischengang: verkohlten Lauch mit Eberesche und Leinsaat. Richtig gut. Der weiche, zwiebelig-süße Lauch bekommt vom Kartoffel-Lauch-Püree eine noch schmatzigere Mundfülle. Und auch die kleinen Vogelbeeren sind enorm wichtig, denn sie setzen einen herben, bitteren Akzent. Simpel und toll.

Beim Aal mit Rauch, grünem Holunder und Sellerie gehen unsere Meinungen auseinander. Einem von uns gefällt die Verbindung aus dunklen Raucharomen, fettem Aal, säuerlichen Holunderknospen und leicht süßlichem Sellerie sehr gut – gerade auch in ihrer traditionellen Anmutung. Dem räucher-allergischen Sternefresser ist die Raucharomatik viel zu dominant, was für ihn das Gericht schwer und eindimensional wirken lässt. So bleibt die Einschätzung hier eine Frage der persönlichen Sensibilität.

Der Hauptgang, Huhn und sein Futter, kommt in zwei Gängen: Teil 1 als Brust mit Zitronen-Kopfsalat, Kräuteremulsion, Weizen und knuspriger Haut. Hier herrscht wieder Eintracht unter den Fressern am Tisch – das Hühnerfleisch ist beeindruckend saftig, das Spiel mit der feinen Zitronensäure und der Frische des Salats sehr delikat. Über die krosse Hühnerhaut müssen wir wohl nicht viel sagen: Ein Blick auf dieses hauchdünn plattierte Kunststück genügt.

Noch besser gefällt uns aber Teil 2: Keulenfleisch mit geröstetem Mais, Maismüsli, Maisbutterpüree und Hühnerjus. Die Keule wurde zunächst sous-vide gegart und anschließen gebraten – und zwar richtig gebraten, nicht goldgelb, sondern dunkelbraun und kross, sodass ordentlich Röstaromen entstehen. Das Fleisch ist zart und doch kernig, mit etwas Fett durchsetzt, so muss es sein. Dazu eine kleine, nicht zu süße Maisvariation, bei der uns das buttrige Püree und der gegrillte Kolben am besten gefallen. Nicht zu vergessen den Jus, so dunkel, dass man ihn auf dem schwarzen Teller kaum sieht, und so köstlich, dass wir ihn separat auslöffeln.

Das Pré-Dessert aus Rhabarber und Joghurt gefällt uns natürlich wegen der Puderzucker-Inschrift gut. Geschmacklich ist es solide und erfrischend, nicht mehr und nicht weniger.

Für das Hauptdessert werden wir in die Küche gebeten, wo man uns Stockbrot mit Sauerkirsche und Marmor serviert. Das Kirschsorbet ist sehr gut, es passt auch toll zur Marmor-Mousse – wie Kuchen mit Beeren. Das Stockbrot hingegen ist nicht ganz unser Fall. Eine schöne Idee in diesem ländlichen Umfeld, durchaus, aber geschmacklich und im Mundgefühl doch sehr rustikal. Hier geht mehr, so gut kennen wir Robert Rädels Küche inzwischen ...

Das filigrane und delikate Petit Four aus Heu, Milch und Fichte entspricht schon eher dem kreativen Stil des Chefs.

Ortswechsel hin oder her: Robert Rädel bleibt sich stilistisch treu. Noch immer sehr souverän kocht er mit seinem kleinen Team eine moderne Regionalküche, die diesen Titel aber nicht als Slogan vor sich herträgt – hochsympathisch. In unserem Menü gab es neben Highlights wie dem Matjes, den Champignons und der Hühnerkeule zwar auch weniger stimmiges (Aal und Dessert), aber das verbuchen wir unter der Rubrik "Nebensächlichkeiten", denn das Gesamtbild stimmt, und unser Besuch fand nur 6 Wochen nach der Eröffnung statt. 

Rädels Küche ist kreativ, manchmal verspielt, aber dies in einer unaufgeregten und unprätentiösen Manier. Zu dieser angenehmen Art passt auch der neue Standort mitten im Wald, und vor allem der persönliche Rahmen, in dem man hier speist. Das neue Oben gehört für uns allein schon wegen der Lage und den Räumlichkeiten zu den ungewöhnlichsten Restaurants in Deutschland. Über die Küche haben wir alles gesagt. Die Idylle gibt's gratis dazu.

FAZIT

Ab ins Grüne: Mit dem zweiten Umzug hat Robert Rädel den idealen Schauplatz für seine naturnahe Regionalküche gefunden. Der Weg lohnt sich.

Text: Kai Mihm

Weine

Die Weinbegleitung im Restaurant Oben auf dem Kohlhof in Heidelberg

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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