Das Wandern ist des Dieter Müllers Lust
Um elf Uhr morgens ist die Welt in Köln noch in Ordnung, und wahrscheinlich ist dies die einzige Zeit, zu der man in einem Brauhaus einen Kaffee bestellen darf, ohne vom "Köbes" – dem Kellner – dafür angepöbelt zu werden. Wir haben uns in der Privatbrauerei Päffgen mit Dieter Müller verabredet, der nach seiner Zeit im Schlosshotel Lerbach im Rheinland blieb und unweit von Köln in Odenthal wohnt. Müller betritt den dunklen Laden – den strahlenden Oktobertag im Rücken, kommt er gradlinig auf uns zu und vermittelt mit festem Händedruck vom ersten Moment an das Bild eines "Hands-on"-Chefs. Zwei Kölsch und ein Kaffee werden widerspruchslos serviert, Müller trinkt ihn schwarz; es ist immerhin Vormittag, und wir haben noch einiges vor. Der gebürtige Markgräfler ist in den letzten 28 Jahren längst im Rheinland heimisch geworden. Neben Eckart Witzigmann ist kein dritter Name mit der Geschichte der deutschen Hochgastronomie derart verknüpft wie der Dieter Müllers. Von der Stunde Null des deutschen Küchenwunders bis heute hat er die Entwicklung der Gastronomie maßgeblich beeinflusst und positiv geformt.
Foto: Dieter Müller mit seinem Bruder Jörg, 1950
Dieter Müller wurde im Juli 1948 in Auggen in Süddeutschland geboren. Sein Vater war gelernter Schreiner und Deutschlands bester Kanarienvogel-Züchter, seine Mutter stammte aus bürgerlichen Verhältnissen und machte als Tochter eines Landrates von Freiburg Abitur. Für damalige Zeiten waren seine Eltern ein höchst ungleiches Paar. Dieter hat sechs Geschwister – drei Brüder und drei Schwestern – von denen tatsächlich alle in der Gastronomie gelandet sind.
Müllers Vater eröffnete zu Beginn der 50er-Jahre eine Pension mit Wirtschaft, die er "Luginsland" nannte. Sie lag inmitten eines abgeschiedenen Schwarzwälder Tals mit traumhafter Aussicht, umgeben von Bauernhöfen und unberührter Natur. Gastronomie und gute Produkte waren das allumfassende Element, in dem Dieter aufgewachsen ist. Die Entscheidung, Koch zu lernen, traf damals jedoch sein Vater für ihn, ein Patriarch alter Schule. "Gott erhalte meine Gesundheit und die Arbeitskraft meiner Frau", war seinMotto. Obwohl Dieter gute Noten hatte und eine besondere Vorliebe für Kunst entwickelte, stand eine weiterführende Schule nicht zur Debatte – und ein Künstler passte erst recht nicht ins Familiengefüge mit einer Wirtschaft und sieben Kindern. Es sollte etwas Handwerkliches werden, und so fiel die Entscheidung auf Koch, denn "gegessen wird schließlich immer". Also begann Dieter nach der achten Klasse seine Ausbildung, ebenso wie sein großer Bruder Jörg, im Hotel Bauer in Müllheim.
Foto: Vorstellung des Schweizer Stuben-Kochbuchs, 1988
Im Nachkriegsdeutschland grassierte damals die Fresswelle. Das Trauma der Mangelversorgung wurde kompensiert, und der Wohlstandsbauch etablierte sich noch vorm Automobil als Statussymbol. Natürlich ging es damals nicht um Gourmandise, sondern um Strecke. "Entweder hab' ich Hunger, oder mir ist schlecht", war die Antwort auf die Frage, ob man denn satt geworden sei. Viel = gut, lautete die Gleichung, an deren Widerlegung Müller zeitlebens mitwirkte. Begonnen hat er mit 15 Jahren in einer Zeit, als Arbeitsschutzbestimmungen oder Kinderarbeit noch Fremdworte waren. Doch Müller ist ehrgeizig und lässt sich weder von harter Arbeit noch langen Tagen schrecken. Das Hotel Bauer ist eine einfache Wirtschaft mit badischen Spezialitäten wie Ochsenmaulsalat, Kalbskutteln, Wurstsalat und Schäufele. Im Herbst gibt es Wildspezialitäten, und es wird noch wilder eingekocht und eingemacht – alles, was grade reif ist. Der Grundgeschmack und die Qualität der Grundprodukte faszinierten den kleinen Dieter schon damals, lange bevor man über Steinbutt oder Jakobsmuscheln nachdachte und sich die Wertigkeit der Küche Richtung teurer Luxusprodukte verschob.
"Wenn ich an meine Lehrzeit vor über 55 Jahren zurückdenke, kommt mir die Entwicklung von damals bis heute wie eine Science-Fiction-Story vor", sagt Müller. Ob er niemals an eine Ausbildung in Frankreich dachte, wollen wir wissen, schließlich lag das Hotel Bauer nur drei Kilometer von der französischen Grenze entfernt. "Damals hatte man als Deutscher in Frankreich keine Chance." Doch letztlich seien Grenzen auch nur Formalien, und die badische Küche habe durch ihre Nähe zu Frankreich und zur Schweiz immer schon eine Sonderstellung eingenommen.
Wir verlassen das Päffgen und wechseln in die nahegelegene Henne-Weinbar von Hendrik Olfen, um eine Kleinigkeit zu Mittag zu essen. Das Konzept der populären Neueröffnung in der Domstadt setzt auf die Aushebelung der klassischen Menüfolge und serviert statt dessen alle Gerichte in kleinen Portionen. Ein beliebter Trend, der letztlich klar auf Dieter Müllers Amuse-Bouche-Menü zurückzuführen ist – ein Konzept, das seiner Zeit weit voraus war. Müller, der heute nur noch selten ausgeht, trinkt einen kleinen Schluck Wein zum Essen, hält sich aber ansonsten bedeckt. Er war nie der Typ, der mit Gästen versackt ist. Und wir haben noch einen langen Tag vor uns: Der nächste Stopp führt uns zu seiner letzten Wirkungsstätte, ins legendäre Schlosshotel Lerbach nach Bergisch Gladbach.
Foto: Dieter Müller begeht seine ehemalige Wirkungsstätte in Lerbach
In Lerbach erkochte Dieter Müller drei Michelin-Sterne und legte mit Hotelier Thomas Althoff erfolgreich das Fundament für ein neuartiges Konzept, das auf Spitzenrestaurants als Zugpferd für Häuser der Extraklasse setzte. Damit hoben sie den Großraum Köln wieder zurück auf die gastronomische Landkarte. Köln, das einst neben München als einzige Stadt über ein Haus mit drei Macarons verfügte, verschwand immer weiter von der gastronomischen Landkarte, seit der Stern des "Goldenen Pflugs" Ende der 80er-Jahre zu sinken begann. Bis Dieter Müller kam: "Köln war damals gleichbedeutend mit dem F.C., Millowitsch und Dieter Müller", erzählt er nicht ohne Stolz.
Der Weg dorthin war weit, doch gemessen an der Zeitspanne seiner Karriere war Müller stets ein loyaler Arbeitnehmer, der vergleichsweise lange an einem Ort blieb, statt auf die Wanderschaft zu gehen. Und wohin hätte man damals auch wechseln sollen? Es musste ja erst eine Szene geschaffen werden.
Foto: DM im Kochbuch der Schweizer Stuben, Souschef Baader im Hintergrund, 1983
Nach Abschluss seiner Ausbildung mit Bestnote half Müller zwei Jahre in der Wirtschaft der Eltern, der "Post" in Reichenbach bei Esslingen, bis der damals grade erste 18-Jährige zur Bundeswehr eingezogen wurde. Nach der Grundausbildung wurde er ins Offiziers-Kasino versetzt, einen Ort, der seiner Begeisterung fürs Kochen und seinem Ehrgeiz sehr entgegen kam. Ab dem Tag kommt nichts mehr aus der Tüte, denn Müller kocht alles frisch – für eine Klientel, die gar nicht wusste, wie ihm plötzlich geschah. Da allerdings auch einige Soldaten gut von besser unterscheiden können, wurde seine Küche bald als "beste Kantine der Bundeswehr" ausgezeichnet. Das sagt laut Müller allerdings mehr über die bescheidenen Standards aus als über seine tatsächliche Leistung in der Küche, wo er Convenience durch Handwerk ersetzte.
Nach dem Bund ging es 1971 in die Schweiz zu Ernesto Schlegel in den Schweizerhof nach Bern. Dort begann für ihn die eigentliche Menschwerdung als Koch. Er putzte die ersten Monate stillschweigend kistenweise Gemüse, voller Zweifel an seiner Entscheidung. Bis er an der Reihe war, das Personalessen zu kochen – eine Aufgabe, die heute oft noch immer als Strafarbeit angesehen wird. Müller witterte seine Chance und kochte nicht ein Gericht, sondern ein Drei-Gang-Menü. Das hatte Konsequenzen: Für die Kollegen war er ab da der deutsche Streber, Ernesto Schlegel jedoch erkannte sein Talent und versetzte ihn mit sofortiger Wirkung in die Schultheissenstube, das Gourmet-Restaurant des Schweizerhofs, damals eines der besten Lokale der Schweiz. Hier begegnete Müller erstmals Luxusprodukten wie frischem Steinbutt, Loup de Mer, Krustentieren, Bresse-Geflügel, Trüffel und Gänseleber und wähnte sich im kulinarischen Himmel. Solche Trouvaillen waren in Deutschland damals nicht zu bekommen, und auch das Reifen des Fleisches am Knochen war dort gänzlich unbekannt. Müllers stetes Streben nach größtmöglicher Qualität machte hier dank der kostbaren Produkte einen Quantensprung. Er konzentrierte sich auf die Kunst der klassischen Saucen, ein Müller'sches Qualitätsmerkmal, das ihn fortan begleiten wird.
Foto: Event in den Schweizer Stuben, mit Hansjörg Wöhrle und Bruder Jörg, 1980
Nach einem Jahr in Bern zieht es den 24-Jährigen nach Griechenland. Die Besitzer des Schweizerhofs betrieben auf Korfu das Miramare Beach Hotel und boten ihm eine Stelle für die Saison an. Er verbrachte den Sommer 1973 auf der Insel, bis im Herbst desselben Jahres der Ruf nach Wertheim-Bettingen folgte. Dieser Schritt sollte nicht allein Müllers Leben, sondern auch die Entwicklung der deutschen Spitzengastronomie prägen.
Adalbert Schmitt, ein Großindustrieller, der ein Vermögen mit Kunststoff gemacht hatte, eröffnete im Frühjahr 1971 ein Hotel mit den beiden Restaurants Schweizer Stuben und Landgasthof Schober gut 20 Kilometer westlich von Würzburg in Wertheim. Man muss Schmitt zweifelsfrei in der Reihe von visionären deutschen Mäzenen nennen, ohne deren Engagement die Entwicklung der Spitzengastronomie in dieser Form nicht möglich gewesen wäre. Zunächst wurde traditionell eidgenössisch-schweizerisch aufgekocht, bis der reise- und fressbegeisterte Lebemann von der Nouvelle-Cuisine-Bewegung Wind bekam und 1972 Müllers Bruder als Küchenchef engagierte. Jörg, der bereits in London und Sankt Moritz tätig gewesen war, holte seinen kleinen Bruder Dieter als seine rechte Hand ins Boot. Bevor der seine Stelle in den Schweizer Stuben antrat, rüstete er noch etwas auf, verkaufte seinen alten R4 und gönnte sich von seiner Korfu-Gage einen gebrauchten VW-Porsche 914 – eine Leidenschaft, die ihn wie Fußball und Skifahren bis heute begleitet.
Foto: DM mit Andreas Schmitt (heute COO Althoff) und H.P.O. Breuer (Journalist) in Wertheim
Der Rest ist Geschichte. Im Jahre 1974 erhielten die Schweizer Stuben den ersten, 1977 den zweiten Stern und rangierten fortan unter den besten Restaurants Deutschlands. "Die Wunderknaben von Wertheim", schrieb Klaus Besser damals und vergab 1979 in der ersten Hitliste der deutschen Restaurants 20 von 20 möglichen Punkten. Im Jahr 1982 verließ Jörg Müller die Schweizer Stuben und ging nach Sylt. Von da an waren alle Augen auf Dieter gerichtet, der zum alleinigen Küchenchef aufstieg und von Hans Stefan Steinheuer als Souschef unterstützt wurde.
Derweil wurde die Münchner Aubergine 1980 als erstes deutsches Restaurant mit drei Sternen ausgezeichnet, 1982 folgen das Tantris und der Goldene Pflug in Köln - der Druck wuchs. Der dritte Stern erreichte Wertheim nicht, aber der Gault Millau vergab 19,5 Punkte. Die Ansprüche stiegen weiter, und die Schweizer Stuben verschlangen zunehmend mehr Geld, bis Schmitt immer rigorosere Einsparungen beim Wareneinsatz verlangte - Müller sah geringe Chancen, unter diesen Voraussetzungen den dritten Stern zu erkochen. 1990 gab er dieses Rennen auf und kündigte. "Nicht mit Müller", ein Spruch, der an diesem Tag des Öfteren fällt, wenn er über Wendepunkte in seinem Leben berichtet oder darüber, dass sein Maß an Loyalität und Duldsamkeit erschöpft war.
Foto: DM am "virtuellen" Pass im entkernten Schlosshotel Lerbach
Es folgte eine Auszeit, Müller knüpfte Kontakte zur Ritz-Carlton-Gruppe und kochte sich auf deren Einladung um die Welt, bis Thomas Althoff ihn schließlich nach Lerbach holte. Das alte Jagdschloss bei Bergisch Gladbach musste jedoch noch erst renoviert werden, was sich mehrfach in die Länge zog und etliche Millionen verschlang, bis im Februar 1992 die feierliche Eröffnung des Restaurants Dieter Müller sowie weitere 18 Jahre unterm Sternenhimmel folgten.
Seit der Schließung im Januar 2015 steht das Schlosshotel Lerbach wieder leer und wird aktuell erneut renoviert.Wir stehen zusammen in der alten Küche, die als entkernter Rohbau nichts mehr von der kulinarischen Geschichte erahnen lässt, die hier geschrieben wurde. Müller ist reflektiert, nur leicht sentimental und begeht mit uns die große Wirkungsstätte seiner Vergangenheit. Die Bauarbeiten, so munkelt man, gehen schleppend voran, und die Kosten entwickeln sich in ungeahnte Dimensionen. "Ein Jammer für das schöne Objekt", sagt er leise, als wir einen Blick in die alten Stallungen werfen, wo einst seine Kochschule untergebracht war. Und obwohl die Ära Müller nicht so beendet wurde, wie man es ihm gewünscht hätte, wirkt er weder bitter noch nachtragend. "Eine persönliche Verabschiedung wäre schön und würdig gewesen", so der heute 70-Jährige.
Foto: DM auf der Gänsezucht des Bürgermeisters von Odenthal
Müller hat alles erreicht, was für einen Koch zu erreichen ist. Ein Jahr nach Eröffnung kommt der erste Michelin-Stern, im darauffolgenden Jahr der zweite, bis 1997 schließlich der dritte Macaron folgt. Der Gipfel war erklommen. Ein Teil des Erfolges war laut Müller sein konsequenter Produkt-Fetischismus, der uns von Lerbach zum nächsten Stopp nach Odenthal führt. Dort betreibt der Bürgermeister des kleinen Ortes im Bergischen einen Bauernhof und eine Gänsezucht. Das Hotel Lerbach bestellte dort immer die Gänse, lange vor der Regional-Offensive vieler Restaurants. Sein Respekt vor den Produkten lässt sie alle gleich vor ihrem Schöpfer stehen: ob Étouffée-Taube oder Odenthaler Gans, fangfrischer Atlantik-Hummer oder der Rauchspeck seiner Kindheit, Chateau Lafite aus den besten Jahrgängen oder eine frisch geköpfte Kokosnuss auf dem Markt in Mumbai. Vom Bauernhof fahren wir zu ihm nach Hause, wo er noch einen kleinen Imbiss für uns vorbereitet hat.
Foto: DM mit seiner Frau Birgit im Stern, 1998
Neben dem Kochen ging es Familienmensch Müller immer ums Gastgeben und ein schönes Ambiente - der Gast sollte sich perfekt umsorgt fühlen. Sommelier Silvio Nitzsche erinnert sich: "Er war sehr vertrauensvoll. Wie groß die Weinkarte war, war ihm letztlich egal, solange seine Gäste glücklich waren. Er war sehr Food- und gastorientiert, aber immer offen in seiner Wahrnehmung. Es war für mich ein großes Geschenk, ihn begleiten zu dürfen."
Den entscheidenden Anteil am Gesamterlebnis Dieter Müller hatte stets seine Frau, die ihm nicht nur den Rücken freihielt, sondern die Rolle der Gastgeberin in Lerbach übernahm. So verlieh Müller dem Beruf des Kochs einen neuen Wert und ein nahbares Gesicht. Man ging nicht in einen Gourmet-Tempel essen, um vor den Kreationen niederzuknien, sondern man ging zu Müllers. Kurt Wagner, der 1992 mit Müller in Lerbach begann, erinnert sich: "Dieter Müller ist so ein herzlicher Mensch, es war immer harmonisch und schön. Dabei war er stets sehr zielstrebig und fokussiert. Manche Stammgäste sind wieder gefahren, wenn er an dem Tag außer Haus verpflichtet war." In der Personalführung wählte er den Weg des respektvollen, harmonischen Miteinanders. Motivation und Lob statt Demoralisierung war stets seine Devise. Augenhöhe, untereinander, aber auch zum Gast. Wir haben selbstverständlich auch nach kritischen Tönen zur Person gesucht, aber es gibt sie schlichtweg nicht.
Foto: DM vor seiner ehemaligen Kochschule in Lerbach
Müller begann seine Karriere als Jugendlicher zu einer Zeit, in der alles limitiert war: Zutaten, Bücher, Arbeitsgesetze, Wissen, Anerkennung, gastronomisches Verständnis der Gäste. Man war ja satt, wer braucht da schon Hummer? Eine Geisteshaltung, die bis heute nicht verschwunden ist. Es war wie Don Quichote auf einem Esel vor unzähligen Windmühlen. Doch Müller war immer bereit, neue Wege zu gehen. Er verschmolz mediterrane Einflüsse ebenso wie asiatische Aromen mit der klassisch-französischen Hochküche. Er ließ die Weine als erster ausschließlich in Riedel-Gläsern servieren. Dieter Müller hat bis heute sechs mehrfach ausgezeichnete Kochbücher geschrieben und war der erste deutsche Spitzenkoch, der eine Autobiografie veröffentlichte. Mit dem legendären Amuse-Bouche-Menü war er 1996 seiner Zeit weit voraus – es gab nicht mal kleine Tellerchen und Schälchen, die dafür benötigt wurden. Auch der sensationelle Käsewagen mit bis zu 160 Sorten ist bis heute unvergessen. Die Feier zu seiner "Rosentaufe" lebte weiter als das "Festival der Meisterköche", und seit 2005 ist sogar eine Rose nach ihm benannt (wir berichteten vor 14 (!) Jahren). Sein Abgang aus dem Restaurantgeschäft hätte eine unvergessene Sause werden können und müssen, doch stattdessen ist sein Ende in Lerbach leise verpufft. Abschiede großer Köche verlaufen in Deutschland nie würdevoll.
Foto: DM mit seinem Team auf der MS Europa bei unserem Besuch 2012
"Aber nicht mit Müller!", zu dessen liebsten Beschäftigungen neben Porsche und Fußball auch das Reisen zählt. Das Angebot, das erste Gourmet-Restaurant unter Leitung eines ausgezeichneten Spitzenkochs auf der MS Europa zu eröffnen, kam sehr gelegen. Müller betrat wieder einmal Neuland – diesmal mit dem ersten nach ihm benannten Restaurant auf See. Und die Geschichte geht weiter: Nach zehn Jahren läuft das Engagement auf der MS Europa dieses Jahr aus; Müller übernahm im Dezember 2018 die Schirmherrschaft für das Restaurant Pots im Ritz-Carlton in Berlin, das eine zeitgemäße, durchaus moderne, deutsche Küche aus nachhaltigen Produkten serviert.
Foto: Auszeichnung durch den Gault-Millau mit 19,5 Punkten, gleichzeitig mit Eckart Witzigmann, Foto mit weiteren Kollegen
Die Liste der Kollegen, die mit Dieter Müller zusammengearbeitet haben, liest sich wie das Who-is-Who der Spitzenköche: Sven Elverfeld, Hans Stefan Steinheuer, Bobby Bräuer, Johann Lafer, Ingo Holland, Jannis Brevet, Harald Rüssel, Michael Baader, Egbert Engelhardt, Tristan Brandt, Frederik Grieb und unzählige andere. Auch die Liste der Sommeliers, die von 1992 bis 2008 seine Küche begleiteten, sucht bis heute ihresgleichen. Gemeinsam erzogen sie ein Volk kulinarischer Analphabeten zu mündigen Konsumenten, die dem Genuss offen gegenüberstehen und über 300 Sterne-Lokale bevölkern.
Dank seiner Leidenschaft fürs Kochen und seiner Bescheidenheit wurde Dieter Müller zum Vorbild - lange bevor man halbseidene TV-Auftritte dafür brauchte. Müller wurde zur Marke, ohne einen "Brand" zu benötigen. Der kleine Dieter aus dem Badischen erlangte Größe durch sein Werk. Ducasse sagte nach einer Veranstaltung in Los Angeles, auf der er Müllers "Pot au Feu von Hummer, Languste, Curry und Zitronengras" kostete: "Ich bin heute Dieters Commis!"
Als wir nach einem langen Tag und unzähligen Geschichten im Taxi nach Köln sitzen, denken wir nur: Was für herzliche Menschen, bei denen wir zu Gast waren. Der Taxifahrer pflichtet uns bei. Er war schon mal auf ein Glas Wein bei Familie Müller eingeladen. Quod erat demonstrandum.
Mehr über Dieter Müller erfahrt Ihr auf seiner Website.
Wir bedanken uns wie immer bei Autor Sebastian Bordthäuser für die grandiose Zusammenarbeit. Weitere Episoden folgen – wenn Ihr konkrete Wünsche dazu habt, schreibt uns gerne. Und Eckart Witzigmann knacken wir irgendwann auch noch ;)