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Götterspeisen 14.September 2019

Götterspeisen (14)

Seien wir ehrlich: So gut die Kreationen unserer besten Köche auch sind, bleibt das Essen doch ein sehr flüchtiges Vergnügen. Man speist, genießt und begeistert sich – und doch verblasst mit der Zeit die Erinnerung. Manchmal aber, meist völlig unerwartet, bekommt man es mit einem Gericht zu tun, das sich förmlich in jenen noch unerforschten Bereich des Gehirns einbrennt, der für die Speicherung kulinarischer Offenbarungen zuständig ist. Solche Erlebnisse sind es, wonach jeder Gastrosoph sucht: Mit unserer neuen Serie geben wir all jenen Gerichten eine Bühne, an die wir seit Monaten, manchmal gar seit Jahren immer wieder denken müssen. Jene Geniestreiche großer Köche also, bei denen man schon nach dem ersten Bissen weiss, dass man es mit einem Geschmackserlebnis für die Ewigkeit zu tun hat. 

GÖTTERSPEISE 100

Wasabi-Kaisergranat von Tim Raue und Christian Singer in Berlin

Die Inspirationen Tim Raues sind vielfältig und gipfeln in diesem Fall in einer wahrlich pervers-köstlichen Götterspeise: Der Wasabi-Kaisergranat dürfte vom „Shrimp-Mayonnaise-Cocktail“, dem beliebten Gericht der Buffet- und Kneipenküche, inspiriert sein. Anstatt aber nur profane Mini-Garnelen mit Mayonnaise zu vermählen, wird diese süffige Kreation mit einem unverschämt großen Exemplar des Kaiserhummers und etwas frischem Wasabi auf Luxus getrimmt. Und was sollen wir sagen: Die Kombination aus knusprig-heißem Tempura, auf den Punkt gegartem Fleisch sowie der süchtig machenden Wasabi-Mayonnaise ist und bleibt eines der eindrucksvollsten und gleichzeitig hüftspeck-dienlichsten Speisen des Lokals. Ab mit diesem Textur- und Aromen-Meisterstück in unsere „Hall of fame“!

Die detaillierten Bericht zu unserem Besuch 2018 findet Ihr hier.

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GÖTTERSPEISE 99

Steinbutt mit Petersilienjus von Clemens Rambichler aus dem Sonnora in Dreis

Manchmal kommt es anders, als man denkt: Bei der Tranche vom Steinbutt aus der Vendée auf Petersilienjus mit Selleriecrème und Perigord-Trüffel erwarten wir ein absolut klassisches Geschmacksbild und eine gehaltvolle Aromenbombe – und sind dann enorm über die Filigranität dieser Kreation erstaunt. Der qualitativ herausragende Plattfisch bekommt durch den Trüffel eine leicht erdige Note, die aber von der feinherben, grünen Aromatik der Petersiliensauce aufgefangen wird. Das allein ist schon ein tolles Geschmacksspiel. Der Clou sind aber die marinierten Kopfsalatblätter, die wir zunächst für reinen Zierat halten. Doch weit gefehlt: Mit ihrer Knackigkeit und der Säure von der Vinaigrette verleihen sie dem Gericht Frische und Leichtigkeit, geben ihm Originalität und Komplexität. Tatsächlich, wir ahnen es irgendwie schon, kommt diese Kreation von Clemens Rambichler. Eine bessere Kostprobe für sein kreatives Talent können wir uns nicht vorstellen – was umso bemerkenswerter ist, da Gerichte mit Steinbutt zwar oftmals sehr gut sind, aber seltsamerweise nur selten den Rang einer Götterspeise erlangen.

Die detaillierten Bericht zu unserem Besuch 2018 findet Ihr hier.

GÖTTERSPEISE 98

Rotbarbe mit Artischocken von Torsten Michel aus der Schwarzwaldstube, Baiersbronn

Als kleinen Einschub vor dem Menü gibt es in der Schwarzwaldstube Rotbarbe mit geschwenkten Artischocken und krossen Artischockenchips in leichtem Sud von geschmortem Gemüse. Wir sind große Fans der Rotbarbe, mit ihrem ganz eigenen, elegant-intensiven Geschmack und ihrem zarten Fleisch. Michel (bzw. sein Poissonnier) brät die Filets kross an und setzt sie in einen Sud, den als "leicht" zu bezeichnen gleichwohl eine Frivolität ist: Er ist ungemein duftig, schmeckt intensiv und dicht, ein komplexes Gemisch aus bestem Fond und Schmorgemüse (nicht zuletzt Paprika). Obenauf knusprige, überraschend milde Artischockenchips. Die leicht gerösteten Artischockenherzen von allerbester Güte komplettieren diesen sensorischen Irip an die Côte d'Azur.

Wobei – das Wichtigste hätten wir fast vergessen: Im separaten Schälchen (oben rechts) verbirgt sich eine Crème von Rotbarbenleber mit Basilikumschaum. Sieht unauffällig (und unwichtig) aus, bildet aber den Clou dieser Kreation. Die Crème ist von einer atemberaubenden Intensität. Auch bei uns dauert es einen Moment, bis die Papillen justiert sind. Dann geht hinter der zunächst brachial wirkenden Jodigkeit eine ungeheuer vielschichtige Geschmackswelt auf, gerade auch durch die zähmende Wirkung des Basilikumschaums. Kleine Mengen dieses Gemischs zur Rotbarbe ergeben eine vollkommene Kreation, die wir so noch nicht kannten. Das ist der Stoff, aus dem lupenreine Götterspeisen sind.

Die detaillierten Bericht zu unserem Besuch 2019 findet Ihr hier.

GÖTTERSPEISE 97

Artischocken-Suppe von Guy Savoy, Paris

Das wohl bekannteste Signature Dish des Meisters ist die Suppe von Artischocken, Parmesan und schwarzem Trüffel, dazu Brioche mit Champignons und Trüffeln, bestrichen mit Trüffelbutter. Bei dieser Beschreibung mag einen die vermeintliche Mächtigkeit und die Doppelung der Produkte abschrecken. Bei uns jedenfalls war das einst so. Aber beim Probieren kommt es zu einem dieser seltenen Momente, in denen man seinen Tischnachbarn mit offenem Munde ansieht, in ein ebenso fassungsloses Gesicht blickt und sich stillschweigend über die Auszeichnung zur Götterspeise einigt, ohne jede Diskussion. Die Suppe ist vollmundig und deftig, zugleich filigran und differenziert, durchaus gehaltvoll und schlichtweg unvergesslich – und schon beim Erinnern daran speichelflussanregend (bei diesem Wort wird uns von der Word-Autokorrektur die Alternative "speicherplatzintensiv" angeboten – ja, auch das). Die letzten Reste der Suppe wischen wir mit dem Brioche aus dem Teller. So war es vermutlich auch von Guy Savoy gedacht, als er die Suppe in den Neunzigern erdachte. 

Die detaillierten Bericht zu unserem Besuch 2017 findet Ihr hier.

GÖTTERSPEISE 96

Forelle "Lüneburger Heide" von Sven Elverfeld 

Bereits der Auftakt des Menüs im Wolfsburger 'Aqua' ist exzellent, doch die Forelle mit Rauch-Brandade, Frühlingslauch, Mandeln, Himbeeren, Kalamansi und Kaviar "Imperial Auslese" toppt alles. Nach dem ersten Probierhappen lassen wir unsere Gabeln sinken, schauen uns an, sprachlos ob des unglaublichen Aromenspiels. Tatsächlich lässt sich kaum in Worte fassen, wie herrlich hier alles zusammengeht: das zarte, feine Fleisch der Forelle mit der rauchigen Brandade, der süßlich-säuerlichen Erdigkeit des Lauchs, der Säure des Kalamansischaums und dem nussigen Knusper der Mandeln. Über allem liegt die hauchfeine und fruchtige Moschusnote der Himbeersegmente und die jodig-frische Salzigkeit des Kaviars – eine Offenbarung, wie grandios diese zwei Aromenwelten harmonieren. Das ist ungeheuer komplex und doch leicht zugänglich. Typisch Elverfeld eben, der sich mit 50 keinesfalls auf seinen Meriten ausruht, sondern innovativ und spannend bleibt. Wie gerne hätten wir noch mehr von dieser Götterspeise! Und auch das ist ein Geheimnis großartiger Gerichte: Sie sind exakt so groß, dass man sich nach weiteren Bissen verzehrt.

Die detaillierten Bericht zu unserem Besuch 2017 findet Ihr hier.

Götterspeisen 86-95

...findet Ihr hier.

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