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Restaurantkritik 16.Dezember 2019

An der Nordseeküste

Am "Bänkchen" ist die Welt noch in Ordnung. Der weite Blick über die Sylter Dünen der Nordsee hat etwas magisch-meditatives und inspirierte große Dichter wie Heinrich Heine und Theodor Fontane zu poetischen Ergüssen. Wir tauschen heute große Worte gegen Champagner und Häppchen ein, die der Söl'ring Hof hier, direkt vor der Terrasse des Restaurants, dem Gast seit Jahren bei gutem Wetter als kulinarischen Prolog serviert. Für uns eine einzigartige Kulisse, die fast vergessen lässt, dass wir uns an diesem Tag dem widmen möchten, was die Nordsee – genauer gesagt Küchenchef Jan-Philipp Berner und Gastgeber Johannes King – zweifach besternt auf die Teller bringen. Deshalb der Reihe nach ...

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Johannes King wirkt bereits seit 2000 als kulinarischer Tonan- und Gastgeber im stilvollen "Söl'ring Hof", der vier Jahre später mit zwei Sternen veredelt wurde und diese seither verteidigt werden. Seine Sporen verdiente sich der 56-jährige Schwarzwälder unter anderem bei Franz Keller in Köln sowie - nach einer zweijährigen Weiterbildung in der französischen Spitzenküche – viele Jahre in Berlin, wo er 1993 im "Restaurant Grand Slam" den ersten Macaron erkochte. Hilfreich, dass er sich auf der Insel mit Jan-Philipp Berner – 1988er Jahrgang – ein junges wie charakterstarkes Ausnahmetalent holte, der 2016 die Rolle des Küchenchefs übernahm und uns beim CookTank Nummer 11 überzeugen konnte. Berner ist quasi ein "Wiederholungstäter", war er doch schon 2009 im Söl'ring Hof tätig, bevor es ihn zu Nils Henkel nach Lerbach und wieder zurück nach Sylt, diesmal in die Führungsposition, verschlug.

Aber zurück zum Bänkchen. Wir versuchen, die Küchen-Philosophie der "authentischen norddeutschen Küche, die auf die Qualität hochwertiger und vergessener regionaler Produkte setzt", anhand der uns umgebenden Flora und Fauna nachzuvollziehen, denn: So richtig viel Essbares scheint sich zwischen der durch die steife Brise rauen Dünenlandschaft nicht zu verbergen. Auch die ersten Häppchen sehen nicht so aus, als würden sie einfach so an Sträuchern wachsen ...

Als Snacks geben Waldpilz und Schafgarbe, Meeräsche, Eismeergarnele und Senfkrapfen, Saibling und Braunalge sowie Gallowayfilet und Kieler Sprotte die Richtung vor. Allesamt hervorragend gearbeitet, stimmt uns vor allen Dingen das Tatar-Pralinchen vom Filet dank des salzigen Fisches auf die Küstenküche ein.

Wir begeben uns in das helle, durchaus edle, aber nicht überbordend prunkvolle Restaurant. Weiß dominiert den Raum und die offene Küche genauso wie die Tischdecke, auf der sich Küchengrüße zum urdeutschen Thema "Brot" versammeln: Das Schmalzbrot vom Perlhuhn kommt uns eine Spur zu fettig und mächtig daher, der Pumpernickel mit Ziegenfrischkäse und Staudensellerie bietet dagegen ein passendes Schmelz-Teig-Verhältnis. Dazu reicht die Küche ein warmes und äußerst sättigendes Kartoffelbrot mit Sauerrahmbutter und Haselnussstreusel.

Gruß Nummer zwei ist eine Sylter Royal mit Holundergranite. Die Qualität der Auster ist über jeden Zweifel erhaben und wird durch die Vinaigrette am Boden in ein passendes Säureverhältnis gesetzt. Lediglich das Granite ist uns eine Spur zu hochdosiert, der Gaumen durch die Kälte betäubt. Wir kramen instinktiv nach der, man verzeihe uns den Wortwitz, "Senso-Düne".

Als erster Gang schlägt der dänische Hummer mit Kohlrabi und Ziegenfrischkäse mit gleich zwei À-parts auf. Der Zehnfußkrebs ist zielsicher gegart, mutig abgeschmeckt und kann sich dadurch prima gegen den erdigen Kohlrabi durchsetzen. Noch besser funktioniert der Nachbarteller: Unter dem grünen Kräutergelee versteckt sich eine fettige Ziegenfrischkäse-Crème mit deutlichen Meerrettichnoten; der Chip bringt den nötigen Knusper:: köstlich. Am Jus im Glas nippen wir aufgrund der überbordenden Intensität nur vorsichtig - diese Intensität hätten wir zum Beginn des Menüs gar nicht gebraucht. Ein durchaus herausfordernder Einstieg, dem es aber gelingt, uns auf die Nordseearomen einzustimmen.

Das Auge trügt uns bei der Jakobsmuschel mit Kürbis, Zwiebel und Apfel, da das Arrangement eher wie ein Rohkostsalat mit Beilage wirkt. Allerdings belehrt uns der erste Bissen eines Besseren: Gerade der Salat, namentlich die cremig befüllten Kürbisrollen, in Verbindung mit dem herzhaft-fettigen Bratenjus und Apfelsäure bringen viel Spannung in das Gericht, bei dem die Jakobsmuschel - obwohl über jeden handwerklichen Zweifel erhaben - fast schon nebensächlich erscheint. Überhaupt können wir wohl an einer Hand abzählen, wie oft uns die Muschel als Protagonist wirklich hängen geblieben ist.

Ein massives Stück Steinbutt mit Kamille, Felchenrogen, Aal und Gurke bietet viel Röstaromen und - erneut - den Beweis, dass Berner und King wissen, wie man ein Stück Fisch zubereitet. Obenauf ein dünner Aal-Abschnitt, der dem Gericht die nötige Fischigkeit und Salzigkeit beibringen soll. An und für sich eine tolle Idee, aber ist die Tranche erst einmal verputzt, fehlt ebenjene aromatische Spannung, oder schlichtweg: Würzung. Ansonsten stimmt auch hier wieder das Verhältnis zwischen Herzhaftigkeit (Fisch, warmer, würziger Sud) und Frische (Gurke).

In das Gericht Champignon mit Zitronenthymian und Rettich müssen wir uns nicht weiter "reinfressen". Pilz- und Waldaromen gehen eine Melange ein, bei der weniger der Biss, dafür viel Cremigkeit und Herzhaftigkeit im Vordergrund stehen. Abwechslung liefert wieder einmal der hocharomatische Kräutersud am Boden.

Mit einem Ausflug nach Istanbul haben wir an dieser Stelle des Menüs nicht gerechnet, aber das Lammragout mit Schafsjoghurt und jungem Gemüse bietet uns kurzerhand einen Direktflug an den Berliner Döner- oder, genauer gesagt, Köfte-Stand. Das hochintensive, äußerst lammige Fleisch versteckt sich unter einer aufgeschlagenen, an Ayran erinnernden Joghurt-Schicht und ummantelt jeden Bissen dieser köstlichen Kombination. "Einmal Kräutersauce, Salat, alles" - Überraschung gelungen.

Den Hauptgang stellt die Hubbeltaube (eine Taubenart mit extremer Brustbemuskelung) mit Mais, Speck und Grüner Sauce; à-part werden die Beinchen des Tieres gereicht. Grundsätzlich stehen wir Kombinationen mit Mais aufgrund der oft plumpen Tex-mex-Stilistik eher skeptisch gegenüber; schnell dominiert die penetrante Süße. Anders jedoch hier: Eingelegt und vor allen Dingen gegrillt, geht er eher eine flüchtige Symbiose mit der wildigen, auf den Punkt zubereiteten Taube ein, gibt ein wenig Säure und süßliche Röstaromen ab. Ab und an naschen wir vom knusprigen Beinchen und der als "Kräuterhaufen" interpretierten Grünen Sauce. Eine üppige, durchaus rustikale wie wohlschmeckende Hauptspeise.

Kann und sollte man machen: Käse vom Wagen (Holsteiner Käsestraße) mit Portwein aus dem Jahr 1912. Der uralte Vorkriegstropfen leitet passend zum ersten Dessert über: Zwetschge, Römischer Ampfer und ebenjener Portwein. Ein intensiver, unverfälschter und sich der Pflaume unterwerfender Gang. Keine Ablenkung, keine unnötige Süße, und auch das Knöterichgewächs ordnet sich der Kombination unter. Sehr wow!

Für die Süßmäuler gibt es dann doch noch mit Moosbeere, dunkler Schokolade, Buchweizen und Heckenrose ein paar Zuckerkristalle zum Abschluss. Die Rosen heißen "Ruga Rugosa", stammen aus dem eigenen Garten und werden - unter anderem - zu Konfitüren verarbeitet. Dabei darf der geneigte Hotelgast übrigens selbst zum Pflücken vorbeikommen, denn das ist eine Heidenarbeit. Im Gegensatz zur Pflaume verliert sich dieser Teller allerdings schnell in Kleinteiligkeit und marmeladiger Süße. Die Schokolade bringt hier und da Bitterstoffe, kann sich aber nie ganz gegen den Zucker durchsetzen - das schmeckt in Summe nicht schlecht, uns fehlt lediglich die letzte Prise Spannung und Überraschung.

Als Petits Fours: ein an ein bekanntes Emoji erinnernder Schaumkuss, Krapfen und wilde Preiselbeere, Konfekt, Schaumwein und Trauben aus dem Henkenberg (von Konrad Salwey), Knickfrucht, Eberäsche und Schlehe sowie die aus dem Dessert bekannte Rosa Rogusa mit Buttermilch und Holunderkapern. Ein gelungener Abschluss.

Statt eines Digestifs serviert uns die charmante Sommlière Bärbel Ring noch einen kleinen Schluck vom historischen, weil über 100 Jahre alten Port - während wir über das Verspeiste sinnieren. Johannes King, der im Laufe des Abends den perfekten Gastgeber gab und von Tisch zu Tisch tingelte, sowie sein eifriger, höchst organisierter Kompagnon Jan-Philipp Berner schreiben sich zwar die "Authentizität der norddeutschen Küche" aufs Revier, bringen aber deutlich anspruchsvollere, abseits von dekonstruierten Fischbrötchen und Labskaus agierende Kreationen auf den Tisch. Das begrüßen wir durchaus, doch besonders zu Beginn kann das den Gast aromatisch überfordern (Dänischer Hummer im ersten Gang). Hat man sich aber erstmal der kulinarischen Vielschichtigkeit angepasst, lernt man "Fresser"-Gänge wie den Champignon und - allen voran - das Lammragout sowie die in ihrer Reduktion glänzende Pflaume richtig schätzen. Eine gelungene Dramaturgie, bei der wir lediglich das etwas belanglose zweite Dessert sowie die im Gesamtkontext untergehende Jakobsmuschel an den Mini-Pranger stellen möchten; aber, wie so oft, wünschen sich (besonders Urlaubs-)Gäste diese Produkte und süßen Feuerwerke, um sich beseelt fallen zu lassen.

FAZIT

Im Söl'ring Hof bieten Johannes King und Jan-Philipp Berner eine zielsichere, oft komplexe und manchmal überraschend kreative Nordseeküche in wunderschöner Kulisse.

Weine

Die Weinbegleitung im Restaurant Söl’ring Hof auf Sylt

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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