Restaurantkritik 14.November 2018

Deutsche Vita in Thailand

Wer lang auf Reisen ist, kennt es vielleicht: Zwischen all der spannenden kulinarischen Exotik kommt irgendwann der Punkt, an dem man sich die Ernährungstugenden der Heimat zurückwünscht. Gutes Brot und Butter, Aufschnitt ohne Separatorenfleisch, vielleicht sogar Senfeier oder Königsberger Klopse – gerade in Asien sind diese Grundbausteine deutscher Hausmannskost nur schwer zu bekommen. Anders jedoch in Bangkok: Die Zwillinge Thomas und Mathias Sühring bieten in ihrem gleichnamigen Restaurant seit 2016 ein paar Stunden Heimatgefühl und wurden für ihren konzeptionellen Mut im zweiten Michelin-Guide für Bangkok mit zwei Macarons belohnt. Deutsche Küche bei 32 Grad tropischer Außentemperatur, Tausende Kilometer entfernt von der Heimat – kann das funktionieren?

Bereits die Einrichtung des Hauses, gleichzeitig Wohnsitz der Sührings, gibt sich ganz kuschlig-deutsch: Viel Holz im "Esszimmer" samt gerahmter Fotos aus der Heimat, ein gläserner, dem Landhaus der Sühring-Familie in Frankfurt nachempfundener Wintergarten sowie ein "Wohnzimmer" samt kleiner Kommode und Plattenspieler für Private Dining. Wir betreten die schummerigen Räume und hören als erstes Deutschen Gesang. Ein Gast am Nebentisch hat Geburtstag, und die Belegschaft stimmt "Zum Geburtstag viel Glück" – selbstverständlich auf deutsch – an. Für die Gäste absolutes Entertainment, für uns eher belustigend. Das Restaurant ist rappelvoll, und wir scheinen die einzigen Gäste aus der Heimat zu sein, die in ungebrochenem Hochdeutsch und ohne Textzettel einstimmen können, während draußen die Tuk-Tuks an Mangobäumen vorbeirauschen. Es wird immer kurioser.

Zugegeben: Die Idee der Sührings war risikoreich, und viele Bekannte und Gastronomen hielten die beiden für verrückt, als sie das Restaurant vor zwei Jahren eröffneten. Die Ermutigung kam letztlich durch Unterstützer und Teilhaber Gaggan Anand, und so zogen die beiden ihren preußischen Stiefel durch – mit beachtlichem Erfolg und internationaler Anerkennung, die sich zuletzt in der Viertplatzierung der "Asia's 50 Best Restaurant"-Liste und dem zweiten Michelin-Stern widerspiegelt. Die kulinarische Historie der beiden Wahl-Thais ist durchzogen von großen Namen: Sven Elverfelds "Aqua" in Wolfsburg, Jonnie Boers "De Librije" in den Niederlanden und Heinz Becks römisches "La Pergola" zeugen von Prägung durch Spitzenküche von internationaler Relevanz. 2008 entschieden sich die beiden für den Umzug nach Thailand und arbeiteten – ebenso wie Gaggan Anand zuvor – im "Mezzaluna" des Lebua-Hotels, wo sie noch mediterran inspirierte Urlaubsküche hoch über der Stadt kochten.

Alle Geburtstagskinder sind nun besungen, und das sprudelnde Apéro im Glas lässt uns so langsam die Skurrilität der Situation verdauen – die kulinarische Deutschlandreise kann beginnen, und so stimmen uns ein paar Kleinigkeiten ein: der lauwarme, fein gearbeitete "Berliner Pfannkuchen" mit Pilzcrèmefüllung und Trüffel ist ein prächtiger, außen knuspriger und innen schlotziger Happen.

Eine belederte Büchse der Pandora beinhaltet einen Störhappen in Buttermilchhaut mit Kaviar. Die Böden der kleinen Päckchen sind ebenfalls angenehm knusprig, obendrauf ummantelt die Buttermilch die kleinen Stücke des Knochenfisches aus dem nördlichen Thailand cremig-fettig. Canapé deluxe.

Wir bleiben im Wasser und bekommen einen Klassiker deutscher Fischgelüste: Bismarckhering mit Dillgel, -blüten und Roter Bete schmeckt sehr rein und pur, leicht erdig und nur wenig sauer, der Dill ist erfrischend und nicht dominant.

Aus der Plastikpackung, schön fettig und gesüßt mit ein paar Stückchen Ananas oder Orange: So kennen wir den Hähnchensalat; bei den Sührings thront jedoch eine grüne Salat-Sphäre auf dem mit Hähnchencrème gefüllten Gebäck. Bitterstoffe, Wässrigkeit und Süße addieren sich hier zu einer unorthodoxen, aber durchaus gefälligen Summe, die erneut ordentlich knuspert – jede Sorge um einen aufgeweichten Boden des Tartelettes ist unangebracht.

Der Obatzte im feinen Brezelteig kommt uns dann allerdings zu mächtig daher. Hier fehlt es schlichtweg an einem süßen oder sauren Gegenpol, der dem intensiven Käse Paroli bieten kann.

Das Herz des Hauptstadt-Sternefressers geht auf, die Meinung unserer Leser allerdings auseinander: Direkt vom Berliner Mehringdamm wird die Curry-36-Wurst (klassischerweise ohne Darm) samt Soße nach Bangkok verschifft und mit einer "Molle" – einem kleinen Alster – sowie Kartoffelchips als Pommes-Ersatz serviert. Geschmacklich ist das Fast-Food allerhöchster Güte, und wir freuen uns über diese originelle wie witzige Idee, ein Stück Berliner Imbisskultur auf die Tische Südostasiens zu bringen, wenngleich die süße Tomatenketchup-Keule dramaturgisch nicht so recht zur vorher gereichten, eher sanft-harmonischen Filigranarbeit der Schnittchen passen will.

Zur ungarischen Entenleber-Crème und Buchtel mit einem Glas 2012-er Riesling Spätlese von Fritz Haag wird eine Geschichte vorgetragen: Familie Sühring – aufgewachsen in Ostberlin – war in der Auswahl zu bereisender Länder als DDR-Bürger eingeschränkt, weshalb es oft nach Ungarn ging. Kulinarisch erinnern sich die beiden daher an die Ente (die uns noch später im Menü begegnen wird), die exemplarisch für die damalige Urlaubsküche als zarte, erstaunlich wenig "lebrige" Crème serviert wird. Ein Zweiklang aus cremig und knusprig, wobei die Spätlese den aromatischen Akzent dann an die Grenze der Übersüßung verlagert.

Die nordthailändische Bachforelle (versteckt unter einem Plättchen mit Apfelvariation) sowie warme Meerrettich-Schaumbrühe interpretieren die klassische Kombination aus Fisch, Meerrettich und Apfel. Und das funktioniert herrlich: Der Happen ist schnell verspeist, während die Temperierung der Brühe den Meerrettich weniger scharf und beißend, sondern elegant und geschmeidig erscheinen lässt.

Darf natürlich nicht fehlen: Frankfurter Grüne Sauce und Räucheraal, am Boden ein Kartoffelsalat mit kleinen Speckstückchen. Uns gefällt die ausgeglichene Kräutrigkeit und der "Aufschnitt" des Aals in sehr feine Streifen, da so ein Gleichgewicht entsteht, ohne dass salzig-herbe Fischaromen dazwischen schießen. Lediglich die kalte Temperierung irritiert uns; die Aromen – und damit das gesamte Gericht – verschwinden so recht schnell.

Das "Abendbrot" ist eine äußerst deutsche Tugend, die sich im fernen Ausland nur sehr schwer realisieren lässt. Die Sührings tischen uns trotzdem eine zünftige, selig stimmende "Brotzeit" mit Bündnerfleisch, hausgemachtem Sauerteigbrot, Chorizo, eher subtil gesüßten Gewürzgurken, hauchfeiner Leberwurst und einer etwas zu strengen Bärlauch- und Salzbutter auf. Dazu im Glas: ein kühles Hefeweizen. Wir fühlen uns an den heimischen Esstisch zurückversetzt – müsste nicht gleich der "Tatort" starten?

Das "Leipziger Allerlei" mit Doktorenhof-Trinkessig will dagegen nicht so recht funktionieren. Wie wir uns auch durch das Gericht manövrieren, es bleibt die Wirre und Ungeordnetheit eines Reste-Rohkostsalates. Auch der Jus aus Morcheln sowie die Garnele – kaum wahrnehmbar – helfen dem Gericht nicht weiter; eine klare Linie bleibt gerade nach den starken Gängen zuvor aus. Am Ende ist es lediglich die süß-saure Note des Trinkessigs, die wahrnehmbar ist.

Der Kabeljau mit Petersilie, brauner Butter und N25-Kaviar spricht dann wieder eine geordnete kulinarische Sprache. Qualität und Garpunkt des Fisches sind hervorragend, die Nussbutter-Zabaione ergibt sich dem schmelzigen Fisch, die Petersiliencrème ist dominant, aber flüchtig, der Kaviar von Top-Qualität, die á-part gereichten Kartoffelcroutons bringen etwas Knusper. Ein reiner, unverfälschter Gang, dem lediglich ein paar Grad mehr gutgetan hätten.

Unerwartet intensiv schmeckt die auf Heu gegarte Brust der ungarischen Ente mit Brokkoli und Haselnuss. Qualitativ einwandfrei und endlich heiß! Der Brokkoli unterstützt die Nussigkeit des klar konzipierten Gerichts, das zu keinem Zeitpunkt unausgeglichen schmeckt. Besonders in Anbetracht der Krokette, die ja ordentlich aufsaugt, hätten wir uns etwas mehr von dem Jus gewünscht – das sind aber unsere ganz persönlichen Vorlieben. Ein runder, unaufgeregter Hauptgang, der sich zugegebenermaßen auch in vielerlei nicht-deutsche kulinarische Umfelder einordnen ließe.

Durch die Beigabe von Bärlauch etwas irritierend, ungewohnt und zu kristallin: das Pre-Dessert "Unser Gin & Tonic".

Ob die "Yogurette" auch außerhalb unserer Ländergrenzen erfolgreich ist, können wir nicht sagen. Aber die kühle, süß-fruchtige Erdbeer-Schokopraline scheint zumindest bei den Sühring-Zwillingen sehr beliebt zu sein und inspirierte nicht zuletzt zu diesem Dessert. Die beiden zerlegen den Dickmacher in seine Einzelteile, die bei gekonnter Proportionierung auf der Gabel dem originalen Geschmack sehr nahe kommen. Die Schokolade tarnt sich in diesem Fall als aus Mousse geformte Erdbeere. Lediglich der Crunch, den die Sührings mittels kleiner, knuspriger Plättchen dazu dichten, hat nichts mit dem Riegel zu tun, passt aber. Gut.

Die Petits Fours zum Kaffee aus der Süßigkeitenbox: Marshmallow, Aprikosen-Gelee, Weiße Schokopraline mit Riesling, Toffifee, Schwarzwälderkirsch- und Rumkugel, dazu Eierlikör nach Oma Sührings Originalrezept – samt reproduziertem Rezeptbuch der Großmutter, bei der man gerne mal zum Kaffee vorbeischauen würde.

Als vermutlich einzige "Experten" für deutsche Küche sitzen wir an diesem Abend inmitten vieler Asiaten und lassen das verspeiste "Kulturgut" Revue passieren. Es ist natürlich vollkommen verrückt, knappe 9.000 Kilometer von der Heimat entfernt das zu vertilgen, was bei uns in vielen Gaststuben und privaten Haushalten tagtäglich auf den Tisch kommt. Und gerade die Kuriosität zwischen Fotos aus Berlin und deutschen Geburtstagsgesängen ist es, die das Restaurant der Sührings jeden Abend prall füllt. Wie exotisch Brotzeit oder Currywurst für die Besucher sind, können wir nicht beurteilen; was wir aber einschätzen können, ist die kulinarische Sorgfalt, mit der sich die beiden den deutschen Klassikern widmen, ohne sich allzu sehr vom Original zu entfernen. Denn gänzlich außer Konkurrenz sind die beiden in Anbetracht einiger Schnitzel-Buden und "Old Bierhaus"-Lokalen in der Stadt nicht. Das Alleinstellungsmerkmal der Sührings liegt eher in der Genauigkeit: Es scheint, als würden sich die beiden Eineiigen viel Zeit dafür nehmen, den deutschen Gerichten mit Respekt einen eigenen Touch zu geben, ohne dem Grundgeschmack die gefährlich-verfälschende Prise "Fusion" aufzubürden. Zwar konnte uns kein Teller wirklich umhauen – was daran liegt, dass wir die meisten Gerichte in dieser Form schon unzählige Male verspeist haben. Dennoch verband fast alle Kreationen eine Harmonie, eine austarierte Unaufgeregtheit, die nur durch beflissene Arbeit an Proportionen, Garpunkten und Temperaturen möglich ist. Lediglich bei letzterer sollten die Zwillinge etwas mehr Präzision an den Tag legen. Denn wie heißt es do schön? "Achtung, heiß und fettig!"

Fazit

Die Sühring-Zwillinge bieten eine authentisch-deutsche Küche mit nur wenigen Aussetzern, die Gäste aus der Heimat zwar selten überrascht, aber alle anderen begeistern wird. In Summe eine gelungene Umsetzung der deutschen "Klischee-Küche".

Wein

Die Weinauswahl im Restaurant Sühring in Bangkok

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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