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Restaurantkritik  5.August 2017

Londoner Verhältnisse

Es dürfte ein bittersüßer Tag für Alain Ducasse gewesen sein, als im Februar 2016 der Michelin Frankreich erschien: Sein Pariser Restaurant im Hotel Plaza Athénée (ADPA) wurde darin von zwei auf drei Sterne befördert, doch im gleichen Moment verlor sein Restaurant im Hotel Le Meurice den dritten Macaron. Wie gewonnen, so zerronnen, könnte man sagen.

Besonders delikat war, dass man den Verlust der Auszeichnung unwillkürlich mit dem Wechsel des Küchenchefs in Verbindung brachte: Im Jahr zuvor hatte Ducasse seinem Adjutanten Jocelyn Herland die Küchenleitung übertragen. Der hatte zuvor im Londoner Dorchester über Jahre hinweg drei Sterne für Ducasse erkocht (nachdem er auch dort zunächst mit zweien "abgespeist" worden war). Zwei Sterne sind natürlich immer noch eine hohe Ehrung. Trotzdem reiht sich das Le Meurice damit in die enorme Zahl der 16 Pariser Zwei-Sterne-Restaurants ein (und 84 in ganz Frankreich). Irgendwie ist man da doch nur noch eines von vielen.

Das erklärte Ziel von Ducasse und Herland besteht denn auch in der Rückeroberung der Spitzenwertung. Ähnlich wie im ADPA setzt man dafür auf eine individuelle kulinarische Philosophie: weg von Schwere und Opulenz, hin zu reduzierten Kreationen mit klarem Produktfokus. Die Idee ist es, die klassische französische Küche zu entschlacken und zu modernisieren. Diese Philosophie steht auf jeden Fall in deutlichem Kontrast zum opulenten Ambiente des Restaurants.

Obwohl das gesamte Hotel 2016 renoviert wurde, wirkt das von Philippe Starck gestaltete Restaurant in seinem Prunk ein wenig in die Jahre gekommen. Der märchenhafte Glamour des Plaza Athénée weicht im Le Meurice einer leicht angestaubten Louis-XVI-Ästhetik, zu der die Designerstühle in Seventies-Schick nicht recht passen wollen. Dass der riesige Gastraum an diesem Mittwochabend nicht einmal zur Hälfte besetzt ist, verstärkt die etwas kühle Atmosphäre. In Kontrast dazu steht der angenehm entspannte Service. Der Empfang ist freundlich, der Umgang formvollendet, aber zunehmend humorvoll. Sehr angenehm.

Wir entschieden uns für das "Collection"-Menü, bei dem man drei Gänge und Dessert (plus Käse) frei aus der Karte wählt.

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Noch während wir die Karte studieren gibt es das erste Amuse, ein Wachtelei mit Kaviar im Buchweizenchip. Ein ausgesprochen köstlicher Happen, knusprig und weich an den richtigen Stellen, warm und frisch. Exzellent, nicht weniger.

Der zweite Gruss kommt in einem Bambuskorb auf den Tisch: auf Himalaya-Salz gedämpftes Gemüse mit Sauerampferdip. Die Stücke von Möhre, Fenchel, Lauch, Kartoffel und Beten sind eher auf der weichen Seite, haben aber alle einen guten Eigengeschmack. Insbesondere die Kartoffeln sind von bemerkenswerter Qualität. Gut und schön, trotzdem gefiel uns das Amuse-Gemüse bei Guy Savoy deutlich besser.

Gemüsig startet auch das eigentliche Menü: mit grünem Spargel aus Piolenc, Mandelcrème und "verkohltem" Comté. Hier funktioniert der Produktfokus ganz hervorragend. Die dicken Spargelstangen von bester Qualität sind perfekt gegart, mit Biss und kräftigem Eigenaroma. Zusätzlich wird der Geschmack des Gemüses durch die rohen Spargelspäne und etwas Spargelcoulis sehr schön aufgefächert. Die leichte Mandelcrème untermalt das Ganze, und der würzige Comté setzt immer wieder kräftige Akzente - von diesen käsigen "Kohleklumpen" hätten es ruhig noch ein paar mehr sein dürfen.

Ebenso gut gefällt uns die alternative Vorspeise aus geräucherter Dorade mit Beten und Crystal-Kaviar. Zunächst amüsieren wir uns kurz darüber, dass Blutampfer-Deko vielleicht doch keine rein "deutsche" Vorliebe ist, wie manch einer vermuten würde. Aber der erste Bissen lenkt Geist und Gaumen sowieso auf andere Wege, denn der Fisch allein hat es schon in sich: ideal geräuchert, mit Biss und Kraft. Zu den leichten Raucharomen passt die fein-süße Erdigkeit der Beten ganz hervorragend. Ebenso natürlich der Kaviar, der das Ensemble veredelt und erfrischt. Hervorragend.

Weiter geht es für einen von uns mit der Seezunge aus Noirmoutier à la Grenobloise mit Artischocken. Das ist ultraklassisch - und ultragut! Die unfassbar zarte, zugleich hocharomatische Seezunge wird von der Garnitur aus Kapern, Petersilie, Croutons und Zitrone noch einmal nach vorne katapultiert. Man könnte meinen, dass diese kräftigen Würzelemente den Fisch übertünchen, aber nein: Die Feinabstimmung ist so exakt, dass alles bestens harmoniert. Dazu die kräftig gerösteten Artischocken und eine dichte, leicht zitronig-frische Sauce - wunderbar.

Noch besser gefällt uns allerdings der Wolfsbarsch Ikejime, an der Gräte gegart, mit Chicorée und Clementinen. Die Haut der Fischtranche ist irre kross, das Fleisch ungemein rein im Geschmack. Und auch hier passt die Verbindung mit den potenziell überbordenden Beigaben bestens. Die Kombination von Chicorée und Zitrus, gerade auch zu Fisch, ist nicht zuletzt in Italien ein Klassiker. Jocelyn Herland verwendet die eleganteren, weniger aggressiv schmeckenden Clementinen, deren Fruchtsüße die Bitterkeit des Chicorées mildert und die mit ihrer Säure zugleich den Eigengeschmack des Fischs anheben. Das ist gefällig, ja, aber es ist auch herausragend köstlich. Mehr noch, in seiner scheinbaren Simplizität ist dieses Gericht ein kleiner Geniestreich - oder besser gesagt: eine Götterspeise.

Von den Fischgerichten geradezu euphorisiert, freuen wir uns auf die Hauptgänge. Doch leider wird unser Hochgefühl jäh ausgebremst. Beim Hühnchen aus der Zucht von Culoiseau mit Morcheln und Bärlauch ist das Fleisch an sich von guter Qualität und auch der Garpunkt stimmt. Nur ist es leider kaum mehr lauwarm. Wir lieben Morcheln, aber hier sind es viel zu viele; zudem sind sie wenig aromatisch und schwammig-weich bis matschig, als hätte man sie zu lange gekocht. Kein schönes Mundgefühl. Aber auch davon abgesehen erstarrt die Klassik hier zu purer Langeweile. Allein die Krokette schmeckt einigermaßen originell. Sie kann es aber auch nicht rausreißen. Sehr schade.

Etwas besser gefällt uns die Taube aus Pornic mit Rübchen, Spinat, Erdnuss und Salmis-Sauce. Zwar kommt das hervorragende Fleisch auch hier leicht untertemperiert auf den Tisch - aber die Sauce ist glücklicherweise heiß genug, um das etwas aufzufangen. Das Problem bei diesem Gericht liegt vor allem in den sehr dominierenden Erdnüssen, die man zwar kaum sieht, aber umso deutlicher schmeckt. Gefühlt bzw. geschmeckt scheinen sie überall drin zu sein. Zunächst hat das seinen Reiz, doch schnell bekommt das Gericht dadurch eine aromatische Unwucht, wird plump und schwer. Auch hier können wird nur sagen: schade.

Ganz exzellent ist die Käseauswahl vom gut bestückten Wagen.

Auf die Desserts sind wir nun sehr gespannt - und, nun ja, werden leider erneut enttäuscht. Die geröstete Birne "Poire Doyenné du Comice" mit Honig und Sarawak-Pfeffer schmeckt nicht halb so interessant, wie sie aussieht. Vor allem ist sie viel zu honigsüß, was auch die dumpf-plumpe Pfefferwürze nicht austarieren kann.

Kaum stimmiger finden wir die knusprige Kokosnuss mit Ananas, Avocado und Minze. Im Grunde haben wir es hier mit einer Kugel Eis, ein paar Ananas-Stücken und -Sauce sowie jeder Menge Knusper-Tuiles zu tun. Von der Avocado schmecken wir praktisch gar nichts. Im Vordergrund stehen die Säure der Ananas und der mundfüllende Knusperteig. Das ist von einer Simplizität, die einfach nur simpel wirkt.

Als Ausgleich ordern wir noch einen Baba au Rhum - und der ist dann einmal mehr über jeden Zweifel erhaben. Dieses Meisterstück muss man einfach einmal gegessen haben (oder auch immer wieder!). Und hier funktioniert auch die Simplizität wieder ganz grandios. Ein versöhnlicher Schlusspunkt für das Menü.

Die Petits Fours sind unspektakulär, aber gut.

Zugleich rollt auch der Sorbetwagen an, von dem wir uns gerne noch etwas vom bezaubernden Service servieren lassen.

Tja, das war ein ziemlich durchwachsener Abend. Letztlich kann man das Essen von Anfang bis Ende in jeweils zwei Teile trennen: Vorab gab es ein sehr gutes Amuse und ein mittelmäßiges; es gab zwei hervorragende Vorspeisen und zwei exzellente Fischgänge, gefolgt von zwei schwachen Hauptgängen und zwei schwachen Desserts (den Baba nehmen wir mal aus der Gleichung); zum Kaffee dann etwas langweilige Petits Fours, aber auch sehr gute Sorbets.

Das zeigt einerseits, welches Potenzial diese Küche hat, zu welchen Höhenflügen man in der Lage ist. Hätten wir jeweils beide Vorspeisen und beide Fischgänge gehabt, mit dem Baba als Dessert - dann wäre dieses Essen eines der besten der letzten Monate gewesen. Andererseits kann man zwei schwache Fleischgänge und Desserts nicht kleinreden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Jocelyn Herland an unserem Abend nicht im Haus war - aber das ist keine Erklärung. Angesichts von Ducasse' Preisen darf es eigentlich gar keinen Ausreißer geben, egal, wann man kommt und was man bestellt. Und bevor nun jemand ruft, dass das Le Meurice wohl deshalb auch nur zwei Sterne hat: Im Plaza Athenée erlebten wir ein nahezu identisches Gefälle. Die guten Gänge im Le Meurice waren sogar um Klassen besser als alles im ADPA. Jocelyn Herland kann was, keine Frage.

Aus diesem Grund werden wir das Haus sicherlich im Auge behalten. Ob wir dort noch einmal einkehren? Schwierige Frage. Auf jeden Fall gibt es vorher erstmal eine lange Reihe anderer Pariser Restaurants abzuarbeiten.

Fazit

Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt – im Le Meurice erlebten wir eine seltene Achterbahnfahrt, bei der von Götterspeise bis Totalausfall alles dabei war. Man kann hier sicherlich auch durchweg exzellent essen, wofür es allerdings einer Portion Glück bedarf.


Text: Kai Mihm

Wein

Weine im Restaurant Le Meurice von Jocelyn Herland

2008 Champagne Pol Roger Rosé

2013 Sancerre "Les Romains", Domaine Vacheron, Frankreich

2014 Asyrtiko, Clos Stegasta, Griechenland 

2005 Puligny Montrachet "La Truffière", Jean-Marc Boillot,

2014 Châteauneuf-du-Pape, Mas St Louis, Frankreich

2015 Côte-Rôtie "Fructus Voluptas", Domaine Jamet, Frankreich

2012 Vosne-Romanée "Vigneux", Jean Tardy, Frankreich

2015 Sydre Argelette, E. Bordelet, Frankreich

Fressfreunde

Willi Igel

"Insgesamt hat mich die Küche sehr überzeugt. Mir wäre das jederzeit auch den dritten Stern wert und so ganz verstehe ich nicht, warum der Michelin Herrn Ducasse im Plaza den dritten Stern gelassen und ihn im Meurice auf zwei "Macarons" zusammengestrichen hat. Umgekehrt wäre es plausibler."

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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