Restaurantkritik 25.Mai 2015

Kulinarische Oper im fünften Quadrat

Selbst wenn man die Gastroszene fest im Blick hat, das Auftauchen neuer Talente genau verfolgt und immer weiß, wo man als nächstes reservieren sollte, überrascht einen mancher Besuch wie ein Donnerschlag. Das Opus V in Mannheim ist so ein Fall. Als wir im Sommer 2013 von der Eröffnung eines Gourmetrestaurants in der obersten Etage des noblen Modekaufhauses Engelhorn hörten, hatten wir ein gediegenes Lokal mit braver Küchenklassik vor Augen. Wir wussten zwar, dass Küchenchef Tristan Brandt in den Teams von Großmeistern wie Jean-Georges Klein, Harald Wohlfahrt, Christian Bau und Dieter Müller gearbeitet hatte. Aber wir konnten kaum einschätzen, welche Linie der damals 28-Jährige einschlagen würde – und welchen Vorgaben er womöglich folgen muss.

Dann aber hörten wir immer wieder, wie gut, modern und originell die Küche im Opus V sei. Und endlich, fast eineinhalb Jahre nach der Eröffnung, brachen wir auf, um uns selbst ein Bild zu machen. Nachdem wir im Gewusel des riesigen Modehauses Engelhorn endlich den Weg zum nicht sehr prominent ausgeschilderten Restaurant-Fahrstuhl ins sechste Obergeschoss gefunden haben, staunen wir beim Betreten des Gastraumes nicht schlecht: Hier wurden ganz offensichtlich keine Mühen und Kosten gescheut, um ein zeitgemäß-lässiges Toprestaurant im New-Nordic-Interieurstil zu erschaffen. Matter Parkettboden, filigrane Holztische mit dicken Kerzen und etwas Grün darauf, Backsteinwände, viel Glas, angenehmes Licht und Designerstühle aus Holz, die man auch aus dem Noma kennt. Überhaupt scheint die gesamte Raumgestaltung deutlich vom Noma inspiriert, was man unoriginell finden kann, uns aber allemal lieber ist als das übliche Einerlei aus beige-braunen Stoffen, dicken Teppichen und gestärkten Tischtüchern.

Wir sitzen heute allerdings in einem Separée am großen Chef's Table, von wo aus man eine riesige Schiebetür öffnen und dem Treiben in der Küche zuschauen kann, wenn man möchte. Auf der anderen Seite eröffnet die Glasfront einen Blick über die Dächer der Stadt. Wir sind aber vor allem gekommen, um uns auf die Teller zu konzentrieren...

Als erste Einstimmung gibt es eine Variation von Beten: Rote-Bete-Maccaron, Gelbe-Bete-Kugel, Süppchen von weißer Bete. Sowohl texturell als auch geschmacklich eine schöne Aufbereitung – wir titeln insgeheim "Modegemüse im Modehaus" und empfinden die Zusammenstellung für den Einstieg einen Tick zu mild,...

... bis die Fortsetzung auf den Tisch kommt: Salat von gelber Bete, Rote-Bete-Eis, Weiße-Bete-Schaum, Chip von gelber Bete und geschmorte Stücke von der Bete. Jetzt merken wir, dass der erste Titel eine sanfte Vorbereitung auf diese Zusammenstellung war – und die ist großartig! Mit spielerisch anmutender Meisterschaft kitzelt Tristan Brandt wunderbare Aromenabstufungen aus den Beten heraus: süßlich, würzig, erdig in all seinen Nuancen. Manches ist knusprig, anderes weich, wieder anderes knackig-frisch. Eines ist allen Komponenten gemein: Sie funktionieren zusammen fantastisch!

Saibling

Sehr gut auch das eigentliche Amuse: Saibling mit Rettich und Apfel. Der gebeizte Saibling ist von herausragender Qualität und wird von Rettich und Apfel variantenreich und spannend eingefasst – süßlich, säuerlich, knackig. Dazu leicht schärfende Shiso als Papillenkitzler und etwas Sauerrahm für die Harmonisierung. Ausgesprochen durchdacht und stimmig.

Das eigentliche Menü startet mit Gänseleber, Marone und Räucheraal. Auch hier bilden perfekt abgestimmte Variationen der drei Hauptkomponenten ein harmonisches und spannungsreiches Ganzes. Die Kombination von Foie Gras (als Terrine und Eis) mit Marone (als Crème und Canache) ist uns neu, wirkt aber trotz – oder vielleicht sogar wegen – der texturellen Ähnlichkeit absolut schlüssig. Aufgebrochen wird das Duo von der rauchigen, aber nicht zu intensiven Wucht des Räucheraals und einem süßlich-würzigen Schalottenchutney. Absolut köstlich. Der Clou ist jedoch die sensationelle, krosse Schalottenkrokette in der Mitte: Davon hätten es in unserer Unersättlichkeit ruhig noch zwei mehr sein dürfen!

Um Varianten geht es auch beim zweiten Gang: Rot-, Rosen-, Spitz-, Blumen- und Grünkohl sowie Kohlrabi werden mit Trüffel und Schinken kombiniert. Und erneut funktioniert dieses von Brandt offenbar innig geliebte Konzept prächtig. Jede Kohlsorte kommt bestens zur Geltung, es gibt keine aromatischen Überlagerungen, dafür aber spannende Ergänzungen etwa zwischen dem süßlichen Rotkohl und dem leicht bitteren Rosenkohl. Der Trüffel pointiert die Erdigkeit der Kohlgemüse, während der Schinken in Form eines grandiosen Suds, als Crunch und als Gelee eine ganz leichte, sehr elegante Umami-Note beisteuert. Was sollen wir sagen – das ist hervorragend.

Beim Kalbsbries mit Brokkoli und Miso gerät die Komposition etwas überschaubarer. Das krosse Bries wird von einem flaumigen Misoespuma und Misosauce sowie drei sehr guten Brokkolizubereitungen begleitet. Cashewkerne geben Biss, eine Kombucrème setzt Würzakzente. Geschmacklich geht das alles hervorragend auf, nicht zuletzt die Kombination von Brokkoli und Miso gefällt uns bestens. Kleine Wermutstropfen sind die Untertemperierung mancher Elemente und eine nicht ganz stimmige Austarierung: Je nach Sichtweise fallen entweder die Beigaben zu mächtig oder das Bries zu klein aus.

Die Komposition von Jakobsmuschel mit Sellerie und Litschi besticht optisch durch die monochrome Farbgestaltung – hier ergibt der schwarze Teller absolut Sinn. Auch geschmacklich gefällt die Kombination angebratener und roher Muscheln mit leicht geräuchertem Selleriesaft, Sellerieespuma und Litschigel. Aber auf Dauer wird uns das Ganze dann doch zu weich und cremig. Oder anders herum gesagt: Es fehlt uns ein Texturkontrast. Mit etwas Crunch im Spiel könnte das ein Highlight werden.

Ähnlich verhält es sich beim Heilbutt mit Steckrübe und Mandarine. Das abgeflämmte Heilbuttfilet wird von Rübe und Mandarine vor allem in cremigen Konsistenzen eingefasst. Geschmacklich ist die Verbindung große Klasse, aber texturell können die kleinen Rübenscheiben und Mandarinenchips keinen wirklichen Kontrast setzen. Insgesamt fällt dies hier jedoch nicht so sehr ins Gewicht, da der Fisch an sich schon eine Bissfestigkeit mitbringt. Sehr gut gefällt uns in jedem Fall die Einbindung von Weizengras mit seinem intensiven, süßlich-würzigen Geschmack. Einmal mehr ein Gericht, das mit minimaler Veränderung viel gewinnen könnte.

Nicht viele Worte müssen wir über den folgenden Gang verlieren, den wir von der Extrakarte eingeschoben haben: Kobe, Kartoffel und Lauch. Das Original-Kobe-Fleisch ist schlichtweg umwerfend gut. Dazu eine separat gereichte hochintensive Sauce vom Kobe-Rind (nicht im Bild) sowie eine flaumige Kartoffelcrème und etwas geschmorter Lauch. Reduziert und absolut fantastisch.

Als Einstimmung auf den Hauptgang gibt es kurze Rippe vom Rind mit Teriyakisauce glasiert mit Schwarzwurzel und Enokipilzen. Wunderbar.

Sodann kommt der Rinderrücken mit Schwarzwurzel und Teriyaki auf den Tisch. Das japanisch eingefasste Fleisch kann natürlich nicht mit dem vorher genossenen Kobe mithalten, ist für sich genommen aber hervorragend. Nicht zuletzt begeistert uns erneut und nachhaltig die dichte Rindersauce – am Ende ist das separat gereichte Kännchen sogar leer. Dazu gesellen sich diverse Zubereitungen von der Schwarzwurzel ‒ besonders köstlich die mit Mirin geschmorte Variante ‒, winzige hocharomatische Buchenpilze und etwas Teriyakigel. Ein trotz des sicherlich enormen Aufwands beinahe puristisch anmutender und gerade deshalb begeisternder Gang.

Geht immer: vor den Desserts noch eine kleine Käseauswahl vom gut bestückten Wagen. An dieser Stelle wollen wir Larissa Neumann aus dem Service erwähnen, die mir ihrer ansteckend guten Laune und Kompetenz maßgeblich zum Gesamterlebnis beiträgt.

Das erste Dessert dekonstruiert einen Longdrink-Klassiker: Gin-Tonic, Gurke und Limette – und das ist definitiv eines der besten Desserts der jüngeren Sternefresser-Geschichte. Frisch, fruchtig, würzig und mit einer deutlichen Gin-Note. Die Gin-Tonic-Crème ist wunderbar leicht, die Gurkenstreifen haben Biss, das Gurkeneis bringt einen sensationellen Kick, die Limettenmousse feine Säure. Und auch hier setzt Brandt auf zahlreiche weitere Variationen der Hauptkomponenten, was für eine stete Spannung sorgt. Groß, ganz groß, und natürlich hält dieses Gericht Einzug in unsere Götterspeisen.

Danach kommt mit dem Monnemer Dreck ein zweiteiliges Dessert auf den Tisch: Es beginnt mit Luftschokolade, Blutorangenperlen, Zitronengel, Spekulatiuscrumble, Schokokaramell und Lebkuchenmousse – sehr gut, aber vielleicht einen Tick zu "trocken".

Umso "saftiger" dafür, was sich in dem Schälchen darunter befindet: Ein "Männlein" aus Bratapfelcrème, dazu eine Variation von Apfel und Mandelkuchen. Vor allem der kräftige Bratapfelgeschmack löst bei uns helle Begeisterung aus; aber auch der Mandelkuchen schmeckt exzellent und wird durch die Apfelkomponenten (für unseren Allergiker ohne rohe Scheiben) prima aufgefrischt. Kurzum: ein Wohlfühl-Dessert erster Güte.

Wild wird es in jeder Hinsicht beim finalen Dessert, Kaffee mit Zitrus und Mascarpone. Einen Sternefresser erinnert das grelle Durcheinander an den unaufgeräumten Fußboden im Zimmer seiner fünfjährigen Tochter. Und wie dort dauert es auch hier einen Moment, bis wir uns einen Überblick verschafft haben. Dann machen wir uns ans "Aufräumen" und verstauen die Komponenten sorgfältig in unseren Mägen: Kaffeemousse und -krapfen, Zitrusmacarons mit Kaffee, Mandarinengel, Zitruscremeux, Zitrusperlen, Mascarponecrème und Zitrussegmente werden mit beherzt eingesetzten Gabeln weggeputzt. Der sich daraus ergebende Mischgeschmack aus Bitternoten, Fruchtigkeit und Mascarpone-Schmelz ist gut, aber nicht so spannend wie erwartet. Hier würden wir uns eine pointiertere Anrichtung wünschen, um die Akzente besser setzen zu können und das Potenzial der Kombinationen auszuschöpfen.

Abschließend ein paar bemerkenswert gute Petits fours: Blutorangen-Gummibärchen, Schokotafeln mit grünem Tee, Schokoladen-Gewürzgugelhupf, Gin Fizz „warm & kalt“.

Wie zu Beginn schon angedeutet war der Besuch im Opus V eine der größten und begeisterndsten Überraschungen seit langem in deutschen Landen. Tristan Brandt und sein Team kochen mit einer Souveränität auf, die wir bei einem so jungen Restaurant selten erlebt haben. 

Anders als beim Anblick des Interieurs gedacht gibt es kaum New-Nordic-Einflüsse. Vielmehr kochte Brandt eine internationale Gourmetküche mit japanischem Einschlag. Und wenngleich die Einflüsse seiner Lehrmeister dabei noch durchaus erkennbar sind, hat man das Gefühl, dass hier ein junger Koch rasant dabei ist, eine ganz eigene Linie zu entwickeln. Er positioniert sich dabei zwischen Kleins Purismus und Baus Opulenz. Brandts Kreationen zeichnen sich nicht zuletzt durch vielfältige Variationen der Hauptkomponenten aus, ohne dass es nach "Streberteller" aussieht. Dennoch dürften manche Gerichte ruhig noch etwas reduzierter sein, sie würden auch mit etwas weniger Fleißarbeit bestens funktionieren. So oder so: Wir werden die Entwicklung dieses großen Talents genau verfolgen.

Die junge Servicecrew war bei unserem Besuch mustergültig: auf mitunter kecke Weise humorvoll, aber stets charmant und ohne die nötige Distanz zu verlieren. Sommelier Marko Frommberger begleitet die Gerichte gekonnt, wenngleich etwas vorhersehbar.

Fazit

Im unscheinbaren Mannheim reift eine der großen Hoffnungen der deutschen Spitzenküche heran: Mit seinen spannend konzipierten und hervorragend schmeckenden Kreationen ist Tristan Brandt für uns die Entdeckung des Jahres.

Wein

2008 Champagne Louis Roederer Brut Rosé (Magnum)

2013 Silvaner Natur, Weingut Odinstal

2011, Gewürztraminer, Weingut Hugel, Elsass

2013 Kalterersee Auslese, Muri-Gries, Südtirol

2013 Blauer Silvaner S., Horst Sauer, Franken

2013 Riesling Basalt, Weingut Odinstal, Pfalz

2009 Les Terres Blanches 1er Cru, Maison Ambroise, Burgund

2000 Unico, Vega Sicilia, Ribera del Duero

Sake, Kobe Sakura, Sakuramasamune, Japan

2008 L‘Arcione, La Tunella, Friaul

2005 Pechstein G.C., Bürklin Wolf, Pfalz

2008 Recioto Della Valpolicella, Stefano Accordini, Venetien

Champagne Louis Roederer

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Marko Frommberger

1. Anzahl der Positionen?
Rund 330

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Rebsortenvielfalt

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
2013 Muscadet Sevre Et Maine Sur Lie und Château De La Ragotière, Loire, beide für 25,70€
Château Petrus 2000 für 4880€

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Bürklin Wolf, 1999 Riesling Pechstein "Fass 63"

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
2013 Sauvignon Blanc vom Weingut Spindler für 29,70€

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Piemonte Colombera /Timorasso Montiano Colli Tortonesi

7. Ihr Lieblingswein? Weshalb?
2004 Riesling Pechstein G.C. von Bürklin Wolf, weil ich eine persönliche Bindung dazu habe. Ich kannte den Kellermeister Fritz Knorr sehr gut und konnte einiges von ihm lernen. Im Februar 2011 probierte ich auf seine Empfehlung den 2004er Pechstein aus der Doppelmagnum und war überwältigt von dieser Feinheit und Präzision. Er sagte zu mir, dass dies vermutlich der beste Wein sei, den er jemals in die Flasche gebracht habe. Am Samstag den 11. August 2012 war ich morgens noch im Weingut um Wein zu holen und wechselte ein paar Worte mit ihm. Er verabschiedete sich in den Urlaub nach Südtirol und 3 Tage später bekam ich den Anruf, dass er im Alter von 59 Jahren verstorben sei. Urplötzlich genauso wie sein Vater. Mir bleibt das alles präsent, aber nicht im Negativen, weil Fritz immer fröhlich war und sich für jeden Zeit nahm, wie er es auch seinen Weinen auferlegte. Einfach ein großartiger Mensch.

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
2004 begann ich, in Süditalien zu arbeiteten. Ein Gast bestellte "Sedano" (echten Sellerie) zum Wein, steckte die grünen Stengel mit Blatt in sein Weinglas und trank daraus den ganzen Abend (weiß sowie rot). Später stellte ich fest, dass dies in Apulien ganz normal ist.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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