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News  3.Januar 2020

Herdhelden 2019

Kein Jahreswechsel ohne Resümee: Wir wagen wie jedes Jahr einen Rückblick auf die vielen kulinarischen Erlebnisse im In- und Ausland und stellen Euch nachfolgend unsere Helden in 16 Kategorien vor. Viel Spaß dabei!

Fotocredit: (CC) Julian Fong

Entdeckung des Jahres

Alte Schule, Fürstenhagen

Was Daniel Schmidthaler im tiefsten Mecklenburg auf die Teller bringt, hat uns schlichtweg auf dem kalten Fresserfuß erwischt. Jede Erwartungshaltung an klassische Landesküche wird durch eigenständige Ideen und ungewöhnliche Kreationen gebrochen. Hecht-Sashimi, Limettenasche, ein schnörkelloses Karotten-Liebstöckel-Gericht, ein nahezu rohes Huhn im Hauptgang. Routinierte Gastronomen hätten dem Koch und seiner Gattin in dieser Lage wohl ein schnelles Ende prophezeit, doch genau dieser Mut zahlt sich nun aus – sowohl mit einem gefüllten Gastraum als auch in den Bewertungen der Guides. Besuchsbefehl.

Die Eindrücke unseres Besuchs findet Ihr hier.

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Sommelier des Jahres

John Chan (Amber**, Hongkong)

Bereits sein Name macht ihn zu einem der coolsten Sommeliers überhaupt: John Chan. Da steckt gefühlt mehr Kampfkunst drin, als in Jackie Chan und John McClane zusammen. Doch weit gefehlt – wir hatten es bei unserem letzten Besuch im Amber in Hongkong mit dem vielleicht distinguiertesten aller Somms zu tun. Passioniert und empathisch führt der 43-Jährige die Geschicke des Weinservice im Amber, und ist inzwischen mindestens so ikonisch, wie das Restaurant selbst. Jede Weinempfehlung trägt er vor, als würde er seine Seele feilbieten - höchst eloquent, jedoch nie selbstgefällig, sondern mit zenhafter Ruhe und Bescheidenheit. Ganz nebenbei fallen da Sätze wie «Du musst erst die einfachen Weine kosten, um die außergewöhnlichen schätzen zu können», während er vom leichteren Erstwein zum großen Burgunder überleitet. Wir ertappten uns sogar dabei, die nächste Weinvorstellung schneller herbeizusehnen, als das nächste Gericht. Ein Sommelier, der eine Reise wert ist.

Desserteur des Jahres

René Frank (Coda*, Berlin)

Wir können gar nicht zählen, wie oft wir schon Menüs aßen, die über weite Strecken sehr gut bis hervorragend funktionierten und erst zum Ende, bei den Desserts, in zuckeriger Belanglosigkeit endeten. René Frank und sein Team im Berliner 'CODA' belehren die Fresserwelt nun seit drei Jahren eines Besseren – und werden dabei von Mal zu Mal köstlicher. Seine Patisserie-Only-Exzellenz mündete dieses Jahr nicht nur im weltweit ersten Dessert-Stern, sondern ebenso in einer umwerfenden Petersilienwurzel-Götterspeise. Was die Zukunft bringt? Doch hoffentlich einen René-Frank-Expresslieferservice für viele blasse Pâtisserien in Deutschland.

Den Bericht zu unserem Besuch findet ihr hier.

Service des Jahres

Geranium***, Kopenhagen

Wer heutzutage den Besuch in einem Spitzenrestaurant immer noch mit steifer Etikette und unnötigem Brimborium gleichsetzt, der war noch nie im Geranium in Kopenhagen zu Gast. Die Servicebrigade des superben Dreisterners im Fussballstadion geht mit einer entwaffnenden Nonchalance auf jeden einzelnen Gast zu, ist dabei authentisch und nie um einen Spruch verlegen. Sei es mit dem Gast oder auch untereinander. Man bekommt im Geranium wie in kaum einem anderen Lokal das Gefühl vermittelt, dass bei aller selbstverständlichen Professionalität immer der Gast im Vordergrund steht und diesem aus ehrlicher Freude heraus zu jedwedem Zeitpunkt Freude bereitet werden will – was in Kopenhagen längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Chefs sowohl den Service als auch den Gast nicht in ein künstliches Korsett zwängen. Erlebnis-Service mit persönlicher Note, von dem sich viele Restaurants eine dicke Scheibe abschneiden können.

Die Eindrücke unseres letzen Besuchs findet Ihr hier.

Casual Dining, Drinking & Djing des Jahres

Bruder, Wien

Ganz schön rauschig: Im 6. Wiener Bezirk begeisterten uns Hubert Peter und Lucas Steindorfer in ihrem Bar-Wirtshaus 'Bruder', wo nicht nur eine lässige österreichische Küche in unkonventionellem Interieur, sondern auch spektakuläre Drinks serviert werden. Dazu gehört, dass weit über 100 Spirituosen selbst angesetzt und dann verfeinert werden. Außerdem legt einer der Gäste so lang Vinyl auf, bis sich jemand massiv beschwert und übernimmt. Hört sich wild an? Ist es auch – und in «Deitschland» leider undenkbar. Unbedingt ausprobieren!

Die Eindrücke unseres letzten Besuchs findet Ihr hier.

Gesamterlebnis des Jahres 1

Robuchon au Dome***, Macau

Unsere Erwartungen an dieses Restaurant waren durchaus hoch, sehr hoch sogar – und wurden dennoch übertroffen. Allein der Speisesaal: unglaublich pompös, hemmungslos larger-than-life und ja, durchaus protzig – aber darin absolut stimmig, faszinierend und atemberaubend. Hey, wir sind im Las Vegas Chinas, da muss man sich auf solche Extravaganzen einlassen oder gleich wieder abreisen! Auf dem Menu stehen zahlreiche Robuchon-Klassiker, die wir jedoch nie zuvor in solcher Qualität und Perfektion genießen durften. Sei es der Scampi-Raviolo mit geschmortem Wirsing, der Steinköhler mit Malabar-Pfeffersauce oder das Châteaubriand à la Rossini: Erstklassige Produkte + makelloses Handwerk = betörender Wohlgeschmack. Von der Armada an Dessertwagen wollen wir gar nicht erst anfangen. Der Service lässig, smart und charmant, wie aus dem Bilderbuch. Immer wieder hörten wir, dass das Robuchon au Dôme das beste Restaurant im Imperium des verstorbenen Jahrhundertkochs sei – nun können wir sagen: es stimmt.

Die Eindrücke unseres Besuch findet Ihr hier

Gesamterlebnis des Jahres 2

Central, Lima

Virgilio Martínez‘ Idee, Peru nach Höhenlage auf die Teller zu bringen, ist weltweit wohl einzigartig. Schon die Präsentation der Zutaten im Eingangsbereich, der an eine Art „Forschungslabor“ angrenzende Gastraum sowie die unorthodoxen und teilweise völlig vergessenen Produkte, die in 16 Gängen ihren Weg zum Gast finden, saugen uns von Sekunde eins an ein in die Welt dieses vielschichtigen Landes. Eine überragende Achterbahnfahrt von den Tiefen des Meeres hinauf zu den Spitzen der Anden!

Die Eindrücke folgen zeitnah...

Wirtshaus des Jahres

Döllerers Wirtshaus, Golling (AT)

Was man in Deutschland oft vermisst, findet sich in Österreich umso häufiger: hervorragende Wirtshäuser. Ein besonderes Highlight erlebten wir in jenem der Familie Döllerer in Golling. Nachdem wir am Abend zuvor das (sehr lohnende) High-End-Menü im Gourmetrestaurant futtern konnten, wollten wir vor der Abreise nur noch ein kleines Mittagessen im hauseigenen Wirtshaus einnehmen – eigentlich. Tatsächlich vertilgten wir in gemütlich-entspannter Atmosphäre ein ausgedehntes Menü sondergleichen. Es ging los mit Blunznbrot mit knuspriger Schwarte, Basilikum, Essigzwiebel und Kren, danach Mufflon-Butterschnitzel mit Ofenzwiebel, Püree und Pilzen, Gams-Schlutzkrapfen mit Spitzkohl sowie Hirschkalbsmedaillons mit Döllerer-Speck. Wir wollten aufhören, aber es ging einfach nicht, zu gut waren die gereichten Köstlichkeiten. Zum Abschluss ein unglaubliches Rieslingbeuschl, gefolgt von gebackenem Apfelradl mit Tahitivanilleeis – und das war längst nicht alles. Dazu die exzellente Weinberatung durch Ausnahme-Sommelier Alexander Koblinger. Wir fühlten uns wie im Schlaraffenland. Dieses Wirtshaus ist definitiv einen Umweg wert.

Die Eindrücke unseres Besuchs findet Ihr hier.

Vegetarisches Restaurant des Jahres

Tian, München

So selbstverständlich vegetarische Restaurants heutzutage sind, so selten sind sie wirklich erstklassig. Umso beglückter waren wir vom Besuch im frisch besternten Münchner Tian, einem Ableger des berühmten Wiener Stammhauses. Die Kreationen von Paul Ivićs Bayern-Team begeisterten uns durch tolles Handwerk und grandiosen Geschmack. Gerichte wie die Artischocke mit Marone und Wacholder, die Champignon-Essenz mit Grünkohl-Dim-Sum oder die Rote Bete mit Topinambur und Estragon hatten alles, was bei uns Begeisterung auslöst (was nicht zuletzt auch dem bemerkenswerten Weinpairing von Sommelier Matthias Götz geschuldet ist). Fast möchten wir bei der Tian-Küche von einem Klassiker sprechen, wenn sie nicht so frisch und lebendig daherkäme. Ab Februar übernimmt Viktor Gerhardinger die Küchenleitung von Christian Schagerl. Wir sind gespannt!

Die Eindrücke folgen...

Menü des Jahres 1

Locanda Barbarossa, Ascona (CH)

Unverhofft kommt oft. Der erste Eindruck der Locanda Barbarossa im schweizerischen Ascona wirkt eher bieder und langweilig. Mattias Roock und seine Truppe widerlegen das leicht angestaubte Bild auf kulinarisch beeindruckende Art und Weise. Auf den mehr als 14 Hektar umfassenden, hoteleigenen Gärten wächst und gedeiht alles, was im Menü «Sapori del nostro Orto» – die Aromen unseres Gartens – Verwendung findet. Und das ist ausnahmslos hervorragender Stoff. Roock inszeniert die Schätze der Schweizer Sonnenstube umsichtig, spielerisch und herrlich leicht, ohne dabei das klassische Fundament als Herzstück seiner Kreationen aus den Augen zu verlieren. Dadurch erfahren die tollen Produkte die Behandlung, die es braucht, um eine große Küche zu etablieren. Wir waren restlos begeistert und folgerichtig ergattert das Prestige-Restaurant des Castello del Sole einen der beiden Spitzenplätze bei unserer Wahl zum Menü des Jahres.

Die Eindrücke unseres Besuchs findet Ihr hier.

Menü des Jahres 2

Écriture, Hongkong

Es war unser erster Abend in Hongkong – und wir wurden gleich zu Beginn förmlich umgehauen. Was Maxime Gilbert im zweifach besternten Écriture abfackelt, ist nicht weniger als Weltklasse. Der junge Franzose zelebriert in einem modernen Setting eine franko-japanische Küche mit besten Produkten und meisterhafter Technik. Aus Buchweizen-Mürbeteig, Seeigel und Kaviar macht er eine dekadent-köstliche Tarte, aus Jakobsmuschel und Trüffel ein knuspriges Beignet, das uns eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Saftigen Steinbutt und pochierte Foie Gras bindet er mit Nori-Seetang zu einer Art maritimer Rossini-Schnitte, deren Delikatesse mit Worten nur unzureichend beschrieben werden kann – man muss dieses Meisterwerk einfach probieren. Zum Abschluss gab es eine Tarte Tatin von Kirschen, so simpel, so perfekt, und in Deutschland leider unvorstellbar – weil das eben auch nur im Kontext eines solch perfekt orchestrierten Menüs derart brillant funktioniert. Der Michelin vergab auf Anhieb zwei Sterne, vollkommen zu Recht und mit Spielraum nach oben, wie unser Menü bewies.

Die Eindrücke unseres Besuchs findet Ihr hier.

Fehlstart des Jahres

Pauly Saal*, Berlin

Weggang mit Folgen: Der Paradigmenwechsel im Pauly Saal von Arne Ankers "Sergio Herman-Verspieltheit" zu beinharter französischer Klassik von Dirk Gieselmann klingt auf dem Papier mutig, enttäuschte aber auf nahezu allen Tellern. Besonders bei den herzhaften Gerichten scheint sich der neue Saal-Chef noch lange nicht eingespielt zu haben, durchzog das Menü doch eine Kette unterschiedlicher, aber erheblicher Makel, darunter eine misslungene Bouillabaisse, ein blasses Pilzgericht, kalte Tomaten und zumeist fehlende Würzung. In der aktuellen Form verliert sich das Restaurant in einer Brasserie-Beliebigkeit, die es in Berlin bereits zuhauf gibt – und dieses Schicksal wollen wir dem Pauly Saal nicht wünschen.

Den Bericht findet Ihr hier.

Die meisten Facebook-Likes

Victor's Fine Dining by Christian Bau***, Perl

Bei unserer Facebook-Community kam dieses Jahr besonders gut der Artikel über das Drei-Sterne-Restaurant von Christian Bau an – 921 Likes. 

Den Bericht findet Ihr hier.

Meistgelesener Bericht

Atelier***, München

Fazit: Jan Hartwig gelingt ein Kunststück, das nur wenige Spitzenköche hinbekommen: Seine Kreationen sind subtil und intensiv zugleich, elegant und trotzdem kraftvoll. Hier ist ein Koch ganz bei sich – aber noch längst nicht am Ende.

Den ausführlichen Artikel findet Ihr hier.

Produkt des Jahres

Kaviar

Vorurteile sind manchmal da, um mit einem fetten Ausrufezeichen bestätigt zu werden. Bei unserem Produkt des Jahres ist bisweilen auch mal Klotzen angesagt, nicht kleckern. Nach Jahren der Renaissance der bescheidenen Pfälzer Karotte von Bauer Horst direkt um die Ecke und dem neuen Kraut vom Waldspaziergang, über das vor wenigen Stunden noch ein Dachs gepinkelt hat, ist die nun die Zeit des Kaviars wieder angebrochen. Köche rund um den Globus haben das schwarze Gold wiederentdeckt und setzen es so vielfältig in Szene wie noch nie. Bei aller Diversität sind die allermeisten Chefs in einer Sache vereint: Kaviar hilft. Am besten gar nicht erst eine Nocke auf dem Gericht drapieren, sondern direkt die Dose zum selber Löffeln auf den Tisch stellen – das Land des Überflusses muss man beschreiten, Fresser der Welt! Sogar als Teil eines Desserts funktioniert ein ordentlicher Klumpen der dunkel schimmernden Fischeier hervorragend, wie eine Kreation aus der Küche des Amsterdamer 'The Duchess' zeigt. Ist zwar schlecht fürs Portemonnaie, bereitet aber soviel Fressfreude wie selten zuvor.

Positiver Trend des Jahres

Die Renaissance der Klassik

Ob es die allgemein unruhigen Zeiten sind, die den Blick zurück auf Altbewährtes lenken, oder einfach nur das Phänomen, dass etwas nur lange genug aus der Mode sein muss, um von der nächsten Generation neu entdeckt zu werden – die Klassik ist zurück. Und wir freuen uns! Denn natürlich gibt es keinen Grund dafür, warum oft über Jahrhunderte entwickelte Geschmackskombinationen und Zubereitungsarten von heute auf morgen komplett obsolet sein sollten. Auffrischen darf man sie aber schon. So, wie der Amerikaner Daniel Rose in seinen unglaublich erfolgreichen Restaurants in Paris und New York die Pariser Bistroküche entfettete und mit modernen Garungsmethoden ins 21. Jahrhundert überführte. Oder wie Torsten Michel, der als neuer Gralshüter der Schwarzwaldstube vor allem die Saucen von jeder Mächtigkeit befreite, ohne nur ein Iota an Intensität und Ausdrucksstärke einzubüßen. Besonders freut uns aber, wenn sich ganz der Avantgarde zugehörig fühlende Köche hier und da an einer Neuinterpretation eines Klassikers versuchen – und nicht scheitern.

Nervigster Trend des Jahres

Kalte Speisen

Wer schnell zum Millionär werden und sich dabei das berüchtigte Zu-heißer-Kaffee-Urteil gegen McDonalds zum Vorbild nehmen möchte, der meide besser die Sternegastronomie. Mehr als lauwarm begegnet einem da in den letzten Jahren selten. Selbst die Hauptgänge sind oft vor lauter Bastelei temperiert wie von der Kaltmamsell. Erstaunlich in einer Zeit, in der in den Topküchen sonst nichts dem Zufall überlassen wird. Textur, Mundgefühl, Umami, alles wird durchdacht und variiert. Nur die für Geschmack und Wohlbefinden so elementare Temperatur der Speisen rangiert maximal von kühl bis linde. Man muss es ja nicht wie in den 80ern angehen, als viele Teller noch einmal am Tisch solange auf dem Brenner durchgeglüht wurden, bis die Sauce am Porzellan klebte und der Fisch kurz vor well done war. Wie man es richtig macht, kann man bei Clemens Rambichler im Waldhotel Sonnora erleben. Heiss und aromenstark, dabei trotzdem auf den Punkt gegart, kommen die Hauptgänge auf den Tisch – den Gaumen freut es, und den Magen auch.

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