Restaurantkritik 12.Mai 2015

Große Küche im Grandhotel

Für die Kicker dieser Welt gibt es das WM-Orakel. Und für die Fresser dieser Welt? Inzwischen überlegen wir, eine astrologische Call-in-Sendung für Köche im Nachtprogramm zu schalten. Denn selbst wenn das bedeutungsschwangere Kartenlegen nicht unsere Stärke ist – beim Vorhersagen neuer Fixsterne am Michelin-Firmament durch passionierte Vielfresserei sind wir scheinbar recht treffsicher.

Die altmodische Methode hat sich auch beim Bord'Eau in Amsterdam bewährt. Schon nach unserem ersten Besuch 2013 im damals frisch besternten Restaurant prophezeiten sämtliche Geschmacksnerven, dass dort bald ein zweiter Stern aufleuchten müsste. Und siehe da: knapp sechs Monate später war es soweit und die Freude in dem eleganten Hotel groß.

Was uns an Richard van Oostenbrugges Küche begeisterte, war die unangestrengt wirkende Art, mit der er seinen klassischen Stil auf die Höhe der Zeit bringt. Nichts wirkte forciert, aber fast alles schmeckte schlüssig, spannend und verdammt gut. Für uns also kein Wunder, dass er sich innerhalb von zwei Jahren von null auf zwei Sterne hochkochte – ein mehr als willkommener Grund, dem Restaurant einen erneuten Besuch abzustatten.

Zur Auffrischung: Das Bord'Eau befindet sich im Hotel de L'Europe, einem imposanten historischen Bau, der durch seine Lage an der Amstel und dem Grachtenring fast wie ein altes Schloss mit Burggraben anmutet. Das Restaurant bietet einen nahezu meditativen Blick aufs Wasser und auf das Treiben auf dem gegenüberliegenden Muntplein. Die Atmosphäre ist angenehm entspannt, das Publikum eine Mischung aus internationalen Hotelgästen und ein paar Einheimischen.

Als Amuses lässt Richard van Oostenbrugge traditionell eine Reihe seiner Klassiker in Miniaturform servieren. Es geht los mit einer Hühnerbrühe mit Gemüse und Lavas. Die Brühe ist zimmerwarm und so stark reduziert, dass sie bereits leicht geliert und am Gaumen einen schönen Schmelz hat. Der intensive Geschmack wird durch kleine Gemüseelemente sowie die Stückchen von Lavas (ungesäuertes Fladenbrot) ideal ergänzt. Schön.

Es folgt Nordseekrabbe mit geräucherter Avocado und glasiertem Beignet: Unter den butterzarten, mit leicht geräuchertem Öl bepinselten Avocadostreifen versteckt sich würziges Krabbenfleisch sowie ein intensives Krabbengelee. Obenauf ein sensationelles Krabbenbeignet, bei dem es auf wundersame Weise gelungen ist, das Äußere trotz Glasur knusprig zu halten, während das Innenleben schön soft ist. Diese Mischung aus weichen, schmelzenden und krossen Elementen sowie die tolle Abstufung der Aromen ist nicht weniger als begeisternd – ein kleines Meisterstück.

Da kann die Auster mit Champagnersauce nicht mithalten. Eine klassische Kombination wird hier in komprimierter und konzentrierter Form auf den Teller gebracht. Die Jodigkeit der Auster und die feinen Säurespitzen vom Champagner (auch in Perlenform) ergeben ein sehr intensives, aber wenig differenziertes Gemisch. Am Ende bleibt es eine gute Auster mit einer ebensolchen Sauce.

Mit dem finalen Amuse begegnet uns eine Götterspeise vom letzten Besuch wieder: Kalbstatar in einem "Knochen" aus confierter Kartoffel mit saurer Sahne und Kaviar – und die Kreation kann uns auch diesmal begeistern! Die klassische Kombination wird hier in eine ideale Form gebracht, da man durch die Präsentation stets alle Komponenten zugleich isst – was zu einem in jeder Hinsicht vollmundigen Hochgenuss führt. Das Tatar ist perfekt gewürzt und nicht zu fein gehackt, die Kartoffel ideal bissfest, der Kaviar steuert jodige Frische bei. Besonders köstlich auch das obenauf liegende Crisp mit seidig schmelzendem Kalbsmark und leicht scharfem Schnittlauch. In Summe ganz einfach bzw. zweifach fantastisch.

Nicht ganz so überzeugt uns der erste Gang des Menüs: Amsterdamer Karotten mit Ingwereis sowie Karottenvinaigrette mit Zitrus und Honig. Das schmeckt erfrischend, fein, leicht und auch nicht schlecht ‒ vor allem das Ingwereis gibt einen gewissen Kick. Aber das Gericht erschließt sich sehr schnell, und für unseren Geschmack erinnert es zu sehr an ein herbes Dessert. Oder anders herum: Es fehlt an einer dunkleren Würze, die dem Ganzen mehr Tiefe und Erdung gibt.

Deutlich besser gefällt uns der Hummer im eigenen Jus mit Garam Masala und Mango. Der Geschmack des saftigen Hummerfleisches wird durch den Hummerjus (mit Corail) verstärkt und bekommt durch die Mangowürfel eine leichte, nicht zu süße Fruchtnote. Perfekt dosiert ist der Anteil an Garam Masala, einer Gewürzmischung, die schnell dominieren kann. Stattdessen setzt Oostenbrugge einen leicht exotischen, würzigen Akzent, der dem Gericht aromatische Tiefe verleiht. Den Hauch geeister und geriebener Foie gras obenauf hätten wir gar nicht gebraucht.

Ein absoluter Knaller ist dann die "Seeanemone" aus Jakobsmuschel mit Crumble vom schwarzen Trüffel und Sellerie und fermentiertem Ochsenschwanzjus. Unser Foto spiegelt die Kreation nur unzureichend wider – den vollen und komplexen Geschmack versuchen wir zu beschreiben: Röstnoten von der überraschend geschmacksstarken Muschel treffen auf die erdige Würze des Trüffels und die feine Süße des krossen Sellerie. Dazu ein dichter Fleischjus, der wie ein Katalysator für die ganze Aromenpracht wirkt.

Auf den Steinbutt à la Bordelaise mit Mangold, Knochenmark und Croûtons sind wir besonders gespannt, denn zumindest für einen von uns gehört Iglos "Schlemmer-Filet à la Bordelaise" bis heute zu den kulinarischen "guilty pleasures". Allerdings müssen wir lernen, dass die kultige Kruste des Tiefkühlfisches rein gar nichts mit dem Original zu tun hat. Sauce Bordelaise bezeichnet vielmehr eine Sauce auf Rotweinbasis. Auch wenn wir bei dieser speziellen Sauce keine Vergleichsgröße haben, schmeckt Richard van Oostenbrugges Version hervorragend und passt bestens zu der saftigen, gleichfalls geschmacksstarken Tranche vom Butt wie auch zum knackigen Mangoldgemüse.

Als besondern Clou versieht van Oostenbrugge den Fisch obenauf noch mit einer Art dekonstruierter Variation der "Garnitur à la Bordelaise". Bei dieser wird eine weiße Grundsauce mit blanchiertem Knochenmark und gehackter Petersilie ausgarniert. Hier sind die Croûtons und die Markwürfel eine schöne, knusprig-würzig-weiche Ergänzung zur dunklen Sauce. In Summe ist das sehr klassisch, aber auch sehr gut.

Richtig gut auch der Hauptang, Anjou-Taube mit Senfmiso, Shiitake und Gyoza von der Leber. Der kräftige Eigengeschmack der Taube wird durch die asiatische Einbettung wunderbar ausbalanciert, die Sauce hat ein gutes Maß an Würze, die winzigen Pilzköpfe setzen erdige Umami-Akzente. Besonders hervorzuheben sind Gyoza, eine Art chinesischer Maultaschen, die mit einer äußerst intensiven Leberfarce gefüllt sind – köstliche Aromenbomben. Aber trotz der intensiven Einzelkomponenten bleibt dieses Gericht erstaunlich (und angenehm) leicht.

Als Pré-Dessert gibt es abermals einen Klassiker: Grüner Apfel, Walnuss, Karamell. Als komplettes Dessert ist diese Kreation noch mit einigen anderen Komponenten versehen. Bei unser Mini-Version thront auf einer Art Biskuitboden mit Walnuss ein Zuckerapfel, dessen Kerngehäuse aus einem Apfelsorbet besteht. Das ist schön erfrischend, wenn auch recht simpel – lässt aber erahnen, wie gut die Vollversion ist.

Besser gefällt uns das alternative Pré-Dessert für unseren Allergiker: Manjari-Schokoladeneis mit Kaffee und Roquefort überzeugt durch die spannende und sehr gut austarierte Mischung der drei Zutaten. Das verbindende Element ist die leichte Herbheit, die sowohl die exzellente Schokolade als auch Kaffee und Roquefort auszeichnet. Duchstrahlt wird alles von einer angenehmen Süße. Eine sehr originelle Mischung aus Käsegang und Vordessert.

Auch beim eigentlichen Dessert versucht die Küche eine Verbindung von süßer und würziger Geschmackswelt. Ein "Trüffel" von Macaé-Schokolade wird mit Topinambureis und Spänen von schwarzem Trüffel serviert. Das funktioniert vor allem aufgrund der Menge für uns nicht so gut. Die Schokoladencrème im Inneren des "Trüffels" ist sehr mächtig und wird durch das Eis mit seinen erdigen Topinamburnoten nicht gerade leichter gemacht. In diesem Kontext wirkt dann auch der Trüffelgeschmack wie ein Killer. Die Idee an sich ist gut, und als kleines Pré-Dessert können wir uns diese Kreation gut vorstellen. Aber in dieser Dimension ist es uns zu viel des Guten.

Zum Kaffee reicht die Küche ein paar hübsche und vor allem leckere Petits Fours.

Es ist immer schön, wenn der Zweitbesuch in einem Restaurant mit dem ersten Mal mithalten kann. Auch wenn uns die erste Vorspeise und das letzte Dessert nicht ganz überzeugen konnten, wirkte das Menü im Bord'Eau diesmal noch pointierter und souveräner als vor zwei Jahren. Mit wenigen, aber exzellent ausgearbeiteten Komponenten auf dem Teller gelingt es Richard van Oostenbrugge, Spannung zu erzeugen, die sich nicht nach wenigen Gabeln verliert – eine sehr sympathische und souveräne Form kulinarischen Understatements. Wenngleich diese Methode durchaus Gefahr läuft, auf Dauer etwas zu gefällig zu wirken. Diesen Kritikpunkt hatten wir bereits letztes Mal geäußert, und wir würden uns auch diesmal wünschen, dass van Oostenbrugge hier und da etwas provokanter komponiert, anstatt auf Nummer sicher zu gehen – oder um bei Vorhersagen zu bleiben: Den dritten Stern sehen wir aktuell noch nicht, aber die zwei sind sehr solide.

Der Service war bei unserem Besuch hervorragend: freundlich und auf eine zurückhaltende Weise charmant. Besondere Erwähnung verdient Sommelier Jasper van den Hoogen, der uns nicht nur mit einer originellen Weinauswahl, sondern auch mit seinen leidenschaftlichen Präsentationen und den bildhaften, aber nicht prätentiösen Charakterisierungen der Weine begeisterte.

Fazit

Klassisch, köstlich, glücklich machend: Das Bord'Eau gehört für uns zu den festen Anlaufpunkten in Amsterdam.

Wein

NV Billecart-Salmon, Mareuil-sur-Aÿ, Frankreich

2011 Neumeister, Gelber Muskateller, Steiermark

2012 Ballot Millot, Meursault “Narvaux”, Frankreich

2013 Cervolès, Chardonnay & Macabeo, Costers del Sègre, Spanien

2012 Cantina Gorgo, "Cà Nova", Merlot & Corvina Veronese, IGT Veronese, Italien

2009 Château Lavillotte, Saint-Estèphe, Frankreich

2011 Domaine de la Bergerie, Anjou Blanc, Frankreich

Rosewood Vineyards "Chambers", Muscat, Rutherglen, Australien

Bols Corenwijn 6 years, Lucas Bols Distillery, Amsterdam

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