
Sorn, Bangkok – Feuer und Ice
Von Kai Mihm
Die Anfahrt gleicht einer Zitterpartie. Zwanzig Minuten hatte Google Maps für die Fahrt zum ‹Sorn› veranschlagt, nun steckt das Taxi seit einer halben Stunde im Bangkoker Verkehr fest und hat kaum die Hälfte der Strecke geschafft. Die Sache ist umso kniffliger, da das Dinner im ‹Sorn› für alle Gäste zeitgleich um achtzehn Uhr beginnt. Jetzt ist es Viertel vor. Ich verfolge jeden Meter auf dem Handy, Google-Maps meldet »außergewöhnlich viel Verkehr« – ach was!
Um es kurz zu machen: nach knapp einstündiger Fahrt setzt mich die freundliche Fahrerin um 18.13 Uhr vor dem Restaurant ab. Zum Durchatmen bleibt keine Zeit.

Das ‹Sorn› ist abseits des Verkehrschaos in einer kleinen Gasse gelegen, und wie so oft bei Bangkoker Spitzenrestaurants befindet es sich in einer eleganten Villa samt üppig begrüntem Garten. Ich wollte bereits vor einem Jahr hier speisen, aber da war das Restaurant für Renovierungsarbeiten geschlossen. Einige Monate später erhielt es den dritten Michelin-Stern, als weltweit erstes thailändisches Restaurant. Für mich bildet es diesmal den Abschluss einer dreiwöchigen Reise.
Zwei Sätze zur Historie: Inhaber und Küchenchef Supaksorn »Ice« Jongsiri wuchs an der Golfküste Südthailands bei seiner Großmutter auf, die, wie er oft betont, eine prägende kulinarische Instanz und Lehrmeisterin war. Nach einem Studium in den USA eröffnete er 2018 das ‹Sorn›. Daneben betreibt Jongsiri unter dem Namen ‹Baan Ice› mehrere legere Restaurants in Bangkok.

Bei einem Glas Champagner (Name nicht notiert) fällt der Anfahrtsstress von mir ab. Zeit, sich umzusehen. Das ‹Sorn› ist ansprechend gestaltet, mit viel dunklem Holz, einer halboffenen Küche und verglasten Außenwänden, die ein Gefühl der Transparenz und Durchlässigkeit vermitteln. Der Gästebereich verteilt sich auf mehrere Räume, wir sitzen alleine in einer Art Separée (im Bild ganz rechts erkennbar), was an Gepflogenheiten in Japan und China erinnert.
Ich bevorzuge eigentlich die Lebendigkeit eines größeren Gastraums, bin aber froh, überhaupt hier zu sein: das ‹Sorn› zählt nicht erst seit dem dritten Stern zu den schwierigsten Reservierungen überhaupt, mit einem Prozedere, das eher einer Bewerbung gleicht. Ich konnte zwar über eine Bekannte reservieren, erfuhr jedoch später, dass man vor der Zusage Erkundigungen über mich einholte.
Dass dieser eigentümliche Elitismus im Restaurant nicht beibehalten wird, zeigt sich bei der Ankunft: von Dünkel keine Spur, stattdessen ungezwungene Herzlichkeit – wie heißt es so schön in Helmut Dietls Kultserie ‹Kir Royal›: »Wer reinkommt ist drin«.

Wie in durchdachten Restaurants üblich, ist jedem Tisch ein Hauptkellner zugewiesen, der alles im Griff und die Wünsche der Gäste im Blick hat. Bei uns ist das eine charmante junge Frau, die seit der Eröffnung zum Team gehört (»Ich hatte mein Vorstellungsgespräch auf der Baustelle«). Anhand einer Landkarte erläutert sie kurz, dass das Menü (ca. 220 Euro) eine Hommage an die verschiedenen Regionen Südthailands darstellt.
Dass vor dem Essen die verwendeten Produkte präsentiert werden, kennt man zur Genüge – hier allerdings geschieht das vor jedem Gang. Angesichts der exotischen Zutaten macht das für ausländische Gäste durchaus Sinn. Für Thailänder – oder etwas kundigere Ausländer – könnte das ermüdend werden, doch die Erläuterungen sind kurz gehalten, das Visuelle steht im Vordergrund.
Die erste Präsentation gilt einer prachtvollen Tapei River Prawn (deutsch: Rosenberggarnele), Jasminreis, Sago, Korianderwurzel, Bird's Eye Chili, Knoblauch, schwarzem Thai-Pfeffer und Grüner Mango …

… Aus dieser Vielfalt wird ein kleines Amuse Bouche mit dem Titel »Let's Eat Rice« zubereitet: Auf einem krossen Sago-Cracker sind sanft gegrillte Garnelenstücke mit duftigem Jasminreis, Garnelenfett und diversen Gewürzpasten (Chili, Knoblauch, Koriander) angerichtet. Knusprig, saftig und cremig, entfaltet sich am Gaumen eine Geschmackswelt zwischen warmer Herzhaftigkeit, Süße und nachhallender Schärfe. Das schmeckt so quintessentiell »Thai«, als hätte man all meine Aromeneindrücke der vergangenen drei Wochen in einen einzigen vollmundigen Happen gepackt. Ein Gänsehautmoment – eine Götterspeise.

Nach der Präsentation handgetauchter Abalone wird in einer gläsernen Schale ein kleiner Kubus aus Würfelchen von Abalone, Schlangenfrucht und Grüner Mango serviert, der in einer Sauce aus unreifer Mangostan und Ho-Tai-Algen thront. Letztere steuern eine gewisse Würze bei, dennoch bleibt mir die Sauce zu süßlich. Mango und Schlangenfrucht unterstreichen das Fruchtig-Süßsäuerliche der Kreation. Der mild-nussige Geschmack der Abalone kann sich dagegen kaum durchsetzen, stattdessen fällt sie mit einer sehr festen Textur auf – leider ein häufiges Zubereitungsproblem bei diesem Meerestier. (Man möchte sämtliche Abalone-Köche zu David Kinch in die Lehre schicken, der daraus einen zarten Hochgenuss zaubert).
In Summe ist das auf harmlose Weise »gut«, Begeisterung kommt nicht auf.

Der nächste Happen mutet martialisch an, wie die essbare Skulptur eines prähistorischen Kampffisches. Tatsächlich handelt es sich um einen harmlosen Silver Sillago (deutsch: Nördlicher Wittling) aus den Gewässern vor Phuket, der mit Jakobsmuschelpüree, Kurkuma und gerollten Blättern der Ming-Aralia-Pflanze superkross frittiert wurde; als Sockel dient ein Tupfen Currypaste.
Trotz der mannigfaltigen Zutaten geht es hier vor allem um die Textur: der winzige Fisch scheint nur aus filigraner Hülle zu bestehen und ist dermaßen kross, dass man fast fürchtet, sich daran zu schneiden. Das »klirrende« Mundgefühl beim Zerbeißen ist einzigartig.
Handwerklich sehr beeindruckend, bleibt es geschmacklich etwas flach, mit einer leicht maritimen Note und einer dezenten Kurkuma-Pikanz; von den Ming-Aralia-Blättern schmeckt man absolut nichts, von der Jakobsmuschel eigentlich auch nicht. Ähnlich wie bei der Abalone bleibt das Gefühl, dass hier eine gute Idee noch optimierungsfähig ist.

Die folgenden Happen stehen unter dem Titel »Das Meer«. Auf drei blau-türkis gestalteten Steinguttellern, die mutmaßlich den Meeresgrund symbolisieren sollen, finden sich drei edle Meeresfrüchte: zartes, süßliches Scherenfleisch von roher Blaukrabbe wird von einem Hauch Ingwer, thailändische Sojasauce und einem säuerlich-pikanten Kumquat-Granité grandios nach vorne gebracht – für sich genommen eine Götterspeise.
Ein Stück sehr gute, festfleischige Languste aus Phuket, ebenfalls roh belassen, wird von geeisten Püree-Klecksen aus Mango, Wassermelone und Koriander fruchtig-frisch grundiert, während bei einer gekochten Babylonia-Meerschnecke eine Sauce aus Thai-Chili für den nötigen Pep sorgt – wobei die Schärfe der Speisen sich bislang in überraschend engen Grenzen hält, was bedauerlich ist, denn wenn man sich einmal an die Schärfe der Birds Eye Chilis gewöhnt hat (fast nur diese kommen in Thailand zum Einsatz), wird man regelrecht süchtig danach. Oder sind wir schon zu »abgehärtet«?
So oder so: Hervorragend ist das alles in jedem Fall.

Die nächste Petitesse bildet einen markanten visuellen Kontrast zum weißen Fleisch der Meeresfrüchte: Ein winziger Tintenfisch aus der Andaman-See, an einem Holzspieß serviert, ist mit einer tiefschwarzen Sauce aus seiner Tinte überzogen und mit einer Farce aus Aubergine, Langusten-Abschnitten und eingelegter Chili gefüllt. Drei winzige Chili-Scheiben setzen einen leuchtend roten Kontrast, machen sich geschmacklich aber kaum bemerkbar. Trotz der verhaltenen Schärfe schmeckt das ausgezeichnet: warm und vollmundig, bissfest und cremig, weniger nach Meer und Tintenfisch, sonder eher nach der sanften Bitterkeit der Aubergine.

Als Erfrischung – und theoretisch auch, um die nicht vorhandene Schärfe zu lindern – wird nun ein Sorbet von der Santol-Frucht serviert. Da ich versäume, ein Foto vom Sorbet zu machen, sieht man hier ein Bild der Produktpräsentation. Ich kannte Santol bisher nur als fruchtige Zutat in Currys, doch als Sorbet kommt ihr Geschmack viel besser zur Geltung – verführerisch süß und zugleich sauer, jedoch nicht auf schneidende Art, sondern sanft, fast »wärmend«. Ein Paradoxon. Eine neue Geschmackswelt.

Mit dem »Crab Stick« folgt ein oft fotografierter Klassiker des Hauses. Das Hinterbein einer Blaukrabbe ist dafür so ausgelöst worden, dass noch Körperfleisch daran hängt – vermute ich zumindest, denn das Hinterbein selbst hat üblicherweise kaum Fleisch. Es wurde gedämpft, gegrillt und üppig mit Schlammkrabbenrogen sowie Gelber Chilipaste überzogen. Das sieht sehr appetitlich und herrlich spicy aus, zum Reinbeißen gut.
Man greift das Bein wie eine kleine Hühnerkeule, und die erste Überraschung ist die gekühlte Temperatur, wo ich etwas Warmes erwartet hatte. Die zweite Überraschung ist das angenehm feste Krabbenfleisch und dessen intensiver, nussig-süßlicher Geschmack, der sich sogar gegen die dickliche Chilipaste durchsetzen kann – womit wir bei der dritten Überraschung wären, denn die Paste ist kaum scharf, sondern vielmehr fruchtig, fast wie Ketchup.
Genuss bereitet es trotzdem, das saftige Fleisch vom Knochen zu lutschen, und gerade als ich mich frage, warum es ausgerechnet hier im ‹Sorn› so mild zugeht, schlägt unvermittelt die Schärfe an – zeitverzögert, als hätte sie nur auf den richtigen Moment zum Zuschlagen gewartet. Es ist zwar kein loderndes Feuer, sondern eher eine wärmende Glut, doch sie tut gut, sehr gut sogar.

In diesem Moment kommt denn auch eine Suppe auf Basis von Melinjo-Blättern und Kokosmilch genau richtig, da sie mit ihrer nussigen, feinherben Süße die nachhallende Schärfe mildert. Diese Suppe, die man direkt aus der Schale trinkt, ist gleichwohl mehr als ein Nachgedanke – sie steht ganz für sich: heiß, aromatisch, elegant und einlullend wie flüssige Seide. Kleine Stücke von Kokosnussfleisch, getrockneten Garnelen und Tintenfisch verleihen dem Elixier Substanz und Komplexität. Diese Suppe berauscht mich mehr als alles andere bisher. Eine weitere Götterspeise.

Der folgenden Snack referenziert einen Streetfood-Klassiker, der vor allem zwischen Krabi und Yala an jeder Straßenecke angeboten wird: Gor Lae, ein Grillspieß, bei dem Hühnchenfleisch mit einer süßlich-scharfen Paste aus Kokoscreme und BBQ-Sauce überzogen ist. Im ‹Sorn› verwendet man statt Hühnchen Herzmuscheln. Um das maritime Umami zu verstärken, wird am Tisch getrocknete Abalone über die Spieße gerieben. Das passt auch insofern, als die Muscheln fast so kaubedürftig sind, wie die Abalone zu Beginn des Menüs, doch dank der sehr guten Sauce, die in typischer Thai-Manier sämtliche Geschmacksrichtungen vereint, schmeckt das immer noch sehr gut.

Thailändische Salate sind eine Welt für sich, der man bei Gelegenheit ein eigenes Kapitel widmen müsste. In der Königsklasse ist zweifellos Khao Yam anzusiedeln, ein farbenfroher südthailändischer Reissalat, der nun hier auf dem Programm steht.
Zunächst werden die Zutaten präsentiert, darunter Pomelo, Grüne Mango, Limettenblätter, Zitronengras, Gurken und Bohnensprossen. Nicht im Bild: diverse Gewürze sowie mit Kurkuma gedämpfter und anschließend sonnengetrockneter Reis.

Die kleingeschnittenen Zutaten kommen als malerisches Rondell auf den Tisch – im Volksmund wird Khao Yam auch »Regenbogensalat« genannt. Mit geschickten Handgriffen würzt unsere Kellnerin den Salat mit einer auffallend dickflüssigen Fischsauce (Nam Budu), vermischt das Ganze sorgfältig und richtet die Teller an …

… Das Ergebnis sieht nicht mehr ganz so malerisch aus, schmeckt jedoch sagenhaft. Saftig und knusprig, süßlich und umami, säuerlich und minimal pikant. Ein ganzer Strauß an Aromen, die man gemeinhin mit Thailand verbindet, wird hier gleichermaßen verdichtet und aufgefächert. Vor allem der sonnengetrocknete Kurkuma-Reis ist mit seinem luftigen Crunch ein Textur- und Geschmackserlebnis der besonderen Art. Götterspeise Nummer drei.

Der Hauptgang: Gemäß der thailändischen Traditionen steht hier nicht Fisch oder Fleisch im Mittelpunkt, zu dem man als Beilage Reis serviert, sondern umgekehrt bildet Reis den Mittelpunkt des Essens (im thailändischen Alltag sieht das meiner Erfahrung nach allerdings anders aus).
Tatsächlich gelingt es im ‹Sorn›, den Reis zu etwas Besonderem zu machen: Südthailändischer Jasminreis wird in Tontöpfen mit Mineralwasser über Holzkohle gedämpft, eine Methode, die den Reis nicht nur besonders locker und duftig macht, sondern auch dazu führt, dass die oberste Schicht Reiskörner am Ende senkrecht im Topf steht – »Tanzender Reis«, nennt unsere Kellnerin das augenzwinkernd.
Was die weiteren Speisen betrifft, muss man vorwegschicken, dass thailändische Küche (auch die gehobene) normalerweise family style genossen wird, mit zahllosen Schalen voller Köstlichkeiten, aus denen man sich nach Herzenslust bedient. Dieses Prinzip versuchen Restaurants wie das ‹Samrub Samrub Thai› und das ‹Sorn› mit westlich geprägten Menüfolgen in Einklang zu bringen.

So werden die Würzzutaten jedem Gast portionsweise serviert, als da sind: getrocknetes gelbes Curry, knusprige Schweineschwarte, süß eingelegte Garnelen, Som Hoak-Chilipaste sowie ein eingelegtes Wachteleigelb. Alles schmeckt fantastisch, insbesondere das cremige Eigelb, das durch Fischsauce sattes Umami und durch feinst gehackte Chili eine wahrhaft feurige Schärfe bekommt – zum ersten Mal an diesem Abend.
In einem tiefen Teller findet sich Rotes Curry zum Teilen sowie Rotschwanzwels mit knuspriger Haut und nussiger Stinkbohne (Notabene: der Name leitet sich von der zeitverzögerten Wirkung der Bohne her).
Ein Highlight bildet der dazu gereichte »Salat«: würzige Cashew-Blätter und Pfefferblätter, die man direkt vom Stängel pflückt, sowie herrlich krachende Schnitze von fester Roter Guave und Grüner Mango – erfrischend, würzig und bekömmlich. Auch dies ein sehr traditionelles Detail thailändischer Küche, das einem in reinen Touristenlokalen freilich kaum begegnet.

In zügiger Folge werden weitere »Beilagen« zum Reis serviert, allesamt zum Teilen gedacht.
Zunächst ein vorzügliches Garnelen-Omelette mit Schalotten und süßem Basilikum – außen knusprig, innen fluffig und intensiv nach sehr guten Garnelen schmeckend …

… Kurz darauf folgt eine Steingutschale mit geschmorter und gegrillter Rinderrippe auf Grünem Curry, das Fleisch so zart, aromatisch und fettreich wie Wagyu, das Curry samtig, leicht fruchtig, aber nur mäßig scharf – hier dürfte gerne mehr Feuer sein. Zum Glück kann man mit kleinen Chilischeiben (leider ohne Kerne) etwas nachhelfen.
Daneben steht ein Teller mit thailändischem »Roti«, einem blätterteigartigen, in der Pfanne gebackenem Brot, auch dies handwerklich perfekt und zur Currysauce ganz wunderbar.
Einen Teller mit köstlich gebratenem Wasserspinat, Abalone-Leber, getrockneter Jakobsmuschel und Garnelen vergesse ich leider ebenso zu fotografieren, wie die abschließende Pflaumensuppe, die ein weiteres Highlight bildet: gekocht mit Fischgräten, Hühnerbrühe, getrockneten Tomaten, getrockneten Jakobsmuscheln und eingelegten Pflaumen, ist sie ein Ausbund an tiefem Umami. Als Einlage findet man Stücke von über Holzkohle gegrilltem Stachelrochen.
Das alles ist in Summe nicht weniger als Weltklasse, ich bin von der Vielfalt überfordert und beglückt zugleich.
Trotz beträchtlicher Sättigung harre ich mit Vorfreude der Desserts.

Die erste Süßspeise variiert »Bi-Co-Moi«, ein populäres Dessert aus Phuket, bestehend aus schwarzem Klebreis, der mit süßer gesalzener Kokosmilch cremig eingekocht und mit leicht gesalzenem Kokosmilcheis serviert wird. Dazu gibt es eine Art gefüllten Pfannkuchen aus Taro, der in positiver Weise »klebrig« und leicht »mehlig« schmeckt, sowie einen exquisiten Cracker mit Cashewnüssen.
Mehr noch als die herzhaften Gerichte eröffnet dieses Dessert neue Geschmackswelten. Minimal salzige Süßspeisen begegnen einem in Thailand immer wieder, und hier wird dieser reizvolle Effekt durch ungewohnte Zutaten und Texturen erweitert. Absolut grandios. Eine weitere Götterspeise.

Auch das zweite Dessert balanciert meisterhaft zwischen Süße und salzigen Anklängen. Eine Kugel blumiges Longan-Sorbet wird mit Longan-Gelee, einem Lotuswurzel-Chip, gebratener Lotuswurzel und Lotus-Sagoperlen serviert. Die fremdartigen Texturen und Aromen sind im ersten Moment gewöhnungsbedürftig, verbinden sich aber schon beim zweiten Löffel zu einem faszinierenden Geschmacksbild, bei dem die Neugierde und die dezent gehaltene Süße dafür sorgen, dass man kaum genug davon bekommt. Ein verblüffendes Kokos-Eispuder schlägt die Brücke zu vertrauteren Aromen und rundet damit alles ab. Weltklasse, einmal mehr.

Das dritte Dessert bildet eine Reminiszenz an »Ice« Supaksorns Studienzeit in Boston, wo er sein Heimweh mit thailändischen Obstkonserven stillte: Unter einer Mangostan-Konservendose kommt eine geeiste Mangostan zum Vorschein, in der sich ein kleines Sorbet, ein Gelee sowie Fruchtfleisch meiner thailändischen Lieblingsfrucht finden.
Ein Text auf der Dose verbindet die biografische Notiz mit einer Information zur wirtschaftlichen Notlage der thailändischen Mangostanbauern, die aufgrund sinkender Exporte um ihre Existenz bangen. Um ein wenig zu helfen, kauft Jongsiri die Früchte in großem Stil auf und verschenkt sie jeden Tag an seine Gäste – so viele man möchte.
Diese Geschichten in diesem Moment zu lesen hat einen unerwartet berührenden Effekt – ich koste das kühle, träumerisch tropische Dessert, und muss direkt eine Träne wegdrücken.
Diese Süßspeisen-Trilogie zählt nicht nur zu den besten des Jahres, sondern zu den besten, die ich je probieren durfte.

Eigentlich könnte jetzt Schluss sein, und alles wäre perfekt. Doch es wird noch ein warmes Blech mit thailändischen Madeleines serviert, dazu heißer Milchtee zum Eintunken des Gebäcks. So exzellent das auch schmeckt, ist es in diesem Moment schlichtweg zu viel des Guten – ich schaffe mit Mühe ein Exemplar. (Überraschend ist die freundliche, aber bestimmte Weigerung, die übrig gebliebenen Teile zum Mitnehmen einzupacken)
Und es kommt noch mehr …

… Von einem elegant beleuchteten Petits Fours-Wagen sucht man sich diverse Kleinigkeiten aus, die ich nicht mehr im Detail notiere. Besonders gut munden ein fluffiger Kokosnuss-Pfannkuchen mit braunem Zucker, eine Zubereitung aus Klebreis, die an japanische Mochis erinnert und eine cremige Praline aus Kokosnuss mit gegrilltem Mais. So taucht man zum Abschluss nochmals in gänzlich neue Geschmackswelten ein …

… Und mit diesen Eindrücken im Kopf verlasse ich ein Restaurant, dass mich schlussendlich begeistern konnte, wo es zwischendurch nicht danach aussah. Am Ende waren die Zweifel verflogen, und auch für die leider sehr zurückhaltende Schärfe hatte unsere freundliche Kellnerin eine Erklärung parat: In der Regenzeit seien die Chilis wässriger und deshalb deutlich milder; der Küchenchef wolle jedoch die Rezepturen nicht verändern, weshalb der Schärfegrad sich mit den Jahreszeiten wandele. Das leuchtet ein, doch eine gewisse Vorsicht gegenüber den europäischen Gaumen dürfte wohl ebenfalls eine Rolle spielen (ähnlich erlebte ich das im ansonsten sehr authentischen ‹Samrub Samrub Thai‹).
Aber geschenkt, ich wurde von dieser Küche und ihren fremdartig-vertrauten Aromen verzaubert – und von der persönlichen Note des Küchenchefs fast zu Tränen gerührt. Und wie das hier mit den Chilis in der Trockenzeit ist, werde ich irgendwann auch noch herausfinden.

Für uns endet der Abend, wie er enden muss: in der angesagtesten Cocktailbar der Stadt. Die ‹Bar Us› befindet sich fünf Fußminuten vom ‹Sorn› entfernt und steht bei »Asia's 50 Best Bars« auf Rang 4. Die Gäste sind schick, die kreativen Drinks ziemlich gut. Trotzdem freue ich mich später auf ein eiskaltes Leo-Bier aus der Flasche – und morgen auf spicy Streetfood.
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