Restaurantkritik 26.März 2025

Rogan & Co. – Nachbarschaftsstern

Am Morgen nach dem epischen Abendessen im ‹L'Enclume› geht es zum Frühstück in Simon Rogans Zweitrestaurant Rogan & Co., das sich unmittelbar neben seiner kleinen Pension befindet. Der Gast bedient sich hier nicht von einem Buffet, sondern bekommt ein mehrgängiges »Frühstücks-Tasting« serviert, das unter anderem aus Pancakes und »English Breakfast« besteht – durchaus üppig, aber angesichts des frostigen Wetters genau richtig. Obwohl ich in gut zwei Stunden zum Lunch wieder hier sein werde, lasse ich nichts aus.

Beim anschließenden Spaziergang lande ich bei der gewaltigen gotischen Kirche des winzigen Cartmel. Daneben findet sich ein verwitterter historischer Friedhof, der aus einem britischen »Hammer»-Horrorfilm der Sechzigerjahre stammen könnte – im wahrsten Wortsinn unheimlich pittoresk. Das hat zwar nichts mit Essen zu tun, musste aber einfach rein.

Bereits im Vorfeld der Reise hatte ich das freundliche Angebot angenommen, der Gemüsefarm von Simon Rogan einen kleinen Besuch abzustatten, eine Möglichkeit, die wohlgemerkt jedem interessierten Gast offensteht (man kann dort, mit Reservierung, sogar Essen). Da es aufgrund der winterlichen Jahreszeit nicht viel zu sehen gibt, beschränke ich das Foto auf die umliegenden Schafsweiden.

Doch allein die Ausmaße des Areals (offiziell Our Farm genannt) mit weitläufigen Anbauflächen, diversen Gewächshäusern, Kompostieranlagen, Bienenstöcken, Naturteich und Hühnergehege sind beeindruckend. Das ist eine Farm, die diesen Namen auch verdient, und es ist bemerkenswert, dass Rogan diesen Betrieb schon lange vor der grassierenden Farm-to-table-Mode aufzog. Von hier aus wird denn auch nicht nur das ‹L'Enclume› beliefert, sondern sämtliche britischen Restaurants des Rogan-Imperiums (und auch das ‹Skof› in Manchester).

Anschließend geht es zurück ins fünf Autominuten entfernte Cartmel, zum Lunch im Rogan & Co.. Das Frühstück liegt zwar kaum zweieinhalb Stunden zurück, doch ich bin selbst überrascht, wie viel Appetit (und Durst) ich dank des Farmspaziergangs schon wieder habe.

Als ich das Lokal um zwölf Uhr dreißig betrete, ist wenig los. Das wird sich bald ändern. Der Raum ist sonnig-hell, das Ambiente gemütlich, die Atmosphäre freundlich – also ziemlich genau so, wie man sich das für ein legeres Zweitrestaurant vorstellt. Dass man sich hier seit 2019 mit einem Michelin-Stern schmücken darf, war der Anreiz meines Besuchs.

Die Speisekarte listet ein kleines Mittagsmenü aus zwei Gängen plus Amuses (45£) und ein größeres Menü (95£, ca. 112 €), das im Wesentlichen aus drei Gängen plus Amuses, Pré-Dessert und Petit Four besteht. Die Gänge stellt man sich aus jeweils vier Optionen selbst zusammen.

Nach dem Farmbesuch liest man die Karte durchaus anders, und es bereitet Freude, Produkte zu entdecken, deren Anbau einem kurz vorher erläutert wurde. Weintechnisch ist das Lokal solide aufgestellt, mit moderaten Preisen und zahlreichen Optionen im offenen Bereich, für diesen Mittag genau richtig.

Zur Begrüßung gibt es eine heiße, intensive Brühe aus Cipollini-Zwiebeln (nicht im Bild), gefolgt von einer filigranen Tartelette mit Rettich, Kräutern und einem süßsäuerlichen Gel sowie einem Roggen-Cracker mit Pilzcreme und Pilzpuder, beides erstaunlich fein gearbeitet, vollmundig und dennoch differenziert – diese drei Snacks hätten auch am Vorabend keine schlechte Figur gemacht.

Der erste Gang besteht aus einem Duck Leg Fritter, sprich: einer Art Krokette aus gepresstem Entenkeulenfleisch. Die quaderförmige Zubereitung ist außen kross und innen zart und saftig, das gezupfte Fleisch zerfällt förmlich. Dazu gibt es etwas Entenjus, dünn gehobelte, marinierte Rote Bete, deren edige Süße das deftige Entenfleisch sehr gut komplimentiert, sowie eingemachte Perilla für etwas duftige Frische. Das ist handwerklich alles makellos und geschmacklich ebenfalls sehr gut.

Der von mir gewählte Hauptgang, geschmortes Schulterblatt vom kumbrischen Rind, sieht der Vorspeise durch die quaderförmige Darreichung des Fleischs irgendwie ähnlich. Damit hat es sich aber auch schon, denn geschmacklich geht es hier tief in dunkle Umami-Welten, getragen von einer dichten, mit zarten Fleischwürfeln angereicherten Sauce, die so gut ist, dass ich mir ein kleines Töpfchen davon nachliefern lasse. Pastinake (braun gebraten und als Püree) sowie gedämpfte, süßlich-würzige Frühlingszwiebeln runden das Vergnügen ab.

Das Pré-Dessert besteht aus Sorbet und Schaum von Zucchini und Apfel, verfeinert mit kaltgepresstem Rapsöl des renommierten kumbrischen Produzenten Eden Yard. Erfrischend, leicht, nicht zu süß und originell genug, um Eindruck zu machen.

Mittlerweile ist das Restaurant längst bis zum letzten Platz gefüllt – an einem Donnerstagmittag. Auf dem Land. Man lässt es sich hier gut gehen.

Das Hauptdessert, gebackener Milchreis, wird am Tisch aus einer kleinen Kupferkasserole auf den Teller gelöffelt. Ich bin ein großer Fan von Milchreis, und dieser ist vorzüglich: Warm und cremig, mit bissfesten, intensiv aromatischen Reiskörnern und einem Hauch Vanille und Rosmarin. Ein exzellentes Milcheis, buttrige Mürbeteigbrösel und die herbe Säuerlichkeit von gedämpftem Yorkshire-Rhabarber vervollständigen dieses verfeinert-bodenständige Dessert.

Und weil das alles schon wieder so viel Spaß macht und mein vorbestelltes Taxi erst in einer halben Stunde kommt, schiebe ich einen Käsegang ein, mit drei Sorten aus dem Käseladen der Nachbarschaft. Exzellent allesamt.

Ein doppelter Espresso soll mich für die Zugfahrt nach Manchester fit machen. Dazu das Petit four in Gestalt eines Fruchtgummis aus Stachelbeere, Apfel und Ringelblume. Ich mag es sehr, wie hier die zuckrige Oberfläche der Süßigkeit mit dem aufgerauten Steingutteller korrespondiert. Geschmacklich ist die Petitesse sehr gut, aber als eigener Gang vielleicht doch etwas übertrieben kategorisiert.

Auf der Webseite bezeichnet man das ‹Rogan & Co.› als »Nachbarschaftsrestaurant». Auf die charmant-entspannte Atmosphäre und den Küchenstil trifft diese Charakterisierung vollkommen zu, und die Menschen scheinen es, trotz des relativ gehobenen Preisniveaus, genau so anzunehmen.

Es gelingt hier, den Geist von Simon Rogans Küche auf ein alltäglicheres Level zu skalieren. Die verwendeten Produkte sind teilweise die gleichen, wie im ‹L'Enclume›, auch das Ziel einer süffigen Zugänglichkeit ist deckungsgleich und wird lediglich rustikaler umgesetzt. Der Michelin-Stern ist vertretbar, wobei ein Vergleich mit dem identisch bewerteten ‹Skof› im nahen Manchester einmal mehr die mangelnden Differenzierungsmöglichkeiten bei nur drei Kategorien aufzeigt.

Solcher Überlegungen ungeachtet war das Essen eine Freude und der ideale Abschluss meines Trips, ich verlasse den malerischen Lake District satt und beseelt. Simon Rogans Küche vermisse ich jetzt schon. Gut zu wissen, dass er Restaurants in aller Welt betreibt.

Kai Mihm

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