
Parkheuvel – Blick zurück nach vorn
Von Kai Mihm
Rotterdam ist nach Amsterdam die zweitgrößte Stadt der Niederlande, doch bei der internationalen Szene der Essverrückten hatte sie nie eine vergleichbare Relevanz. Das ist nicht ganz gerecht, denn bei der Recherche für einen Kurztrip zeigt sich, dass es einige ansprechende Bistros und Weinbars gibt. Ansonsten glänzt die Stadt tatsächlich mehr mit avantgardistischer Architektur, als mit avancierter Küche. Das Renommee der wenigen Sternerestaurants reicht kaum über die Stadtgrenzen hinaus.
Eine namhafte Ausnahme bildet das ‹Parkheuvel›. 1986 von Cees Helder eröffnet, war es 2002 das erste Drei-Sterne-Restaurant der Niederlande – ein mir bis dato unbekanntes Detail. 2006 übernahm Erik van Loo das wegweisende Restaurant, seit 2009 hält er dort zwei Sterne. Das in modernem Art-déco-Stil gestaltete Gebäude befindet sich unweit des Zentrums im malerischen Het Park, einer der ältesten Parkanlagen Rotterdams (Parkheuvel heißt auf Deutsch »Parkhügel«).

An diesem sonnigen Donnerstagmittag ist die Atmosphäre gemütlich-entspannt, nur wenige Tische sind besetzt. Vom hellen, mit großen Glasfronten ausgestatteten Gastraum hat man einen Blick auf die Nieuwe Maas.
2026 wird das Restaurant sein 20-jähriges Jubiläum unter Erik van Loos Inhaberschaft feiern (und zugleich das 40-jährige Bestehen). Zu diesem Anlass, so erzählt der freundliche Patron bei einer Runde durchs Lokal, soll der Gastraum modernisiert und neu gestaltet werden. Zugleich wird sein Sohn Juliën van Loo, der schon länger an der Seite des Vaters arbeitet, allmählich die Küchenleitung übernehmen. Man mag es sentimental nennen, aber für mich haben solche familiär geführten Traditionshäuser stets eine besondere, berührende Aura.
Zum Essen: Neben mehreren Menüs kann man im ‹Parkheuvel› auch à la carte speisen, für uns soll es heute gleichwohl das volle Programm mit sechs Gängen sein (mit 205 Euro sehr moderat bepreist).

Zum Champagner (Pol Roger NV, ganz klassisch und damit gut zum Haus passend) werden drei erste Kleinigkeiten serviert.
Eine Art Macaron-Törtchen kombiniert hausgeräucherten Lachs mit Rote Bete, Apfel und Dill – ein klassischer Akkord, auffallend filigran umgesetzt: frisch und leicht, zwischen Erdigkeit, Süße und elegant-jodigen Räuchernoten changierend. Mehr als sehr gut.
Ein hauchdünnes Knusperröllchen aus Süßkartoffel ist mit Steak Tatar gefüllt und mit süßsäuerlicher Piccalilli-Sauce sowie feinherber Gartenkresse garniert. Etwas Za'atar-Gewürzmischung verschiebt das Geschmacksbild sanft in Richtung Nordafrika – originell, schmackhaft und erneut äußerst fein abgestimmt.
Nicht weniger stark ist eine Tartelette aus Brikteig, gefüllt mit Hühnerlebermousse, knusprigen Schalotten und hauchdünn geschnittenen Portobello-Pilzen, obenauf eine dünne Scheibe Hibiskus-Gel. Knusprig und zart, umami und erdig, schmeckt dieser vollmundige Snack nach herbstlichen Waldspaziergängen.

Es folgt ein Amuse-Bouche, das regelrecht »norddeutsch« klingt: Ein Salat aus eingelegtem Hering, Grünen Bohnen und Kartoffeln wird von einer Cornichon-»Bombe« mit Curry-Crisp getoppt, drumherum eine leichte Kräuter-Fischbrühe. Das schmeckt deftig und fein zugleich. Oder anders formuliert: Hier wird ein traditionell rustikales Geschmacksbild mit leichter Hand in die Spitzenküche überführt – ganz ausgezeichnet.
Bisher ist das alles von einer unprätentiösen Souveränität, Sorgfalt und Schmackhaftigkeit, die die Vorfreude auf das Menü anfacht.

Den Auftakt macht ein Hummersalat – was man nur als kokettes Understatement bezeichnen kann. Die Grundierung bildet zwar in der Tat ein cremiger, exzellent abgeschmeckter Hummersalat mit Pata Negra, als kleiner Kreis auf einer frischen Kräutercreme angerichtet. Der wahre Star des Tellers sind allerdings saftige, zarte Schwanz- und Scherenstücke des Hummers, die sich auf dem Salat unter einer Scheibe Wassermelonengelee verbergen. Nimmt man von allem etwas auf die Gabel, würzt der Salat das Hummerfleisch, verleiht ihm Fett, Pikanz und Süffigkeit. Das Melonengelee sowie frische Fingerlimette und eine schaumige Emulsion aus Crème fraîche und Wassermelone spenden Frische und runden dieses erstklassig-klassische Gericht ab.

Der nächste Gang präsentiert mit Foie Gras und Garnelen eine ungewöhnliche Kombination – ich kann mich nicht erinnern, das je gehabt zu haben. Auf einem Ring aus luftiger Gänselebercreme sind holländische Garnelen und winzige Radieschenschnitze drapiert – allein dieser Dreiklang aus fetter (aber nicht schwerer) Cremigkeit, zartem Garnelen-Biss und »krachender« Radieschen-Pikanz ist ein Hochgenuss. Wasserkresse, Zitrusgel, Umeboshi sowie eine feinsäuerliche Vinaigrette aus Rhabarber und Roter Grapefruit unterstreichen den erstaunlich leichten, frischen Charakter dieser Foie-Garnelen-Kreation, die das Zeug zu einem Signature Dish hat.

Das sehr hohe Niveau wird nicht verlassen. Eine saftige Tranche Nordsee-Steinbutt ist mit einer Creme aus Fischfond, Muschelsaft und Safran bestrichen und mit winzigen, superkrossen Kartoffelwürfeln überknuspert. Bereits das schmeckt in seiner komplexen Aromen- und Texturverdichtung herausragend. Doch es ist nicht alles. In einer schaumigen Sauce aus Fischfond und Sahne finden sich knackige Rübchenstücke, würziger Meerfenchel und fleischige Bouchot-Muscheln. In seinem unaufgeregten, süffigen Klassizismus ist dieses Gericht nicht weniger als meisterhaft.

Der nächste Gang wird als Klassiker Erik van Loos annonciert: Ein mit Bresse-Huhn gefüllter Raviolo dient als Sockel für einen exakt gebratenen Kaisergranat (heißt: im Kern nicht mehr halbroh), den man zusätzlich mit Fischjus glasiert hat. Am Tisch wird eine handwerklich mustergültige Hummersauce angegossen, intensiv, aber nicht überbordend. Zum Weglöffeln gut.
Beim Anschneiden kommt unter dem Raviolo noch ein Waldpilz-Duxelles zum Vorschein, welches die fantastische Berg-und-Meer-Kreation mit dunklem, dichtem Umami unterfüttert. Das Resultat ist ein üppiges, süffiges Wohlfühlgericht, in dem man sich mit Wonne verlieren kann.

Der Hauptgang rankt um Lamm. Ein Stück rosé gebratener Lammrücken, kernig-zart und angenehm deutlich nach Lamm schmeckend, ist von einer herzhaften Petersilienkruste bedeckt. Ein mit Minze aromatisierter Lammjus birgt gleichermaßen Umami und Frische. Weitere Komponenten sind eine knusprige Lammkrokette mit Bohnen sowie ein Quader von butterzart konfiertem Lammhals mit fermentiertem Knoblauch.
Neben diesem hervorragenden Fleisch-Dreierlei findet sich ein Stückchen Weißer Rübe und eine mit Senfkörnern gefüllte Silberzwiebel – ein bisschen Säure, ein bisschen Süße, ein bisschen zusätzliches Umami. Man könnte sich mit Details wie einer etwas zu intensiven Liebstöckelcreme aufhalten, doch das würde den Fokus unnötig von den klassischen Qualitäten dieses handwerklich wie kompositorisch mehr als überzeugenden Gerichts ablenken.

Nach einer kleinen Pause geht es ohne Umschweife zum Dessert. Dünn geschnittener, leicht bissfest geschmorter Rhabarber ist ringförmig in einem Saft von Holunderblüten angerichtet. Darauf sitzt eine wolkenzarte Mousse aus Opalys-Schokolade, garniert mit duftigen Kräutern, Blüten, Erdbeergel sowie einer Nocke Erdbeersorbet.
Beim Anschneiden der Mousse kommt eine überraschende Füllung aus Basilikumgel zum Vorschein, die das süßsäuerliche Ensemble um ätherische Frische bereichert. Als nicht unbedeutendes Aperçu reicht man separat eine Mini-Waffel mit frischen Erdbeeren und Opalys-Crème. Ganz wunderbar.
Bemerkenswert auch – und kaum zu glauben –, dass es hier im ‹Parkheuvel› keinen ausgewiesenen Pâtissier gibt, sondern Erik und Juliën van Loo selbst für die Desserts verantwortlich zeichnen. Man erlebt selten, dass dies zu so überzeugenden Ergebnissen führt.

Mit einer Petits-Fours-Auswahl, bei der vor allem das Canelé de Bordeaux gefällt, klingt ein Menü aus, das ich in dieser durchgehend hohen Güte zugegebenermaßen nicht erwartet hatte. In einer Zeit überambitionierter und medial omnipräsenter Restaurants tut es gut, einen Ort zu besuchen, der die Definition eines klassischen »Gourmetrestaurants« bilderbuchmäßig erfüllt: wo sorgfältiges Handwerk, hervorragende Produkte und souveräne Kompositionen zu purem Wohlgeschmack führen – ohne dass darum viel Zirkus gemacht wird. Man kocht hier einfach gut. Sehr, sehr gut.
Mit dem annoncierten Generationenwechsel wird das auch noch eine Weile so gehen. Die heutigen Gerichte zeigen, dass man sich der Traditionen bewusst ist, zugleich aber nach vorne schaut – hier vom »Parkhügel« aus vielleicht ja auch wieder über Rotterdams Stadtgrenzen hinaus.
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Wein

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Nick van den Heuvel
1. Anzahl der Positionen?
325.
2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Haupsächlich Burgund.
3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Der günstigste Wein: Haut Sarthes Bergerac 2022 (€45,-), der teuerste Wein: Château Petrus 2012 (€5.500,-)
4. Die ungewöhnlichste Rarität?
Morey-Saint-Denis »Clos de Tart« (€1050.-), von dem an nur eine Flasche pro Jahr bekommt.
5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
St. Martinus Parkheuvel Cuvée special 2022 (€75,-).
6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Giró Ros »Can Gelat« 2021 (€55,-).
7. Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Domaine Leflaive Puligny-Montrachet 1er Cru »Les Pucelles«, 2018.
8. Was war der ungewöhnlichste Weinwunsch, den Sie je von einem Gast erhalten haben?
Der seltsamste Wunsch war die Frage nach einem roten Chardonnay ...

