Restaurantkritik 26.Juni 2024

Sonnora, Teil 1: von Kaviar, Piraten und schnurrenden Katern

Sie hat mittlerweile etwas Vertrautes, diese Fahrt über geschwungene Eifelstraßen, dann rechts abbiegen, vorbei an einem verwitterten Tennisplatz den Hügel hinauf, dann nochmal rechts, wo einen das berühmte Sandstein-Monument mit der güldenen Aufschrift ›Waldhotel Sonnora‹ empfängt. Manche Dinge dürfen sich nicht verändern.

Der Weg war nicht weit, wir kommen aus dem ›Weinhaus Schanz‹, wo man uns am Vorabend ein phänomenales Menü servierte. Wie traumhaft, zwei so exzellente Restaurants so dicht beieinander zu wissen. Dazu später mehr.

Die Zimmer im ›Sonnora‹ waren leider ausgebucht, weshalb wir in Wittlich wohnen, was sich als glückliche Fügung erweisen soll (auch dazu später mehr). Im Restaurant ist glücklicherweise noch etwas frei. Ein paar wenige Tische werden an diesem Mittag unbesetzt bleiben, was der ansteckend positiven Energie im Lokal keinen Abbruch tut – die sofort spürbare Atmosphäre beim Betreten eines Restaurants, dieser erste Eindruck, der nur selten trügt, wäre einmal eine eigene Betrachtung wert.

So weit ist das heute alles die Rückkehr an einen lieb gewonnenen Ort. Neu ist für uns lediglich die Anwesenheit von Spitzen-Sommelier Marco Franzelin, der vormals im ›Vendôme‹ und zuletzt bei Andreas Caminada für die "liquiden Mittel" verantwortlich war. Das kann lustig werden. Die Weinbegleitung ist damit jedenfalls gesetzt, auf den Mann ist Verlass. Die Sidebottle haben wir selbst mitgebracht (Tement, Zieregg »IZ Reserve« 2006 – ganz groß). Vielversprechend liest sich auch das »Menü Sonnora«, da muss nichts angepasst werden. Nur ein Stück Torte hätten wir bitte gerne noch dazu.

Herr Franzelin hat gerade den Aperitif ausgeschenkt, da erreicht schon der erste Snack den Tisch: eine Tartelette von marinierten Crevettes-Rosé mit Koriander, Meerrettich und Limette – eine Petitesse, deren Feinschliff die Crevetten mit subtiler Schärfe und milder Fruchtsäure »freistellt« und spannungsreich ergänzt. Exzellent.

Als nächstes gibt es eine Croustade vom schottischem Label-Rouge Lachs, dessen natürliche Süße von einem dichten Kürbisschaum aufgegriffen wird. Ein Hauch Lavendel setzt verblüffende Akzente, etwas Muskatnuss, roher Kürbis und vor allem ein paar Tropfen steirisches Kernöl steuern herbere Noten bei. In Summe ist uns das eine Spur zu süßlich und zu mundfüllend cremig, ein süffiger Spaß bleibt es trotzdem.

Fantastisch abgestimmt ist ein Amuse aus mariniertem Taschenkrebsfleisch, das mit gelierter Krustentieressenz in Scheiben von sehr aromatischer Avocado gehüllt ist und von einem hauchdünnen Knusperblättchen bedeckt wird. Der Klassische Akkord aus Krustentier und Avocado wird hier in Sachen Würze und Feinjustierung zu einer seltenen Perfektion getrieben – was sicherlich auch mit einer neckisch nachschärfenden Wasabi-Vinaigrette zusammenhängt, die dem Ganzen den nötigen Kick verleiht. Krabbensalat »superdeluxe«, wenn man so will.

Es folgt ein Klassiker des Hauses, ein Schälchen mit gelierter Ochsenschwanz-Essenz, darauf besonders fetter Sauerrahm »double«, der genau die richtige Basis bildet für eine ordentliche Menge N 25-Caviar »Kaluga Edition«, der durch sechsmonatige Reifung besonders komplex und kraftvoll schmeckt. Die Mischung aus Rinderumami, Milchfett und salziger Jodigkeit entwickelt am Gaumen eine luxuriöse Wucht, die uns förmlich umhaut. Im Grunde ist dieses Gericht ein Schwesterstück zur Rindertatar-Kaviar-Torte, nur ohne Rösti – und genau so etwas Knusperndes fehlt uns hier als Kontrapunkt im sehr weichen Geschmacksbild. Ein kleiner Schönheitsfehler, der freilich nichts an der ausgezeichneten Güte ändert.

Nach den kühlen, kräftigen Kleinigkeiten folgt ein Küchengruß von beruhigender Wärme und eleganter Milde. Auf einem kleinen Eierstich ruht ein Stück sanft gegarter Eifeler Bachforelle mit bretonischen Algen, Salicornes und erfrischenden Zitrusaromen. Ein paar winzige Knusperteilchen liegen auch noch auf dem Fisch. Am Gaumen spielt sich ein erstaunlicher Verlauf von zartschmelzend (Eierstich) zu etwas fester (Fisch) zu bissfest (Salicornes) ab, dabei fächern sich superelegante Aromen zwischen sanft, forsch und fruchtig auf. Trotzdem hat man nie das Gefühl einer forcierten »Cleverness«, es passiert einfach. Stark.

Zum Auftakt des Menüs gibt es den ›Sonnora‹-Klassiker schlechthin, die kleine Torte vom Rinderfilet-Tatar mit N25 Caviar auf knusprigem Kartoffelrösti. Über den Zauber dieser Götterspeise wurde von uns bereits alles gesagt. Betont sei lediglich noch einmal der betörende Verlauf von heißem Rösti zu kühlem Tatar und kaltem Kaviar.

Bleibt noch Raum für etwas Hintergrundwissen, zum Beispiel, dass das verwendete Rindfleisch nicht gereift und wenig marmoriert sein sollte, damit das Tatar Biss hat und nicht schmierig wird. Als Würze kommen, ganz klassisch, scharfer Senf, eine Prise feinst geschnittener Schalotte und Kapern dazu. Die schneeweiße Cremeschicht besteht aus einer Mischung von klassischer Crème fraîche und noch fettreicherer Crème fraîche d'Isigny, angerührt mit Salz, Cayennepfeffer und feinst geschnittener Schalotte. Essenziell ist natürlich die Zubereitung des Rösti, aber das würde hier zu weit führen. Die Basis für heimische Nachkochversuche dürfte dennoch gegeben sein. Dass das alles à la minute zusammengebaut werden muss, versteht sich von selbst.

Weiter im Menü: Jakobsmuscheln aus dem französischen Atlantikstädtchen Dieppe werden mit Gänseleber und Périgord-Trüffel in zwei Gängen serviert.

Den Anfang macht eine gekühlte Variante, bei der rohe Jakobsmuschelscheiben eine kreisrunde Scheibe Gänseleberterrine bedecken und mit Stiften vom Périgord-Trüffel bedeckt sind. Dieses üppige Ensemble an Edelprodukten wird durch roh marinierte Pflaume und eine cremige Limonen-Marinade fabelhaft aufgelockert, dazwischen knuspern kleine, hauchdünne Teigblättchen. Es ist die reine Freude. Die klassische Kombi St. Jacques/Foie gras/Trüffel bekommt hier ganz neue Facetten, das »Klassische« wirkt auf einmal sehr modern, und das Charmante besteht in der Lässigkeit, mit der es an Tisch kommt, als hätte man so ein Gericht mal eben aus der Lameng gemacht.

Beim zweiten Gang zum Thema wird es noch besser. Verlockend goldbraun geröstete Jakobsmuscheln sind »Façon Rossini« mit kross gebratener Gänseleber und jeder Menge gehobeltem Trüffel angerichtet. Da ist die Hitze, die gaumenschmeichelnde Üppigkeit und die turbulente, zum beherzten Schmackofatzen animierende Anrichtweise… ganz wunderbar.
Damit das alles nicht zu mollig wirkt, hat Rambichler noch saftige Kopfsalat-Herzblätter dazugegeben, und die buttrigen Schaumsauce mit einem straffen Yuzu-Jus unterfüttert. Man geht an diesen Teller ran und kann erst wieder aufhören, wenn alles weg ist. Ein fantastisches Gericht zwischen Fülle und Filigranität.

Trotzdem ist diese Zwei-Gang-Eröffnung sehr, vielleicht sogar ein bisschen zu gehaltvoll, weshalb uns die im Hintergrund laufende Musik-Playlist gewissermaßen zur Hilfe kommt: Marco Franzelin hatte zu Beginn des Mittags angekündigt, dass er jedes Mal, wenn der Zufallsgenerator seinen Lieblings-Hass-Song »Country Roads« spielt, den Gästen ein Glas »Linie Aquavit« anbieten werde – nun ist es soweit... und wir sind erstaunt, wie gut der strenge Kümmelschnaps zu Jakobsmuschel und Trüffel passt.

Derlei gestärkt kann es weitergehen. Laut Menü gibt es Hummereintopf, eine kokette Untertreibung. Konkret sind die mundgerechten Segmente eines gegrillten Hummerschwanzes wechselweise mit roh marinierter Endivie und sanft geschmortem Chicorée angerichtet. Der Hummer kommt aus dem Atlantik vor der Küste von Saint-Malo, mit anderen Worten: allerbeste Qualität. Die belebenden Bitternoten der Salate beflügeln nicht nur das saftige Fleisch des Hummers, sondern lassen auch die samtige, mit Lauchöl verfeinerte Krustentiersauce fast schwerelos erscheinen. Etwas eingelegte Birne steuert charmante Fruchtsüße bei. Ein Traum. Die Sauceneinlage aus Saubohnen und Buschbohnen rechtfertigt die Bezeichnung »Eintopf«, wenngleich dieser herzhaft-fruchtig-frische Teller dafür natürlich viel zu feingliedrig schmeckt. Kurzum: Das beste Hummergericht seit langer Zeit, vielleicht sogar eines der besten, die wir je probieren durften.

Und es geht immer so weiter… jetzt mit Steinbutt aus der Vendée, eine kompakte Tranche, die mit seidiger Beurre Rouge und schaumiger Champagnersauce eigentlich ganz für sich stehen könnte. Damit gibt die Küche sich natürlich nicht zufrieden und packt belgische Flusskrebse sowie eine schöne Nocke N25 Kaviar obendrauf. Zwei, drei Stangen asiatischer Minispargel (Bitterstoffe!) und ein bisschen Spinat dazu, fertig ist ein erneut grandioses Gericht, das mustergültig Clemens Rambichlers Kunst veranschaulicht, luxuriöse Großzügigkeit nicht protzig, und süchtig machende Süffigkeit nicht plump wirken zu lassen. Man hat immer das Gefühl, dass das jetzt in diesem Moment genau so sein muss – so und nicht anders.

Nach einer kleinen Verschnaufpause überrascht man uns mit einem Extragang. Butterzart geschmortes Kalbsbäckchen wird von bemerkenswert aromatischen Frühlingsmorcheln, weißem Spargel, und diversen Gartenkräutern bedeckt. Letztere sind von entscheidender Bedeutung, denn sie verleihen dem Gericht eine sommerliche Leichtigkeit, die auch den Appetit beflügelt. Der Teller strahlt einen regelrecht an, als fordere er zu beherztem Zugreifen auf. Zwischen mürbem Fleisch, Pilzen und Gemüse schmecken wir einen Hauch Orange und etwas Sherry – duftiges und dunkles. Ganz wunderbar.

Angesichts der Portionen könnten wir jetzt noch einmal ein »Country Roads«-Intermezzo vertragen, aber der verdammte Song kommt einfach nicht mehr.

Beim Hauptgang fahren wir zweigleisig. Einmal gibt es Challans-Ente aus der renommierten Zucht von Gérard Burgaud. Ein perfekt rosé gebratenes Bruststück ist von kernig-zarter Struktur und kräftigem Geschmack, die knusprige Gewürzhaut darf man als Referenz an Helmut Thieltges verstehen. Ein dunkler Jus aus den geschmorten Entenkeulen verbindet sich mit einer Ingwer-Pflaumenessig-Hollandaise zu einem magischen Elixier – Umami, Buttrigkeit, Frucht und Frische, es ist alles da. Auf dem Teller finden sich außerdem noch wilder Brokkoli und Pak-Choi (da sind sie wieder, die belebenden Bitternoten), Selleriecreme (überflüssig) und ein phänomenaler Mini-Kartoffelkloß mit Füllung aus Entenklein. Besser kann man das alles nicht machen.

Dann ist da noch Lamm, genauer: Limousin-Lamm, Koteletts davon, über japanischer Binchotan-Holzkohle gegrillt, saftig, krustig, fettdurchzogen und besonders intensiv im Geschmack. Die erfreulich dick geschnittenen Teile baden in einem Jus von Lammzunge und Lammkopf mit Zwiebeln, Oliven und frischen Kräutern … das ist so dicht, so unfassbar dicht ... dass es fast Dichtung ist. Ein grandioses Kartoffelpüree à la Robuchon dient als Saucenträger, obwohl ich beides lieber getrennt weglöffele.
In einem Extraschälchen finden sich Ravioli vom Lammbauch, auch diese so gut, wie es nur geht. Geradezu genial kommt in diesem Kontext eine kleine Schlüssel gemischter Salat, dessen säuerliche Frische die dunkle Aromenwelt wie ein Fixstern aufhellt.

Natürlich tauschen wir zwischendurch die Teller, und am Ende herrscht Uneinigkeit, welcher der beiden Hauptgänge nun grandioser ist. Wir einigen uns auf ein Patt – und sollten eigentlich eine doppelte Götterspeise ausrufen.

Wir sind nach diesen rauschhaften Hauptgängen noch nicht ganz da, als das erste Dessert den Tisch erreicht – ein Extragang der Pâtisserie aus Gariguette-Erdbeeren mit Rhabarber, Gartenkräutern und Staudensellerie. Ja, genau, Staudensellerie. Die Idee, dieses strenge Gemüse in einem Dessert zu verarbeiten, haben wir erstmals vor knapp zehn Jahren im ›Aqua‹ kennen gelernt. Dort war es ungenießbar. Hier funktioniert das etwas besser, weil der geeiste Sellerie von einem süßen Gartenkräuter-Eis und saurem Rhabarbergranita in Schach gehalten wird. Die Erdbeeren spielen in dieser eisigen Gemengelage allerdings keine größere Rolle mehr. In Summe ist das ein spannendes Experiment, aber kein Vergleich zu dem, was hier sonst so aus der süßen Abteilung kommt …

… zum Beispiel ein Dessert aus süßsäuerlicher Monreal-Clementine, die mit wundervoller Thaibasilikum-Eiscreme, fluffigem Zitronenthymian-Schaum und kitzelndem Madagaskarpfeffer in einer ausgehöhlten Clementine serviert wird. Am besten geht man einmal mit dem Löffel ganz durch, dann öffnet sich am Gaumen ein Aromenstrauß zwischen Südeuropa und Südostasien, unglaublich frisch zwischen Säure, Süße und Schärfe oszillierend, sogar ein bisschen Bitterkeit ist dabei. Groß, ganz groß.

Das Hauptdessert nennt sich im Menü geschmorter Apfel und Blätterteig, sprich: eine »Tarte Tatin«, natürlich meisterhaft umgesetzt, mit filigran knusperndem Boden und kräftig karamellisiertem Apfel. Dazu gibt es verführerisch-warmen Salzbutterkaramell und Rahmeis mit duftigem Calvados. Ein Dessert zum Schwelgen, auch weil es mit leichter Wärme spielt, was im süßen Bereich noch immer viel zu selten geschieht. Eine Art Cremetörtchen von Mandel und Tonkabohne mit etwas Apfel bräuchte es da gar nicht mehr, aber wer will angesichts solcher Köstlichkeit noch meckern?

Zu den Petits Fours wird leider immer noch nicht »Country Roads« wiederholt, also muss statt Aquavit ein doppelter Espresso für Ordnung sorgen, denn die kleinen Schweinereien der Pâtisserie wollen wir uns nicht entgehen lassen: köstliche Opéra-Schnitten, seidenzarte Schokomousse-Pralinen mit Himbeere, knusprige Eisröllchen mit Himbeere und Rosmarin, fluffige Beignets mit Schokoladenkern, üppige Topfenknödel mit Nougat und Aprikose, karibisches Kokos-Mango-Sorbet mit luftiger Pina Colada, außerdem kleine Erdbeertartelettes und Zitronentartes.
Wir probieren alles – und wirklich alles ist herausragend. Wem das nach glückseliger Übertreibung klingt, war noch nie hier.

Das war ein schlaraffiges Fest. Schon wieder, nach dem vorherigen Abend in Piesport ... Es ist immer wieder faszinierend, in direkter Folge bei zwei Meistern ihres Fach zu essen. Bei ›Schanz‹ und ›Sonnora‹ drängt sich natürlich ein Vergleich auf – wobei es dabei nicht um ein »besser« gehen kann, sondern nur um die Frage, wie perfekt die unterschiedlichen Ausprägungen dieser Küchen sich ergänzen. Die Gerichte im ›Schanz‹ haben in ihrer unglaublichen Klarheit die Präzision eines Laserschwerts, und wenn Thomas Schanz der reflektiert in sich ruhende Luke Skywalker der jüngeren Drei-Sterne-Generation ist, dann ist Clemens Rambichler ein abenteuerlustiger Jack Sparrow, mit Schalk im Nacken und steter Lust an unorthodoxer Improvisation. Beider »Yoda« war Helmut Thieltges.

Am Ende muss ohnehin jedes Restaurant immer ganz für sich und einen eigenen Geist stehen. »Sonnora«, das klingt irgendwie nach einem zufrieden schnurrenden, vollgefressenen Kater. So wie wir. Also ab ins Hotel nach Wittlich, für ein kleines Nickerchen. Das Auto lassen wir stehen. Holen wir dann abends ab. So zumindest der Plan. Denn es kommt anders, völlig anders. Mehr dazu im zweiten Teil.

Kai Mihm

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