
Stüva, Ischgl – Lokalmatador
Beim Skiort Ischgl denkt der gemeine Tourist weniger an gehobene Gastronomie, als vielmehr an ausgedehnte Abfahrten und ausufernde Aprés-Ski-Orgien – »Hopfen und Malz erleichtern die Balz«, titelte schon vor Jahren die FAZ. Doch es gibt sie auch in Ischgl, die Toprestaurants.
Neben der ‹Paznaunerstube› im Luxushotel Trofana Royal ist da vor allem das ‹Stüva› im Boutiquehotel Yscla (rätoromanisch für Ischgl), wo der Juniorchef selbst am Herd steht: Benjamin Parth, ein Heinz-Winkler-Schüler, dessen Küche wir erstmals im Februar 2020 probierten und schwer begeistert waren (einen Bericht gab es damals nicht, da Ischgl kurz darauf eher pandemisch als gastronomisch für Schlagzeilen sorgte).
Jetzt aber. Bereits vor der Sternevergabe des Guide Michelin war das ‹Stüva› das höchstdekorierte Restaurant der Region. 2022 erhielt Benjamin Parths Küche satte 19 Punkte vom Gault&Millau, entsprechend hoch dürften die Sterne-Erwartungen gewesen sein.
Wir sind einige Wochen vor der Michelin-Gala vor Ort und man spürt – wie in allen ambitionierten Restaurants in Österreich – die Nervosität. Zu diesem Zeitpunkt ist schon bekannt, ob man im Guide aufgeführt wird, schließlich müssen die Infos und Daten eingeholt werden. Die Frage lautet vielmehr: »Wie werden wir am Ende abschneiden?«

‹Stüva› ist der rätoromanische Begriff für »Stube« oder »Wohnzimmer«, wobei das Restaurant eher nüchtern gestaltet ist, mit klaren Linien, kühlem Licht und Holztischen in »Momo«-Grau; dunkler Parkettboden sowie rustikal holzvertäfelte Wände und Decken wärmen die Atmosphäre etwas auf, doch alpine Wohlfühlstimmung kommt noch nicht auf. Wir sind sehr früh dran und daher die ersten Gäste.
Da es ein festes Degustationsmenü gibt, bleiben in dieser Hinsicht keine Fragen offen. Die Unverträglichkeiten sind bekannt, eine Sidebottle von der umfangreichen, weitgehend moderat kalkulierten Weinkarte ist auch schnell ausgesucht, Chassagne-Montrachet 1er Cru »Les Caillerets« der Domaine Jean-Marc Pillot (2021) zu 115 Euro, was ziemlich genau dem aktuellen Ladenpreis entspricht.

Zunächst ein Glas Champagner zum Aufwärmen (Laurent-Perrier »Gand Siècle«). Dann steht auch schon ein Küchengruß auf dem Tisch: In einem kleinen Becher findet sich unter gelbem Curryschaum und zarter Blumenkohlmousse ein seidiges Krustentiergelee. Man geht mit dem Löffel einmal ganz durch, es schmeckt wohltuend warm und überraschend kräftig, nur erweist das Curry sich schnell als dominant. Zudem geht die Assoziation bei gelbem Curry für uns unwillkürlich in Richtung indischer Imbiss und ‹Curry 36›. Das ist natürlich subjektiv, und ansprechend bleibt diese Petitesse trotzdem.

Das zweite Amuse kennen wir vom letzten Besuch, damals noch als eigener Gang serviert: Ein Filetstück vom Seesaibling ist auf der Haut gebraten und mit Enzianschaum auf flaumigem Kartoffelpüree angerichtet. Fertig. Da ist die Güte des Fischs mit seiner besonders krossen Haut, dazu das samtige Püree, aufgebrochen von der edel-bitteren »Wurzeligkeit« des Enzian – sehr stark. Bemerkenswert zudem die Temperatur: in vielen avancierten Restaurants muss man froh sein, wenn ein Gericht halbwegs warm auf den Tisch kommt. Hier nun ist alles nicht nur »warm«, sondern richtig schön heiß – ein seelenwärmender Wow-Effekt. Zu Recht ist das ein Signature Dish.

»Hitze« ist auch das Stichwort beim ersten Gang des Menüs, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Und das geht so: auf dem Teller präsentiert sich ein stattlicher Carabinero mit lediglich einem Löffelchen Beurre blanc, einem Hauch Dill und etwas Malossol-Kaviar (sprich: nur leicht gesalzener Kaviar). Uns gefällt die radikale Reduziertheit sehr gut, und von den Produkten her bildet der Teller einen schönen Kontrast zum »alpinen« Saibling.
Die Crux liegt in der Temperatur, denn der Carabinero ist: kalt. Und zwar nicht aus Versehen, sondern mit Absicht. Für uns funktioniert diese Idee überhaupt nicht, und dabei spielt womöglich auch das Setting eine Rolle, denn im verschneiten Ischgl einen kalten Carabinero zu essen, bereitet keine große Freude. Angenehm warm – oder heiß! – serviert, wäre der Effekt mit Sicherheit ein ganz anderer.

Ähnlich reduziert kommt eine Kreation um Gänseleber auf den Teller. Ein quaderförmiges Stück Terrine präsentiert sich mit buttriger Schnittfestigkeit und am Gaumen mit austarierter Würze und sattem Schmelz. Obenauf finden sich eine dünne Schicht Champagnergelee, ein sanft orientalisch gewürztes, fruchtig-säuerliches Chutney sowie kleine Brickteig-Kreise für crunchige Textur – und zwar so angerichtet, dass man bei jeder Gabel ein Scheibchen Knusprigkeit mitnimmt. (Optisch erinnert uns das an ein Gericht aus dem Chicagoer ‹L2O›)
Ich könnte nicht sagen, wann ich – im deutschsprachigen Raum – zuletzt Gänseleberterrine im Menü hatte (auch sonst fällt mir nur das ‹Ritz Restaurant› in London ein). Jedenfalls: Das ist handwerklich makellos und kompositorisch klassisch, in einer puren und leicht aufgepeppten Zubereitung. Fast wirkt bzw. schmeckt das Ganze ein bisschen zu »gediegen«, funktioniert in sich aber gut.

Weiter geht es mit Hummer. Ein saftiges Stück des Krustentiers ruht mit Granny-Smith-Apfel und Staudensellerie in einem tiefen Teller unter schaumiger Yuzu-Sauce. Die Qualität des Krustentiers ist von einer Güte, wie man sie in einem Restaurant dieses Niveaus erwarten darf (aber keineswegs immer bekommt). Die aromatische Einbettung changiert zwischen deutlicher Säuerlichkeit, Frucht und den herberen Noten vom Sellerie – alles gaumenschmeichelnd, aber auch etwas monoton und am Ende eine Spur zu zitrisch-parfümiert und säurebetont.
Inzwischen hat sich das Restaurant etwas gefüllt … gut gelaunte Gäste, angenehmer Service: das ist der anfangs recht nüchternen Atmosphäre sehr zuträglich.

Es folgt ein oft fotografiertes Signature dish von Benjamin Parth: ein sanft gegartes Stück Heilbutt wird von hauchdünnen, akkuratest angerichteten Avocadoscheiben bedeckt, drumherum eine sattgrüne Estragonsauce, in der sich ein Ragout aus Saubohnen und Saiblingskaviar verbirgt.
Der Erfolg dieser Kreation wundert uns nicht, denn sie schmeckt nach wie vor hervorragend, was sich tatsächlich in erster Linie dem Zusammenspiel des festfleischigen, aber feingliedrigen Fischs mit der ideal gereiften Avocado verdankt, deren Fruchtfleisch am Gaumen bei aller Buttrigkeit immer noch leichten Widerstand leistet. Saubohnen und Kaviar bringen texturelle Abwechslung ins Spiel und und setzen erdige, leicht salzige Akzente. Die abermals geschäumte Sauce frischt das Ganze auf, wenngleich die ausgeprägte Estragonwürze auf Dauer zu dominieren droht.

Nach dem eigenen Klassiker serviert Benjamin Parth einen Klassiker des legendären Philippe Rochat: »Oeuf Surprise«. In einer Hülle aus gewickelten Spaghetti verbirgt sich ein in Spinat gebettetes Eigelb, dazu eine Trüffelsauce und gehobelter weißer Alba-Trüffel. Eigentlich ist das eine Zusammenstellung, bei der nichts schiefgehen kann: süffig, üppig, cremig und luxuriös; handwerklich aufwändig, aber doch ganz »lässig« anmutend.
Ich schneide die Konstruktion an … und leider ist das Eigelb nicht mehr so flüssig, wie es idealerweise sein müsste, um lasziv auszulaufen. Dafür hat der Spinat eine deutliche Prise zu viel Salz abbekommen. Es schmeckt immer noch »ganz gut«, aber das Zusammenspiel an Ungenauigkeiten ist bedauerlich, denn dieser Rochat-Klassiker könnte auch »göttlich« sein.

Ein weiteres Fischgericht kombiniert ein Stück sanft gegarter Seezunge mit Artischockenpüree, hervorragender Madeirasauce und einigen Juliennes von schwarzem Trüffel. Das ist absolut klassisch – und absolut gut. Der Fisch von tadelloser Güte, die Sauce von süffiger Komplexität, der Trüffel nicht protzig drübergehobelt, sondern als feine Würzzutat eingesetzt. So macht das Spaß.

Der Hauptgang: Entenbrust, in dünne Tranchen geschnitten, wird lediglich mit Feigenjus und einer Petersilienpraline serviert. Diese verkapselte grüne Kugel wirkt in ihrem Molekular-Modernismus fast schon anachronistisch, dennoch ist das Ganze durch die recht fruchtig-süßliche (diesmal nicht aufgeschäumte!) Sauce zur Ente abermals ziemlich klassisch, gerade zusammen mit den knuspernden »Pommes allumettes« (Kartoffelstroh). Nicht überzeugen kann bedauerlicherweise die Fleischqualität: die Haut ist zwar schön gebräunt, doch wir vermissen eine Fettschicht, und speziell im Vergleich mit der herausragenden Ente im ‹Rote Wand Chef's Table› fehlt es dem Fleisch an Struktur und Geschmack.

Etwas Käse vom Wagen nehmen wir gerne, wenn sich schon mal die rare Gelegenheit bietet (in Österreich glücklicherweise noch häufiger als in Deutschland). Die Auswahl überlasse ich weitgehend dem sympathischen Service – das passt schon alles.

Das erste Dessert präsentiert sich ebenfalls recht klassisch: ein sehr cremiges, hochintensives Vanilleeis mit Baiser-Crumbles, »buttrigen« Mangowürfeln und warmer Passionsfruchtsauce. Das macht Freude, und hier haben wir ihn wieder, den wohligen Effekt von Hitze im Dessert, kombiniert mit kühlen und knuspernden Elementen – sehr gut.

Mit dem abschließenden Dessert schließt sich ein Kreis zum Beginn des Menüs: ein cremiger Riegel aus Amalfi-Zitrone und Champagner sieht aus wie der süße Bruder der Foie Gras-Terrine und ist ebenfalls mit einer Art Zitronenchutney verfeinert; neben dem Hauptteller findet sich die ansprechende Kombination variiert auch in einer Extraschale (also Sorbet und Schaum). Zitrone und Champagner, das ist vielleicht nicht sehr aufregend, aber leicht und erfrischend. Mehr muss man da gar nicht sagen.

Zu guter letzt noch ein paar Pralinen, beide gut, Details notieren wir nicht mehr.

Erst als wir später noch einmal das Menü durchgehen, realisieren wir vollends, wie klassisch das alles im Ansatz war: Gänseleber mit Chutney, Ente mit Feige, Zitrone mit Champagner – das klingt regelrecht altmodisch. Es ist denn vor allem auch die konsequent reduzierte Umsetzung, die das Menü zeitgemäßer wirken lässt, wenngleich es diesmal deutlich schwankender war als vor knapp fünf Jahren.
An einer Wand im Foyer des Lokals hängen die gerahmten Bewertungen und Platzierungen diverser Guides und Rankings. Die Einstufung der Michelin-Inspektoren mit zwei Sternen dürfte eine gewisse Enttäuschung gewesen sein, denn dass man hier ganz hoch hinaus und mehr als der Lokalmatador sein will, daran besteht kein Zweifel. Aber dafür müsste man – von den kleinen technischen Rutschern abgesehen – noch ein bisschen mehr wagen. Von einem »Wunderkind« schreibt der Michelin, aber ein bisschen »Zauberlehrling« ist vielleicht auch noch dabei.

Für uns endet die Nacht in Ischgl, wie sie enden muss … Der Name des Etablissements spricht für sich, das Image ist bekannt. Mehr muss man da nicht sagen. Morgen geht es weiter Richtung Lech. Irgendwann. Zum Glück ist der Weg nicht allzu weit.
Kai Mihm
Wein

Fragen an die Suffmeisterin (a.k.a. Sommelière) Sarah Parth
Anzahl der Positionen auf der Karte
Insgesamt 550 bis 600 Wein- und Champagnersorten.
Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Unser Weinsortiment ist sehr International, passend zu unserer international ausgerichteten Küche, wir haben auch ein schönes Sortiment an österreichischen Weinen. Beginnend bei den Klassikern aus Frankreich, dem Burgund, Bordeaux, Jura, Rhonetal, Languedoc etc. Italien, Griechenland, Ungarn, Kroatien, USA: California…, Südafrika, Argentinien….unser Weinkeller Celerina ist einer der größten und am besten sortierten der österreichischen Alpen.
Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche und was kosten sie?
Die preiswerteste Flasche ist ein Riesling Wagram vom Weingut Fritsch in Österreich für € 47,- die teuerste ein Montrachét 2017 von der Domaine de la Romanée Conti für € 9.081,-.
Die ungewöhnlichste Rarität?
Wir haben mehrere Flaschen eines sehr seltenen griechischen Weins: von der Estate Argyros, den 2020 Assyrtiko, Cuvée Monsignori aus Santorini, der selbst in Griechenland schwer zu bekommen ist. Ein weiterer unserer seltenen Schätze ist der Tresterbrand Marc de Bourgogne von Romanée Conti.
Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Im Gourmetrestaurant Stüva ist der meistverkaufte Wein der Meursault-Blagny La Pièce Sous Le Bois 1er Cru von Benjamin Leroux.
Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Das ist das österreichische Weingut von Pia Strehn, die auf sehr gute Roséweine spezialisiert ist. Pia ist auch der Name einer unserer Töchter, deshalb bin ich auf ihre Weine zuerst aufmerksam geworden, die Qualität hat mich so überzeugt, dass wir seitdem mehrere ihrer guten Roséweine im Sortiment haben.
Ihr persönlicher Lieblingswein? Weshalb?
Ich habe tatsächlich keinen Lieblingswein. Welches Glas Wein ich wann am liebsten trinke, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, ich kann mich da unmöglich festlegen. Nur eines haben alle Weine gemeinsam: sie sind ausgezeichnet.
Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie je konfrontiert wurden?
Das war weniger der Weinwunsch an sich, der ausgefallen war, sondern vor allem die Umstände, unter welchen die Flasche gekauft wurde: Vor ca. 10 Jahren ist an einem späten Montagabend kurz vor dem Zusperren noch ein Gast gekommen, der wissen wollte, welcher unser bester Jahrgangs-Masseto sei. Nach erhaltener Auskunft hat er den Wein gekauft und ist wieder gegangen. So eine Flasche kostet immerhin über 1.000 Euro, die mal einfach so mitzunehmen, das war schon sehr außergewöhnlich.