Produkt und Präzision
Dass München zur spannendsten Genussmetropole Deutschlands avanciert ist, haben wir bereits vor Jahren attestiert. Von Fine Dining bis Wirtshaus scheint dort ständig etwas interessantes zu passieren. Inzwischen würde sogar im preußischen Berlin kaum noch jemand bestreiten, dass man hier im Süden kulinarisch ganz oben steht, plus den bajuwarischen Charme (Ausnahmen bestätigen die Regel, wie der betont desinteressierte Bartender bei meinem Sundowner in der ‹Bar Mural› beweist).
In diesem umtriebigen Umfeld nimmt das ‹Sparkling Bistro› mittlerweile fast die Stellung eines Klassikers ein. Wir waren zuletzt vor drei Jahren in dem äußerlich unscheinbaren Restaurant in der wenig pittoresken Amalienpassage. Dort hat der ‹Sparkling›-Inhaber Jürgen Wolfsgruber vor einigen Monaten ein Zweitrestaurant für österreichische Hausmannskost eröffnet, ‹Das Tschecherl›. Wir kommen an dem reizvoll wirkenden Lokal vorbei, es ist brechend voll.
Das besternte ‹Sparkling Bistro›, mit seinem retro-modernen Industrial-Chic, wird an diesem Donnerstagabend zwar nicht ausgebucht, im Lauf des Abends aber gut besucht sein – nicht nur wegen der schöneren Atmosphäre freut uns so etwas immer sehr. Wir nehmen in einer gemütlichen Sitzecke im hinteren Bereich Platz. Es gibt nach wie vor ein festes Menü (190 €), das man durch »Signature«-Gerichte erweitern kann. Beim Wein hat sich seit dem letzten Besuch eine Menge getan, die Karte präsentiert sich deutlich erweitert und vertieft, die Kalkulation ist weitgehend trinkfreundlich.
Den Auftakt zum Aperitif bilden zwei Tartelettes, bei denen sich exemplarisch zeigt, wie bedeutsam das Detail der Teigstärke ist: Wir haben da eine Tartelette mit exzellentem Carne Cruda (vulgo: Rindertatar) und Hanfsaat auf hauchdünn knuspernden Teig, der ideal mit der Textur der kleinen Fleischstücke und dem etwas festeren Saatgut zusammenspielt. Bei der zweiten Tartelette, diese mit sechs Jahre gereiftem Gouda, ist der Teig eine Spur dicker, um die cremige Kraft des Käses auszubalancieren; ein Stücken süße Chilli rundet das Ganze wunderbar ab. Zwei kleine Meisterstücke, es lässt sich nicht anders sagen.
Beim Amuse begegnet uns ein alter Bekannter: »Erste Tomaten« mit Nussbutter und Maggikraut, eine leicht lauwarme Kreation, die das Umami und die milde Säure der Tomaten mit dem molligen Aroma der gebräunten Butter vereint, intensiviert vom dezent eingestreuten Liebstöckel. Die Kreation ist von betörender Simplizität, aber nicht »simpel«, denn hier kommt es auf exakte Proportionen und sogar den Schnitt der Tomaten an. Letztes Mal war das eine Götterspeise, doch diesmal fehlt es dazu an wirklich vollreif-aromatischen Tomaten – man ist an diesem Frühsommertag schlichtweg etwas zu früh dran. Die »letzten Tomaten« werden sich bestimmt besser eignen. Großartig bleibt das trotzdem.
Das Menü startet mit Terrine von ungestopfter Foie gras de Biarritz von außerordentlicher Qualität. Die mild gewürzte Terrine ist perfekt temperiert (sprich: nicht zu kühl), der typische, leicht süße Lebergeschmack auffallend delikat. Eine dünne Schicht Süßweingelee bildet einen klassischen Mitspieler, ein feinherbes Mispelkompott und etwas Vinaigrette lockern das Ganze auf. Den Clou bilden einige Pfifferlinge, sehr klein, sehr knackig und mit ihrem »waldigen« Geschmack ein entscheidender Konterpart zum süßlichen Schmelz der Leber. Das ist alles sehr leise, sehr subtil, und trotzdem voller Spannung. Mehr als hervorragend.
Der zweite Gang stellt gebratene Steinpilze aus dem österreichischem Kobernaußerwald in den Mittelpunkt. Wolfsgruber serviert sie mit frischer Kopfsalatcreme, elegant-säuerlicher Meyerzitrone und leicht bitteren Moosbeeren, dazu Nussbuttersauce, das passt immer. Konzeptionell ist das ein großartiges Gericht, nur fehlt es den Steinpilzen an ausreichendem Eigengeschmack um sich in dem kräftigen Ensemble zu behaupten. Die edlen Wildpilze sollten eigentlich der Hauptdarsteller sein, werden hier aber zum Trägermaterial für die üppigen Mitspieler. Gut ist das immer noch, aber längst nicht so gut, wie es sein könnte.
Es folgt ein Gericht von der Extrakarte, Agnolotti Piemontesi mit Kalbsfüllung und Fonduta. Mit Pasta bekommt man mich immer (womit ich freilich nicht alleine stehe – wer bitteschon mag keine Pasta?). Aber wie soll das auch anders sein, wenn das Nudelhandwerk so makellos ist, die umamigesättigte Füllung so ideal balanciert, der Jus so köstlich. Ich werde nicht müde zu betonen, wie sehr ich derartige Gerichte in der deutschen Spitzengastronomie vermisse – und zwar nicht nur Teigtaschen, sondern auch Spaghetti, Penne, Tagliatelle …Hier nun verleihen fein geriebene Pinzgauer Schotten der süffigen Pasta einen rauchigen Kick, wobei ich mir pfeffrige Belper Knolle noch passender vorstellen könnte (Alba-Trüffel sowieso). Doch das sind geschmäcklerische Petitessen, die nichts entscheidendes an dieser Götterspeise ändern würden.
Das Niveau lässt nur wenige Millimeter nach, bei einem prachtvollen Exemplar von bretonischem Hummer. Der ausgelöste Schanz des Krustentiers ruht lauwarm in einem klaren, mit Feigenblatt aromatisierten Tomatenauszug, flankiert lediglich von einer Nocke Artischockenpüree (die fast überflüssig wirkt). Ich habe früher gerne damit kokettiert kein Hummerfan zu sein, doch Gerichte wie diese belehren mich eines besseren: Eine großartige Produktschau, bei der Nussigkeit und Süße des Hummers, die klare Frische der Tomaten und der feinherbe Touch des Feigenblattes eine kongeniale Harmonie bilden.
Brutal puristisch mutet der nachfolgende Gang an. Eine Thalkirchner Zucchiniblüte ist mit Hecht von der renommierten Fischzucht Birnbaum farciert und liegt in einer »Mojo Rojo« (wenngleich diese eher orange ist). Das sieht toll aus, erweist sich aber als etwas fad. Das meint nicht die angenehm pikante Sauce, und Zucchiniblüten schmecken sowieso immer nach nichts, sondern die Hechtfarce, der es an Pep und auch an Fluffigkeit fehlt. Nach der göttlichen Pasta und dem delikaten Hummer wirkt das fast wie ein Ausreißer.
Von diesem Tief geht es beim Hauptgang rasant nach ganz oben: Es gibt gegrilltes »Txogitxu«-Rind, das aus dem Salzkammergut stammt, den baskischen Exemplaren aber in nichts nachsteht. Das rare gegarte Fleisch hat Biss, ist trotzdem zart und außerordentlich voll im Geschmack, intensiv »tierisch«, aber nicht streng – besseres Rindfleisch haben wir kaum je gegessen. Dazu gibt es hervorragenden Grünspargel aus dem Blajais, dünn aufgeschnittene Zunge, dunkel glänzenden Rinderjus und vor allem ein herrliches Stück gefüllten Ochsenschwanz. Womit der gefüllt ist habe ich vergessen, aber völlig egal, denn es schmeckt umwerfend gut. Ein Hauptgang rund um Rind, welch eine Seltenheit – und eine Götterspeise.
Besondere Erwähnung verdienen die dazu servierten Dauphinekartoffeln, heiss, goldbraun, fluffig und leicht knusprig – so unfassbar gut, dass wir sie auch alleine zur Götterspeise erhoben hätten.
Wir schieben einen kleinen Käsegang ein, denn dieses Menüs darf noch nicht enden. Es gibt ein Stück exzellenten Rohmilch-Époisses von Affineur Waltmann. Weitere Erläuterungen dürften unnötig sein.
Das Dessert: ein verführerisch fruchtiges Sorbet von Mieze-Schindler-Erdbeeren und ein süßlich-herbes Hafergras-Sorbet sitzen auf Wiener Savarin mit Chantilly. Dieses Zusammenspiel von Üppigkeit und Frische, von fluffigem Teig und wolkiger Sahne, mit einem Hauch Vanille und dem ungewöhnlichen Touch vom Hafergras beschert uns Dessertgenuss auf höchstem Niveau.
Das können wir vom zweiten Dessert, Marillenpalatschinken von der Extrakarte, leider nicht sagen. Das Problem sind hier nicht die Palatschinken selbst, die sind makellos. Nur wurden sie vor dem Servieren mit reichlich flüssiger Butter überglänzt, wodurch sie fettig und glitschig schmecken. Der Grund dieser Darreichung ist nostalgischer Natur und geht auf die Oma des Küchenchefs zurück. Wir haben vollstes Verständnis für den Einfluss solcher Kindheitserinnerungen, doch unser Fall ist das hier trotzdem nicht.
Dafür munden die Petits Fours wieder sehr gut. Neben Erdbeer-Pate fruit und (etwas zu dunklen) Madeleines von der Marcona-Mandel begeistern insbesondere die knusprig-karamellisierten, innen teigig-weichen Canelé de Bordeaux.
Die große Stärke des ‹Sparkling Bistro› liegt in zwei miteinander korrespondierenden Aspekten: exzellente Produkte und ein präziser Fokus bei deren Inszenierung – nicht »pur«, aber sehr »klar«. Hier wird nicht geklotzt und mit wuchtigen Aromen geprotzt, die Opulenz findet sich im sorgsam herausgearbeiteten Geschmack der Hauptprodukte. Diese Herangehensweise birgt natürlich Risiken sobald eine Tomate oder ein Steinpilz nicht ganz so hervorragend sind, doch bei den meisten Gängen des heutigen Menüs ging die Rechnung auf.
Es gibt im kulinarisch reichen München die Traditionalisten und die Modernisten, das ‹Sparkling Bistro› liegt irgendwo dazwischen, ganz eigen, zwischen Österreich und Frankreich. Eine rare Mischung. Nächstes Mal probieren wir dann auch ‹Das Tschecherl› aus, da laufen wir gerade wieder dran vorbei, und da ist immer noch was los.
Kai Mihm