Samrub Samrub Thai – Feinstes Streetfood Dining
Für »Fine Dining« im westlichen Sinne ist die thailändische Küche eigentlich kaum geeignet, denn man serviert hier für gewöhnlich keine Degustationsmenüs, sondern tischt »Streetfood« oder »Family Style« auf, mit zahlreichen Schalen voller Köstlichkeiten, aus denen sich jeder Gast nach Herzenslust bedient. »Alle zusammen« statt »jeder für sich« lautet das Motto – denn ein Festmahl schmeckt noch besser, wenn man es teilt.
Natürlich macht die kulinarische Internationalisierung vor einer Millionenstadt wie Bangkok nicht halt. Zahlreiche gehobene Restaurants versuchen, die thailändische Garküchen- und Tafelkultur in eine westlich orientierte Menüform zu übertragen. Vor allem dem zweifach besternten ‹Sorn› und dem besternten ‹Samrub Samrub Thai› soll das hervorragend gelingen, Leider ist das ‹Sorn› während meiner Bangkokreise geschlossen, aber im ‹Samrub Samrub Thai› klappt es. Ich bin gespannt.
Ein schnelle Recherche fördert zutage, dass Inhaber und Küchenchef Prin Polsuk seine Karriere im legendären ‹Mandarin Oriental Bangkok› begann und später Küchenchef in David Thompsons ‹Nahm› war. Ab 2015 veranstaltete er kulinarische After-Work-Treffs für Kollegen, aus denen drei Jahre später ein Restaurant hervorging, das 2022 an seinen jetzigen Standort umzog. Dort erhielt das ‹Samrub Samrub Thai› einen Michelin-Stern, doch ausgebucht war das kleine Tresenlokal wohl schon immer. Auch ich konnte mir nur durch eine freundliche E-Mail einen Platz sichern.
Um kurz vor 20 Uhr, wenn das zweite »Seating« beginnt, warten vor dem unscheinbaren Restaurant in einer Seitengasse des Sala Daeng-Viertels die Gäste bereits auf Einlass. Außer zwei amerikanischen Hochzeitsreisenden (und mir) sind das ausschließlich Thais. Dann öffnet sich die Tür, der Empfang ist herzlich und informell, ein junger Mitarbeiter delegiert die Gäste zu ihren Plätzen, entweder am grauen Holztresen oder an einem der drei (weniger attraktiven) Tische im hinteren Bereich. Die Stimmung ist sehr lebendig, fast freundschaftlich.
Ein Blick in die Weinkarte: die Auswahl ist sehr klein, sehr teuer und auch sonst wenig reizvoll. Also erstmal ein thailändisches Craft-Bier aus der Dose, eiskalt, erfrischend und bestens zur zwanglosen Atmosphäre passend.
Das wechselnde Menü steht derzeit unter dem Titel »Fischermann Samrub – eine Ode an die Menschen des Meeres (Urak Lawoi) und der Küste«. Zur Begriffserklärung: »Samrub« bezeichnet eine Speisenzusammenstellung mit Reis, bei den Urak Lawoi handelt es sich um ein indigenes Volk von den Inseln Südthailands.
Während Chef Prin angeregt mit Gästen plaudert, beginnt in der offenen Küche eine junge Crew unter dem wachsamen Auge seiner Ehefrau und Partnerin zu arbeiten. Zeitgleich stellt eine Köchin reihum einige Produkte des Menüs vor – eigentlich ein ermüdendes Ritual, das hier aber angesichts zahlreicher fremdartiger Gewächse einen frischen Reiz bekommt. An dieser Stelle erfährt man auch, dass Prin Polsuk nicht zuletzt auf uralte Traditionsrezepte verschiedener Regionen zurückgreift, die er vor dem Vergessen bewahren will.
Auch ein Snack steht bereits auf dem Tresen, in Form eines Chips aus Seetang und Elritze. Das sehr knusprige Teil schmeckt intensiv nach Meer und erhält durch eine Gewürzmischung aus Zimt, Kardamom, Pfeffer und Chili einen tiefen Geschmack und eine anregend pikante Note.
Wenig später startet das eigentliche Menü, mit Fingerfood: In einem großen Betelblatt findet sich Salat von Raed-Mango mit Krabbenfleisch, gewürzt mit Chilimarmelade und gerösteter Kokosnusspaste. Man verspeist das wie einen Taco, und aus den verschiedenen Zutaten entwickelt sich eine säuerlich-herber, saftig-frischer Geschmack, leicht jodig vom Krabbenfleisch, süßsauer von der Mangosorte und ätherisch-pfeffrig vom Betelblatt. Auf seltsame Weise schmeckt das vertraut und doch ganz anders als alles was ich kenne. Das Gegenstück zu dieser »hellen« Geschmackswelt bilden knusprig frittierte Garnelenstücke. Sehr stark.
Derweil ist die gut gelaunte Crew bereits mit dem Anrichten des nächsten Gangs beschäftigt.
Zwei Spieße mit gegrillter Entenbrust werden mit dickem »Pha-naeng«-Curry serviert. Das Fleisch ist von selten erlebter Güte, saftig, kernig und geschmacksstark, mit goldbraun gerösteter Fettschicht und ideal ausgesteuerten Grillaromen. Das Curry schmeckt leicht fruchtig und sehr pikant, aber nicht »scharf« im westlichen Sinne. Mit den üblichen Curry-Vorstellungen hat das nichts zu tun, und mit ihrer komplexen Pikanterie passt die Sauce bestens zum fantastischen Entenfleisch. Als frischer Konter fungieren dünne Scheiben von eingelegtem Kokosnussherz, eine seltene Delikatesse. Das schrammt nur knapp an der Götterspeise vorbei.
Von der Küste geht es danach ins Meer: Eine Holzmakrele wurde mit einer Farce aus rotem Zackenbarsch-Curry gefüllt und anschließend knusprig frittiert. Die Kunst besteht hier nicht zuletzt in der unglaublich krossen Haut bei gleichzeitig saftigem Fleisch und weicher Füllung – diese ist denn auch der eigentliche Star des Gerichts: deutlich pikanter als das Curry zur Ente, dabei sehr »klar« und wunderbar vollmundig. Ein kleines »Ar-Jad«, sprich: feinst gehackter Salat aus Schalotte, Chili, Gurke und Paprika, kühlt und kitzelt den Gaumen. Großartig.
Das Essen macht jetzt schon sehr viel Freude, doch es wird noch besser, bei einem Salat von marinierten Pferdemuscheln. Diese sind von einer Größe und Güte, wie ich es noch nicht erlebt habe, fleischig, saftig, ganz wunderbar. Grünalgen und Meerestrauben fächern die Unterwasserwelt weiter auf, dazu gibt es Cashewkerne und Kokoschips von unglaublicher Qualität. Kleine Scheibchen sehr pikanter Chili öffnen die Papillen, und ein cremiges, feinsäuerliches Cashew-Dressing rundet das Ganze ab. Die »wilde« Präsentation dieses Tellers ließ ein solch filigran-komplexes Aromenspiel nicht erwarten. Hier eröffnet sich eine gänzlich neue Geschmackswelt. Fantastisch. Da ist sie nun, die Götterspeise.
Das bisher schon hohe Serviertempo nimmt jetzt nochmal deutlich an Fahrt auf. Alle folgenden Gerichte werden im Fünf-Minuten-Takt serviert...
In einer kleinen Schale gibt es gebratenes Relish von Echtem Bonito und Tintenfisch, dessen dichtes, dunkles Aromenspektrum von süßsäuerlicher Som-Khaek-Frucht und Kokosnussstreuseln aufgehellt wird. Stark. In einer größeren Schale finden sich verschiedene Thai-Gemüse (Stink Beans, Palmherzen, Kohlblätter) in leichter Kokoscreme, auch das bietet Geschmackserlebnisse, die man so kaum kennt. Begleitet wird das alles von einer Schüssel duftigem Jasmin-Klebereis (nicht im Bild), der auch für die folgenden Speisen gedacht ist.
Man hat allerdings kaum angefangen, da steht der nächste Teller auf dem Tresen …
… darauf finden sich Scheiben von gegrillter marinierter Schweinekeule, zart und sehr aromatisch, mit feiner Würze und delikaten Grillnoten. Kurkumaknusper steuert Textur bei, und je nach persönlichem Geschmack kann man noch etwas frische Kalamansi über das Fleisch träufeln. In seiner Simplizität und Ausdrucksstärke ist auch dieser Gang ganz hervorragend.
Amüsant ist, dass Chef Prin selbst kaum in der Küche aktiv ist, sondern, Rotweinglas in der Hand, angeregt mit den Gästen parliert.
Es geht Schlag auf Schlag weiter. Aus einem großen Topf wird südthailändische Fischermannsuppe in tiefe Teller gelöffelt. Die Basis bildet eine asiatischen Seebrassenart (»Grey Pomfret«). Die trübe, von rustikalen Fettäuglein überzogene Brühe würde man optisch eher auf einem Fischkutter verorten – was als Kompliment zu verstehen ist, denn auch geschmacklich meint man die aufgeheizte Andamannsee auf der Zunge zu haben. Das dampfende Elixier ist salzig-säuerlich, sehr pikant und intensiv maritim; darin schwimmen Filetstücke der buttrigen Seebrasse – die pure Wonne.
Das schmeckt vollkommen anders als europäische Suppen, vor allem die herbe Säuerlichkeit ist wundervoll, und man fragt sich, warum der Grundgeschmack "sauer" in Suppen unserer Breiten kaum eine Rolle spielt.
Nur das Tempo macht mir zu schaffen, denn ich habe kaum mit der Suppe begonnen, da werden bereits die nächsten Schalen aufgetragen. Mittlerweile sieht es auf dem Tresen tatsächlich wie bei einem typisch thailändischen Festmahl aus – und das scheint auch die Idee zu sein. Bei kleinen Gruppen serviert man die Gerichte sogar »Family style« in größeren Schalen zum Teilen.
Vor mir stehen nun Relish, Gemüse, Keule, Reis, Suppe und …
… ein südliches Curry von Tigergarnelen, dessen kraftvolle, fein austarierte Würze aufgelockert wird durch vietnamesische Minze und Stachelannone, deren Geschmack entfernt an Ananas erinnert. Der Eigengeschmack der Garnelen tritt zwar in den Hintergrund, aber das spielt keine entscheidende Rolle, denn mit etwas Duftreis ergibt das Curry einen sämig-süffigen Hochgenuss. In einer Extraschale serviert man noch eine superkross frittierte Garnelenkarkasse samt Kopf.
Ein paar Teller werden nun abgeräumt, dafür kommt ein anderer dazu …
Stücke von Ochsenbacke und Ochsenschwanz, beides geschmort, sitzen in einer Fünf-Gewürze-Suppe mit Kokosnusscreme. Das Fleisch ist extrem zart und außergewöhnlich aromatisch, die cremige Sauce changiert zwischen »dunkler« Süße und dezenter Pikanterie. Rote Chili, frisches Koriandergrün und knuspernde Röstzwiebeln komplettieren das sehr stimmige, an dieser Stelle aber ziemlich gehaltvoll wirkende Gericht.
Derweil bereitet die emsige Küchencrew Garnelenomelettes zu, die man Beginn des Menüs als »Supplement« hinzubestellen konnte (1.000 ฿, ca. 25 €). Da wir es dieses Mal in Bangkok nicht zur legendären ‹Jay Fai› schaffen werden, habe ich eine Portion geordert – ein Fehler, denn wegen des halsbrecherischen Tempos fühle ich mich ziemlich gestopft. Nun denn …
... Das im Wok goldbraun frittierte Garnelenomelette, serviert mit leuchtend roter Chili, knallgrünem Koriander und süßer Chilisauce, sieht prächtig aus und schmeckt auch ganz hervorragend: die äußere Schicht filigran-knusprig, das Innere saftig und zart. Mehr als zwei Bissen schaffe ich jedoch beim besten Willen nicht mehr. Kein Problem, der Rest wird kurzerhand in ein »doggy bag« gepackt.
Dessert geht bekanntlich immer: Ein knuspriger Reis-Cupcake mit karamellisierter grüner Papaya, ein sehr süßer Maniokpudding mit jungem Kokosfleisch, ein Gläschen strenger Kokos-Schnaps und vor allem ein herausragend gutes Sorbet von Mini-Mangos bilden den angemessen ungewöhnlichen Abschluss eines außergewöhnlichen Menüs, ...
... ein Menü, das sich auch ohne tiefere Kennerschaft der Landesküche als »sehr Thai« bezeichnet lässt. Ein anderes Level, als am Vorabend im gehypten ‹Potong›. Die Gerichte heute waren faszinierend, manchmal fremdartig, immer köstlich und stellenweise grandios. Mit den üblichen Geschmacksstereotypen hatte das kaum etwas zu tun, die thailändische Küche, das zeigte sich heute, ist von einer nur schwer vergleichbaren Vielschichtigkeit. Insbesondere die Vorstellung, dass in Thailand immer alles höllisch scharf gegessen wird, gehört spätestens nach diesem Essen in die Klischee-Mottenkiste.
Atmosphärisch hatte der Abend etwas von einer lässigen (Straßen)Küchenparty, und mit dem stahlgrauen Tresen, den grünen Mitarbeitershirts und dem kaum kochenden, dafür weinselig mit Gästen plaudernden Küchenchef erinnert das ‹Samrub Samrub Thai› an das ‹Table Bruno Verjus› in Paris – Beobachtungen eines Nerds. Allein das Tempo war alles andere als »festlich«. Zwischen Betreten und Verlassen des Restaurants vergingen kaum neunzig Minuten.
Den angebrochenen Abend lasse ich in einer der zahllosen Bangkoker Rooftop-Bar ausklingen. Besonders »thailändisch« ist das Publikum hier nicht, aber dafür entschädigt der himmelhohe Blick über die »Stadt der Engel«. Morgen tauche ich wieder ein. Ich kann es kaum erwarten.
Kai Mihm