Restaurantkritik 30.Oktober 2024

Rosi – Wohlfühlwirtshaus

Wir kennen das Zürcher Wirtshaus mit dem schönen Namen ‹Rosi› schon lange. Bereits im Eröffnungsjahr 2018 kürten wir es in unserem Herdhelden-Jahresrückblick zum »Wirtshaus des Jahres« – wobei die bajuwarischen Klassiker schon damals in etwas verfeinerter und gerne auch spielerischer Form auf den Tisch kamen, schließlich hat der aus dem Allgäu stammende Koch und Gastronom Markus Stöckle fünf Jahre lang im ‹The Fat Duck› gearbeitet.

Seither ist einiges geschehen: Das ‹Rosi› avancierte zu einer festen Institution der Zürcher Gastroszene, Stöckles Partnerin Elif Oskan eröffnete mit dem ‹Gül› ein eigenes Lokal – und gemeinsam hat das Paar bei »Kitchen Impossible« Tim Mälzer auf die Plätze verwiesen (das muss an der Schweiz liegen, denn auch Sven Wassmer vom ‹Memories› gelang dieser seltene Coup).

Mit anderen Worten: ein ausführlicher Bericht über das ‹Rosi› war längst überfällig. Die Besuchsplanung erfolgt gleichwohl mit etwas gemischten Gefühlen, denn wie wir hören hat Stöckle das Konzept mittlerweile etwas mehr in Richtung »Edelwirtshaus« verschoben.

Eine Veränderung zeigt sich gleich beim Betreten des märchenhaft-wild umrankten Ecklokals: die einst blanken Holztische sind diesmal weiß eingedeckt. Die Beruhigung folgt auf dem Fuß, denn die Karte listet nach wie vor Deftigkeiten wie Cordon Bleu und Allgäuer Kässpätzle. Zudem gibt es zwei unterschiedlich umfangreiche Menüs, die einen Querschnitt der Küche repräsentieren. Für uns soll es – natürlich bittesehr – das Größere sein. Ein aus Bayern bekanntes Gesicht treffen wir im jungen  Sommelier: Pit Spanke war vorher im ‹Tantris› tätig (zugegeben: der fesch geschniegelte Suffmeister muss unserer Erinnerung etwas auf die Sprünge helfen).

Der Gastraum zieht sich V-förmig (spitzes Eckhaus!) um einen Tresenbereich und wird an diesem Abend voll besetzt sein. Die Stimmung ist gut, der Appetit mächtig, der Durst groß. Und Wirtshaus hin oder her, ein Glas Champagner (Huré Frères »Inivitation«) darf es zum Auftakt gerne sein.

Dieses Getränk fügt sich bestens zum ersten Snack, einer in Stickstoff schockgefrosteten Apfelmeringue in Wölkchenform – technisch ist diese Nitro-Wolke eine Reminiszenz an das ‹Fat Duck›, formal eine Hommage an Ludwig Thomas »Ein Münchner im Himmel«, und im Endeffekt ein erfrischender Gag, der nicht zuletzt durch den Stickstoffdampf aus der Nase des Gegenüber für Heiterkeit sorgt.

Spielerisch wird auch ein Knusperchip in Briefform serviert, darin ein Glückskeks-Zettelchen, dazu ein Klecks Schmand und ein Löffelchen Kaviar. Sehr schön – und schön schlitzohrig, denn weitere Intermezzi mit Luxusprodukten wird es heute nicht geben.

Deftiger wird es danach, und vor lauter Gier machen wir kein Foto vom hausgebackenen Brot und Brezen mit bayerischem Olivenöl und Hendlleber-Parfait – ein gravierendes Dokumentationsversäumnis, denn die fluffige Brezen und das cremige Parfait sind von süchtig machender Güte.

Eine weitere hübsch präsentierte Petitesse bildet eine in Puppenstubenporzellan servierte Hopfenkaltschale, die reizvoll zwischen herben und süßlichen Noten oszilliert.

Das eigentliche Menü startet mit einem Klassiker des Hauses: »Arme Ritter aus dem Jahr 1888«, nach dem Rezept von Johann Rottenhöfer, dem Leibkoch von König Ludwig. Es besteht aus einer kross gerösteten Sauerteigschnitte mit Flusskrebsen, gekochtem Schinken und Muscheln. Der erste Bissen: Das Teil schmeckt schlichtweg umwerfend. Da sind die kräftigen Röstaromen vom knusprigen und zugleich saucentriefenden Brot, dazu die Süße von den Krebsen, die Herzhaftigkeit vom hauchdünnen Schinken und die jodige Frische der Muscheln – alles verbindet sich zu einem absoluten Hochgenuss. Dieses kleine Meisterstück könnte man problemlos auch in hochdekorierten Häusern servieren.

Es folgt eine kleine Schale mit saftigem Krautsalat, der mit dünnen Scheiben gepökelter Forelle bedeckt ist. So weit, so traditionell. Doch der erste Eindruck täuscht, denn das markant säuerliche Duo wurde mit einer Emulsion aus Rayu (japanisches Chilliöl) und einer knuspernden Togarashi-Gewürzmischung verfeinert. Ein Crossover zwischen Bayern und Japan, bei dem sich das Geschmacksbild mit jedem Happen in die eine oder andere Richtung verschiebt. Sehr gut auch das.

Es folgt eine spielerische Showeinlage: in einem Kranz aus diversen Blattsalaten sitzt mittig ein »Wackelpudding« von Tomaten in Form eines kleinen Gugelhupfs. Eine Schwarzlichtlampe lässt das Tomatengelee knallgrün erscheinen. Vor dem Verzehr wird die Lampe natürlich ausgeschaltet. Ich bin eigentlich kein Freund solcher Spirenzchen, doch der Charme im ‹Rosi› besteht zweifellos auch darin, dass so etwas hier ganz locker und nebenbei rüberkommt.
Das Gelee/der Wackelpudding – laut Küche eine Hommage »an Marie-Antoine Carême und die bayerischen Hausfrauen der 60er-Jahre« – schmilzt kühl am Gaumen und schmeckt verblüffend intensiv nach Tomate. Zusammen mit den gemischten Salatblättern ergibt sich ein stimmiges, frisches Geschmacksbild. Kein Knaller, aber immer noch gut.

Ziemlich weit nach oben auf der Genussskala geht es mit dem kryptisch betitelten Gericht »Kellner's Misfit Schwammerl«. Welcher Kellner? Warum Misfit? Und welche Schwammerl? Letztere hatte man kurz vorher am Tisch präsentiert: oberarmdicke Pilze wie aus einem Märchen, die anschließend im Ofen gebacken wurden …

... Am Ende kommt ein Stück des mit Bayerischer X.O.-Sauce lackierten Schwammerl mit Pfeffersauce und einer Art Hollandaise auf den Teller. Diese geballte Ladung an saucig-süffiger Herzhaftigkeit und wohligem Umami zielt direkt ins Genusszentrum – und trifft voll ins Herz.

Die Stimmung im längst komplett besetzten Restaurant ist fabelhaft: lebendig, genussfreudig, urban. Dazwischen wuselt der galant gelaunte Markus Stöckle als Gastgeber. Mit seiner cool rasierten Glatze, dem markanten Schnurrbart und der engen weißen Kellnerschürze hätte er auch ins München der Goldenen Zwanziger gepasst.

Nun gibt es Fisch: Das Filet eines in Salz gegarten Branzin (Europäischer Wolfsbarsch) wird von frischem Sauerampfer und gedünstetem jungem Spinat flankiert. Der Fisch war vielleicht ein paar wenige Sekunden zu lange im Ofen, dem tiefen Wohlgeschmack tut das allerdings keinen Abbruch, zumal der Spinat besonders saftig und die dazu servierte Buttersauce auffallend großartig ist.
Einmal mehr ist das ein Gericht, das locker auch in einem Sternerestaurant durchginge. Womit wir bei der Frage sind, wie viel das alles hier eigentlich noch mit einem »Wirtshaus« zu tun hat?

Die Antwort liefert der nächste Gang, den die Küche zusätzlich einschiebt: es gibt Cordon Bleu, serviert mit Preiselbeerkompott und Meerrettich-Kräutern. Das Teil hat weniger die Form eines Schnitzel, sondern eher die einer sehr großen Krokette. Beim Zerteilen der recht harten Panade kommen Fleisch und Speck zum Vorschein, die Füllung aus Käsefondue mit Sherry und Weißwein fließt lasziv heraus. Aufgrund der flüssigen Füllung bereitet es ein wenig Mühe, alles in passender Mischung auf die Gabel zu bekommen. Ich verstehe die Idee (Schweiz! Fondue!), aber die klassische Darreichungsform eines Cordon Bleu hat schon ihren Sinn. Am Ende schmeckt es gut, originell und angemessen rustikal, wird aber, nicht zuletzt wegen der harten Kruste, der schwächste Gang des Abends bleiben.

Wirthausig auch der Hauptgang: Eine große Schale mit Kässpätzle wird zum Teilen in die Mitte des Tischs gestellt. Die zarten, aber nicht zu weichen Spätzle sind nicht nur mit Käse, sondern auch mit süffiger Sauce, gehacktem Trüffel und gebratenen Steinpilzen verfeinert. Allein der Duft ist die reine Freude.  Man löffelt sich das auf den Teller, probiert … nimmt nach … und nochmal nach... Ein süffiger Hochgenuss, zum Augenschließen gut.

Zum Vergleich stellt Stöckle uns eine kleine Schale mit Allgäuer Kässpätzle hin, nach einem Rezept seiner Mutter Anneliese (auch sie bekannt aus »Kitchen impossible«). Am Ende herrscht Uneinigkeit, welche Variante uns besser schmeckt. Spätzlegewordene Glückseligkeit sind beide.

Das erste Dessert nennt sich »BFG Kakigori« (BFG für »Black Forest Gateau«) und ist im Wesentlichen eine Schwarzwälder Kirsch-Variante in Gestalt zweier hauchzart geschabter Kakigori-Sorbets (Kirsch und Schokolade). Getoppt wird das Duo von einem Schlag dicker Sahnecreme, obenauf eine Amarenakirsche. Geschmacklich ist das naturgemäß wunderbar frisch, überraschend intensiv und am Ende doch gehaltvoller, als man dachte. Rein optisch könnte diese in einem silbernen old-school-Eisbecher servierte Süßspeise einem Donald-Duck-Comic entsprungen sein. Dazu passt wiederum, dass direkt vorher jedem Gast ein mit Helium gefüllter Ballon zum Inhalieren gereicht wurde – für ein bisschen Gaudi mit Micky-Maus-Stimme.

Das zweite Dessert besteht aus einem Mandelkuchen mit Johannisbeere, Topfen und Meringue in Gestalt eines Schwans. Handwerklich ist das einwandfrei, nicht zu süß, mit angenehm säuerlichen Akzenten, durch den Topfen zwar recht füllig, aber in Summe sehr schön.

Zum Abschluss ein paar süße Schmankerl – und ein doppelter Schnaps, bitte.

Was für ein fröhlicher und erfreulicher Abend. Das ‹Rosi› steht für eine Form gehobener und zugleich bodenständiger Gastlichkeit, die man so in Deutschland kaum noch findet, am ehesten wohl tatsächlich in Bayern. Die Küche entspricht in Summe vielleicht nicht wirklich dem, was man sich bei einem »Wirtshaus« vorstellt – aber genau um eine solche Umdeutung des Begriffs scheint es hier zu gehen.

Und überhaupt: mit den diversen Verweisen auf bayerische Klassiker und Geschichten knüpft man hier durchaus an Traditionen an. Ein klassisches Wirtshaus ist das ‹Rosi› jedenfalls in dem Sinne, dass der Wirt sich höchstpersönlich um das Wohlergehen der Gäste kümmert. Selten haben wir in einem Lokal eine so ansteckend positive Aura verspürt. Ein Wohlfühlwirtshaus, sozusagen. Bitte mehr davon.

Kai Mihm

Wein

FRAGEN AN DEN SUFFMEISTER PIT SPANKE

1. Anzahl der Positionen auf der Karte
Auf unserer Weinkarte befinden sich momentan 215 Positionen.
2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Der Fokus unserer Weinkarte soll auf Wein aus deutschsprachigen Ländern liegen. Besonders deutscher Riesling soll eine immer größere Rolle spielen, sowie Rotweine (insbesondere Blaufränkisch) aus Österreich. Dies bedeutet nicht, dass wir Länder wie Frankreich, Spanien und Co außer Acht lassen.
3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche und was kosten sie?
Unsere günstigste Flasche Wein ist die Scheurebe 2022 von Wagner-Stempel für CHF 60.
Unsere teuerste Flasche ist momentan noch eine Magnumflasche Barolo Pira 2006 von Roagna für CHF 1986.
4. Die ungewöhnlichste Rarität?
Über die Flasche Montepulciano d’Abruzzo 1993 von Emidio Pepe habe ich mich doch sehr gewundert, bei meinem Start im April 2024.
5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Riesling „Porphyr“ 2022 von Wagner Stempel ist mit Sicherheit unser meistgetrunkener Wein da er schon lange in der Getränkebegleitung vorkommt und auch als Flasche sehr beliebt ist. Wenn der Fokus nicht auf dem Verkauf liegen würde, wäre allerdings unser Champagner (Invitation von Huré Frères) unser meistgetrunkener Wein.
6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Noch zu meiner Zeit in Deutschland, Anfang des Jahres, brachte mir ein befreundeter Weinhändler aus Köln Pinots von Markus Ruch mit. Die Weine haben mich direkt begeistert. Seitdem konnte ich noch mehr seiner Weine in der Schweiz probieren.
7. Ihr persönlicher Lieblingswein? Weshalb?
Jai Guru Deva von Shun Minowa. Nach meiner Zeit in Berlin im Nobelhart & Schmutzig habe ich in Zürich wieder Orangewein für mich entdeckt. Dieser Wein eines japanischen Winzers in der Emiglia-Romana hat mich mit seiner Finesse und Ruhe wieder komplett ins Thema zurückgeholt.
8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie je konfrontiert wurden?
Eines Abends bestellte ein Gast im Tantris eine Flasche La Tâche 2009 um davon ein einziges, aus dem Coravin gezapftes, Glas zu trinken. Den Rest sollten wir bis zu seinem nächsten Besuch verwahren. Die angezapfte Flasche gibt es meines Wissens nach immer noch.

Umfrage

Wirtshaus: lieber radikal-rustikal oder leicht veredelt?

 

Das könnte dich auch interessieren