Restaurantkritik 16.April 2024

Bandol sur mer – Casaul Dining

Wenn die ersten frühlingshaften Sonnenstrahlen das Berliner Hauptstadtpflaster treffen, kramt die halbe Stadt ächzend ihre Laufschuhe aus der Mottenkiste. Und so drehe auch ich meine ersten Runden des Jahres in den proppevollen Parks. Dass mich an jenem Tag ausgerechnet Andreas Saul aus dem „Bandol Sur Mer“ mit spielerischer Leichtigkeit und einem heiteren „Ach, tachchen! Wir sehen uns ja morgen!“ überholt, verstehe ich als eine Erinnerung: Nicht nur dafür, dass ich eindeutig mehr für meine Leistungsfähigkeit tun sollte, sondern auch dafür, dass der Wiederbesuch in Sauls Restaurant naht.

Der letzte Artikel ist acht Jahre her, dazwischen lag der eine oder andere private sowie ein offizieller Besuch, dessen Artikel pandemiegeschuldet nie das Licht der Welt erblickte. Umso mehr freue ich mich, dass das kleine Lokal – das Saul 2018 als Eigentümer übernahm – die Corona-Durststrecke überstanden hat. Ich verstand und verstehe das Bandol schon immer als unprätentiösen kleinen Hauptstraßenfels in der Sternebrandung Berlins; ein dank seiner allürenfreien Unaufgeregtheit wunderbarer Rückzugsort für Feinschmecker, die es zu schätzen wissen, im einstmals ersten Dönerladen Ostberlins nun Sterneküche zu verspeisen.

Dass dabei die Hochküche des Zweimannbetriebs im harten Kontrast zum Holzkneipenchick steht, zahlt genau so in die Einzigartigkeits-Kasse, wie das sympathisch-rumpelige DDR-Dekor. Auf den Tellern hat sich derweil einiges getan: Bildeten früher noch Gänsestopfleber, Kalbsbries, Fisch und Meeresfrüchte das Zentrum der frankophilen Küche Andreas Sauls, steht das Basismenü nun gänzlich fleischfrei auf der Kreidetafel. Wer gar nicht darauf verzichten mag, kann sich Hecht und/oder Lamm zusätzlich ins Menü bestellen. Denn Nachhaltigkeit – nicht nur im Sinne einer Kreislaufwirtschaft, sondern auch für das eigene Körperwohl – steht bei Saul nach eigener Aussage hoch im Kurs. Kein Wunder also, dass mich der scheinbar alterslose Urberliner mit Leichtigkeit in die Tasche joggte. Aber ob‘s denn auch noch schmeckt?

Zum Reinkommen: Stückchen von der Schwarzwurzel sowie eingelegte und gegrillte Kräuterseitlings-Stile, die in reduzierte Mirabellen-BBQ-Sauce gedippt werden. Dichtes Salz, dunkle Röstigkeit und karamellige Süße machen sich breit. Sehr schön.

Ein Auszug von sechs Wochen (!) bei 60 Grad fermentieren Tomaten bringt dann richtig Wumms in den Menüanfang. Wie ein doppelter Nachtschatten-Espresso rauschen Säure, Salz und Zucker ungebremst auf die Papillen: extrem reduziert, säuerlich, fast wie ein alter, gereifter Balsamico-Essig. Mein Appetit darf sich als angeregt verstanden wissen.

Der seit Jahren wohlgenährte Sauerteigstarter „Larry“ bildet die Basis für das hauseigene Brot, das mit Rübenpesto und allerlei Eingelegtem aus der aktuellen und der vergangenen Saison begleitet wird. Verschwendung Fehlanzeige: Die Abschnitte des Brots werden zu erfrischendem Kombucha (im Becher links) verarbeitet.

Starker Menüeinsteig dann bei Auberginenpaté, Haselnuss und grüner Erdbeere. Ich fühle mich an die berüchtigte Pilzlebercreme von Sebastian Frank erinnert: reduzierte Salzigkeit und cremige Süße erinnern tatsächlich ein wenig an Leber, dazu bringen die eingelegten Erdbeeren bissige, pointierte Säure, aufgefangen von der knuspernden Haselnuss.

Neu auf der Karte, aber bereits jetzt in meiner persönlichen Bandol-Sur-Mer-Hitliste: Sonnenblumenkern-Kimchi und Ziegenkäse-Miso mit Schnittlauch-Vinaigrette. Der sanfte Zucker der Zwiebel harmoniert hervorragend mit den darin verborgenen, geschmorten Sonnenblumenkernen, deren wohlige Herzhaftigkeit fast jedes lapidare Fleischgulasch schlägt. Die aus Ziegenkäse gewonnene, kaltgereifte Miso bringt Frische und Säure. Macht alles Sinn und schmeckt großartig. Eigenständig exzellent.

Etwas fülliger dann der erste von zwei „tierischen“ Gängen: Ein pochierter Hechtkloß wird getoppt von Lauchmayonnaise und Hechtkaviar. Der Teig ist fluffig und mild, doch erst ein süffiger Rauchaal-Jus in Verbindung mit einem Kalbskopf-Ragout und eingelegtem Spitzkohl bringen diesem doch eher rustikalen Gericht Komplexität bei.

Als mein persönlicher „Pilz des Herzens“ darf sich der Laubporling verstehen, nicht nur deshalb, weil er auch den Spongebob-Namen „gemeiner Klapperschwamm“ trägt. Der besonders in Japan beliebte Fungus wird hier scharf angebraten, mit Pilzgarum abgelöscht, auf dem Grill um rauchige Röstaromen ergänzt und auf dem Teller begleitet von Butterschaum und Perigord-Trüffel (als Scheiben und als Creme) – das ist eine ordentliche Wagenladung Umami. Der Hauptprotagonist ist dabei so intensiv, dass ich den edlen Trüffel gar nicht, sondern dafür eher einen Schuss erfrischende Säure gebraucht hätte.

Der Pre-Hauptgang bleibt „waldig“: Ein Steinpilz-Chawanmushi mit gegrilltem Thymian, Comté-Schaum und gepufftem Reis  soll den vegetarischen Herzhaftigkeits-Gipfel des Abends einleiten – und kann mich nicht recht überzeugen: Der Eierstich ist zu breiig, und von irgendwoher irritiert eine unpassende Süße. Seltsam.

Als Signature-Teller des Hauses steht Sellerie mit Deichkäse und Holzkohleapfel für das, was sich Andreas Saul unter einem vegetarischen Hauptgang vorstellt. Die verschiedenen dünnen, zum Teil lactofermentierten und mit schwarzer Schalottencreme gefüllten Sellerie-Schichten werden in Misobutter ausgebacken und kommen mit viel Hitze und Fett an den Tisch. Bereits jetzt ist Saul vielen Kollegen um eine Temperatur-Nasenlänge voraus; wie oft ärgerten wir uns schon über lauwarmes Fleisch ... Die Röstgemüsejus ist dicht gebunden, die ebenfalls stark reduzierte und über Holzkohle geflämmte Apfelcreme bringt auflockernde Säureakzente. Die eher geschmacksneutrale Deichkäsecreme hätten wir angesichts dieses sehr stimmigen Trios gar nicht gebraucht.

Der zweite Hauptgang, Salzwiesenlamm, Holunderseitling und erster Bärlauch der Saison, holt dann auch die Fleischfresser am Tisch ab. Ein kurzgebratenes sowie ein saftig geschmortes Stück Jungschaf sind gekonnt gegart und (nach Zugabe einer spielentscheidenden Prise Salz) intensiv. Dazu das leicht fettige, vegetabil-strenge Aroma von Bärlauch sowie ein klassischer, stark reduzierter Jus  – damit ist der frankophile Kompass, mit dem die Küche hier einst navigierte, wieder eingenordet.

Klassisch ebenfalls ein enorm cremiges Champagnereis mit schwarzer Johannisbeere. Eine üppige, so schlichte wie hervorragende Erfrischung nach der vorangegangenen Herzhaftigkeit.

Als Pre-Dessert fungieren Birke, Stachelbeere und Amazake (süßer, alkoholarmer japanischer Reisschnaps). Das Restaurant, so erfahren wir, bekommt regelmäßig größere Mengen Birkensaft geliefert und kocht diesen zu einem Sirup ein. Der wiederum kommt hier gefroren in die Schale, dazu bringen Stachelbeere, Holunderblüte und fermentierte Reiscreme punktuelle Säure und ein Bett aus Süße. Erfrischend und waldig, wenngleich – nach der üppig-süßen Eisspeise zuvor – etwas zu mächtig.

Eingelegte Kirschen mit Buchweizeneis und Petersilienschaum schließen den Abend genauso extravagant ab, wie er angefangen hat. In seiner Kombination sicherlich ein unorthodoxes Dessert, wenngleich ich in den letzten Jahren – und Dank einiger Vorreiter in Sachen herzhafter Nachspeisen, gerade in Berlin – so einiges verspeist habe, was nur entfernt etwas mit „Süßkram“ zu tun hatte. Und obwohl mir diese grundlegend schmackhafte Kombination – die Petersilie dominiert etwas zu sehr – nicht für ewig im Gedächtnis bleiben wird, so ist mir das doch lieber als das x-te und x-beliebige Türmchen aus Zuckergelee, Schäumchen und Früchte in Texturen.

Die Cannelés de Bordeaux hätte etwas länger im Ofen bleiben können, schmecken aber gut.

Wir sind die letzten Gäste des Abends, und einmal mehr finde ich mich wohlgenährt in Andreas Sauls kleiner Punk-Dining-Oase wieder. Abseits üblicher Normen kocht man hier wie immer ein ganz eigenes, nunmehr vegetarisches Süppchen.

Von der klassischen französischen Basis hat man sich nahezu gänzlich verabschiedet, es dominiert über weite Strecken eine unorthodoxe Extravaganz, die manchmal kongenial – Sonnenblumenkern-Kimchi, Aubgerinen-Paté –, hier und da aber auch mit optimierbaren Kanten auf den Tisch gebracht wird.

Dass dann ausgerechnet beim frankophilsten Gericht des Abends, dem Lamm, eine gute Prise Salz fehlte, lässt sich in diesem Kontext fast als kulinarische Subversion karnivorer Konventionen lesen – jedenfalls würde diese Attitüde Andres Sauls Restaurant, das auf so lässige Weise aus der Reihe tanzt, sehr gut stehen. „Ca-Saul Fine Dining“ eben.

Chris Lippert

Wein

Die Pairings des Abends

Hinweis

Der Besuch war eine Einladung. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Umfrage

Ein vegetarisches Menü mit separat dazubuchbaren Fleischgängen – wäre das was für euch?

 

Das könnte dich auch interessieren