Au Crocodile – sichere Sache
Ein Wochenende in Straßburg bietet mir die Gelegenheit, neben ein paar traditionellen »Winstubs« (Tipp: ‹Au Pont Corbeau›) ein legendäres Haus der französischen Haute Cuisine zu besuchen: das ‹Au Crocodile›. Unter der Führung von Émile Jung leuchteten hier von 1989 bis 2002 drei Michelin-Sterne, doch die Historie des Hauses reicht bis ins Jahr 1801 zurück, als es von einem Hauptmann Napoleons eröffnet wurde. Der weitgereiste Militär dekorierte sein Etablissement mit einem ausgestopften Krokodil, das er aus Ägypten mitgebracht hatte – daher der Name.
Nach Jungs Ausstieg im Jahr 2009 begann für das berühmte Haus eine Zeit mit wechselnden Inhabern und wechselhaftem Erfolg. Inzwischen gehört das Restaurant zu einer Elsässer Gastrogruppe, und seit Januar 2020 steht Romain Brillat am Herd, der zuvor im ‹La Mère Brazier› in Lyon und als Souschef in der ‹Auberge du Vieux Puits› angemessen klassische Erfahrungen sammelte. Aktuell hat das ‹Au Crocodile› einen Stern.
An diesem warmen Mittwochabend ist das Restaurant voll besetzt. Der Empfang ist charmant, die Atmosphäre gediegen und das junge Serviceteam sichtlich guter Dinge. Der Gastraum wird von einem gewaltigen historischen Gemälde geziert, das ein turbulentes elsässisches Dorffest darstellt. Kulinarisch hat man die Wahl zwischen A-la-Carte und einem Menü, welches sich daraus zusammensetzt. Das soll es sein.
Zum Aperitif werden drei Petitessen serviert. Eine Tartelette mit Rettich, Lachsrogen und Kräuterkaviar ist filigran gearbeitet und elegant im Geschmack, eine cremige Foie-gras-Praline mit Croutons ist handwerklich und geschmacklich ebenfalls makellos, und eine kleine grüne Kräuterpraline überrascht beim Zerbeißen mit einem erfrischenden flüssigen Kern. Sehr nett, das alles.
Deutlich interessanter fällt das Amuse aus. In einer Becherschale findet sich eine Kombination aus Büffelmilchjoghurt von der Elsässer Domaine des Bufflonnes, violettem Senf, gewürfeltem Feta, gerösteten Pistazien und Pistaziencreme, obenauf fein geriebener Feta. Das schmeckt an diesem Sommerabend wohltuend frisch und angenehm herb, mit süßlichen Anklängen vom Senf und reizvollem Knusper von den Pistazien.
Der erste Menügang besteht aus einer (!) gefüllten Morchel, die am Tisch tranchiert und auf den Teller platziert wird – etwas viel Theatralik für einen einzelnen Pilz. Die Morchel ist von hervorragender Qualität und intensivem Geschmack, die grasgrüne Füllung bleibt dagegen etwas blass, mutmaßlich besteht sie aus Spargel, schmecken lässt sich das nicht. Ein sehr guter grüner Spargel, etwas Morchelsauce und ein mit Gundermann aromatisiertes Öl verleihen dem Ganzen eine gewisse Tiefe, aber so richtig überzeugend ist das nicht.
Besser gefällt der Fischgang. Drei Stücke von sanft gegartem Wolfsbarsch sind mit geschmortem Fenchel und einer sämigen Sauce aus Fenchel und grünen Oliven angerichtet. Produkt und Handwerk zeigen sich makellos, insbesondere die Sauce gefällt mit ihrer rustikalen Eleganz. Ein paar knusprige Elemente und etwas Bottarga setzen kleine, nicht unbedeutende Akzente. Das ist in Summe nicht aufregend, aber souverän und schmackhaft.
Es folgt eine weitere Tableside-Action, bei der ein halber ausgelöster Hummerschwanz, eine Hummerschere sowie ein großes rundes Nudelblatt in heißem Hummerfond gar gezogen werden. Auf den Teller kommt das Ganze als »offener Raviolo vom Hummer«, bei dem das Köcheln im Fond wie ein Geschmacksverstärker wirkte. Der Hummer ist sekundengenau gegart, zart, »fleischig« und auch sonst von fabelhafter Güte. Das bissfeste Nudelbatt, eine dichte Hummerbisque und vor allem ein exzellentes Buchweizenrisotto unterstreichen den enorm süffigen, aber nicht trivialen Charakter dieses Gerichts. Das schmeckt mehr als großartig, und hier spielt die Küche deutlich über den attestierten Guide-Bewertungen.
Große Klasse auch der folgende Gang um Kalbsbries und Artischocken. Beide Zutaten sind appetitlich geröstet, das Bries zudem verführerisch glaciert, zart und saftig. Irgendwo kommt noch feine Zitrusfrische und leicht knackender »Biss« her. Mehr als einen guten Löffel Jus braucht es für die Vollendung gar nicht – das ist von souveräner Simplizität und schlichtweg hervorragend.
Beim Hauptgang ist nochmals Tableside-Sction angesagt. Diesmal wird eine in Brotteig gegarte Spargelstange aus ihrer Hülle befreit und mit gebratenem Lammrücken auf den Teller gelegt. Das Fleisch gefällt ausgezeichnet, mit besonders krossem Fettdeckel und tiefem Geschmack. Etwas knusprig gebratener Lammschinken und ein kleines Ragout bereiten ebenfalls Freude.
Nur der aufwändig präsentierte Spargel ist leider so weich gegart, dass man ihn um den Finger wickeln könnte – man beachte das zerfallende Endstück. Dies ist eine logische Folge der Garmethode, denn Brotteig braucht wesentlich längere Zeit im Ofen, als einem Spargel gut tut. Eine vollkommen sinnbefreite Aktion. Ein kleines Stück der knusprigen, vom Spargel aromatisierten Teighülle wird ebenfalls gereicht, und sie schmeckt besser, als der Spargel selbst. Dessen ungeachtet bleibt der Teller als reiner Fleischgang sehr solide.
Käse vom Wagen gehört zum Pflichtprogramm. Die Auswahl überlasse ich weitgehend dem gut gelaunten jungen Kellner.
Das Dessert rankt um Birne. Die Frucht findet sich als Sorbet, als geschmorte Scheibe und als Ragout auf dem Teller, letzteres unter sahnigem Schaum in einem hauchdünnen Teigzylinder verborgen. Das ist handwerklich alles ebenso tadellos wie geschmacklich harmlos. Für mehr Spannung könnte es schon genügen, das Birnenaroma bei den verschiedenen Komponenten noch prononcierter herauszuarbeiten – zugegebenermaßen ist das bei dieser per se recht milden Frucht kein leichtes Unterfangen. »Gut« schmeckt das trotzdem, Freude bereiten insbesondere das Sorbet und der filigran knuspernde Teig.
Bei ein paar guten Petits Fours (kein Bild) klingt ein Abend aus, der seltsam wechselhaft verlief, mit verhaltenen, geschmacklich blassen Gerichten, aber auch mit großartigen Gängen. Nimmt man das Menü und das Publikum (in erster Linie Pärchen verschiedener Altersstufen) des heutigen Abends als Maßstab, dann scheint man sich im ‹Au Crocodile› auf Essen für »besondere Abende« eingespielt zu haben, mit ein bisschen feierlicher Show am Tisch, und kulinarisch auf solidem Mittelmaß. Eine sichere Sache, aber für ein Haus mit derart legendärem Status vielleicht doch etwas schade, zumal die besten Gänge heute zeigten, wo es hingehen könnte.
Für mich endet die Nacht, wie sie enden muss: in der besten Cocktailbar der Stadt. Es wird spät. Viele Sterne findet man in Straßburg zwar nicht mehr, dafür Perlen wie die ‹Code Bar›. Die Stadt macht überraschend viel Freude. Kann man wieder besuchen – »See you later, Alligator«, oder besser: »Au plus tard, Crocodile!«.
Kai Mihm
Wein
Fragen an den Suffmeister (aka Sommelier) Raphaël Lozano
1. Anzahl der Positionen
Ich denke, wir haben derzeit ungefähr 1.000 Weine auf der Karte.
2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Ich konzentriere mich auf das, was ich mag, und auf die Küche unseres Küchenchefs, um mit dem, was er macht, im Einklang zu sein.
3. Welcher Wein ist der preiswerteste und welcher der teuerste auf der Liste?
Die teuersten Weine, die wir derzeit auf der Karte haben, sind alte Jahrgänge von Château Pétrus. Wir liegen da bei 6.700 Euro.
4. Die ungewöhnlichste Rarität auf der Liste?
Ein elsässischer Syrah von der Domaine Muré aus dem Jahr 2015.
5. Welchen Wein haben Sie in den letzten 12 Monaten am häufigsten verkauft?
Der häufigste ist der Zweitwein von Château Margaux Pavillon Rouge aus dem Jahr 2009.
6. Ihre denkwürdigste Entdeckung in den letzten 12 Monaten?
Ich glaube, die Entdeckung, die mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, war die Domaine Saint-Armettu auf Korsika mit der Cuvée Myrtus.
7. Was ist Ihre persönliche Lieblingsflasche? Und warum?
Meine Lieblingsflasche war der 2005er Sang du Calvaire von Château de Cazeneuve in Pic-Saint-Loup, weil er mich auf den Wein aufmerksam gemacht und mich dazu inspiriert hat, das zu tun, was ich heute tue.
8. Was war die ungewöhnlichste weinbezogene Bitte, die Sie je von einem Gast erhalten haben?
Vor einiger Zeit bat mich ein Gast, Wodka in die Karaffe eines Weins zu geben, den ich gerade dekantiert hatte. Ich dachte, ich träume...