Lissabon lässig: Ceviche, Lamm und Pulpo
Zu den charmanten Besonderheiten Lissabons gehören die Quiosque, die mit unseren deutschen Pendants allerdings nur den Namen gemein haben. Die meist dunkelgrünen, nostalgischen Eisenpavillons sind eher kleine Cafés oder Bars. Man findet sie gefühlt an jede größeren Straßenkreuzung, wozu auch die an Pilze erinnernde Gestaltung passt – die Dinger sprießen überall. Sie sind der perfekte Boxenstopp für einen Espresso oder ein kühles Cerveja. Nur zu Essen gibt es dort meist eher Mäßiges.
A CEVICHERIA
Deshalb fügt es es sich ganz wunderbar, als wir beim Stadtbummel zufällig am A Cevicheria vorbeikommen, einem schick gestalteten Lokal, über das wir im Vorfeld des öfteren gelesen hatten. Die Spezialität des Hauses, der Name lässt es erahnen, ist Ceviche. Seit einem längeren Aufenthalt in Peru lassen wir keine Gelegenheit aus, dieses Gericht zu probieren. Also flugs im Freien an einem der sonnigen Hochtische Platz genommen, ein Glas des Hausweins bestellt (irgendein portugiesischer Viognier zu sieben Euro) und einen schnellen Blick in die Karte geworfen. Die Preise der vielfältigen Ceviche-Varianten bewegen sich um die zwanzig Euro. Der gut gelaunte Service empfiehlt zwei Teller pro Person, doch angesichts eines nicht allzu fernen Dinners halten wir uns zurück.
Zunächst kommen handwerklich einwandfreies, krümelig-saftiges Maisbrot, ein schwarz gefärbter, leicht nach Sesam schmeckender Brot-Chip und knuspernde, salzige Maiskörner auf den Tisch. Dazu gibt es eine Art Aioli und eine sehr gute Kräutercreme. Zum kühlen, überraschend passablen Wein lässt sich das angenehm wegsnacken.
Beim ersten Tellergericht handelt es sich um Portugiesische Ceviche. Sie besteht aus Stücken von Kabeljau und Oktopus, angerichtet mit cremigem Eigelb, Petersilienpüree und Kartoffeln »in Texturen«, sprich: als Espuma und Knuspersticks. Das schmeckt nicht schlecht, doch die vielen weichen Komponenten lassen das Gericht auf Dauer recht »breiig« wirken. Fisch und Oktopus kommen wesentlich weniger zur Geltung, als man es bei einer Ceviche erwarten darf. Auch fehlt es der Marinade an Pep und Kraft – von einer »Tigermilch«, wie man diese Vinaigrettes auch bezeichnet, kann keine Rede sein. In Summe ist das okay, aber nicht mehr.
Bei der Ceviche von Thunfisch mit Gänseleber werden kleine Würfel des sehr milden Fischs zwischen säuerlichen Himbeeren, süßlichen Litschistücken und Rote Bete zu Kaumaterial degradiert. Bei der annoncierten Gänseleber hatten wir auf ein Zusammenspiel von schmelzigem Thunfisch und schmelziger Foie gehofft, aber auch daraus wird nichts, denn die Leber findet sich lediglich in geschabter Form auf einem Tapiokachip wieder und ist weder geschmacklich noch texturell von irgendeiner Bedeutung. Die leuchtend rote Marinade, immerhin, hat »Wumms« von fruchtiger Säure, roter Zwiebel und anregende Chillischärfe. Nur den Fisch schmeckt man eben kaum durch, dabei ist er bei traditioneller Ceviche das zentrale Produkt.
Nun mögen zwei Gerichte kein repräsentativer Eindruck einer Küche sein, doch zumindest die von uns probierten Ceviches konnten nicht überzeugen, zuvorderst wegen der untypisch vielen Beigaben. Vielleicht verhält es sich da aber auch wie mit Sushi: wenn man im Ursprungsland erleben durfte, was an Qualität möglich ist, kommt hinterher kaum etwas anderes mit.
PRADO
Nach einer kleinen Verschnaufpause im Hotel treffen wir abends am Prado ein, dem einzigen Lissaboner Restaurant, das uns von ausnahmslos jedem Fressfreund empfohlen wurde. Es befindet sich in einer kleinen Gasse am Rande von Alfama, einem der ältesten Viertel der Stadt. In lässigem Industrial-Chic-Ambiente mit hohen Decken, einfachen Holztischen und vielen Grünpflanzen soll es hier eine modernisierte Version portugiesischer Klassiker geben. Oder so ähnlich. Die Atmosphöre ist urban-trubelig, eine Reservierung dringend angeraten, der Laden brummt. Mit drei Wochen Vorlauf bekamen wir an einem Mittwochabend nur noch einen Tisch für die Spätschicht.
Die Karte listet rund ein Dutzend Gerichte zwischen neun und neunundzwanzig Euro, plus ein paar Snacks und Desserts (beides um die acht Euro). Die Gerichte sind zum Teilen gedacht, zu zweit werden drei bis vier Teller empfohlen. Die überschaubare Weinkarte ist international aufgestellt, doch wir möchten Portugal im Glas haben. Im kurzweiligen Austausch mit der Sommelière fällt die Wahl am Ende auf einen 2020er »Nossa Tola« (zu deutsch: Unsere Närrin) von Filipa Pato & William Wouters (67 €), anregend mineralisch, mit leichten Rauchnoten.
Dazu haben wir direkt ein paar Snacks bestellt: Geräuchertes Wachtelei mit Marone und angeröstetem Bauchspeck vereint Schmelz, leichte Süße und Herzhaftigkeit zu einem recht klassisch anmutenden Lusthappen. Ganz hervorragend schmeckt ein Tatar vom portugiesischem Minhota-Rind, das mit gehacktem Shiitake-Pilz zwischen knusprig gegrillten Kohlblättern angerichtet ist, wie ein Sandwich. Die »dunkle« Intensität des Fleischs und die perfekte Würze sind atemberaubend – voll, rund und komplex. Exzellent.
Weiter geht es mi Tintenfisch von den Azoren, zu etwas dickeren Tagliatelle geschnitten und mit einer Sauce aus Kartoffeln und Schinkenbutter serviert. Das schmeckt fantastisch, fast noch besser als die Tintenfisch-Tagliatelle am Vorabend im Loco. Die »Nudeln« haben guten Biss und einen angenehm deutlichen Eigengeschmack, die Kartoffelstärke verleiht der buttrigen Sauce eine mollige Fülle. Ein geschmackiger Feelgood-Teller, in dem man sich genüsslich verlieren kann.
Beim nächsten Gang bedeckt ein Carpaccio von Violetter Garnele ein ideal al dente gegartes, mit Seetang versetztes Risotto, dessen wohltuende Hitze das rohe Krustentierfleisch minimal »gart«. Eine leichte Tomatensauce sowie einige Pomelo-Segmente kontrastieren die maritime Aromenwelt. Alles zusammen hat Würze und Biss, Frische und einen Hauch Säure. Hanwerklich einwandfrei und geschmacklich raffiniert, würde dieses Gericht auch in höher dekorierten Restaurants positiv auffallen.
Als Fleischgang bestellen wir Secreto vom Alentejano-Eichelmastschwein. Die beiden rosa gebratenen Tranchen sind von kerniger Zartheit und jener aromatischen Fülle, die charakteristisch für die besten mediterranen Schweinerassen ist. Die Stücke ruhen auf einem Ragout aus Rüben und Steckrübengrün, das sich mit seinem herb-süßlichen Touch und seiner schmeichelnden Cremigkeit als heimlich Star des Tellers erweist. Ein unkomplizierter, aber nicht unerheblicher Genuss.
Und weil das alles so verdammt gut schmeckt, bestellen wir trotz angenehmer Sättigung noch ein Gericht nach: Bio-Kichererbsen sind mit sämiger Schinkenbrühe zun einer Art Eintopf gekocht und werden von gehobelten Pilzen (Amanita ponderosa) sowie etwas Grünzeug getoppt. Wir mögen Kichererbsen, doch die Möglichkeiten, aus ihnen einen anspruchsvollen Hochgenuss zu machen, sind relativ begrenzt. Hier bringen der intensive Fond und die Pilze reichlich Geschmack mit, trotzdem bleibt es am Ende etwas monoton und weniger raffiniert, als alles Vorhergehende.
Als Dessert wählen wir eine ungewöhnlich klingende Kreation aus Pilzeis, Butterkaramell und Perlgraupen. Die Mischung von üppiger Karamellsüße und feinherbem Umami der Eiscreme funktioniert verblüffend gut; die Graupen sorgen für Biss und steuern eine charmante Getreidenote bei. Überraschend gut, aber auch sehr gehaltvoll. Ein Dessert für zwei Personen.
Als schöne Überraschung stellt sich beim kurzen Plausch mit dem jungen Inhaber und Küchenchef António Galapito heraus, dass er einst zusammen mit Sven Wassmer bei Nuno Mendes im Londoner Vijanate arbeitete und seither mit dem Schweizer befreundet ist (den wir damals im Viajante kennen lernten). Wie klein die Gastro-Welt doch ist. Zum Abschied gibt Galapito uns noch einen Restaurant-Tipp mit auf den Weg: das O Velho Eurico, gleich um die Ecke…
O VELHO EURICO
… wo wir am nächsten Nachmittag nach einem (wenig lohnenden) Besuch des Castel S. Jorge spontan einkehren. Das kleine, unscheinbare Restaurant ist offenbar schwer angesagt, bei Einheimischen wie Touristen gleichermaßen. Glücklicherweise treffen wir gegen 15 Uhr nach der mittäglichen Rush hour ein, sodass die Wartezeit auf der kleinen Terrasse kurz ausfällt – genau ein kleines Bier lang.
Drinnen herrscht ein punkiger shabby-Chic, mit bunt zusammengewürfeltem Mobiliar, bekritzelten Wänden und Geschirr im Second-Hand-Look. Das muss man mögen. Wir lieben es. Auf einer Schiefertafel stehen die rund zehn Gerichte des Tages, das »Teuerste« liegt bei fünfzehn Euro.
Wir starten mit Pastéis de massa tenra, traditionellen frittierten Teigtaschen, die hier mit gezupftem Spanferkelfleisch gefüllt sind: perfekt knusprig, ohne fettig zu sein, dampfend heiss, mit saftiger, üppiger Füllung und einer kräftigen Pfeffersauce zum Tunken. Die Teile sehen unscheinbar aus, doch wir wagen zu behaupten, dass man sie besser nicht machen kann.
Weiter geht es mit Bacalhau-Salat, der mit einer Art Joghurtsauce und Schnittlauchöl angemacht und mit reichlich Zwiebeln garniert ist. Klingt deftig, schmeckt jedoch überraschend delikat, beinahe subtil. Die relativ feste Textur des Stockfischs wird durch die Vinaigrette aufgelockert, die saftigen, süßlich-würzigen Zwiebeln verleihen zusätzliche Frische. Sehr schön.
Parallel dazu kommt geschmortes Lamm auf den Tisch, garniert mit Maronen und Maronenpüree – deftige Wohlfühlküche aus butterzartem Fleisch, unterlegt mit einem Hauch nussiger Süße von den Maronen. Alles ist reich an Geschmack, aber nicht überwürzt; sogar die frischen Minzeblätter mit ihrer ätherischen Frische sind von Bedeutung. Ein Gericht wie bei Großmuttern, wenn sie denn Portugiesin wäre.
Trotz guter Sättigung und eines fest reservierten Zwölf-Gänge-Dinners pfeifen wir auf die Vernunft und bestellen noch einen Gang nach. Der im Ganzen servierte Tintenfisch duftet appetitanregend nach Grill und wird mit dick eingekochter Orangensauce serviert, deren sommerliche Fruchtigkeit von Rosmarin und Chilli den nötigen Kick bekommt. Dazu passt ein leicht bitterer Portulaksalat ganz vorzüglich. Erst später lesen wir, dass dieses Gericht ein Klassiker des Hauses ist. Zu recht.
Der Laden ist aufgrund des Ambientes sicher nichts für Gourmetspießer, wir für unseren Teil würden uns am liebsten noch weiter durch die kleine Karte futtern und dabei die herrlich gut gelaunte Atmosphäre genießen. Doch für heute muss dieser kurze Eindruck genügen. In ein paar Stunden geht es zum Abendessen, in gehobenerem Umfeld. Die Mischung macht's, und hier in Lissabon stimmt sie bisher bestens.
Kai Mihm