Restaurantkritik 19.Mai 2023

La Cuisine Rademacher – Boxenstopp

Der Guide Michelin definiert die Auszeichnung mit einem Stern als »einen Stopp wert«. Bei unserem jüngsten Ausflug in den Großraum Köln nahmen wir diese Definition beim Wort: das Restaurant La Cuisine Rademacher liegt im Kölner Stadtteil Dellbrück, auf ungefähr halber Strecke von Bensberg zur Kölner City. Ideal also, um nach dem Dinner im Vendôme (Bericht folgt) die Fahrt zum Kölner Hauptbahnhof am folgenden Mittag für einen Lunch zu unterbrechen. Bereits die Tatsache, dass man hier mittags öffnet, macht das Restaurant in Deutschland zu einer Besonderheit.

Der Name von Inhaber und Küchenchef Marlon Rademacher war mir irgendwie schon länger ein Begriff, aber erst ein Blick auf die Webseite eröffnete, dass er unter anderem bei Helmut Thieltges im Sonnora und als Souschef im Kölner Wein am Rhein gearbeitet hat, bevor er sich 2018 selbstständig machte.

Von außen ist das Eckrestaurant im nicht übermäßig beschaulichen Dellbrück eher unscheinbar. Innen changiert die Atmosphäre zwischen Stadteilbistro im hier abgebildeten Hauptraum, und gestylterem Casual Fine Dining im Raum des anderen Eckflügels (Foto weiter unten). Dort möchte uns auch der überaus freundliche Service platzieren, aber irgendwie sagt uns die etwas lebendigere Atmosphäre hier »vorne« mehr zu. Noch ist das Restaurant leer, doch das wird sich bald ändern.

Kulinarisch war die Entscheidung bereits im Vorfeld auf das komplette Menü gefallen (es wird auch ein Mittagsmenü angeboten). In Sache Wein starten wir von der überschaubaren Karte mit Georg Breuers »Berg Rottland« (Jahrgang 2018), einer jener großen Rieslinge, auf die wir uns bei aller Skepsis gegenüber dieser Rebsorte mit Freude einlassen.

Angenehm zügig werden dann auch schon die Amuses serviert, drei an der Zahl, unter dem Titel Les saveurs de la mer. In einer Jakobsmuschelschale sind Scheiben roher Jakobsmuschel mit einer Ingwer-Trüffel-Gremolata bestrichen und ruhen auf einem eleganten Oxtail-Gelee, das wiederum eine Vichyssoise bedeckt – ein hervorragend abgestimmtes, unaufdringlich zwischen Feld und Meer oszillierendes Ensemble, bei dem es keinen wirklichen Hauptdarsteller gibt, weil nur alles zusammen so glänzend funktioniert: die zarte Muschelscheiben, das kühle Umami vom Gelee, die cremige Kartoffel, der leicht knackende Biss der Gremolata. Das erinnert in der köstlichen Feinjustierung durchaus ans Sonnora.

Auf einem kleinen Teller ist daneben ein Salat von Taschenkrebs mit Avocado und Cocktailsauce angerichtet, bei dem die vorherrschende Cremigkeit von etwas Bittersalat und kleinen Grapefruitstücken aufgebrochen wird. Sehr schön. In eine ähnliche Richtung geht ein auf einer Limettenhälfte angerichteter Hummersalat mit Fingerlimes, Curry und Limette. Auch hier wirkt das Gesamtbild recht cremig-»mayonnaisig«, doch die säuerliche Limette setzt einen entscheidenden Gegenakzent. Das schmeckt ein bisschen wie die edle Version einer amerikanischen Lobster Roll, nur ohne die Roll (das Brötchen). Die beiden Salate waren »gut«, die marinierte Auster (als Extra) nach Christians Aussage ebenso, doch das bleibende Highlight dieser Eröffnung ist zweifellos die Jakobsmuschel.

Der erste Gang des Menü nennt sich Sellerie Mille-Feuille »2018«, nach dem Eröffnungsjahr des Restaurants. Ein Signature dish also, und das zu recht, wie sich schnell zeigt. Ein im Salzteig gegarter Sellerie ist in dünnen Scheiben mit einer Trüffel-Morchel-Parmesancreme geschichtet – diese Melange aus Erdigkeit, hintergründiger Süße und Parmesanwürze ist von einer seelenwärmenden Süffigkeit, die uns einen Schauer über den Rücken jagt. Noch besser wird es durch papierdünn gehobelte Champignons, die auf dem Mille-Feuille zu einer Art Blüte drapiert sind, am Gaumen förmlich schmelzen und dabei waldige Frische zurücklassen. Hinzu kommt ein Pulver aus selbst gesammelten, getrockneten Steinpilzen und ein leichter Parmesanschaum, der das Ganze nochmals süffiger macht. Ein nicht weniger als großartiger Menüauftakt.

Weiter geht es mit europäischem Hummer von bemerkenswerter Zartheit und aromatischer Präsenz. Das appetitlich-rotglänzende Schwanzstück des Krustentiers ist mit geschäumter Bisque auf einem handwerklich hervorragenden Risotto angerichtet. Wir sind immer wieder erstaunt über die pappigen Reishaufen, die außerhalb Italiens als Risotto verkauft werden. Hier dagegen hat es Biss und vor allem die konstituierende Cremigkeit. Ätherische Estragonwürze gibt dem Ensemble eine träumerisch provençalische Note. Je eine Stange grüner und weißer Spargel wären ebenfalls schöne Ergänzungen, sind nur leider viel zu weich gegart; das mag Geschmackssache sein, wir vermuten jedoch eher einen küchentechnischen Lapsus. Dennoch bleibt dies ein Gericht auf hohem Niveau, in das man sich mit Freude »hineinessen« kann.

Inzwischen ist auch der zweite Wein im Glas, ein ausgezeichneter Pouilly-Fuissé 2020 von der Domaine Leflaive.

Es bleibt mediterran, mit über Holzkohle gegrillter Rotbarbe mit Zitronenthymian-Öl. Der typische, kräftige Geschmack des Fischs, hier erweitert um ganz leichte Rauchigkeit und krosse Haut, wird von einer abwechslungsreichen Assemblage aus Artischocke, Fenchel, Kalamata-Oliven und getrockneten Tomaten aufgelockert. Einige frische Basilikumbättchen sind nicht nur Zierat, sondern mit ihrer duftigen Frische ein relevantes Detail. In Summe bleibt das etwas konventioneller, als die vorherigen Gänge, aber immer noch mehr als gut.

Beim Fleischgang kommt ein Cut vom Rind auf den Teller, den man in der gehobenen Gastronomie nur noch äußerst selten antrifft: Filet. Es stammt von der galizischen Rasse Ternerga Gallega und schmeckt sehr gut – zart, trotzdem mit Biss und Charakter. Dazu gibt es einen faszinierend dunklen, seidig glänzenden Jus, dessen tiefer Geschmack von Könnerschaft und Sorgfalt zeugt. Traditionell fällt auch die Beilage aus, ein ausgezeichneter Gratin aus La Ratte-Katoffeln, verborgen unter einem Wildkräutersalat mit Bärlauch für abwechslunsgreiche Frische und Marcona-Mandeln für etwas »Biss«. In seiner elegant-bodenständigen Klarheit hat dieses Gericht etwas von einem bourgeoisen französischen Sonntagsessen alter Schule, was wir gar nicht negativ verstanden wissen wollen. Es schmeckt einfach richtig gut. Und so gut das Filet auch ist, mit einem etwas spannenderen Cut vom Rindfleisch könnte diese handwerklich makellose Darbietung noch erheblich gewinnen.

Das Pre-Dessert aus Erdbeeren und Veilchen kommt in Gestalt eines intensiv-fruchtigen Erdbeerragouts mit duftigem Veilcheneis daher, getoppt von knusprig-getrockneter Milch. Schlicht und sehr schön.

Das finale Dessert besteht aus einem zarten Schokoladenmousse-Törtchen von Valrhona Grand Cru und Kaffee, das beim Anstechen einen flüssigen Passionsfruchtkern freigibt. Dazu gibt es ein hervorragendes Passionsfruchtsorbet. Etwas Vanillesalz, Pekannuss und Physalis steuern herbsüße Noten bei, und ähnlich wie der Basilikum zum Fisch erweisen sich einige Blättchen Atsina-Kresse mit ihrem süßlichen Anisgeschmack als wesentlicher Bestandteil dieser Dessertkreation. Sehr gut.

Abschließend noch ein paar süße Kleinigkeiten von auffallend guter Qualität sowie ein Brand aus hauseigener Herstellung.

So geht ein entspannter Mittag zu Ende, mit einer Küche, die vor allem durch ihre schmackhafte Unaufgeregtheit gefällt. Eine bei jungen Köchen eher selten gewordene Qualität. Hier geht es um gute Produkte, die mit sorgfältigem Handwerk zu harmonischen Geschmacksbildern verarbeitet werden. Der angenehm unprätentiöse Stil von Marlon Rademachers Küche ist mutmaßlich auch dem etwas konservativerem Publikum hier im Kölner Umland geschuldet, aber sei es wie es will – das Resultat macht einfach Freude. Und wenn wir ehrlich sind, lag das Restaurant auf der Fahrt von Bensberg gar nicht mal direkt auf dem Weg. Doch um noch einmal den Guide Michelin zu paraphrasieren: diesen (kleinen) Umweg war uns dieses Essen absolut wert.

Kai Mihm

Wein

Umfrage

Schlicht gehaltene Küche, die einfach gut schmeckt – reizt Euch das?

 

Das könnte dich auch interessieren