Restaurantkritik 25.Februar 2023

Gutes im Lärchenhof

Der Ackerweg, immer dieser Ackerweg. Auch unser jüngster Besuch des Restaurants Gut Lärchenhof im ländlichen Pulheim bei Köln beginnt damit, dass der Taxifahrer von seinem Navi auf einen Ackerweg zwischen Reiterhöfen und Feldern gelotst wird, was durchaus pittoresk ist, aber leider nicht zum Ziel führt. Also umständlich gewendet, zurück auf die Hauptstraße und noch ein Stück weiter. Dann kommt auch schon die Beschilderung. Nun denn, zumindest die Mitglieder des Golfclubs, in dem das Restaurant sich befindet, dürften den Weg auch so finden.

Das schmiedeeiserne, von hohen Hecken gesäumte Einfahrtsportal und das dezente Backsteingebäude inmitten gepflegten Grüns strahlen eine fast schon filmische Herrschaftlichkeit aus, pretty british. Das hat seinen Reiz, könnte allerdings auf eine eher gediegene Gastronomie schließen lassen, die der mutmaßlichen Klientel des Golfclubs entspricht. Wir wissen es nach zwei Besuchen natürlich besser. Küchenchef Torben Schuster hat Stationen im berühmten niederländischen Dreisterner De Librije und im Düsseldorfer Nagaya absolviert. Mehr muss man eigentlich nicht sagen. Gediegen ist da gar nichts.

Da wir beim letzten Besuch im Sommer 2020 auf der Terrasse saßen, haben wir ganz vergessen, wie angenehm sich der großzügige Gastraum vom üblichen Einerlei abhebt, mit hoher Holzdecke, atmosphärischem Gebälk und warmer Farbpalette, im Hintergrund ein Flügel. Ein Teil des Raums dient als Bistrobereich, was die Atmosphäre auflockert. Der Service ist bester Dinge, wir ebenso.

Zunächst gilt unsere Aufmerksamkeit der Weinkarte, die hier immer Freude bereitet, von der Selektion wie auch von der Kalkulation. Von Patron und Weinenthusiast Peter Hesseler, der übrigens auch das La Société in der Kölner Innenstadt führt, lassen wir uns bei der Wahl einer #sidebottle beraten. Am Ende wird es ein Puligny »Clavoillon« 2017 von der Domaine Leflaive, der hier für geradezu günstige 350 € zu haben ist. Ein kühles Glas Champagner steht auch schon auf dem Tisch, wir sind bereit.

Das Menü (acht Gänge 199 €) wird von einer Trilogie zum Thema »Umami« eingeleitet. Eine hauchdünne Parmesan-Croustade ist mit Rindertatar, Crème fraîche und Schnittlauch gefüllt; die klassisch köstliche Kombination wird von einem Löffel mit Imperial Auslese Kaviar ergänzt, der für 24 Stunden in Kombu-Algen eingelegt war. Dieses Doppel vereint Berg und Meer, Salzigkeit und Frische, »grüne« Aromen und eben Umami. Ganz entscheidend ist dabei die Idee, den Kaviar separat zu servieren, anstatt ihn auf die Croustade zu geben, denn sein delikat nussiger Geschmack kommt auf diese Weise wesentlich klarer zur Geltung.

Eine weitere Croustade spielt die gleiche Idee als reine Meeresvariante durch: Sie ist mit Sepiatinte gefärbt und umhüllt zartes Hummertatar, dem schwarze Knoblauchcreme und Umeboshi eine feinherbe Bühne bereiten, dazu ploppt salziger Forellenkaviar. Auch das ist mit großer Eleganz umgesetzt.

Das Highlight dieser frankophilen Eröffnung bildet allerdings ein appetitlich gebräunter, fluffiger Pâte à choux, gefüllt mit Bergkäse und Trüffelcreme, getoppt von einigen Scheiben Périgord-Tüffel – warm, weich, vollmundig. Die pure Wonne.

Der nächste Snack wird mit einer gewissen Warnung annonciert: was jetzt kommt sei ziemlich kräftig. Es geht um Sprotte. Ein geräuchertes Filetstückchen ist mit saurer Gurke, süßlich marinierter Zwiebel und Senfcreme auf einer »Gräte« aus knusperndem Fisch-Tapioka samt kross frittiertem Sprottenkopf angerichtet. Rauch, Süße und Säure, »dunkle« Aromen und belebende Frische – dieser norddeutsche Happen vereint alles auf kleinstem Raum.

Gewissermaßen als Kontrapunkt zur intensiven Sprotte gibt es anschließend ein erfrischendes Shiso-Granité mit Yuzu, Shisoblüten und Thai-Basilikum. Den Clou bilden eine Kaffee-Emulsion und Stücke von gesäuerterm Zillertaler Bauchspeck, verborgen unter dem Granité. Nimmt man alles zusammen, ergibt sich eine Mischung aus kühler Frische und salzigem Fett, unterlegt mit Kräuter- und Bitternoten. Das klingt wild, lässt sich kaum mit irgendetwas vergleichen oder konkret verorten. Jedenfalls schmeckt es begeisternd schlüssig.

Das eigentliche Menü startet mit Zunge und Maske vom Kalb in Gestalt einer kleinen Terrinenkugel, um die sich Kartoffelstücke, kleine Fleischwürfel, Pilzcreme, Kohlrabischeiben und diverse Kräuter gesellen. In ähnlicher Form hatte wir dieses Gericht bereits im Sommer '20, und auch in der heutigen Variante werden die rustikalen Zutaten auf verblüffende Weise in ein verfeinertes Geschmacksbild übersetzt (ähnlich wie kurz vorher bei der Sprotte). Das Fleisch ist zart und mild, die Kartoffel gibt dem Ganzen etwas Fülle. Immer wieder blitzt auch der Geschmack von Nelke auf und verleiht dem Ensemble einen geheimnisvoll-ätherischen Touch. Sehr stark.

Ein Gericht aus Gänseleber, Aal und Apfel schließt an diesen Stil, der in seiner eleganten Originalität durchaus an Jonnie Boer erinnert, nahtlos an. Die eher cremig gehaltene Leber wird relativ klassisch mit Rauchaal von Birnbaum kombiniert, Apfelscheibchen (gegart) lockern mit fruchtiger Säure auf. Dazwischen knuspert Macadamia-Krokant, während eine Macadamia-Creme und Nussbutterschaum an die nussige Aromatik der Leber anknüpfen. Ein leichter Apfelsud grundiert das einnehmend klare Geschmacksbild. In anderen Händen könnte so ein Gericht entweder forciert oder trivial wirken; hier kommt alles ganz locker zusammen, als habe man das bei aller Präzision gerade mal aus dem Ärmel geschüttelt.

Beim nächsten Gang steht ein gefühlt allgegenwärtiges Produkt im Zentrum: Hamachi. Aber auch hier greift eine feine Originalität, die den Fisch vor der Beliebigkeit bewahrt. Die rohe, dünn aufgeschnittene Makrele ist mit Scheiben von leicht scharfem Winterrettich zu einer Blüte drapiert, dazwischen knuspert Buchweizen mit Aji Amarillo-Chilli – ein  träumerisch balanciertes Spiel mit jodigen, getreidigen und schärfenden Aromen. Einmal mehr dient ein Sud als Grundierung, diesmal in Form eines leicht süßlich-nussigen Buttermilch-Molke-Kombucha. Exzellent.

Über dem winterlichen Grün des Golfplatzes hat leichter Schneefall eingesetzt, da kommt die folgende Tableside-Action genau richtig: Auf einem heißen Binchotan-Grill werden schottische Jakobsmuscheln geröstet, was einen appetitanregenden Duft freisetzt. Der fast schon liebliche Geschmack der leicht gebräunten Muscheln harmoniert prächtig mit weichem, nussigem Sellerie, der wiederum von einer milden Version der Base Gede überzogen ist, einer balinesischen Gewürz-Grundsauce, in der unter anderem Ingwer, Muskat, Zwiebeln und Chillis Verwendung finden – hier nur als exotischer Hauch, nicht als Hammer. Ein paar knackfrische Pak-Choi-Blätter unterstreichen die asiatische Note dieses Gerichts, Bucheckern greifen das Nussige der Jakobsmuschel auf. Man könnte meinen, dass die hervorragende Meeresfrucht in dieser süffigen Aromenfülle untergeht, doch weit gefehlt. Einmal mehr ist das hervorragend.

Wenn ein Menü so gut läuft, muss irgendwann ein Ausreißer kommen. Und hier haben wir ihn: Ein Stück Ikejime-Wolfsbarsch, angerichtet mit Graupen und Meerrettichsauce, könnte großartig sein, mit Schärfe, Herzhaftigkeit und Biss. Doch leider wurde der Fisch Sousvide gegart, was ihm eine unangenehm weiche, fast schon breiige Textur verleiht. Das schwammige Mundgefühl wird von der cremigen Sauce noch verstärkt. Freude macht das nicht, nach zwei Gabeln ist Schluss. Sehr viel besser gefällt ein á-part gereichtes Tatar vom Wolfsbarsch mit Misocreme und milder Trüffelponzu, das mit Nordseegarnelen, Krabbenchip und ausgebackenen Krabben eine auch texturell kurzweilige Meeresvielfalt präsentiert. Das könnte fast ein Zwischengang für sich sein. 

Beim ersten Fleischgang ist die Küche wieder in der Spur. Es gibt französische Wachtel, ein Geflügel, das man jahrelang vergeblich auf den Speisekarten gehobener Restaurants suchte. Seit einiger Zeit entwickelt der Vogel sich jedoch zum hot shit, sei es im Berliner Prism, im Stockholmer Gastrologik oder im JAN. Hier im Gut Lärchenhof überglänzt man Brust und Keule mit Kimchi-Gewürzlack und gibt perfekt gebratene Gänseleberstücke dazu – Junge, ist das gut. Im Wesentlichen geht es hier um jede Menge Umami und fetten Schmelz, um Saftigkeit und Würze. Dazu braucht es als Begleiter lediglich ein paar frische Feldsalatblättchen und etwas Zwiebel. Gedünsteter Spinat, verborgen unter dem Fleisch, dient uns vor allem zum Aufwischen der samtigen, mit Ingwer, Chili und Limette gewürzten Saucenreste. Ein fantastisches Gericht zwischen Frankreich und Südostasien.

Weiter geht es mit japanischem Wagyu, dessen krosse Kruste und deutlich sichtbare Fettstruktur schon beim Anblick den Mund wässrig machen. Fleisch dieser Güteklasse braucht nicht viele Beigaben. Hier sind es Schwarzwurzeln, als leicht geräucherter Sud und als Roulade mit Wirsing und Trüffel, ein süßlich-erdiges, aber nicht zu mächtiges Ensemble, bestens passend zum gehaltvollen Fleisch. Dazu ein intensiver, maßvoll reduzierter Jus, fertig ist ein wohlgeschmackiger Hauptgang von betörender Klarheit. Den am Tisch darüber gehobelten Périgord-Trüffel von ausgezeichneter Güte lassen wir uns gerne gefallen, wirklich zwingend wäre dieses luxuriöses Aperçu indes nicht.

Den Käsewagen wollten wir eigentlich nur fotografieren, können dann aber einer klitzekleinen Auswahl erwartungsgemäß nicht widerstehen.

Es ist nicht allzu viel los, an diesem Mittag, doch der behaglichen Atmosphäre tut das hier keinen Abbruch; unserer prächtigen Laune sowieso nicht. In dem eleganten, an eine ausgebaute Scheune oder eine mondäne Berghütte erinnerndem Ambiente fehlt eigentlich nur noch ein lodernder Kamin.

Das erste Dessert kombiniert Mandarine und Fenchel. Die schmeichelnde Süßsäuerlichkeit der Frucht wird hier gegen die kräftigen Anisnoten des Gemüses ausgespielt; dazu gibt es ein paar nussige Elemente und die lakritzige Süße von Valrhona Orelys-Schokolade. Das schmeckt durchaus gut und nicht unspannend, wirkt durch die sehr präsenten Knusperelemente aber etwas trocken. Uns fehlt hier »wärmende« Cremigkeit. Auch tut sich das Mandarinensorbet gegen den recht wuchtigen Anisgeschmack vom Fenchel etwas schwer. Irgendwo versteckt sich hier ein verdammt gutes Dessert, so ganz da ist es noch nicht.

Aufgrund der Haselnuss zur Mandarine erhalte ich ein alternatives Dessert (bevor obiges dann doch noch kommt, ohne Nuss), mit dem die Küche unter Beweis stellt, dass sie sich auch auf klassische Pâtisserie versteht: Eine verführerisch knuspernde Tarte Tatin, überzogen von dunkler Ganache, wird mit duftigem Sri-Lanka-Zimt und Tahiti-Vanilleeis serviert. In seiner scheinbaren Schlichtheit ist das nicht weniger als hervorragend.

Auch das zweite »reguläre« Dessert kombiniert Obst und Gemüse, nämlich Passionsfrucht und Chicorée, unser »Produkt des Jahres 2022«. Die kräftige exotische Säure der Passionsfrucht wird durch die Bitterkeit des Chicorées auf verblüffende Weise gemildert, es schmeckt frisch, fruchtig und elegant. Tahiti-Vanille und grünes Olivenöl wirken als gaumenschmeichelnde Geschmacksverstärker, süßlicher Malzknusper »erdet« das Ganze. Alles greift hier ineinander, trotzdem schmeckt jeder Löffel ein kleines bisschen anders – mal fruchtig-vanillig-süß, mal etwas herber. Sehr gut.

Abschließend noch die gewohnt guten Petits Fours: eine Praline aus Valrhona Opalys mit Ingwer, Muscovadozucker und Sesam, ein Macaron von Rauchmandeln und Granny Smith, eine Praline aus Equatoriale Valrhona mit Sauerkirsch und Kaffee sowie ein besonders guter Canelé de Bordeaux. Außerdem natürlich der Klassiker das Hauses, ein »Exotic-Kölsch« aus Passionsfrucht und Vanille, welches nochmal kurz an das zweite Dessert anknüpft.

Wir prophezeiten es schon letztes Mal: hier im Gut Lärchenhof hat sich etwas ziemlich Großes entwickelt. Eine Küche, die individuell ist, anspruchsvoll auch, filigran und hintersinnig. Nicht bemüht, sondern köstlich. Als roten Faden würden wir die vom holländischen Modernismus eines Jonnie Boer inspirierte Originalität bezeichnen. Nennen wir es eine präzise Unbekümmertheit, in den besten Momenten gepaart mit der ätherischen Eleganz eines Yoshizumi Nagaya. Wobei Schusters Stil nie epigonal wirkt, sondern elaboriert. Und wenn man über Guide-Bewertungen sprechen will, sehen wir den Gusto mit 9 Pfannen wesentlich näher an der heute gezeigten Leistung, als den Michelin. Sei's drum, mal sehen, was noch geschieht. Uns jedenfalls ist das Gut Lärchenhof jeden Umweg wert. Wenn es sein muss auch über den Acker.

Kai Mihm

Wein

Hinweis

Bei dem Besuch handelte es sich um eine Einladung. Der Inhalt des Berichts bleibt davon unberührt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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