Restaurantkritik 29.November 2023

Erno's Bistro – Frankreich in Frankfurt

Das ›Erno's Bistro‹ ist in Frankfurt eine gastronomische Institution. Das muss man einfach mal so stehen lassen. Diesen Status genießen hier sonst nur Äppelwoikneipen. Umso erstaunlicher ist es, dass wir, also Christian und ich, als Buben der Region noch nie bzw. zuletzt vor fünfundzwanzig Jahren hier waren. Warum das so ist, wissen wir selbst nicht so genau.

Die Historie des Hauses in Kurzfassung: ›Erno's Bistro‹ wurde 1974 von Ernst »Erno« Schmitt im schicken Westend eröffnet und erhielt fünf Jahre später einen Stern. So lange dauerte das damals. 1995 übergab Schmitts Witwe die Geschäfte an den langjährigen Sommelier Eric Huber, der den jungen Elsässer Valéry Mathis in die Küche holte. 1998 verlieh der Guide Michelin dem Restaurant erneut einen Stern (der war 1986, kurz nach »Ernos« Tod, verloren gegangen). Seitdem wird die Auszeichnung ohne Unterbrechung gehalten. Damit ist ›Erno's Bistro‹ das dienstälteste Sternerestaurant Frankfurts.

Die seit fünf Jahrzehnten anhaltende Popularität des Restaurants dürfte nicht zuletzt mit dem elsässischem Bistro-Ambiente aus holzvertäfelten Wänden, karierten Tischdecken und rustikalen Holzstühlen zusammenhängen – ein gemütlich-entspannter Kontrast zum gediegenen Westend-Umfeld: in unserer Jugend galt ›Erno's Bistro‹ als eine Art Stammkneipe der umliegenden Banken und Kanzleien, worauf man gerne auch die gehobenen Preise zurückführte (Medienleute und Prominente gingen eher ums Eck in die ›Isoletta‹).

Am Donnerstagabend unseres Besuchs ist jeder Tisch besetzt, mit einer bunten Mischung aus jüngeren Paaren, älteren Freundinnen und internationalen Geschäftsleuten. Es ist ein warmer Herbsttag, sodass man den gemütlich abgeschirmten Vorgarten eingedeckt hat, ganz in weiß, mit warmem Licht und hochwertigem Geschirr. Irgendwie atmet das alles ein unprätentiös weltstädtisches Flair.

Der Schwerpunkt der Speisekarte liegt bemerkenswerterweise auf der à-la-Carte-Auswahl, zusätzlich gibt es ein Vier-Gänge-Menü (185 Euro). Letzteres soll es heute sein, wobei Valéry Mathis einen zusätzlichen Gang für uns einbaut. Auf der Weinseite geben wir Patron Eric Huber nach einem kurzweiligen Austausch freie Hand. Dass er einen ansprechenden Schwerpunkt auf Frankreich legen wird, daran haben wir keine Zweifel. Von der Güte der fast schon legendären Weinkarte konnten wir uns im Vorfeld überzeugen (sie wurde uns auf Anfrage gemailt).

Zum Champagner (Jean Pernet, Grand Cru »Réserve«) kommt ein Amuse-Dreierlei auf den Tisch. Der ansprechend mediterrane Charakter einer zarten Royale von Ziegenkäse wird durch Tomatenstücke und gehackte Taggiasca-Oliven unterstrichen. Die Güte einer solch unprätentiösen Zubereitung steht und fällt mit der handwerklichen Umsetzung, und die ist hier makellos. Sehr schön.
In einer etwas größeren Schale findet sich samtige Zucchinisuppe, bedeckt von Paprikaschaum; zusammen ergibt das ein elegantes, überraschend intensives Geschmacksbild, erneut aus der mediterranen Abteilung. Etwas »mitteleuropäischer« wird es bei einem kleinen Kalbstatar in einer hauchdünnen Gurkenscheibe mit Keta-Kaviar. Das wirkt trotz der schönen Gurkenfrische deutlich mächtiger, als die beiden anderen Küchengrüße, und schmeckt auch etwas gröber, irgendwie »schinkig«. Trotzdem noch gut.

Der erste Gang des Menüs präsentiert mit Rindertatar und Sauce-Tatar einen französischen Klassiker. An der Umsetzung solcher Traditionsgerichte lässt sich die Klasse einer Küche recht verlässlich einschätzen. Hier ist sie über jeden Zweifel erhaben. Auf dem nicht zu fein geschnittenen Tatar findet sich ein cremiges Wachtelei, versteckt unter Kräutersalat und knusprigen Kartoffelstreifen: Frische, Knusprigkeit, Umami und vielfältige Kräuterwürze – alles steht in idealem Einklang. Als entscheidender Clou erweist sich das kräftige Anbraten der Tatar-Unterseite: Die knuspernden Röstaromen des Fleischs und die abstrahlende Wärme verleihen dem Gericht Süffigkeit und Komplexität. Die mayonnaisige Sauce ist uns einen Tick zu viel, doch in seiner unprätentiösen Art ist dieser Teller ganz hervorragend.

Noch besser gefällt uns das soufflierte Bio-Ei, auch dies ein französischer Klassiker, den wir unter anderem aus der ›Schwarzwaldstube‹ und dem Pariser ›Épicure‹ kennen, dort jeweils mit Trüffel. Der Edepilz kommt zur Saison auch hier im Westend zum Einsatz, heute aber dient Kaviar als luxuriöse Verdelung des ultrazarten gestockten Eischnees. Beim Anschneiden gibt das wolkige Soufflée flüssiges Eigelb frei, welches sich aufs Köstlichstes mit einer Kaviar-Schnittlauch-Crème vermischt. Eine Nocke angenehm salziger Kaviar und ein herzhaft-süßliches Lauchpüree, verborgen unter dem Ei, vollenden den federleichten Hochgenuss. Eine Götterspeise.

Im nächsten Gang verbergen sich zarte Hummerstücke unter dünn aufgeschnittener Ochsenherztomate, dazwischen finden sich Pinienkerne, saftige Artischockenstücke und knackige Fregola Sarda – jene kleine, kugelige Pastasorte, für die unser Herz stets höher schlägt. Alles ruht in einer Bisque, deren dichter, aber nicht überbordender Geschmack von exzellentem Handwerk und maßvoller Würzkunst zeugt. Man mag das »gefällig« nennen, doch für uns ist dieser Teller in seinem mediterranen Klassizismus ein Genuss. Man muss eine gewisse Erfahrung und Offenheit mitbringen, um solche vermeintlich »simplen« Gerichte in Gänze zu schätzen, denn die hohe Güte zeigt sich in den Details.

Ganz ähnlich verhält es sich beim Fleischgang. Der Hauptteller präsentiert ein perfekt gebratenes Stück Lammrücken, mit dickem, knusprigem Fettdeckel. Die reine Freude. Dazu gibt es süffig-weiche Auberginen-Cannelloni, kross ausgebackenen Fenchel und Panisse, die südfranzösischen »Pommes« aus Kichererbsenmehl. Wie überhaupt dieser ganze Teller »Provençe« atmet. Reichlich Lamm-Safran-Jus ist mit appetitlichen Fettaugen überzogen und verführt zum puren Weglöffeln; etwas Brot steht auch noch bereit. Wunderbar. Auf einem Extrateller findet sich ein Stück zart geschmorte, saftige Lammschulter mit Kichererbsen, auch dies ein kleines Fest.

Das können wir vom alternativen Hauptgang leider nicht sagen. Knuspriges Schweinefleisch mit Rote Bete, Steinpilzen und Senfjus (kein Foto) changiert auf, sagen wir: gewöhnungsbedürftige Weise zwischen süßlich-erdigen und  würzigen Noten, wobei auch das (an sich sehr gute) Schweinefleisch einen seltsam süßlichen Drall bekommt. Das mag alles Geschmackssache sein, unseren trifft es nicht. Schade.

Und weil das alles so viel Spaß macht, teilen wir uns eine kleine Käseauswahl von Maître Anthony. Auf Facebook wurde bereits gerügt, dass die Anordnung der Käse nicht »korrekt« sei – mag sein, spielt für uns aber keine Rolle, denn wir essen sowieso nicht Stück für Stück, sondern kreuz und quer, das bringt am meisten Genuss. Man sehe uns lediglich nach, dass wir die einzelnen Sorten nicht notiert haben, der großzügige Ausschank von Eric Huber zeigt allmählich Wirkung.

Bei den Desserts (wir fahren zweigleisig) sind wir trotzdem wieder voll da. Einmal haben wird da ein Gin-Tonic-Sorbet aus »Monkey 47«, der sich mit seinen Zitrus- und Fichtennadelaromen bestens für eine solche Verarbeitung eignet. Das cremige, intensive Eis ruht in einem leichten Fond mit Gurke und ist unter einem seidigen Zitronenschaum verborgen. Limette und etwas »dunkler« Wacholder fächern die Palette noch weiter auf. Fantastisch. Das ist, sans doute, eine der besten Sorbetkreationen, die wir je gegessen haben.

Sehr klassisch mutet das zweite Dessert an. Himbeere und Schokolade bilden stets ein sehr ansprechendes Duo, und hier verleiht der schiere Variantenreichtum dem Teller Finesse und Spannung. Da ist außergewöhnlich zarte Schokomousse und etwas festere Ganache, es gibt die Schokolade zudem als winzige Drops, knusperndes Tuile und dünne Blättchen. Dazu die Himbeere als Gel, Sorbet, Coulis und natürlich als ganze Früchte. Außerdem ein paar sahnige Komponenten, sowie Passionsfruchtcoulis für den Extra-Säurekick. Das macht viel Freude und ist mehr als sehr gut.

Die Petits fours schaffen wir beim besten Willen nicht mehr. Notizen machen wir auch keine, sodass wir anhand des Fotos entschlüsseln müssen, was es gab: Mini-Baisers, Schokolade und irgendwas cremiges mit Eis. Den Desserts nach zu urteilen ist sicherlich alles ausgezeichnet; belegen können wir es nicht.

Wenn wir bei diesem Abendessen im Frankfurter Westend des öfteren an Frankreich denken mussten, dann sicher auch deshalb, weil man eine solche Küche in dieser qualitativen Ausprägung selbst im Mutterland der »Haute Cuisine« immer seltener bekommt. Das kulinarische Rad wird hier nicht neu erfunden, sondern Bewährtes akribisch gepflegt und ganz sanft auf die Höhe der Zeit gebracht. Es wäre müßig, hier konkrete Adressen zu nennen, aber Gerichte wie das Ei, das Lamm und das Sorbet würden auch in manch hochdekoriertem Pariser Haus eine gute Figur machen.

Sei's drum, das ›Erno's Bistro‹ ist eine Frankfurter Institution – für Frankfurt vielleicht das, was ›Le Moissonnier‹ in Köln ist. Auch wenn wir fünfundzwanzig Jahre gebraucht haben, um hierher zu finden. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren hätten wir das Gebotene womöglich gar nicht adäquat einschätzen können. Essen ist Erfahrung. Jetzt sind wir um eine schöne reicher.

Kai Mihm

Wein

Umfrage

Klassische Küche zu stattlichen Preisen – lohnt das?

 

Das könnte dich auch interessieren