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Restaurantkritik 30.August 2022

Suculunt – Stern der Rambla

Auf das Suculent stießen wir durch die sozialen Netzwerke, als wir im Feed eines hochgeschätzten Essverrückten Fotos von köstlich aussehenden Gerichten sahen. Eine kurze Recherche machte das Restaurant umso interessanter. Inhaber und Küchenchef Antonio Romero hat unter anderem im »El Bulli« und bei Anne-Sophie Pic in Valence gearbeitet, bevor er 2012 mit dem »Suculent« sein eigenes Restaurant eröffnete. Wenngleich das Lokal mit sehr lobenden Worten im Guide Michelin geführt wird, gab es bislang keinen Stern. Unter Einheimischen und auswärtigen Kennern gilt es dafür längst als Geheimtipp. Das genügte uns an Informationen, um auf unserer Reise nach Barcelona zwischen »Disfrutar« und »Lasarte« einen Mittagsbesuch einzuplanen.

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Beim Flanieren auf der Rambla del Raval würde man kaum auf die Idee kommen, dass sich hinter der unscheinbaren Fassade neben einem grellen Burgerladen ein gehobenes Restaurant verbirgt. Lediglich die Michelin-Plakette neben der Tür deutet dezent auf gewisse Ambitionen hin. Drinnen geht es an einem ansprechenden Tresenbereich vorbei in den Haupt-Gastraum, der sich im hinteren Teil befindet und keine Fenster hat. Das wirkt im ersten Moment etwas ungastlich, hat aber auch etwas Japanisches, wo derlei Abschottungen nicht unüblich sind. Das rustikale Holzmobiliar, Regale mit Weckgläsern und allerlei Kochbüchern und vor allem der herzliche Service schaffen auch ohne Tageslicht eine gute Atmosphäre.
Neben einer à-la-Carte-Auswahl werden zwei Menüs angeboten, die sich (wie fast überall) aus Gerichten der à-la-Carte zusammensetzen. Das umfangreichere Menü wird als »Streifzug durch unsere Küche, mit neuen und saisonalen Gerichten« beschrieben. Klingt genau richtig.

Zum Aperitif namens »Adonis«, einem klassischen Drink aus Sherry und rotem Wermut, wird das erste Gericht serviert, eine marinierte Sardelle von bemerkenswerter Güte, deren delikater Eigengeschmack lediglich von etwas Olivenöl und Orange (Saft, Schale, Gelee) untermalt wird. Sehr gut.

Es geht weiter mit einer Champignon-Royale von etwas festerer, dennoch seidiger Konsistenz, auf der einige Seeigel-Gonaden von auffallend hoher Qualität drapiert sind: zart und mild, geradezu sublim. Die Kombination salzig-jodiger und süßlich-erdiger Aromen ist von bestechender Schlüssigkeit und schmeckt begeisternd elegant.

Auf ähnlichem Niveau bewegt sich ein nicht zu fein geschnittenes Tatar von Tintenfisch, das mit Schweinebäckchen versetzt ist. Eine eigentümlich klingende Idee, die sich als Clou erweist: das sehr zarte Fleisch würzt den etwas festeren Tintenfisch mit Umami und sorgt für ein komplexes Mundgefühl. Eine Mandelmlich-Sauce unterfüttert diese hervorragende Mar-y-montaña-Variante mit milder, nussiger Süße.
Wir sind nun erst beim dritten Gericht, und jedes davon schmeckt besser als alles, was wir am Vorabend im »Disfrutar« hatten. (Bericht folgt)

Deutlich deftiger wird es bei der Entenkrokette, ein Klassiker, der genau das hält, was er verspricht: Hitze, Kraft, Knusprigkeit, Schmelz und süffiges Umami.

Erinnerten die ersten Speisen mit Orange, Olive und Mandelmilch ein wenig an Sizilien, bewegt sich die Küche nun in Richtung Peru: die Ceviche von Roten Garnelen mit Avocado und Mais verbindet in traditioneller Manier Meeresaromen mit Säure, Schärfe und eine gewissen Fruchtigkeit. Im Mittelpunkt stehen dabei fast weniger die ausgezeichneten Garnelen, sondern die perfekt gereifte Avocado mit ihrem intensiv nussigen Geschmack. Getrocknete Maiskörner setzen knuspernde Akzente, die Garnelenköpfe laden zum schlürfigen Auslutschen ein und die fruchtig-scharfe, mit Garnelensäften vermischte »Tigermilch« Löffeln wir am Ende komplett aus. Ein unkompliziertes, kurzweiliges vergnügen.

Beim nächsten Gericht liegen dünne Scheiben Rote Bete und kleine Stücke Räucheraal in einer großzügigen Menge Beurre blanc. Diese Kombi erweist sich als nicht so interessant, wie sie klingt. Erdigkeit, Räuchernoten, Buttrigkeit und Säure – das passt alles gut zusammen; zu gut, könnte man sagen, denn aromatische Spannung stellt sich nicht recht ein. Es schmeckt harmonisch und gut. Nicht mehr, nicht weniger.

Ähnlich ist der Eindruck bei der gegrillten Gänseleber mit Café de Paris-Sauce und Topinamburchips: Es schmeckt auf gefällige Weise gut, bedient das Bedürfnis nach Schmelz, Umami und Knusprigkeit, ohne dass sich rechte Spannung einstellen würde. Dies hängt allerdings nicht zuletzt mit der Foie gras zusammen, die nur wenige Röstspuren aufweist und auch sonst etwas blass schmeckt.

Ein Gewinner ist dafür der grillte Maitake-Pilz mit Pinienkern-Chutney. Das prächtige Exemplar schmeckt saftig, erdig und sehr würzig. Durch die etwas festere Textur und die appetitanregenden Röststoffe erinnert er fast an Fleisch. Die Pinienkerne verleihen diesem erneut wohltuend reduzierten Gericht das gewisse Etwas und eine, wenn man so will, mediterrane Eleganz. Sehr gut.

Nun schiebt die Küche einen Gang ein, der praktisch den Namen des Restaurants verkörpert: der Begriff Suculent leitet sich von den spanischen Begriffen Sucu (aussaugen) und lente (langsam) ab und steht für süffig-saucige Köstlichkeit. In einem tiefen Teller sitzen Brotstücke in einem dunklen, dichten Jus, sind mit diesem bereits vollgesogen und mit gehobelten Champignons sowie geriebenem Käse bestreut. Es schmeckt umwerfend. Heiß und kräftig, vor Umami strotzend, aber nicht überwürzt. Käse, Pilze und von Fleischsaft triefendes Brot verdichten sich zu einem quintessentiellen Wohlgeschmack. Bemerkenswert ist, dass die rustikale Üppigkeit nicht plump oder schwer wirkt. Ähnlich wie bei einer hochkarätigen Zwiebelsuppe in Frankreich zeichnet sich das Gericht durch eine Art deftige Eleganz aus.

Mediterraner als der nächste Gang geht es dann nicht mehr: Rotbarbe mit Bouillabaisse-Sauce und Fenchel. Eine urklassische Kombination, makellos umgesetzt, mit Fisch von fabelhafter Güte und einer samtigen, kräftig nach Meer und Meerestieren, Safran und Provence schmeckenden Sauce. Dass diese südfranzösische Geschmackswelt auch bestens nach Barcelona passt, beweist dieser Teller.
Auffallend ist spätestens jetzt Antonio Romeros Vorliebe für französische Zubereitungen, von der Pilzroyale über die Saucen bis zur Bouillabaisse. Die Jahre bei Anne-Sophie Pic scheinen nicht die schlechteste Prägung hinterlassen zu haben.

Auch das nächste Gericht hat einen frankophilen Drall: ein Steak-Tatar wird auf einem längs aufgeschnittenen Rinderknochen mit gegrilltem Knochenmark serviert serviert. Die Idee besteht darin, bei jeder Gabel des sehr gut angemachten Tatars auch ein wenig geröstetes Mark mitzunehmen. Warme Cremigkeit trifft auf kühle Würze. Sehr gut gearbeitete Pommes Soufllée steuern kurzweilige Knusprigkeit bei. Wenngleich dieser Gang zum Teilen gedacht ist, besteht unser einziger Kritikpunkt in der Portionierung: so gut es schmeckt, ist es (uns) in einem 12-Gänge-Menü schlichtweg zu viel.

Der finale Hauptgang besteht aus geschmortem Lammnacken mit Ras el-hanout und Quinoa. Das butterzarte Fleisch hat noch Struktur und ist ausgezeichnet gewürzt, sprich: nicht zu intensiv. Die maghrebinische Gewürzmischung bringt oft eine gewisse »Schwere« mit, die sich hier jedoch in Grenzen hält und vom luftigen, willkommen getreidig schmeckenden Quinoa ausbalanciert wird. Joghurt und Minze frischen das Gericht kühl und duftig auf. Stilistisch fällt dieser Gang etwas aus dem Rahmen, am sehr guten Geschmack ändert das nichts.

Das erste Dessert bewegt sich in Richtung Asien. Mit Zitronengras und Kokos aromatisierte Tapioka-Perlen werden mit dünnen Röllchen von gewürzter Mango serviert. Ein erfrischendes, kurzweiliges, nicht zu süßes Dessert, das seine exotischen Aromen sehr stimmig kombiniert. Es schmeckt nicht verkitscht, sondern authentisch. Oder anders gesagt: Nahezu identisch (und nicht besser) hatten wir das auch in Südostasien schon.

Ein Stück Schokoladenkuchen mit Rum und Tonkabohnen-Chantilly beendet das Menü recht üppig. Der intensiv schokoladige, leicht »beschwipste« Kuchen ist fluffig und zugleich kompakt, die Chanitlly wolkenzart. Passt alles, wirkt auf uns nach diesem umfangreichen Menü jedoch etwas zu mächtig.

Zurück in den gemütlichen Trubel der Rambla del Raval. Am Ende passt das »Suculent« dann doch sehr gut hierher, als nahbares, fast nachbarschaftliches Restaurant, das souverän zwischen traditionellen Gerichten und kreativeren Zubereitungen balanciert. In unkomplizierter Atmosphäre ein durch und durch wohlschmeckendes Menü genießen – gäbe es ein solches Restaurant in unserer Heimatstadt, wären wir wahrscheinlich alle zwei Wochen dort. So bleibt es ein Tipp für Barcelona. Ganz so »geheim« jetzt vielleicht nicht mehr.

Kai Mihm

Wein

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