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Restaurantkritik  3.Oktober 2022

Kellers Keller

Wir haben bekanntlich das Glück, kulinarisch einigermaßen rumzukommen. Dennoch gibt es natürlich immer noch (und immer neue) Restaurants auf unserer Bucket List. Mit diesem Besuch streichen wir nun einen langjährigen Eintrag. Und verlassen dafür nicht mal Deutschland. Man mag es kaum glauben, aber auch hier, wo die meisten Sternefresser zuhause sind, gibt es noch bedeutende Etablissements, die wir nicht besucht haben. Dazu gehört seit langer, langer Zeit unser heutiges Ziel: das altehrwürdige Schwarzer Adler im beschaulichen Vogtsburg-Oberbergen am Kaiserstuhl, unweit der Schweizer Grenze.

Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Doch selbst potentielle Highlight-Tage können mit einer gehörigen Portion Nerverei starten. Zimmer sind im »Schwarzer Adler« ein rares Gut, weshalb wir uns in einem Hotel ca. 15 Autominuten entfernt einquartieren und ein Taxi vorbestellen lassen. Doch das Taxi, man ahnt es, kommt nicht. Telefonisch erreichbar ist: niemand. Also wird ein neues Taxi bestellt. Wenn es innerhalb der angekündigten 25 Minuten kommt, sind wir noch pünktlich im Restaurant. Wir warten geschlagene 40 Minuten und trudeln schließlich um viertel nach Acht im »Adler« ein. Insofern doof, weil die letzte Bestellannahme um 20.00 Uhr ist. Telefonisch konnten wir unser unverschuldetes Zuspätkommen nicht anmelden. Weshalb? Nun, sagen wir so: Helge Schneiders Song »Telefonmann« wird in dieser Gegend nicht gelebt (einfach mal googeln, wer das Stück nicht kennt).

Doch kaum treten wir – noch leicht gereizt und dezent gestresst – durch die Tür des Lokals, sind alle Sorgen verflogen. Trotz Masken können wir erkennen, dass uns lächelnde Gesichter willkommen heißen. Man hat uns erwartet, der Tisch ist selbstverständlich bereit, lässt uns Hubert Pfingstag wissen, seines Zeichens Maitre d’ und seit geschmeidigen 46 Jahren im »Schwarzer Adler« tätig. Die Karten werden umgehend gebracht, aber Hektik ist nicht angezeigt. Wir sollen doch erstmal in Ruhe ankommen und es uns gemütlich machen. Ein Glas Sekt wird aufgetragen, die Wassergläser gefüllt, Entspannung macht sich breit. Wie schön es doch ist, als Gast so anzukommen. Hier weht die Fahne der Selbstverständlichkeit auch ohne Wind. Einfach zurücklehnen und genießen…

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Direkt los geht es mit einem Amuse: Fischmaultäschle. Küchenchef Christian Baur inszeniert einen der großen Klassiker der lokalen Küche mit asiatischem Anstrich. Ein netter Twist, der der oftmals eher rustikal inszenierten Teigtasche einen leichteren Touch verleiht. Schön.
Der weil studieren wir die legendäre Weinkarte. Und starten mit einer Flasche von Guillaume Selosse (»Largillier» Extra Brut, 300€); für danach kann schonmal der 2003er »Silex« (280€) von Kultwinzer Didier Dagueneau geöffnet werden.

Dass wir heute à la carte speisen und nicht das Menü wählen, war von vornherein klar. Die kalten Vorspeisen lesen sich zwar durchaus gut, allerdings verspüren wir heute keine besondere Lust auf Tatar oder Foie-Terrine, weshalb wir nach kurzer Rücksprache mit dem Service direkt mit den warmen Vorspeisen einsteigen.
Den Anfang macht gegrillter wilder Steinbutt mit Beurre blanc, Lardo, gelierter Aubergine und umbrischen Linsen. Hört sich erstmal ein bisschen überladen an, aber was kann bei Butt mit Beurre blanc schon schief gehen? Wenn man sein Handwerk beherrscht, so gut wie gar nichts, wie auch dieses Beispiel mal wieder beweist. Eine saftige, feste Tranche des Plattfischs wird von einer sehr buttrigen Sauce umspielt, die jedoch genügend Säure für die nötige Balance besitzt. Denn der Rest hat es in sich, ist erdig, nussig, salzig und gehaltvoll. Ausladend zwar, aber dennoch maßvoll genug, um dieses gewisse Grundrauschen an Harmonie flackern zu lassen.

Weitaus sommerlicher als der eher mollige erste Gang präsentiert sich der Kaisergranat auf cremiger Buttermlich-Polenta mit Kohlrabi-Rucola-Emulsion und Holunderkapern. Reichlich Knallgrün suggeriert hier eine Leichtigkeit, kaschiert aber einen durchaus substanziellen Unterbau. Dieser rührt von der Polenta her, die glücklicherweise jedoch eher durch Nussigkeit als Süße glänzt und mit der Buttermilch einen guten Säurekonterpart bekommen hat. Mehr Kick bietet natürlich die Sauce, die mit ihren herb-grünen Senfakzenten und einem erdigen Unterton einen spannenden Kontrast zum Krustentier bildet. Der knackig gegarte Granat ist von hoher Güte und steht trotz reichlich Gewusel drumherum klar im Mittelpunkt, wo er auch hingehört. Schön und mal etwas anderes.

Richtig rustikal wird es beim portugiesischen Felsenoktopus mit geröstetem Sauerteigbrot, Brunnenkresseöl und doppelter Schalottenbouillon. Das ist keine zarte, erfrischende Meeresbrise, sondern eine ausgewachsene Big Wave in Nazare, die geritten werden will. Dunkel, fleischig und würzig schmeckt das. Salzig, kernig und irgendwie fast wie zuviel des Guten. Aber eben nur fast. Denn allein die Bouillon ist so verdammt gut, dass man sich am liebsten darin suhlen würde und wird denn auch bis auf den letzten Tropfen weggeputzt. In der aromatischen Konsequenz ist dieser Gang ziemlich mutig und vor allem sehr gut.

Ganz gemächlich geht es weiter mit glacierten Pecorino-Ravioli in Olivenöl-Nage mit sautiertem Spinat und geräucherten Paprikabröseln. Die Pasta ist handwerklich tadellos, auch wenn der Teig für unseren Geschmack ein klein wenig dünner ausgerollt werden dürfte. Das verbuchen wir unter persönlichen Vorlieben. So haben die Ravioli ein bisschen mehr Biss, was nie verkehrt ist, und auch die würzig-mediterrane Einfassung mit duftigem Olivenöl und Knusperbröseln gefällt uns gut. In Summe ist das ein sehr gut gemachter, angenehm unprätentiöser Wohlfühlgang.

Aufgrund eines Missverständnisses hat unsere Vorbestellung für das berühmte Poulet en vessie leider nicht geklappt. Deshalb entscheiden wir uns vor Ort für die getrüffelte Poularde in der Meersalzkruste. Tableside Action gibt es auch bei dieser Zubereitung. Spannend ist aber erstmal nicht das Huhn an sich, sondern der Kontrast zur Schweinsblase beim Servieren. Eine junge Dame in Ausbildung präsentiert den noch komplett in der Kruste verhüllten Vogel am Tisch…

…um ihn danach auf einer Anrichte gemeinsam mit Hubert Pfingstag aus seinem Salzmantel zu befreien. Der Maître tranchiert den Vogel mit sicherer Hand – während seiner 46 Jahre im Haus hat er nach eigener Auskunft etwa sechs Hühner pro Tag zerlegt, was selbst bei konservativer Schätzung der geleisteten Arbeitstage über 60.000 Vögel ergibt.

Zuerst wird die Hühnerbrust mit etwas Saisongemüse, Pommes Anna und einer großzügigen Menge Trüffelsauce serviert. Kurz und knapp: sehr gut. Saftig, knusprig, süffig – so muss das sein. Apropos süffig: Im Glas ist mittlerweile der sensationelle 1980er »Clos de la Roche« von Armand Rousseau (850€), für den wir uns nach kurzer Beratung mit Sommelière Melanie Wagner entschieden hatten.

Da der Kollege nach dem ersten Teller vorübergehend schlapp macht, verpasst er den zweiten Teil des köstlichen Geflügels: die butterzarte Keule, aufgepeppt durch Lauchzwiebel, grünen Spargel und Pilze. Unkompliziertes, seeliges Schlemmen in Reinkultur. Den Rest lassen wir selbstverständlich einpacken, um uns am nächsten Tag daran zu erfreuen.

Eine kleine Auswahl Käse vom Wagen? Eine rhetorische Frage, denn den von Affineur Maître Antony veredelten Erzeugnissen können wir nur in den seltensten Fällen widerstehen.

Obwohl mittlerweile pappsatt, lassen wir uns noch zu einem Kurzausflug in die Pâtisserie überreden. Mit Schwarzwälder Kirsch kann man kaum etwas falsch machen, oder? Nun, offensichtlich kann man doch. Denn der berühmt-berüchtigte Death by Chocolate schlägt hier mal wieder zu. Die dekosntruierte Variante des Tortenklassikers erweist sich als schwer, unausgewogen und plump. Schade, aber sei’s drum.

Der abschließende Ausrutscher vermag den tollen Gesamteindruck nicht mehr zu trüben. Abgesehen vom Dessert zeigte die Brigade um Küchenchef Christian Baur, dass sie den 2020 verlorenen Michelinstern (nach zuvor 50 Jahren ohne Unterbrechung) nur 12 Monate später absolut gerechtfertigt wieder zurück nach Oberbergen holte. Die heutigen Gerichte waren im besten Sinne solide, ohne langweilig zu sein. Gelegentlich wird die Schlagzahl sogar ein bisschen über Ruhepuls erhöht (Oktopus, Huhn), was den positiven Eindruck zusätzlich stärkt. 

Die Vermutung, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Gästeschar wegen der weithin gerühmten Weinkarte hier einkehrt, ist sicherlich alles andere als gewagt. Schlussendlich war der exzellent bestückte Keller der Familie Keller auch für uns ein Hauptgrund für den Trip an den Kaiserstuhl. Und wir wurden nicht enttäuscht. Rare Tropfen wie der absolut umwerfende Selosse können hier weit unter dem aktuellen Marktpreis genossen werden (falls man das Glück hätte, diesen Champagner überhaupt irgendwo zu finden). Das Paket stimmt also, um im »Schwarzer Adler« eine gute Zeit zu verbringen.
Für den Weg zurück ins Hotel steht das Taxi zum Glück schon bereit. So schmieden wir auf der kurzen Fahrt auch schon Pläne für den nächsten Besuch. Gäste, die gerne wieder kommen – immer noch die wichtigste Auszeichnung, die ein Restaurant erringen kann.

Thierry De Nullepart

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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