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Restaurantkritik 22.Dezember 2022

Große Oper, große Küche?

Es ist von gewisser Ironie, dass in Stockholm wesentlich weniger Restaurants der New Nordic-Philosophie folgen, als etwa in Kopenhagen oder Oslo. Denn vor lauter René Redzepi hat man vielerorts vergessen, dass die Idee einer regionalen nordischen Spitzenküche ursprünglich von schwedischen Köchen wie Mathias Dahlgren und Magnus Ek ausging. Nun aber schlossen mit dem Stockholmer »Gastrologik« und Eks »Oaxen Krog« die beiden letzten Vertreter dieser Stilrichtung ihre Pforten. Das weltberühmte »Frantzén« folgte dem nordischen Gedanken sowieso nie wirklich, und die Speisekarten der meisten anderen Stockholmer Spitzenrestaurants sprechen eher französisch, als schwedisch.

Das gilt insbesondere für das »Operakällaren«, das, wie der Name vermuten lässt, in der Königlichen Oper beheimatet ist. Es wurde in den 1960er-Jahren eröffnet und ist damit das älteste Gourmetrestaurant der Stadt. In einschlägigen Publikationen hatten wir gelesen, dass mit dem 39-jährigen Viktor Westerlind seit letztem Jahr ein mehrfach ausgezeichneter Koch die Küche leitet; damit sei das »Operakällaren« ein heißer Zwei-Sterne-Kandidat. Das reichte, um unsere Neugierde zu wecken.

Da das Restaurant sich das Foyer und die Garderobe mit der Oper teilt, herrscht bei unserer Ankunft ein wenig Trubel. Vielleicht deshalb fällt die Begrüßung am Restauranteingang etwas distanziert aus – könnte ja sein, dass wir uns mit Operntickets nur verlaufen haben… Einmal drin, weicht die Förmlichkeit zum Glück einer angenehm entspannten, gut gelaunten Servicecrew. Beim Gastraum selbst handelt es sich um einen der pompösesten Speisesäle, die wir kennen. Nur das »Ritz« in London wirkt noch mondäner, strahlt dabei aber auch mehr Weltstadtflair aus – dass dies auch für die Küche gilt, können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

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Zunächst wird man jedoch in einen Wintergarten geführt, für den Aperitif und ein paar Snacks. Bei einer sehr filigran gearbeiteten Bohnen-Tartelette kommen die knackigen »grünen« Aromen und der zarte Teig sehr stimmig zusammen, ein mit Gänseleber gefülltes Blätterteig-Röllchen vereint buttrige Knusprigkeit und üppigen Schmelz, eine weitere Tartelette überzeugt mit dem klassischen Akkord von Teig, Crème fraîche und Maränenrogen. Von den Geschmacksbildern und der Ausführung ist dieses Trio ultraklassisch, aber darin mehr als überzeugend.

Dann geht es zu Tisch, wo ein Amuse Bouche aus Rindertatar mit Felchenkaviar folgt. Das Tatar ist nicht zu fein gehackt, gut gewürzt und geschmacksstark, nur finden wir den sehr feinperligen Rogen hier texturell zu »krümelig« und geschmacklich etwas wässrig. Das zieht den Eindruck leider runter. Insgesamt ist uns dieser »Gaumenkitzler« auch zu groß, aber es bleibt »okay«.

Zwischendurch gibt es Tableside Action: mit viel Aufwand werden am Tisch dicke Ananasstücke flambiert und karamellisiert. Nicht für jetzt, erklärt der Kellner, sondern für später. Eine durchaus eindrucksvolle Show, die Lust aufs Dessert macht (kleiner Tipp: dafür ist die Ananas gar nicht gedacht…).

Das eigentliche Menü startet mit Jakobsmuscheln aus Hitra, die als rohe Scheiben in einem fruchtigen Sud liegen und unter recht dicken Gurkenscheiben und dünnen Kohlrabischeiben verborgen sind. Leider gehen die milden Muscheln zwischen der Süße des Suds und den recht herben, weil ungeschälten Gurken nahezu vollständig unter. Garniert ist das Ganze mit ein paar Kräutern und Blütenblättern, die geschmacklich keine nennenswerte Rolle spielen. Eine alternative Version mit rohem Apfel anstelle der Gurken ist noch stärker von Fruchtsüße geprägt, die den Muscheln keine Chance lässt. Schade um das hervorragende Produkt.

Weiter geht es mit einer Variation des klassischen Oeuf à la Florentine: In einer Eierschale findet sich unter gehobeltem Eigelb eine cremige Eimasse mit brauner Butter, geschmortem Spinat und geräuchertem Forellenrogen. Da kann man nicht viel falsch machen, es schmeckt gefällig-gut, ohne sonderlich spannend zu sein. Rückblickend müssen wir an Jan Hartwigs grandiose Interpretation denken, wo Mandelstücke den entscheidenden Akzent setzen (okay, dort ist auch die Würze und alles andere stimmiger, aber lassen wir das).

Nun kommt bereits die Ananas – besser gesagt: dünne Scheiben davon. Sie umringen eine Terrine aus ungestopfter Foie Gras, die mit Punsch-Pfefferkaramell überzogen ist. Das schmeckt süß, sehr süß. Ein paar Bittersalatblättchen steuern gegen, auch die eher herb gewürzte Terrine kann sich einigermaßen behaupten. Den entscheidenden Akzent setzt allerdings ein unter der Terrine verborgener Pistazienkrokant. Der ist zwar ebenfalls leicht süß, bringt aber durch die elegant knuspernde Nussigkeit eine gewisse Balance ins Spiel. Alles zusammen schmeckt sehr gut, dennoch ließe sich dieses Gericht auch als Dessert verkaufen.

Der Fischgang besteht aus wildem Steinbutt, in der Pfanne appetitlich braun gebraten. Beim Anschneiden erweist die Tranche sich leider als mehr als nur eine Spur übergart – während das Stück auf dem zweiten Teller des Tisches im Kern roh ist. Die Buttersauce schmeckt etwas ausdrucksschwach, aber zusammen mit einer Beilage aus saftigem Lauchgemüse funktioniert das alles einigermaßen. Auf dem Fisch thront noch eine großzügige Nocke »Rossini Gold Selection Caviar« sowie eine Auster, was in diesem Zusammenhang wie der Versuch wirkt, dem biederen Ensemble den gewissen Kick zu geben. Vergeblich.

War das bemerkenswert große Restaurant bei unserem Eintreffen noch gespenstisch leer, ist inzwischen jeder Tisch besetzt. Familien- und Geschäftsessen, Jahrestage und andere Jubiläen scheinen das Gros der Gäste hierher zu führen, dazwischen ein paar Touristen.

Beim bretonischen Hummer mit Schwedischem Blumenhuhn hegen wir die Hoffnung auf eine geschmacksintensive Berg-und-Meer-Variation. Sie wird nicht erfüllt. Das Huhn bietet immerhin krosse Haut und zartes Keulenfleisch, doch beim Hummer lassen Kaubedarf und Geschmacksarmut auf wenig sorgfältiges Handwerk schließen. Ein mächtiger Kürbisschaum lässt das Ganze sehr »weich«, aber nicht gaumenschmeichelnd wirken. Die Beilage aus gebackenem Kürbis bleibt geschmacklich ebenso flach, wie ein »Curry à la Danyel«, wer auch immer der Namensgeber sein soll. Wie bisher fast jeder Gang ist auch dieses Gericht nicht »ungenießbar«, sondern von verblüffender Trivialität.

Wir nehmen solche Situationen stets mit Humor, wozu diesmal sicherlich auch der charmante, kommunikative und überhaupt richtig gute Service seinen Beitrag leistet. Unsere Enttäuschung über das Menü ist vermutlich spürbar, zum Thema machen wir sie nicht. Lieber tauschen wir uns mit dem aus Sizilien stammenden Sommelier über die reiche Kulinarik seiner Heimat aus.

Für den Hauptgang gibt es nochmal Action am Tisch. So scheint es zumindest, denn es wird ein opulenter, mit allerlei Silbergeschirr bestückter Tranchierwagen an den Tisch gerollt. Was dann folgt hat das Zeug zur Parodie: Küchenchef Westerlund platziert ein kleines Stück Rehrücken auf einem gewaltigen Brett und zerteilt es mit einem schnellen Schnitt in zwei Hälften. Fertig. Die antiklimaktischste Tableside-Nummer aller Zeiten. Der Enthusiasmus des Chefs bei diesem Auftritt hält sich -verständlicherweise- in Grenzen.

Nun denn, der in Wacholder gebratene Rehrücken wird mit dunklem Johannisbeerjus serviert, dessen deutliche Süße gut mit den Beilagen aus geschmorter weißer Zwiebel und einem Stückchen gerösteter, leider sehr weicher Endivie harmoniert. Das Fleisch selbst dürfte zarter sein, auch aromatischer. Alles in allem ein passabler Gang, dem es für die annoncierte Michelin-Bewertung jedoch an Feinheit und Präzision fehlt. Ein roter Faden des heutigen Abends.

Ein unerwartetes Highlight bringt die Pâtisserie: Bei den Blaubeeren mit Mascarpone stimmt alles, von der Balance zwischen Süße und Fruchtigkeit bis zu den feinen Akzenten von Zitronenthymian und Vanille. Auf dem Teller finden sich unter anderem Creme und Eis von Macarpone, sowie ein Sorbet und Coulis von Blaubeeren. Es schmeckt gaumenschmeichelnd cremig und erfrischend fruchtig, hier und da blitzt herber Kastanienhonig auf. Das Gefühl für Nuancen stimmt hier einfach, die Feinarbeit und die Harmonien sind exzellent. Dieses durchaus klassische Dessert bereitet große Freude. Dass der Name des/der Pâtissiers/Patissière nirgends zu finden ist, wundert uns sehr.

Die Mignardises vom silbernen Wagen, derer es hier eine ganze Reihe gibt, bestätigen den sehr positiven Eindruck von der Pâtisserie des Hauses. Allzu lange verweilen möchten wir trotzdem nicht mehr.

Die zahlreichen Lorbeeren für dieses Restaurant sind uns ein Rätsel. Dabei hatten wir uns wirklich darauf gefreut. Wie erwähnt ist das Essen nicht »schlecht«, es ist nur so altbacken wie das Ambiente. Kaum genug loben kann man in diesem Zusammenhang den Service, der dem Ganzen eine gewisse Frische gibt. Davon aber abgesehen haben wir hier das Musterbeispiel eines Restaurants, welches offenbar der bürgerlichen Gesellschaft als Ort für feierliche Anlässe dient – nicht wegen der Küche, sondern wegen des Rahmens. Und so wird auch gekocht, nicht auf größtmöglichen Genuss hin, sondern auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Ein paar Luxusprodukte, etwas Show und vor allem keine Experimente; allzu viel handwerkliche Mühe muss man sich auch nicht geben.

Es soll und muss sie natürlich geben, die Restaurants für den »feierlichen Anlass«. Aber das schließt feierliche Kulinarik ja nicht aus. Hier scheint es, als wolle man die Gäste nicht mit anspruchsvollen Qualitäten »überfordern«, sondern in der wohligen Vertrautheit des kulinarischen Mittelmaßes wiegen. Jeder hat seine Prioritäten. Man sehe uns nach, dass wir uns lieber woanders vergnügen. Zum Beispiel am nächsten Tag in einem unauffälligen Bistro, wo wir – soviel sei verraten – unser Menü des Jahres erleben werden…  Stay tuned.

Kai Mihm

Wein

Hinweis

Bei dem Besuch handelte es sich um eine Einladung. Der Inhalt des Berichts bleibt davon unberührt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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