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Restaurantkritik 27.September 2022

Noir Désir

Denkt man an Aldi, sind die ersten Assoziationen, die aufploppen, kaum gediegener Luxus, Golf oder Spitzengastronomie, Doch auch diese Worte gehören zum Aldi-Universum. Genauer gesagt zu jenem des 2014 verstorbenen Co-Gründers Karl Albrecht, der 1976 in Donaueschingen eigens den Öschberghof bauen ließ, um seiner Golfleidenschaft frönen zu können. Uns zieht es natürlich weder wegen des Golfplatzes noch aufgrund des ansehnlichen Hotels tief in den Süden der Republik – auch wenn wir beides zu schätzen wissen und sich der golfende Kollege ein paar Schläge auf der Driving Range nicht nehmen lässt –, sondern aufgrund des hauseigenen Spitzengastronomie.

Seit 2021 leuchten über dem Gourmetrestaurant »Ösch Noir« nämlich zwei Sterne. Erkocht hat sie Manuel Ulrich mit seinem Team, ein Lokalmatador, der bereits seine Ausbildung im damals noch deutlich kleineren Hotel absolvierte. Der Mittdreissiger ist auch später nicht, wie heute so üblich, sehr weit gereist. Ein Jahr bei Deutschlands liebenswürdigstem Koch Christoph Rüffer im »Haerlin«, ein halbes Jahr bei Torsten Michel in der »Schwarzwaldstube«. That’s it. Viel bessere Voraussetzungen gibt es zwar nicht, doch ein kleines bisschen ungewöhnlich ist das heutzutage dennoch. Umso gespannter sind wir nach ein paar relaxenden Stunden am netten Außenpool, was uns heute Abend erwartet.

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Der Weg zu unseren Tisch führt an der großzügigen offenen Küche vorbei, wo man bereits konzentriert arbeitet. Das Restaurant wird durch von der Decke hängende Ketten mit Glaskugeln elegant und transparent in kleinere Abschnitte unterteilt, so dass man sich ein wenig wie in einem Separée fühlt, aber nicht abgeschottet. Durchaus auch mal angenehm.
Restaurantleiter und Sommelier Michael Häni überrascht uns zu Beginn mit dem 1992er Riesling Sekt Réserve von Peter Lauer (degorgiert im August 2021). Eine durchaus couragierte Wahl, die gerade in dieser Umgebung zusätzlich mutig wirkt. Über den Schaumwein selbst braucht man nicht viele Worte zu verlieren. Man liebt ihn oder eben nicht. Weitere Diskussionen würden sowieso durch die nun servierten Amuses im Keim erstickt…

…nämlich einem Trio, bestehend aus Krokette vom Kabeliau mit Kalamata Olive und Salzzitrone, Caesar Salad mit Parmesan und Kapern sowie einer Sülze von Kalbszunge mit Meerrettich und Rote Zwiebel. Grundsätzlich gefällt der unterliegende Anflug von Rustikalität zwar, der den drei Snacks innewohnt. Allerdings würde – bei aller Liebe zur Bodenständigkeit – ein wenig mehr Finesse bei der Würzung gut tun. Dennoch ein gefälliger Einstieg.

Weiter geht’s mit einer viel zu selten servierten Delikatesse: Kaninchen. Ulrich serviert den Nager aus der Eifel als Ballotine, dazu gibt es Erbsen, fermentierten Knoblauch sowie eingelegte Senfsaat und Radieschen. Ein ganz leises, feinsinniges Gericht. Getragen von einer perfekt dosierten Süße, aufgelockert durch einen herben Jus mit Sherry sowie eine knackige Vinaigrette. Sehr gut. Wir plädieren für mehr Kaninchen in den Küchen dieser Welt.

Die Möglichkeit, einen kleinen Kaviar-Gang einzubauen, lassen wir uns auf Empfehlung des Service nicht nehmen. Unsere Wahl aus zwei Optionen fällt auf den »Ösch Noir Selection« von den umtriebigen Jungs und Mädels von Imperial Kaviar, der von Kartoffel-Limonen-Stampf mit Kräutern, Crème fraîche, Ei und Schnittlauch ganz klassisch eingerahmt wird. »Langweilig«, könnte man denken. Doch die Küche hat sich offensichtlich das Ziel gesetzt, dieses Intermezzo bis ins kleinste Detail zu perfektionieren. Denn nichts weniger als das ist hier der Fall. Vom Abschmecken über die unterschiedlichen Temperaturen bis zum unkomplizierten Handling. Wir könnten direkt noch einen Nachschlag bestellen, so grandios ist das gelungen. Aber es kommt ja noch ein bisschen was. Genauer gesagt startet das Menü offiziell erst mit dem folgenden Gang…

Spargel mit Rhabarber und Brunnenkresse (einer von zwei Einschüben aus dem Veggi-Menü, das im »Ösch Noir« ebenfalls serviert wird). Wir hegen beim Blick auf den Teller die leise Befürchtung, dass dem Spargel aufgrund der Präsentation (wir sehen Igel, der Service berichtigt, dass es sich um einen Schwan handelt) seine wunderbar knackige Textur genommen wird. Glücklicherweise belehrt uns auch die Küche eines besseren, denn der saftige Crunch ist da. Ebenso die delikate Bitterkeit und subtile Nussigkeit. Da kommt die pointierte Säure des Rhabarbers genau richtig, um das Ganze aufzupeppen und ordentlich Frische reinzuspülen. Abgerundet wird dieser Teller durch die herben Kräuternoten und die angenehme Schärfe der Brunnenkresse, die als Crème und Öl zum Einsatz kommt.

In der Spitzengastronomie ist der Thunfisch von Balfegó seit einiger Zeit omnipräsent. Das spanische Unternehmen hat sich neben höchster Qualität auch mit der Nachhaltigkeit der Produkte zurecht einen guten Namen aufgebaut. Ulrich verwendet den Rücken des Thuns und formt ihn als Tatar zu einer gefüllten Rolle, dazu gibt es confierte Aubergine, gepickelten schwarzen Rettich, Auberginencrème, Gel von altem Balsamico, Safran-Mandel-Sud und Traubensegmente sowie eine Safrancrème.
Erstmal klingt das nach einem relativ wilden Mix aus Spanien und Japan, der aber geschmacklich ganz klar am Mittelmeer verortbar ist. Richtig kräftig abgeschmeckt, mit (fast etwas zu) präsenter Knoblauchnote, die man in Restaurants dieser Klasse nur selten antrifft. Doch das scheinbar allzu ungestüme Kollektiv harmoniert, der Knobi ist eine willkommene Abwechslung und illustriert auch wieder schön Ulrichs Hang zu einer behaglichen Mittelmeer-Rustikalität.

Carabinero mit Kohlrabi und Hollandaise wirkt dagegen japanisch zurückgenommen und puristisch. Das tiefrote Krustentier wurde lediglich kurz sautiert, den Kohlrabi gibt’s à la crème,  gepickelt und als Sud mit Liebstöckelöl. Und natürlich die relativ luftige Carabinero-Hollandaise, die einem eingelegten Eigelb nicht nur auf dem Foto zum verwechseln ähnlich sieht. Hierzu braucht man eigentlich gar nicht allzu viel zu sagen. Souverän und selbstsicher wird maximal reduziert. Das Ergebnis ist verdammt gut.

Warum sehen wir eigentlich so selten Rochenflügel auf Restaurantkarten? Manuel Ulrich, so der Service, ist (wie wir) ein Fan des versatilen Meeresbewohners. Heute kombiniert er eine kräftig gebratene Tranche mit Spargel (grün und weiß), Yuzu und Schnittlauch und kreiert daraus ein wunderbar feinsinniges Ensemble, das von exzellent dosierten Kontrasten lebt. Im Mittelpunkt das perfekt gegarte, herrlich zarte und süsslich-delikate Fleisch. Die Spargeln streuen neben ihrer nussigen, vegetabilen Süsslichkeit auch ein wenig Bitternis ein, die wiederum von der Yuzu aufgenommen und um lebendige Säure erweitert wird. Abgerundet wird das Ganze durch die dezent rustikale grün-zwieblige Note des Schnittlauchs, der das Gericht erdet. Großartig!

In unserem Kosmos gibt es ein Produkt, auf das alle Sternefresser (fast) immer richtig Bock haben: Bries. Im »Ösch Noir« geht man die Sache ganz klassisch an, und das ist gut so. Absolut perfekt geröstetes Milchkalbsbries mit ultradünner, krachend knuspriger Kruste und unverschämt saftigem Kern. Dazu ein vorzüglich tiefer Kalbsjus mit etwas Schmorgemüse, aromatisiert mit Bärlauch und Sherry. Ein Gelee von Sherry darf ebenso wenig fehlen wie eine milde Crème vom Bärlauch sowie ein kleiner Kräutersalat samt Staudensellerie. Man kann mit dieser Delikatesse bei uns kaum was falsch machen, das geben wir gerne zu, aber nur wenige Köche schaffen es, so eine Punktlandung hinzulegen. Geschmack, Texturspiel, Intensität, Feinjustierung, das alles könnte kaum besser sein.

Der zweite Einschub aus dem »Menu Vert« dreht sich um Artischocke, Chicorée, Safran und Haselnuss. Dieser Gang gefällt uns noch ein gutes Stück besser als der Spargel zu Beginn. Gekonnt wird mit den mannigfaltigen Bitternoten gespielt, die durch die nachdrückliche Säure einer Artischocken-Zitronen-Vinaigrette akzentuiert werden. Eingebettet ist das in eine sehr elegante, dabei kräftige arabisch-orientalische Aromenwelt. Der mystische Safran nimmt naturgemäß die Hauptrolle ein und legt sich verführerisch über jeden Bissen. Einmal mehr wird ein durchaus diffiziles Produkt exzellent eingesetzt. Den Trip in den Orient beschließt der ebenso gekonnte Einsatz von Salzzitronen und erneut sehr präsentem Knoblauch, der aber nicht ganz so prägnant ist wie beim Thunfisch.

Das Menü ist an persönlichen Favoriten nicht gerade arm. Zum Hauptgang packt die Küche eine Imperial Taube aus, die von Spinat, Schwarzwurzel und Périgord Trüffeln begleitet wird. Klassische Haute Cuisine in leicht modernisiertem Gewand, was unweigerlich ein seliges Lächeln auf unsere Gesichter zaubert. Herrlich intensives Fleisch, das durch das kräftige Anbraten die optimale Behandlung erfahren hat. Die Trüffeln sind in eine nicht zu stark reduzierte Taubenjus eingebettet, daneben ein Schaum von der Entenleber. Warum denn auch nicht? Im Kern ist das so hinreissend simpel und nur auf eines getrimmt: Hochgenuss. Und genau den bereitet dieser Hauptgang.

Da die Portionen angenehm genussfreundlich ausgelegt sind, lassen wir uns heute auch zum Käsegang hinreissen. Mal schauen, wie es um den Brillat Savarin mit Kapstachelbeere, Sauerampfer und Sesam bestellt ist. Die Idee, den buttrigen, cremigen und eher milden Käse mit etwas Fruchtsäure und zitronigen Kräuternoten aufzupeppen, können wir nachvollziehen. Allerdings können wir dem Resultat, wie so oft, nicht viel abgewinnen. Das trifft in diesem Fall nicht nur auf unseren notorischen Käsegang-Verächter zu.

Erfrischend wird’s beim Pré-Dessert aus Apfel, Buttermilch und Minze. Knackig-saftig werden von der ätherischen Frische der Minze die Nüstern nochmal durchgeblasen und die Papillen aufgeweckt für den Endspurt…


… der es in sich hat. Rhabarber wird durchdekliniert (Mousse, geschmort, Sorbet, Spaghetti, mit Estragonöl aromatisierter Sud) und mit cremiger Ivoire Schokolade von Valrhona, Haselnüssen und Himbeeren verwoben. In sich geschlossen, sehr harmonisch und unkompliziert. Dennoch mit genügend Komplexität, damit die Synapsen auch zu später Stunde noch köstlich angeregt werden. Ein mehr als gelungenes Dessert. Sehr schön.

Ganz zum Schluss wird ein Quintett an Petits Fours aufgetragen. Im Detail sind das: Madeleines, Mini-Cheesecakes mit Kalamansi, Knusperröllchen mit Schoko und Salzkaramell, Pina Colada mit Ivoire-Schokolade  sowie Schwarztee-Zitronengras mit Jivara-Schokolade. Durch die Bank eine Bestätigung des hohen Levels.

Bei einem Gin Tonic an der Bar (sehr ansehnliche Auswahl an Gins aus der ganzen Welt übrigens), wollen wir den Abend in Ruhe Revue passieren lassen. Das Verdikt fällt allerdings schnell und einstimmig: das war ein von vorne bis hinten richtig, richtig gutes Dinner. Manuel Ulrichs Küche ist klar in der frankophilen Klassik verwurzelt, die Gerichte kommen aber angenehm leicht und modern daher. Was uns besonders gefällt ist, dass alles Hand und Fuß hat, nichts wirkt forciert, handwerklich wird sauber und akkurat gearbeitet.
Einflüsse aus dem fernen Osten beispielsweise werden behutsam in die Kreationen eingeflochten, ohne dass sich die Küche anbiedert oder die Grundintegrität der eigenen Handschrift verlässt – eine Parallele zu Ulrichs früheren Stationen »Schwarzwaldstube« und »Haerlin«. Zusätzliche Erwähnung verdient auch der lockere Service unter dem eingangs erwähnten Schweizer Michael Häni, der sich bei den Weinen nicht lumpen lässt. Ein Glas Mouton Rothschild oder Corton von der Domaine de la Romanée-Conti baut man schließlich auch in einem luxuriösen Haus wie dem Öschberghof nicht mal eben so in eine Premium-Weinbegleitung ein.
Zum Schluss bleibt eigentlich nur festzuhalten, dass das »Ösch Noir« für uns eine zusätzliche Go-To-Adresse im Schwarzwald ist. So einfach ist das manchmal.

Thierry De Nullepart

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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