Lasarte – Stiller Gewinner
Das »Lasarte« nimmt unter den Spitzenrestaurants von Barcelona eine undankbare Position ein. Zum einen handelt sich um eine Dependance des Basken Martín Berasategui im regionalstolzen Katalonien; zum anderen befindet es sich in einem Luxushotel, was in Spanien längst nicht so üblich ist, wie in Deutschland. In den einschlägigen Zirkeln internationaler Gastrophiler jedenfalls wird es eher selten als heiße Empfehlung genannt (wie auch das »Abac«, ebenfalls dreifach besternt und ebenfalls in einem Luxhushotel gelegen). Uns konnte das nicht von einer Reservierung abhalten. Drei Sterne bleiben für uns eine klare Empfehlung. Zudem haben wir Berasateguis Stammhaus noch nicht besucht – wobei der Küchenchef des »Lasarte«, der Italiener Paolo Casagrande, mittlerweile weniger auf Berasategui-Klassiker, als auf eigene Kreationen zu setzen scheint.
Wir sind von der vorangegangenen Nacht in der Cocktailbar »Sips« noch ein bisschen verstrahlt, als wir zum Lunch aufbrechen. Doch mit etwas frischer Luft und der Ankunft am »Lasarte« weicht der Kater einer beglückenden Dopaminausschüttung: Der erste Dreisterner der Reise!
Über einen eigenen Eingang auf dem Carrer de Mallorca gelangt man direkt zum Restaurant, das großzügig, luftig und luxuriös gestaltet ist, aber auch etwas formell und kühl wirkt – oder cool, je nach Perspektive. Unter anderen Vorzeichen fänden wir das seltsam kulissenhaft anmutende Ambiente wahrscheinlich schräg, aber nach den sehr legeren Restaurants der letzten Tage hat die Mondänität etwas Wohltuendes. Und nach ein paar freundlichen Sätzen taut auch der Service merklich auf.
Wir gleichen die recht umfangreiche á-la-Carte-Auswahl mit dem daraus zusammengestellten Degustationsmenü ab – die Selektion passt bestens, wird von uns jedoch um einen zusätzlichen Fleischgang erweitert: Schweinefüße stehen in deutschen Dreisternern eher selten auf der Karte.
Die Wahl einer Side Bottle fällt schwerer, da die in Frage kommenden Flaschen relativ üppig kalkuliert sind. Am Ende fällt die Wahl auf Girardin (283€), wobei es offenbar zu einem Missverständnis kommt, denn man serviert uns eine Flasche Gaudry (»A mi-Chemin«, klingt vielleicht wie Girardin), was wir vor lauter Öffnungsprozedur und Foto erst beim Probieren erkennen und erwähnen. Ein Problem machen wir nicht daraus, sehen es vielmehr als Schicksalswink und bleiben beim Gaudry. (Auf der Rechnung steht am Ende der günstigere Girardin.)
Zum Aperitif gibt es zwei Snacks. Ein Chip aus Seegras-Tapioka ist mit Steak-Tatar und Mojama belegt, einer spanischen Spezialität aus salzgetrocknetem Thunfisch. Die Mischung bietet Umami pur, vereint Knusprigkeit und satten Schmelz, dazwischen »ploppen« einzelne Forelleneier. Sehr schön.
Ein hauchdünner, sehr knuspriger, mit der japanischen Gewürzmischung Suchimi bestäubter Toast ist mit Stücken von rohem Kaisergranat exzellenter Qualität belegt, dazu etwas Basilikum-Curry und ein Hauch Limette – zwei filigrane Bissen, bei denen das Krustentier mit der leicht fruchtigen Schärfe bestens zur Geltung kommt.
Die nächste Amuse-Runde besteht aus drei Kleinigkeiten. Ein Mini-Cornetto aus Topinambur mit Krabbensalat und Kaviar changiert elegant zwischen jodiger Würze, Salz und hintergründiger Süße; ein mit Muschelstückchen versetzter Aji-Amarillo-Schaum (im Töpfchen) kitzelt die Papillen mit anregender Chilli-Schärfe; und ein Tempura von iberischem Kalbsbries mit Yuzu und Manzanilla-Mayonnaise verbindet hauchzarte Knusprigkeit mit samtweichem Schmelz. Ausgesprochen stark.
Das Menü startet mit drei Scheiben von iberischem Presa, die etwas dicker geschnitten sind, wodurch der volle Geschmack und der elegante Schmelz des edlen Fleischs wesentlich besser zur Geltung kommt. (Auch Carpaccio wird unseres Erachtens fast immer zu dünn geschnitten). Dazu gibt es ein Tatar von Tarama-Austern und Tomaten, bei dem vor allem die saftige Frische der Tomatenstückchen wohltuend hervorsticht. Eine Nocke Senfeis ist etwas zu groß geraten und dürfte etwas mehr »Pep« haben, passt aber auch mit ihrer dezenten Schärfe und dem samtigen Schmelz sehr gut zum Presa. Insgesamt eine starke Produktinszenierung.
Beim nächsten Gang ruht ein appetitlich glänzendes Stück confierter Kabeljau in einer Sauce mit saurer Sahne, Senf und Grünkohl-Öl. Durch das Confieren hat der schneeweiße, oft auch geschmacklich etwas blasse Kabeljau an Kraft gewonnen – das zarte und doch kernige Fleisch schmeckt deutlich nach Fisch, aber nicht »fischig«. Die säuerlich-frische, mit Senfkörnern neckisch aufgepeppte Sauce sowie etwas kross frittierter Grünkohl verleihen dem relativ klassisch anmutenden Gericht eine sommerliche Leichtigkeit. Sehr schön.
Es folgt ein Klassiker des Hauses. Auf schneeweißem, mit Limettenfond angemachtem Tintenfischtatar ist ein lauwarmes, aber noch flüssiges Eigelb platziert. Darauf wiederum findet sich Amaranth, der in Dashi gekocht, dehydriert, gebraten und mit Piment d'Espelette und Algenpulver versetzt wurde. Sticht man das Eigelb an und vermischt es mit Tintenfisch und Amaranth, ergibt sich ein delikates Spiel von Texturen und Aromen, von seidiger Cremigkeit, zartem Pulpo-Biss und knuspriger Würze – süffig, abwechslungsreich und elegant. Kleine Tupfen von karamellisierter Zwiebel steuern Umami und zarte Süße bei. Ein herausragendes Gericht.
Das Niveau bleibt so hoch. In einer präzise abgeschmeckten, kalten Suppe (Gazpacho!) von Tomate, Sellerie und Carabinero sitzen kleine Stücke des exzellenten Krustentiers. Die mundgerechten Tranchen haben Biss und Schmelz, und werden von der kühlen Suppe fruchtig-würzig eingehüllt. Wie sich das alles am Gaumen vermischt und den Carabinero förmlich aufblühen lässt jagt uns eine Gänsehaut über den Rücken. Nicht zu vergessen den hauchdünnen, keck gewürzten Knusperring mit Apfelgel, der Textur und säuerliche Frische einbringt. Alles greift hier ineinander, jede Komponente ist geradezu zwingend. Es schmeckt sehr »spanisch« und sehr großartig.
Leider können wir das vom nächsten Gang nur halb sagen: der Meeresfruchtsalat (in erster Linie Muscheln) auf Meereskräutern mit Sherry und Corail-Mayonnaise schmeckt durchaus »spanisch« in dem Sinne, dass er verschiedene Meeresaromen zusammenbringt. Nur schmeckt er für uns alles andere als großartig. Der jodig-meerige Geschmack der Algen, des Rogens, der Mayonnaise und der nahezu rohen Muscheln ist intensiv bis an die Schmerzgrenze, sodass wir nach zwei kleinen Gabeln abbrechen müssen. Es kommt selten vor, aber diese Verdichtung maritimer Aromen ist überhaupt nicht unser Fall. (Ironischerweise werden wir am Abend in der »Direkte Boqueria« mit einer sehr ähnlichen Kreation konfrontiert).
Wir verbuchen das unter »Geschmackssache«, lassen das Gericht nahezu vollständig zurückgehen und merken freundlich den Grund an, ohne uns zu beklagen. Der inzwischen angenehm entspannte Service nimmt es sichtlich betroffen zur Kenntnis.
Es folgt ein weiteres Signature dish: Makellos gearbeitete, bissfeste Ravioli (die eigentlich eher wie Tortellini aussehen) sind mit weichgeschmortem Wagyu gefüllt, obenauf etwas Kaviar. Wie funkelnde Edelsteine sitzen die luxuriösen Happen auf dem Teller. Leicht süßlich glasierter Aal, ein Klecks salziger Sahnecrème und feinwürziger Meerrettichschaum verleihen dem Teller eine subtile Komplexität, heben das Gericht über den reinen Wohlfühlfaktor eines exzellenten Pastagangs hinaus. Stark.
Kurz darauf überrascht man uns mit einem Extragang: Rotbarbe in Suquet, als Ersatz für den Meeressalat. So geht Service. Suquet bezeichnet einen traditionellen katalanischen Fischeintopf, quasi das Äquivalent zur französischen Bouillabaisse. Hier dient er als intensiver Saucengeber für ein Rotbarbenfilet von außerordentlicher Qualität. Rotbarbe schmeckt zuweilen etwas tranig und stumpf, hier jedoch ist sie von einer filigranen Intensität, leicht nussig und angenehm jodig. Ein Prachtstück. Etwas Sellerie, winzige Stücke geräucherter Sardine sowie Perlen von der balsamischen Würzsauce Vinum Acre runden das hervorragende Gericht ab.
Zurück im regulären Menü, geht es weiter mit Fenchelrisotto. Während es in Martín Berasateguis Stammhaus ein berühmtes »falsches« Risotto gibt, bei dem sogar die Reiskörner aus Fenchel bestehen, serviert der Italiener Casagrande eine klassische Version. Carnaroli-Reis wird dafür in Fenchel-Weißweinfond gegart und mit Parmesan, Butter und Mascarpone all'onda gerührt. Allein das schmeckt bereits fantastisch. Hummer-Carpaccio, gelierter Krustentierfond und Scheiben von Entenmuscheln geben dem Gericht den letzten, luxuriösen Schliff. Die behutsame Einbettung der Krustentiere ist vielleicht das größte Kunststück dieses Tellers, denn meist wird durch die »Einlage« die Struktur eines Risotto gestört, da der Reis nicht mehr angemessen zur Geltung kommt. Nicht so hier, im Gegenteil. Der zarte Hummer schmilzt förmlich am Gaumen, die Muscheln setzen pointierte Akzente. Wir haben selten ein besseres Risotto gegessen.
Der Fleischgang des Menüs besteht aus Taube aus Les Landes, gegrillt und mit ihrem Jus serviert. Das Gericht kommt vergleichsweise schlicht daher, doch das perfekt pink gegarte, zarte, intensive Fleisch mit krosser Haut und appetitanregenden Grillspuren braucht keine größere Inszenierung. Ein säurebetontes Rote-Bete-Chutney, ein Stückchen gegrillter Karotte und ein paar keck-süßliche Spekulatiusbrösel bilden einen stimmigen Rahmen; sogar der leicht bittere Blutampfer ist hier mehr als nur Deko. Jedes Detail macht Sinn. In seiner nuancenreichen Eleganz ist dies ein großartiger Gang.
Wir sind inzwischen ziemlich gesättigt, doch auf den zusätzlichen Fleischgang freuen wir uns trotzdem. Das getrüffelte Duroc-Schweinefüßchen ist zu einem Zylinder geformt und appetitlich glaciert. Obenauf thront ein Röllchen Iberico-Speck. Wir kennen Schweinefüße als italienisches Neujahrsessen und wissen deshalb um die »spezielle« Textur dieses Stücks: sehr weich, gelatinös, fast glibberig. Der erste Bissen ist immer eine gewisse Überwindung. Man muss sich darauf einlassen, dann schmeckt es wunderbar. Zart, schmelzend, schmeichelnd. Ein würziges Püree von Brunnenkresse und etwas Gemüse lockern das gehaltvolle Geschmacksbild auf. Der Trüffel macht sich kaum bemerkbar, dafür kommt irgendwo eine anregende Senfnote her. Sehr schön.
Man muss sich das einmal vor Augen führen: Ein rustikales Gericht der Volksküche wird hier meisterhaft in die Hochküche transportiert – und auf Nachfrage erfahren wir, dass sich dieser Gang vor allem bei spanischen Gästen größter Beliebtheit erfreut. Was zu der alten Frage führt, warum sich in Deutschland kaum ein Restaurant der Spitzenklasse Vergleichbares traut. Eine rhetorische Frage, wir wissen.
Das erste Dessert kombiniert Mandarine, Rose und Zimt – letzteres ein Gewürz, das wir fast immer dominant und penetrant finden. Umso überraschter sind wir, wie gut es hier eingebunden ist. Die cremigen, wolkenzarten Kugeln haben nur einen Hauch Zimt abbekommen, wie eine flüchtige Grundierung für die süßlich-blumige Aromenwelt von Rose und Mandarinencreme. Auch hier wirkt nichts parfümiert, alles bleibt zart, ätherisch und subtil. Exzellent.
Recht klassisch und darin ausgezeichnet ist das zweite Dessert: Eine Variation von Schokolade, bestehend aus einer geschmeidigen Tarte, einem hervorragenden, sehr intensiven Sorbet und nussig-getreidigen Crumbles. Nicht zu schwer, nicht zu süß, sondern delikat und elegant.
Zum Espresso werden dann noch einige verlockend aussehende Petits fours aufgetragen, für die wir aber beim besten Willen zu satt sind. Wir probieren lediglich das Mango-Törtchen, welches das sehr hohe Niveau der Pâtisserie untermauert.
Wir können die Kritiker des »Lasarte« nicht recht verstehen. Über das Ambiente mag man streiten, doch Service und Küche waren bei diesem Besuch über jeden Zweifel erhaben. Am Ende macht Paolo Casagrande eine kleine Runde, ein zurückhaltender, sympathisch-bescheiden wirkender Mann, der sich über unsere Freude an seinem Essen merklich freut (im Bild mit dem charmanten Restaurantleiter Joan Carles Ibáñez). Seine Küche ist weit weniger experimentell, als man das von Drei-Sterne-Restaurants in Spanien kennt. Das meinen wir als Kompliment. Casagrande serviert Carabineros und Schweinefüße, Ravioli und Risotto – welch ein Genuss. Und immer schmeckt es unmissverständlich nach »Spanien«.
Zutiefst zufrieden verlassen wir das Restaurant, flanieren durch die umliegenden Prachtstraßen und landen schließlich auf der Dachterasse eines weiteren Luxushotels, ein eiskaltes Cerveza auf dem Tisch
und die Füße im Pool. Wer hätte gedacht, dass uns ein Italiener eines unserer besten Menüs in Barcelona servieren würde. Das »Lasarte« mag in Spanien ein wenig unter dem Radar des internationalen Foodie-Jetset liegen. Wir dagegen würden sagen, dass es sich wohltuend abhebt.
Kai Mihm