Anzeige
Restaurantkritik 28.Februar 2022

Etz – angekommen!

Die Schließung des zweifach besternten »Sosein« in Heroldsberg im Frühjahr 2021 war eine der unschönen Gastro-Nachrichten der Pandemiezeit, ganz gleich, ob dabei auch andere Gründe eine Rolle spielten. Doch für Trauer, das stellte sich schnell heraus, gab es eigentlich keinen Grund: Küchenchef Felix Schneider kündigte sehr zügig einen Neustart mitsamt des eingespielten Teams an, in Nürnberg. Der kryptische Name des Lokals: Etz.

Im September 2021 begann ein Zwischenspiel in der »Bindergass-Theke«, einer zentral gelegenen Nürnberger Popup-Location. Mitte Mai 2022 eröffnete schließlich das eigentliche Restaurant in der Wiesentalstraße, etwas außerhalb der Innenstadt. Unser Besuch fiel noch in die Interimszeit, deshalb können wir über die finalen Räumlichkeiten nichts sagen. Aber es soll ohnehin um die Küche gehen, wenngleich uns die ersten Bilder des Restaurants ziemlich gut gefallen.

In der Bindergass nimmt man in einem Gastraum mit wenigen Tischen und offener Küche Platz. Was wir vorher nicht wussten: es gibt einen festen Menübeginn für alle Tische, doch zum Glück wird unsere durch einen Covid-Schnelltest bedingte Verspätung von den wartenden Gästen mit freundlichem Humor genommen. Also schnell hingesetzt und flugs ein Glas Champagner zur Beruhigung der peinlichen Berührtheit.

An Schneiders kulinarischem Konzept der bedingungslosen Regionalität und Saisonalität hat sich nichts verändert, im Gegenteil. Man geht im »Etz« konsequent mit den Jahreszeiten, derer man hier sieben zählt – sieben Jahreszeiten des Wachstums, so lesen wir auf der Webseite. Das bedeutet, dass zum Erscheinungszeitpunkt dieses Textes das Menü bereits im Zeichen voller Sommerpracht stehen dürfte.

Anzeige
|

An unserem Abend startet das Essen mit einem Sud aus Petersilienwurzel mit Tannenöl, der süßlich-erdig schmeckt, wie ein duftender, feuchter Waldboden. Sehr schön.

Danach wird ein großes Blatt Spinat serviert, das mit Cassisholz aromatisiert und mit frittierten Trompetenpfifferlingen belegt ist – ein kraftvoller Happen, erdig und trotzdem frisch, auf positive Weise spröde und damit durchaus einen Zeichen setzend, in welche Richtung die Reise heute gehen könnte…

… was jedoch bereits mit dem nächsten Gericht widerlegt wird: Ein Stück Gänseei von gaumenschmeichelnd wächserner Konsistenz ist auf einem kleinen Salat aus Löffelkraut angerichtet, dessen intensiv würziges, fast scharfes Aroma einen schönen Kontrast bildet; etwas Kaviar »würzt« das Ei auf luxuriöse Weise, verleiht im Tiefe und Eleganz. Wir hätten nicht gedacht, dass in diesem so schlicht wirkenden Schälchen so viel Geschmack steckt.

Dafür sieht man dem BBQ-Aal direkt an, dass er eine gewisse Wucht mitbringt. Er ist mit Brot-Miso und Zuckerrübenmelasse glasiert, schmeckt sehr würzig, röstig, dunkel, leicht süßlich – vollmundig und fantastisch. Dazu gibt es ein saftiges Radieschentatar sowie einen kleinen Cremtupfer von Rocoto-Chili. Deren leuchtend rote Farbe müsste uns eine Warnung sein. Ist sie aber nicht. Wir nehmen ein gute Menge davon zu einer Gabel Fisch... und speien Feuer – das Zeug ist unfassbar scharf! Zumindest im ersten Moment. Denn recht schnell beruhigen sich die Papillen, und plötzlich bereichert und erweitert die Schärfe den Geschmack, fügt sich perfekt zum fettreichen Aal und dessen feiner Süße, kitzelt noch weitere Nuancen aus allem heraus.
In solchen Momenten müssen wir stets an den unvergleichlichen, zu früh verstorbenen Restaurantkritiker Jonathan Gold aus Los Angeles denken, der mit Blick auf höllenscharfe Länderküchen einst sagte, dass man die Mauer aus Schärfe nur erst überwinden müsse, um dahinter eine unglaubliche Geschmacksvielfalt zu entdecken. So ähnlich ist das auch hier. Ein nicht weniger als grandioses Gericht.

Es folgt ein Klassiker der Küche, die Schlachtschüssel, die nahezu ohne Fleisch auskommt. Eine gekochte Kartoffel von außerordentlicher Güte, wächsern und doch samtig, ruht in einer Beurre-rouge aus fermentiertem Rotkohlsaft, der mit ordentlich guter Butter gebunden wurde – erinnert optisch an Blutwurst, schmeckt süßsäuerlich und gaumenschmeichelnd buttrig. Das einzige Fleischprodukt ist Schweineleber, die gesalzen, geräuchert, für ein knappes Jahr getrocknet und nun in feinen Spähnen über die Kartoffel gehobelt wurde. Wir haben hier Säure und Fett, Salz, Rauch und Umami – Ur-Geschmäcker, wenn man so will, die von der Kartoffel aufs Schönste gebändigt und zusammengeführt werden. Zu recht ist dies ein ikonisches Gericht.

Auf die nahezu fleischlose Schlachtschüssel folgt eine Brotzeit mit reichlich tierischem Protein, komplett aus eigener Herstellung, alles vom Mangalica-Schwein: geräucherter Rückenspeck, luftgetrockneter Coppa, mit Dinkel-Tamari gereifter Nacken, Kochschinken aus der Schulter, Heulardo und Flomen mit Spirulina-Tamari… Der Nuancenreichtum dieser köstlichen Degustation, die Abstufungen von delikater Würzigkeit zu intensivem Umami, lassen sich kaum in Worte fassen. Eine Offenbarung ist einmal mehr der Lardo, der nach Foie-gras schmeckt und auch deren dichten Schmelz hat.
Dazu gibt es großartiges Sauerteigbrot, natürlich ebenfalls hausgebacken, und sehr gute Pickles: Milchsaure Radieschen, Senfgurke, Kürbis süß-auer und Dillblüten. Wenn es irgendwo eine bessere »Brotzeit« geben sollte, möge man es uns mitteilen.

Nach diesem sehr puren Zwischenspiel wird es beim folgenden Gang deutlich komplexer. Im Mittelpunkt steht Schwarzer Rettich, der in Wallerschmalz sanft confiert wurde. Dadurch erhält er ein wunderbar delikates Fischaroma, und die Textur des Rettichs verstärkt den Eindruck eines »echten« Fischfilets – ein phänomenaler Effekt. Obenauf liegen knackige Röllchen von eingelegtem Rettich, eine seidige Emulsion aus Wallerschmalz und fermentiertem Rahm, krosse Crumbles von frittiertem Wallerrogen und Flachs sowie saftige rohe Rettichfäden. Die Sauce besteht aus hausgemachter Buttermilch und Schnittlauchöl. Das sind eine Menge Komponenten, die wie ein Uhrwerk ineinander greifen. Frische, Säure, Süffigkeit, Textur, alles da! Es schmeckt bewegend gut.
Schneider zeigt hier eindrucksvoll und im Grunde wegweisend, wie man mit vermeintlichen »Abfallprodukten« (Schmalz) ein vermeintlich profanes Gemüse (Rettich) nicht nur adeln, sondern sogar zu einer Götterspeise machen kann.

Wie augenzwinkernd-ausgeklügelt die Menüdramaturgie ist, zeigt sich nach Schlachtplatte und Brotzeit erneut, als nun nach dem fabelhaften »Fisch-Ersatz« reichlich echter Fisch serviert wird: Sashimi und Nigiri vom Saibling, drei Cuts –mager, mittelfett, fett– mit selbstgebrautem Emmer-Shoyu und jungem, fermentiertem Ingwer. Die Güte des Fischs ist ausgezeichnet, keine Frage, insbesondere das mittelfette Stück hat für uns die ideale Balance von Schmelz und Biss.
Das Nigiri ist natürlich nicht auf Reis gebettet, denn den gibt es im Fränkischen bekanntlich nicht,sondern auf Weißkohl mit etwas Miso, was erstaunlich gut funktioniert. Es wäre in der Tat spannend zu sehen, was ein japanischer Sushi-Meister hier sagen würde. Für uns dürften nur die Sashimi alle einen Tick dünner oder etwas kleiner sein, damit sie nicht zu »mundfüllend« wirken.

Unter dem Titel »Letzte Ernte« wird eine Kohlvariation serviert: Kohlrabiröllchen sind mit Rosenkohlkrone, Apfel (Champagnerrennette) und geliertem Lactoingwer-Ponzu gefüllt, was leider keine sehr ansprechende Mischung ergibt. Sagen wir: es schmeckt »gesund«.

Wesentlich besser gefällt uns das kräftige Süppchen von Flower Sprout, auch bekannt als Kalettes, eine Kreuzung aus Rosen- und Grünkohl. Wir mögen beides, insofern ist diese seelenwärmende Essenz genau unser Fall.

Am besten schmeckt uns allerdings der Grünkohl in Texturen, rustikal, dennoch eigentümlich filigran anmutend: ganz unten im Schälchen liegen die die zarten inneren Blätter, roh mariniert, darüber die etwas festeren, geschmort, und ganz oben die dickeren Außenblätter kross frittiert. Letztere haben einen süchtig machenden Crunch und einen tiefen, dunklen, salzigen Geschmack. Sehr schön.

Der Fleischgang, dessen brutzelnde Zubereitung wir über den Abend hinweg beobachten und hören konnten, besteht aus einer Scheibe von zwei Monate gereiftem Wildschweinnacken. Das Fleisch ist rosa und saftig, mit appetitlich gerösteter Schwarte und kräftigem Geschmack. Dazu wird als fruchtig-würzige Ergänzung lediglich eine kleine Nocke milchsaures Blaubeerkompott, und ein mit Himbeeren und Waldmeister versetztes Salz serviert. Und mehr braucht es bei solcher Fleischqualität auch nicht.

Das erste Dessert nennt sich Erinnerung an eine Kokosmakrone. Hinter dieser kryptischen Umschreibung verbirgt sich rohe Topinambur, die als Kokos-Ersatz dient und der tropischen Steinfrucht texturell und geschmacklich verblüffend nahe kommt. Geröstete Topinamburbrösel ersetzen die Koksraspeln und machen die aromatische Illusion perfekt. Dazu gibt es Feigenblatt-Eis, cremig, köstlich, nicht zu süß. Ein starkes Dessert.

… Was wir über die zweite Nachspeise leider nicht sagen können. Sie steht unter der Frage Schokolade? und besteht aus einem Soufflé, einer Eisnocke und einer Ganache, verborgen unter Preiselbeerstaub. Nach dem ersten Löffelchen können wir die Frage klar beantworten: Nein, keine Schokolade! Leider. Der Service klärt uns auf: alle drei Komponenten wurden aus fermentiertem Einkorn hergestellt. Der Geschmack käme jenem von Kakao, der regional natürlich nicht anbaufähig ist, sehr nahe. Nun ja, uns erinnert der Geschmack eher an die muffigen Bioläden der frühen Achtzigerjahre.

Wesentlich besser funktioniert der Abschluss mit einer Crème brulée von Chicoreewurzel. Wie gut Chicoree sich zu Desserts verarbeiten lässt, durften wie bereits in den französischen Dreisternern »Clos des Sens« und »Flocons de Sel« erleben. Die Crème brulée schmeckt intensiv, leicht bitter und karamellig-süß, eine schöne Variation des ewigen Klassikers.

Nach rund vier Stunden geht das Menü für alle Gäste zu Ende. Manche brechen direkt auf, manche bleiben noch einen Moment sitzen, so auch wir. Unser Besuch im »Sosein« liegt fast vier Jahre zurück, doch wir haben den Eindruck, dass Felix Schneider sein starkes Konzept hier nun noch konsequenter, noch kompromissloser umsetzt. Auch unser größter Kritikpunkt von damals, die allzu vielen säuerlichen und milchsauer vergorenen Komponenten, hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. Dass es für das Restaurant direkt wieder zwei Sterne gab, überrascht uns nicht.

Die Idee der Regionalität, nicht nur bei den Produkten, sondern auch bei der Verfeinerung rustikaler Speisen, verfolgen Schneider und sein Team so stimmig, wie wohl niemand sonst in Deutschland. Zusammen mit dem »Essigbrätlein«, das trotz des irgendwie artverwandten Ansatzes eine nochmals andere Linie verfolgt (und sowieso eine Klasse für sich ist), hat das einst so unscheinbare Nürnberg nun gleich zwei wegweisende Restaurants zu bieten. Oder anders gesagt: diese beiden Restaurants in einer Stadt sind ein Glücksfall, denn besser können sich Küchenstile kaum ergänzen: das Handfeste und das Ätherische. Nimmt man dann noch das »Tisane« hinzu, lassen sich in der Stadt ein paar ziemlich gute Tage verbringen.
Auf die neu bezogenen Räumlichkeiten, hier im Bild, freuen wir uns jedenfalls. Apropos: Der krypische Begriff »Etz« kommt aus der fränkischen Mundart und bedeutet so viel wie »Jetzt«. Und wenn wir so darüber nachdenken: wir bekommen jetzt tatsächlich wieder Appetit…

Kai Mihm

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Umfrage

Radikal regional – reizt Euch das?

 

Das könnte dich auch interessieren