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Restaurantkritik 26.November 2022

Von Rom nach Lima – und zurück

Wer sich im Berlin-Mitte-Dreieck aus Chaussee-, Friedrich- und Torstraße für ein Restaurant entscheiden muss, hat es mittlerweile wahrlich nicht leicht: Nur wenige Gehminuten liegen zwischen dem besternten »Cordo«, dem »Bandol sur mer« sowie dem vom Michelin höchstbewerteten Platzhirschen »Rutz« – und ein kleines Stück südlich, da erhascht sich seit einigen Jahren das »136 Restaurant« mit Chefkoch Matias Diaz Silva einen festen Platz in der Fine-Dining-Szene der Stadtmitte. Irgendwie ist das Lokal immer noch ein Geheimtipp, dabei ist die Küche – eine Fusion aus Peru und Italien – die wohl ungewöhnlichste in dieser Gegend. Wir gehen schon länger gerne dort hin; höchste Zeit für einen Bericht.


Der 32-jährige, in Lima geborene Diaz Silva kam nach Berlin, um Fußballer zu werden – das mit dem »Pass« hatte er sich da bestimmt noch anders vorgestellt. 2015 startete er seine Kochausbildung im The Mandala Hotel, bevor er zwei Jahre als Chef de Partie im »Hugos Restaurant« wirken konnte. Kurz darauf – im Jahre 2019 – übernahm er bereits den Küchenchefposten im »136«. Damals bot das Restaurant noch eine zum Fine-Dining aufgeblasene italienische Karte mit Risotto, Carpaccio und Raviolo an. Peu à peu setzte der junge Koch dann seine Vision einer italo-peruanischen Liaison um – scheinbar ungeachtet aller Hürden der Pandemie.

Dass in Peru viele Italiener ansässig sind, ist uns nicht neu; nur eine etablierte Fusionküche wie sie zum Beispiel das japanisch-peruanische »Nikkei« darstellt, war uns bislang nicht bekannt, sodass wir umso gespannter auf die heutigen Gerichte sind. Das Interieur erinnert derweil noch immer an den muckeligen Italiener um die Ecke: Blutrote Wandfarben, anzügliche Schwarzweiß-Fotos, abgewetzte Holztische und nicht zuletzt die italienische Servicecrew versprühen angenehme Kiez-Rustikalität, in der ein Degustationsmenü durchaus ungewohnt erscheint. Que aproveche!

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Als Aperos (v.r.n.l.) zum stilechten Pisco Sour kommt ein prima gearbeitetes Cornetto mit Rindertatar, ein vor Hitze strotzender, sehr guter Arancino mit Sepiafüllung und Chilicreme sowie eine etwas mehlige Bacalao-Creme in einer wiederum zarten Tartelette auf den Tisch. Alles sehr schmackhaft, lediglich das zu süße und klebrige Rote-Beete-Meringue mit Büffelmozzarella weiß nicht so recht zu gefallen.

Der Gruß aus der Küche, ein Ragout von der Oca, einer peruanischen Kartoffelart, mit Sauce von der Yucatan-Pflanze sowie Gelee aus Kamille mit Parmesan, knuspert ausbalanciert, dezent gesalzen und leicht schärfend vor sich hin. Sehr nett. Wir bekommen Appetit …

… der sogleich mit rohem Adlerfisch-Involtini mit Rocoto (Baumchili), Süßkartoffel, Koriander und Amalfizitrone auf sensationelle Weise gestillt wird. Einem mediterranen Ceviche gleich, mischen sich hier die Schärfe und Säure Südamerikas mit den süßlichen Noten der Zitrusfrucht, ohne, dass eine der Komponenten den sanft in Salz und Pfeffer marinierten Fisch zu erschlagen droht. Eine köstliche Blaupause der Küchenphilosophie, nicht mehr und nicht weniger.

Produktfokussierter dann der spanische Kaisergranat mit Fenchel, Moscardini (Moschuskrake) und Cochayuyo (Seetang). Intensive Muschel- und Meeresaromen machen sich breit, Fenchelnoten bringen suppige Herzhaftigkeit – auch handwerklich gibt es nichts auszusetzen, der nur kurz flambierte Hummer ist innen glasig und außen mutig gesalzen. Bedauerlich nur, dass die Produktqualität nicht auf Küchenhöhe pariert: Der kleine Schwanz bietet einen enttäuschend laschen Biss, hat wenig Saft und schmeckt mehlig. Schade, denn mit dem richtigen Lieferanten könnte auch dieses Gericht brillieren.

Die gegrillte Ochsenherztomate mit Basilikum, Tomatenvariationen, Kiwicha (das Quechua-Wort für Amaranth) und Aji Amarillo zerlegt den Paradeiser in verschiedenen Texturen und Temperaturen: warm geflämmt, leicht getrocknet, als Dressing und in einer peruanischen Chilicreme. Vollmundig, süß-säuerlich sowie dezent rauchig passen hier Produkt, Proportionen und Handwerk hervorragend zusammen. Ebenso der gekonnte Umgang mit Schärfe soll positive Erwähnung finden: nur ganz spät kitzelt sie den Gaumen, um sogleich wieder zu verschwinden. Toll!

Etwas klassischer – und überhaupt nicht scharf – wird es dann beim italienischen Stör mit Sellerie, Royal Kaviar und Buttermilch. Wieder kommt der Teller zu unserer Freude heiß an den Tisch, sodass wir uns ausreichend Zeit mit den Komponenten und ihren Kombinationen lassen können. Der Stör ist für sich ein sehr fleischiger, bissfester Protagonist, der dem fermentieren Sellerie, das zarte Gelee von den Störkarkassen und den Kaviar obenauf prima zu kontern weiß und – müssen wir es noch erwähnen? – zur glasigen Perfektion gegart wurde. Das macht Spaß.

Die Wachtel mit »Cajamarca«-Kaffee aus den peruanischen Anden, Pflaume, Mais und Topinambur leitet zum fleischhaltigen Teil des Menüs über. Mit Mais und Kaffeearomen erwischt uns die Küche gleich doppelt skeptisch, haben wir bislang doch bei den meisten Gerichten, die diese Zutaten im herzhaften Teil des Menüs verwenden, nichts weiter als ebenjene schmecken können. Und wenngleich ich immer noch nicht so recht verstehe, was Köche an Mais finden, ist dessen Süße hier erträglich und schlägt die konzeptionell-kulinarische Brücke zum corn-verliebten Peru. Auch der Kaffee auf der blutig gegarten, zarten Wachtel steuert hier und da ungewohnte, aber passende Nussigkeit bei. Gut, wenngleich dem Gericht ein Schuss Säure als »Aromenöffner« sicher gut stünde.

Unverkopft und lässig dann der Hauptgang, Hirschfilet mit Brombeere, Birne, Zucchini und Pilzen. Das Fleisch hat Biss – im Zuge der immer noch vorherrschenden Sousvide-Manie keine Selbstverständlichkeit – und Saft, sodass es gar nicht viel vom leichten, nur wenig gebundenen Jus braucht. Die Beilagen verschaffen hier und da erdig-süße Abwechslung. Eine klassische, »funktionale« Komposition, ohne dogmatisch erzwungene Einbindung der beiden Ländergeschmäcker.

Wir mussten nachfragen: »Ja, Lucuma, Himbeere, Mandel und Topinambur ist ein Pre-Dessert.« – Für zwei? Nein, pro Nase bzw. Mund. Nun, hier erschlägt uns die schiere Menge bereits vor dem eigentlichen süßen Abschluss. Es schmeck schon gut, nur würde die beerige Frische auf Esslöffelgröße geschrumpft in diesem Moment besser passen. Etwas mehr (Frucht)Säure dürfte auch im Spiel sein, um das Ganze zu »erleichtern«, denn solch üppige Mengen an diesem späten Punkt des Menüs versetzen uns sofort in den französischen »Mäst-Mode« (siehe auch unseren Besuch im »L'Arpège«).

Das schön gearbeitete und spannende klingende Hauptdessert aus Ricotta, Chuncho »Cuzco« (Schokolade), Aprikose, Pistazien und Quinoa kann dann leider nicht so ganz mit seinem Intro mithalten. So sehr wir uns auch durch die einzelnen Komponenten bemühen, es bleibt in Summe eine süße Belanglosigkeit auf den Papillen zurück, die wir von Restaurants ohne separte Patisserie durchaus gewohnt sind. Lediglich der säuerlich-erfrischende Aprikosenspiegel im »Burggraben« birgt interessante Aromen, lässt sich aber durch seine schiere Position nur schlecht mit dem Rest mischen. Dieses üppige Dessert macht vielleicht dick – aber nicht viel mehr.

Wir verfolgen Matias Diaz Silvas Entwicklung bereits seit einigen Jahren, und nicht ohne Grund entscheiden wir uns heute dazu, seine Küche zu präsentieren: Hier hat sich was getan! Der Koch bemüht sich merkbar, weder die aromatischen Klischees des einen noch des anderen Landes zu bedienen, sondern die Fusion aus Italien und Peru auf Produktebene geschehen zu lassen: Eine Amalfizitrone zum Adlerfisch-Ceviche, eine peruanische Chilicreme zur Ochsenherztomate sowie südamerikanische Kartoffelsorten mit Parmesan zeugen von der richtigen »Denke«, wie wir Berliner jerne sagen. Heute Abend gipfelte das in mehreren sehr guten bis sogar sensationellen Gerichten. Lediglich ein Aspekt fehlte uns an einigen Stellen: Der gekonnte Umgang mit Säure, der erfahrungsgemäß aus einem schmackhaften Menü ein exzellentes machen kann. So energisch allerdings, wie wir Matias Diaz Silva bislang kennenlernen durften, ist auch das nur eine Frage der Zeit … Man sollte ihn im Auge behalten.

Chris Lippert

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Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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