Restaurantkritik 11.Februar 2022

Keine Kompromisse

Keine Stippvisite in Zürich, ohne ein Dinner bei Stefan Heilemann. Oder anders gesagt: Seit sich der Schwabe 2016 an alter Wirkungsstätte (dem mittlerweile geschlossenen Ecco) aus dem Stand zwei Sterne erkochte, schauen wir mindestens einmal pro Jahr nach dem rechten. An der neuen Wirkungsstätte im edlen Widder Hotel, so war unser Eindruck nach dem ersten Besuch kurz nach der Eröffnung, haben er und seine Mannschaft nochmal einen drauf gesetzt. Die Küche schien uns wilder, aber auch persönlicher. Entsprechend gespannt sind wir nun, was sich inzwischen so getan hat.

Wir bahnen uns den Weg die steile Treppe von der Widder Bar nach oben ins Restaurant erst relativ spät. Nicht etwa, weil wir uns vor dem Dinner bereits flüssigen Ausschweifungen hingegeben hätten (okay, vielleicht ein bisschen), sondern weil persönliche Verpflichtungen riefen – Family first.
Entsprechend hungrig blicken wir oben angekommen in die offene Küche, saugen gierig die ersten Düfte auf und sitzen nach gewohnt herzlicher Begrüßung schnell am Chef’s Table. Wie beim letzten Besuch wird der Abend durch Sommelier Stefano Petta mit einem Glas vom stets willkommenen Cédric Bouchard eröffnet. Während wir uns am exzellenten Côte de Val Vilaine erfreuen, wird die kulinarische Einstimmung aufgetragen.

Sie ist altbekannt und dreht sich um die Französische Freilandente. Da ist einmal der Bao Bun mit Keule, die marinierte Leber mit Aal und Rote Bete sowie die knusprige Haut mit gehobeltem Fleisch on top. Obwohl wir diese Trilogie bei Heilemann schon öfters vorgesetzt bekamen, wird sie nicht langweilig. Im Gegenteil. Gerade der Bun und die Leber hinterlassen heute einen besonders starken Eindruck und scheinen uns noch nie so filigran gearbeitet und perfekt abgestimmt gewesen zu sein. Das macht nochmal richtig Bock auf Widder, pardon: den Abend.

Amuse Nummer Zwei besteht aus Neuenburger Wasserbüffel mit Rettich, Senf und Kaviar. Die mit Tartare gefüllte Rolle besticht durch ihr feinwürziges, zartes Fleisch, das durch eine belebende Schärfe sowie die knackige Salzigkeit des schwarzen Goldes toll akzentuiert wird. Wir sind uns noch nicht sicher, ob es vielleicht doch an uns (oder am Apéro) liegt, doch auch diese Kleinigkeit wirkt heute besonders raffiniert und auf den Punkt gebracht.

Angst und Bange wird uns kurzzeitig beim Balfegó Thunfisch mit Seeigel von Färöer Inseln, Passionsfrucht, Minze, Pomelo und einer ordentlichen Nocke Kaviar. Nicht, weil die dunkel glänzenden Perlen zweimal hintereinander auftreten, sondern aufgrund der schieren Masse, die da vor uns in der Schale liegt. Aber Heilemanns Küche ist grundsätzlich aufs Klotzen ausgelegt, nicht aufs Kleckern. Kurzzeitige Bedenken spült die erste Gabel mit einer massiven Welle jodiger Meeresfrische weg. Eine Produktschau erster Güte, absolut perfekt inszeniert. Anders kann man das nicht sagen. Der fette, hauchzarte Fisch ist ebenso eine Offenbarung, wie die intensiv salzigen, gleichzeitig süßen und umamigeladenen Seeigelgonaden. Eine lebendige, herbe Säure sorgt gemeinsam mit der bittersüßen Pomelo für einen lockeren Unterbau, in dem sich die Minze immer wieder neckisch hervortut. Auch die Süßkartoffelchips (hinten rechts in der zweiten Schale) gehören unbedingt dazu gegessen, da sie das Gericht vor allem texturell abrunden. Unfassbar, was hier abgeht, und kaum in Worte zu fassen. Am ehesten vielleicht so: das ist ein lupenreiner Drei-Sterne-Teller.

Heilemann sieht uns die Begeisterung an (wie könnte man auch nicht?) und schickt als Goodie noch eine kleine Schale nur mit Seeigel, Kaviar und ein wenig Schnittlauch. Himmel unter Wasser.

Mit einem dicken Kaisergranat geht die wilde Fahrt weiter. Das makellose Exemplar aus Südafrika erfreut sich einer übersichtlichen Einfassung aus Pak Choi, Thai Bouillon und Erdnuss. Der für Heilemann typische Wumms in Form von Schärfe und Säure fehlt ebenso wenig, wie das exzellente Produkt im Mittelpunkt. Solche Teller inhalieren wir quasi, denn dafür sind sie auch gemacht. Nicht zuviel nachdenken, einfach reinhauen. Wunderbar! Gerade auch nach einem so komplexen Gang wie zuvor.

Etwas übers Ziel hinaus schießt dann die Rotbarbe von der Algarve mit Fenchel, Chorizo und Taggiasca Olive. Was vor allem an der (zu) dominanten Paprikawurst liegt. Sie legt sich wie ein fettig-scharfer Film über alles und man kann ihr schlichtweg nicht entkommen, da man sie, bis auf die aufliegenden Stücke, kaum dosieren kann. Der rustikale Grundgedanke gefällt uns zwar durchaus, aber in dieser Form eher mit einer kühlen Flasche Weisswein im heißen Süden Portugals, nach einem kurzen Sprung ins erfrischende Meer, als in einem der nobelsten Restaurants der Schweiz. Hier wünschen wir uns von der Küche ein bisschen mehr Zurückhaltung und Fokus auf das Endresultat und das Grundprodukt.

Einen erfrischenden Einschub gibt es mit den knusprigen Schweineohren mit Spicy Gurkensalat, geröstetem Jasminreis und Koriander. Klar, es gibt bestimmt Gäste, die man mit sowas womöglich aus der Reserve lockt. Wir sehen es eher als augenzwinkernde Hommage an die Straßenküchen Thailands: In einer schweißtreibenden Nacht durch Bangkok schlendern, ein Singha nach dem andern trinken und dabei so etwas an einem der zahlreichen Foodstalls auf der Straße reinziehen, bevor der verführerische Duft des nächsten Stands uns weiterlockt. So ist der Effekt denn auch hier: Schnell gegessen, schnell wieder vergessen.

Ein ganz anderes Kaliber ist die Entenleber "Label Rouge", im Salzteig gegart, die uns Heilemann am Tisch präsentiert, um dann vorsichtig das Geheimnis im Innern des Teigs zu lüften. Der entströmende Duft deutet noch nicht unbedingt auf das hin, was uns erwartet…

… denn der fix fertige Teller mit Foie, Kürbis, gelbem Thai Curry und Limette ist absolut phänomenal. Die Kraft ist da, klar, die kickende Säure ebenfalls. Doch da ist noch mehr. Soviel mehr. Sorgfältig stellen wir uns einen Löffel nach dem anderen zusammen und erwischen uns beim Essen immer wieder dabei, wie wir uns erst ungläubig anschauen, um im nächsten Moment andächtig die Augen zu schließen. Unheimlich vielschichtig, fordernd, dabei in seiner geradezu herzzerreissenden Liebe zum kompositorischen Detail enorm befriedigend und berührend. Kurzum, der zweite Teller des Abends, der drei Macarons verdient hätte. Wow!  Dazu serviert Stefano Petta mit dem 2019er Gamay Sauvage Selection T(atasciore) von Jean-Pierre Pellegrin aus Satigny das heimliche Pairing des Jahres. Wie dieser saftige, intensiv nach Erdbeeren duftende Tropfen aus der größten Schweizer Weinbaugemeinde mit dem Gericht harmoniert und es überraschend komplettiert, ist einfach grandios.

Bei Kalbshaxe & Kalbsbries nimmt die Küche den Fuß zumindest ein klein wenig vom scheinbar konstant durchgedrückten Gaspedal. Trotz der Umamiwucht von Kiefernpilzen, Parmesan und weissen Trüffeln, die hier prominente Rollen einnehmen. Zu Beginn möchten wir uns einfach reinsetzen, so schlotzig (ja, das gibt’s auch bei uns noch zu hören) ist das. Doch bei aller Qualität fehlen uns auf Dauer zwei Dinge: ein Element, das die einheitlich zart-weiche Textur etwas aufpeppt und für mehr Abwechslung im Mund sorgt, sowie ein Element, das einen gewissen Schwung reinbringt. Das muss gar nicht viel sein, sondern nur, um der Mächtigkeit ein bisschen Paroli zu bieten und das Ganze zumindest gefühlt einen Hauch aufzulockern.

Der Chef taucht wenig später wieder am Tisch auf, um den Hauptgang zu präsentieren. Es gibt eine Roulade vom Graufuß-Rebhuhn …

… gepimpt ist das Geflügel mit etwas Foie (denn, warum zur Hölle auch nicht?), dazu wilder Brokkoli, Yuzu und eine Innereiensauce. Dieser Teller zeigt ganz genau, was dem Gang zuvor gefehlt hat. Auch hier erscheint alles zuerst reichlich schwer, sehr dicht und fast schon zu winterlich dunkel. Abhilfe schafft die prägnante Aromatik der Yuzu, die auf den ersten Blick so gar nicht reinzupassen scheint, sich aber nahtlos in die französische Klassik einfügt. Und natürlich die zumindest zu erahnenden Knackigkeit des scharf angebratenen Brokkoli, der durch seine Herbheit und pointierten Röstnoten gemeinsam mit der exzellenten Sauce für ein rundes, schön austariertes Gesamtbild sorgt. Darum geht es ja schlussendlich meistens: die Ausgewogenheit.

Zeit für Pâtissier André Siedl, der eingemachte Blaubeeren mit Quark, Sauerampfer und Felchlin Bionda Schokolade schickt. Wir essen. Und essen. Und essen. Doch irgendwie werden wir mit dieser seltsam verhalten wirkenden Kreation nicht so wirklich warm. Die Blaubeeren und den Quark nehmen wir nur vage wahr, im Vordergrund sind klar die dumpf-süße Schokolade und das überdimensionierte Sauerampfereis. Anders gesagt, die Proportionen stimmen nicht. Dass der Quark sensorisch nicht wirklich präsent ist, ist noch zu verschmerzen, aber den Beeren müsste definitiv eine gewichtigere Rolle zukommen. Schade.

Ähnlich verhält es sich leider mit einer Interpretation des "Amaretto Sour", bestehend aus Mandel, Zitrus und Nougat. Hier spielt die Nuss ganz klar die erste Geige, was natürlich auch Sinn macht, doch der Supporting Cast hält sich zu sehr im Hintergrund. Dem Vorbild seines Chefs folgend, würden wir eine viel präsentere Rolle der Zitrusaromen begrüßen, die dem Ganzen eine lebendigen Anstrich verleihen könnten. So ist das in Summe gefühlt lediglich sehr gutes Marzipan mit ein wenig Beiwerk.

Der süße Ausklang bestehend aus einem Canelé mit Passionsfrucht und Tonkabohne, Kokosnuss mit weißer Schokolade und Litschi sowie einem Bienenstich mit Pistazie und Honig versöhnt uns mit der Widder-Pâtisserie und weiß komplett zu überzeugen. Hat bei den Petits Fours ja durchaus Seltenheitswert und zeigt, zu was man hier im Stande ist. Das deckt sich auch eher mit den Eindrücken unseres letzten Besuchs, empfanden wir die Kreationen von André Siedl im vergangenen Jahr noch als seine bis dato beste Arbeit.

Keine Frage, Stefan Heilemann hat seine eigene Stilistik längst gefunden und verfolgt unbeirrt seinen Weg. Ohne Kompromisse. Erklärtermaßem in den Sternenhimmel. So weit, so bekannt. Neu ist allerdings, dass er uns unter dieser Prämisse mit dem Thunfisch heute erstmals ein lupenreines Drei-Sterne-Gericht serviert hat. Der Foie fehlte vielleicht noch ein Quäntchen zu "lupenrein", aber auch diese Kreation wäre uns am Ende drei Macarons wert. Das ist ein Wort und zeigt einmal mehr, dass im Widder einer der wenigen potentiellen Kandidaten der Eidgenossenschaft für höchste Michelin-Weihen am Werk ist.
Um dort hinzugelangen, muss Heilemann vielleicht nicht mal unbedingt den Fuß vom Gas nehmen. Allerdings muss der Fokus auf das Wesentliche für die Länge des gesamten Menüs gewahrt bleiben. Die Kraft sollte immer in Einklang mit Raffinesse und Balance gebracht sein. Gelingt das, gelingt irgendwann auch der Aufstieg.
Wir für unseren Teil steigen erstmal wieder hinab, die steile Treppe in die Widder-Bar. Vorsichtig, ganz vorsichtig. Aber wir kommen wieder. Bald.

Thierry De Nullepart

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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