Restaurantkritik  7.Dezember 2021

Die Perle vom Naschmarkt

Ein Mittagessen unseres Wien-Trips war noch offen. Wir machen es ganz gerne so, einen Slot für eine spontane Reservierung frei zu lassen. Nicht selten erweisen sich diese ungeplanten Aktionen als schönste Überraschung, sei es die horizonterweiternde Streetfood-Tour in Hongkong oder das Zomm in Tirol. In Wien fragten wir am ersten Abend Lukas Mraz, was er als lockeren Lunch vor dem Dinner bei Juan Amador empfehlen würde. Seine direkte Antwort: die Umar Fisch Bar. Ohne jeden Zweifel. Wir würden es lieben. Der junge Küchenchef habe vorher als Sous Chef bei Konstantin Filippou gearbeitet – nicht die schlechteste Voraussetzung.

Die Umar Fisch Bar also. Hatten wir noch nie gehört. Das Menü auf der Webseite las sich nett, aber nicht gerade ungewöhnlich: frittierte Kalamares, Garnelen mit Mangold, Seeteufel mit Zucchinigemüse... Bis wir merkten, dass wir nicht auf der Seite der Umar Bar, sondern des Umar Fischlokals gelandet waren, dem Alltagsrestaurant des selben Inhabers, Erkan Umar, der vor allem auch einen traditionsreichen Fischhandel betreibt. Die Fisch Bar befindet sich direkt nebenan, und das Menü auf der zugehörigen Webseite las sich deutlich ambitionierter. Also nichts wie reserviert!

Die Fisch Bar befindet sich (wie auch Handel und Restaurant) mitten auf dem Naschmarkt. Weiß eingedeckte Hochtische mit edlen Weingläsern sind erste Hinweise, dass es hier ambitionierter zugeht, als in den diversen Restaurants ringsum. An diesem Spätseptembermitttag ist es herrlich sonnig, die Temperaturen sind angenehm. Wir nehmen im Außenbereich Platz, direkt am offenen Fenster, mit gutem Blick in die kleine Küche, wo nur zwei Mann werkeln. Es gibt diverse à-la-Carte-Optionen sowie ein 8-Gänge-Menü für 2 Personen, bei dem pro Gang fast immer 2 verschiedene Gerichte serviert werden. Das passt. Beim Wein konzentriert man sich auf sehr "naturnahe" Natural Winzer – sei's drum, wir sind offen für alles.

Nach einem Auftakt mit zwei prachtvollen Austern (kein Foto. Einmal mit gehobeltem Eigelb und Brathuhnsaft, einmal gegrillt mit Hoisin-Sauce) gibt es gebeizte Sardine mit Schwarzem Knoblauch, eingelegter Zwiebel und geröstetem Panko – ein exzellentes Produkt wird hier mit beeindruckender Klarheit akzentuiert: ein bisschen Würze, etwas Knusper, etwas süßlich-scharfe Zwiebelfrische. Mehr braucht es nicht. Wir müssen an Ferran Adrias berühmten Spruch denken: "Eine erstklassige Sardine ist einem mittelmäßigen Hummer stets vorzuziehen." Besser, als mit diesem Teller kann man das kaum illustrieren. Wobei wir sicher sind, dass der Hummer hier ebenfalls top wäre.

Noch puristischer kommt der Ora King Lachs auf den Teller, nämlich mit einer Creme aus Kapern und Tamarinde. Auch hier zeigt sich, dass Küchenchef Stefan Doubek auf beste Produkte zurückgreifen kann, die er angemessen glänzen lässt: Der Lachs hat einen dichten, komplexen und zugleich einen so ungeheuer klaren Geschmack, wie wir ihn bei diesem Fisch selten erleben.

Noch besser wird es beim Carabinero. Doubek belässt ihn roh und gibt etwas kandierte Zitrone, Fingerlimes, Fenchelgrün und die superkross frittierten Beine des Krustentiers obendrauf. Das schmeckt absolut grandios – all unsere oft geäußerten Vorbehalte gegen rohe Krustentiere werden hier Makulatur: der Carabinero ist wunderbar bissfest und von knackiger Struktur. Er schmeckt auch kein bisschen "schmierig", sondern pur und frisch. Ein "Referenzprodukt", wie man so gerne sagt, und in der puristischen Präzision nicht weniger als Weltklasse. 
Der feine Eigengeschmack verbindet sich mit dem Würztopping zu einem leicht jodigen, süßlichen und herzhaften Ganzen.
Dazu gibt es eine säuerliche Creme aus Tamari – und als besonderen Clou das Kopfinnere und die Innereien des Carabinero. Dazu wird der Kopf direkt am Tisch mit einem Löffel ausgeschabt und durch ein feines Sieb passiert. Die so gewonnene Masse schlägt Doubek leicht auf, bis sie zu einer geschmeidigen Creme emulgiert. Die elegante Intensität dieser Essenz zieht uns fast die Schuhe aus. Zusammen mit dem Carabinero jagt sie uns wohlige Schauer über den Rücken. Eine Götterspeise.

Ein Prachtstück ist auch die Jakobsmuschel, kräftig geröstet, im Kern perfekt auf den Punkt. Zart, nussig, leicht meerig. Ein hervorragender Dashi untermalt sie mit Umami, ein rotes Zwiebelkompott frischt sie süßlich auf. Große klasse. Mehr gibt es da nicht zu sagen.

Zwischen den Gängen beobachten wir das Treiben auf dem Naschmarkt, mit seinen neugierigen Touristen und den geschäftigen Einheimischen; dazwischen ein paar illustre Händler und ein Straßenmusiker. Eine schöne Kulisse, lebhaft, aber nicht stressig; urban und doch heimelig. Wien eben.

"Das kann nur großartig sein!", so der erste Gedanke beim Anblick des nächsten Tellers: frische Morcheln, gefüllt mit einer Farce aus Heilbutt, in einer mit Belper Knolle angereicherten Sauce. Und Ja, wir behalten recht, es ist großartig. Zwar sind die Morcheln etwas weniger aromatisch, als gedacht, doch in Verbindung mit der feinen Füllung und der gaumenschmeichelnden Sauce entwickelt sich ein köstliches Ganzes. Buttrig und saftig, erdig und würzig – und auf wundersame Weise erstaunlich leicht.

In recht zügigem, aber nicht hektischem Tempo wird der nächste Gang serviert. Eine krosse Waffel ist dünn mit Frischkäse bestrichen, darauf Imperial Kaviar und Schnittlauch. Der erste Biss... ein Moment zum Augenschließen... Die Textur... knusprig und fluffig, mit einem Hauch seidiger Creme fraiche, darüber legt sich Salzigkeit und Nussiges im Schmelz des Kaviars, im Hintergrund leichte Schnittlauchschärfe.... dazu das Spiel aus warmer Waffel und kühlem Topping. Im Grunde ist das so simpel – und so betörend.

Im Gespräch mit dem Service erfahren wir, dass Küchenchef Stefan Doubek auch im Jordnaer und im Chambre Separée tätig war – das erklärt einiges.

Gehaltvoller wird es bei den Soba-Nudeln in einem Sud mit Judasohren, darüber gehobelt reichlich Herbsttrüffel. Ja, das ist auch gut, süffig, wohlschmeckend, aber auch sehr mächtig. Dadurch fällt dieses Gericht ein wenig aus dem Rahmen des Menüs. Die vielen Trüffel sind sicher luxuriös gemeint, aber (uns) auf Dauer ein bisschen zu viel des Guten.

Als kleines Intermezzo gibt es Tako-yaki, eine Spezialität aus der japanischen Region Kinki. Deutsch übersetzt heißt Tako-yaki "gebratener Krake", was bereits den Clou der kleinen, gebackenen Teigkugel verrät: sie ist mit Oktopusstücken gefüllt. Das Teil ist glühend heiß, warnt uns der Kellner – doch gierig wie wir sind, wagen wir einen ersten Bissversuch und verbrennen uns prompt die Lippen... Nach angemessener Wartezeit starten wir neu: die Kugel ist schon fluffig, der Teig gut, überdeckt jedoch den Geschmack des Oktopusses nahezu vollständig. Auch die annoncierte Ingwerwürze schmecken wir kaum. Hier lässt sich noch nachbessern.

Nach diesen eher üppigen Gängen wird es wieder wohltuend puristisch. Ein schöner Kaisergranat ist lediglich mit Vadouvan bestreut. Der knackige, saftige Granat verträgt die kräftige Würze bemerkenswert gut, wird nicht übertüncht, sondern akzentuiert. Ein Püree aus fermentiertem Apfel steuert mit leichter Fruchtigkeit gegen, auch das eine schöne Begleitnote zum süßlich-nussigen Eigengeschmack des Krustentiers. Hier haben wir sie wieder, die subtile Eleganz, die uns bei den besten Gängen dieses Menüs so bezaubert.

Der erste Hauptgang, wenn solche Unterteilungen hier überhaupt Sinn machen, besteht aus einem Schwanzstück von der Makrele. Der Fisch wurde an der Gräte gegrillt und hat eine herrlich knusprige, intensiv nach Röstaromen schmeckende Hautschicht. Im Kern ist die Makrele glasig, regelrecht schmelzend... was für ein Genuss. Die "Beilage"? Ein Klecks Granatapfelcreme, als Kontrapunkt zum fettreichen Fisch. Sonst nichts. Perfekt.

Etwas reichhaltiger wird es beim letzten Gang. Eine argentinische Wildgarnele kommt mit Steinpilzen (als cremiges Ragout und roh gehobelt) und Fregola Sarda auf den Teller. Die Beigaben sind so gut, insbesondere die knackig-sämigen Fregola, dass die Garnele fast zum Nebendarsteller wird. Doch nichts schlägt den gerösteten Kopf, der sich genüsslich aussaugen lässt und unsere Gaumen mit einer Welle an Meeresaromen flutet... (Hier schließt sich auch ein Kreis zur Kopf-Creme am Beginn des Menüs).

Desserts gibt es natürlich auch. Ein mit schmelzendem Mozzarella gefülltes und mit Limettenblüten gewürztes Hefegebäck, heiß und duftend, honigsüß und üppig; und eine Griesschnitte mit Frischkäse und Pistazien, gleichermaßen erfrischend und gehaltvoll. Nach der Fülle an Meerestieren tut dieser orientalisch-süße Abschluss richtig gut.

Wir wissen noch gar nicht genau, wie uns geschehen ist, als wir über den Naschmarkt in Richtung Hotel spazieren. Die Umar Fisch Bar... Was für eine Entdeckung! Dass Stefan Doubek (rechts) auf mindestens erstklassige Produkte zurückgreifen kann, versteht sich angesichts des Fischhandels im Hintergrund von selbst. Was er jedoch daraus macht, ist in seinem Mut zum Purismus zutiefst beeindruckend – wir wüssten nicht, wo das im deutschsprachigen Raum vergleichbar rigoros kultiviert wird. Man muss das mögen. Wir tun es. Man muss es auch zu schätzen wissen, aber wir können uns kaum vorstellen, dass dies irgendjemandem hier nicht gelingt.

Bei jedem Trip gibt es die erwartbaren Sternstunden, die irritierenden Enttäuschungen – und im besten Fall die völlig unerwarteten Highlights, für die man Raum lassen und die man zulassen muss. Wenn alles passt, entsteht dabei ein besonderer Zauber, der sich mit komplett durchgetakteten Plänen nicht erwirken lässt. Diesmal stellte er sich mitten auf dem Naschmarkt ein, zwischen Carabinero, Morcheln und Makrele. Danke für den Tipp, Lukas!

Text: Kai Mihm

Wein

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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