Restaurantkritik 24.Februar 2022

…wie Gott in Köln

Das Le Moissonnier ist für uns so etwas, wie das idealtypische Gourmetrestaurant. So locker wie ein Bistro, dabei mit einer Küche, die manches Grand Restaurant zum kulinarischen Zwerg degradiert. Ein Ort zum Entspannen, Wohlfühlen und hemmungslosen Genießen, und doch mit dem Flair weltläufiger Eleganz. Die Tische stehen bei unserem Besuch pandemiebedingt nicht ganz so eng, wie üblich. Aber wer Abstand braucht, ist hier sowieso nicht richtig. Auch wir kommen diesmal wieder mit den Gästen vom Nachbartisch ins Gespräch. Gerade das macht den lebendigen Charme dieses Restaurants aus. Hier muss man sich keine Gedanken machen, ob etwas zu laut gelacht oder im Eifer des Gefechts ein bisschen gekleckert wird. 

Beides kann durchaus passieren, denn zum einen ist Vincent Moissonnier ein begnadeter Anekdotenerzähler, zum anderen ist Erich Menchon bekannt für seine Vielteller-Kreationen, bei denen man munter hin und her essen soll. Unter drei Tellern pro Gericht geht eigentlich gar nichts, zumindest à-la-Carte. Deshalb bevorzugen wir im Le Moissonnier stets diese Option. Das Studium der Karte, ein viel zu selten gewürdigtes Ritual, macht hier Spaß, wie kaum irgendwo. Jedes Gericht wird so detailliert beschrieben, dass einem bereits das Wasser im Mund zusammenläuft. Es erhöht aber auch die Qual der Wahl, das Gefühl, vielleicht doch das Beste zu verpassen – wobei auch diese Ungewissheit zu den Freuden der à-la-Carte-Bestellung gehört.
Zu zweit und jeweils 4 Gängen gibt es aber auf jeden Fall genug zu probieren. Wir möchten hier auch mal die Rechnung aufmachen: bei durchschnittlich 50 Euro pro Gericht, Desserts ca. 20, entsprechen 4 Gänge (inkl. Dessert) etwa dem Menüpreis – und man hat bei jedem Gericht das volle Programm. Dazu natürlich keine Weinbegleitung, sondern zwei schöne Flaschen von der preislich angenehm breit aufgestellten Karte. Das Fest kann beginnen.

Mittags gibt's im Le Moisonnier kein Amuse, also geht es direkt los. Nämlich mit gegrillten Langustinen (charmant, dass hier dieser Begriff in der Karte steht). Zwei Prachtexemplare thronen auf dem Teller, bereits ausgelöst und in der Karkasse mit Auberginenkaviar, Miso, Salzzitrone und etwas Estragon angerichtet. Die erste Gabel katapultiert uns direkt ans Mittelmeer, irgendwo zwischen Griechenland und Côte. Die Krustentiere strotzen nur so vor Saft und Kraft, werden von den Gewürzkomponenten mit sonniger Energie befeuert; eine flaumige XO-Hollandaise untermalt das Ganze mit samtig-weich verpacktem Umami. Jeder Bissen ist ein Hochgenuss.
Auf einem Extrateller gibt es Würfel von Kalbszunge, feinwürzig durch Meerrettich, leicht süßlich durch einen Tupfer Selleriepüree. Das klingt nach einer ganz anderen Geschmackswelt, doch texturell sind Langustinen und Zunge sich gar nicht unähnlich, und eine Krustentier-Bouillon "Provençal" schlägt auch aromatisch die Brücke zum Hauptteller – Berg und Meer einmal ganz anders interpretiert. Beim zweiten Extra, einem kleinen Millefeuille von Spitzkohl und Lardo di Colonnata, erschließt sich uns der Bezug nicht so recht, aber am guten Geschmack dieses Happens ändert das nichts.

Noch besser gefällt uns allerdings das Sandwich von gegrillter Makrele, Räucheraal und Foie gras. Was hier passiert lässt sich kaum in Worte fassen. Der geballte fette Schmelz, das rauchige Umami und die salzigen Meeresaromen fluten den Gaumen mit einer so überwältigendem Bündelung an Wohlgeschmack, dass uns fast die Tränen kommen. Ein Gewürzapfel-Gelee lockert fruchtig auf, eine schaumige Cidre-Sauce nimmt dem Ensemble die Wucht, macht die Sache geschmeidig und elegant. Und trotz der schieren Köstlichkeit bleibt es vielschichtig, treten bei jedem Bissen neue Akzente in den Vordergrund. Man muss das gegessen haben, um es wirklich zu begreifen. Für sich genommen ist dieser Teller bereits eine Götterspeise.
Die Extras bleiben denn auch angenehm zurückhaltend: roh marinierte White Pearl Garnelen bilden mit Passionsfruchtsaft und Pil-Pil-Sauce einen dezent exotischen Kontrapunkt, während ein Gläschen mit geeister Suppe von grünem Apfel, Gurke, Stangensellerie und etwas Gin wie ein keck erfrischender Cocktail wirkt.

Inzwischen ist das Restaurant fast bis auf den letzten Platz besetzt, mit Familien und Paaren unterschiedlichsten Alters. Überall wird geschlemmt und geplaudert, und wenn das lebhafte Klappern der Bestecke ein Indikator ist, fühlen die Menschen sich pudelwohl. Allein das macht Freude.

Im nächsten Gang gibt es Atlantik-Rotbarbe – kein verschämtes Filetstückchen, sondern den ganzen Fisch! Er wurde auf Holzkohle gegrillt, mit leicht knuspriger, appetitlich lackierter Haut, und "à la Provençale" gefüllt, heißt: mit getrockneten Tomaten, Pinienkernen und Basilikum. Das könnte auch "a l'italienne" heißen, spielt aber keine Rolle, denn es schmeckt einmal mehr herausragend gut, nach Sommer, Sonne und dem Duft des Südens. Eine Creme aus Amalfi-Zitronen und eine schaumige Sauce Bourride bringen Italien und Frankreich endgültig und aufs Schönste in Einklang. Das ist ein Gericht, das einen förmlich anlacht, und dann sogar noch viel mehr hält, als es verspricht. Besser haben wir Rotbarbe selten erlebt.
Separat werden noch eine kleine Stockfisch-Brandade mit Orangenblüten und ein Teller mit grünem Ratatouille, schaumiger Fenchel-Vichyssoise, Bouillon mit Anis und Saiblingskaviar aufgetragen – zwei clevere Ergänzungen, die den mediterranen Bogen nochmal weiter schlagen, über Sizilien (Stockfisch, Orangen) in Richtung Griechenland (Fenchel, Anis).

Auch das Milchkalbsbries verdient höchstes Lob. Zwei kleine Stücke wurden scharf angebraten und mit Süßholzwurzel karamellisiert, allerdings nicht rundherum, sondern lediglich auf den beiden flachen Seiten, wodurch karamellige Röstaromen und der zarte Eigengeschmack des Bries eine ideale Balance bekommen. Elsässer Meerrettich frischt das Ganze auf, eine Mischung aus souffliertem Buchweizen und Quinoa bringt Knuspertextur und eine interessante Getreidenote ins Spiel. Eine Krokette (Cromesqui) von Rindermark und wildem Oregano rundet den dekadenten Genuss ab.
Oder Nein, nicht ganz, denn separat gibt es noch ein Kastanien-Confit in Fleischjus mit Lardo, das wir allerdings etwas zu mächtig finden; Kastanien, so sehr wir sie mögen, werden auch nie ganz die Mehligkeit los. Viel besser finden wir des Schälchen mit glasiertem Chicorée in Kardamom, Orange und Mandarinenbouillon, dessen bittersüße Fruchtigkeit einen bereichernden Gegenpol zu den dunklen Aromen des Haupttellers setzt.

Als nominellen Hauptgang (eine Unterteilung, die im Le Moissonnier nicht wirklich greift) gibt es auf der einen Seite des Tisches Münsterländisches Juvenilferkel mit Quatre-Épices. Das mürbe, vielleicht einen Tick trockene Fleisch wurde im Ofen geschmort und kommt mit angenehm würziger Rotkohl-Marmelade mit Ingwer, superkross soufflierter Spanferkelhaut und frischen Wildkäutern auf den Teller. Für sich genommen ist das sehr solide. Richtig gut wird es durch die Beigaben.
Als da wären: Eine Art Ravioli aus Knollensellerie mit Wacholdercreme-Füllung in einer sehr delikat und pur schmeckenden Lorbeer-Bouillon; und vor allem eine Art Presskopf von Ferkelbrust und Ferkelklein, butterzart, mit elsässischem Meerrettich und Wasabi-Erdnüssen – der Beweis, wie man Wirtshausklassiker in die Hochküche überführen kann. Gleiches gilt für das Stück zarter Kartoffeltarte mit Blutwurst, Braeburn-Apfel und Dijon-Senf. Jede dieser Petitessen wirkt wie ein kulinarisches Puzzleteil – man muss ein wenig herumprobieren, und am Ende ergibt sich ein Bild von Harmonie und Schönheit.

In eine gänzlich andere Geschmackswelt entführt die konfierte Lammschulter. Das butterzarte Fleisch bekommt durch Trockenfrüchte und frittierte Mandeln einen levantinischen Einschlag. Dieser Richtung wird durch soufflierten Reis mit duftendem Raz-El-Hanout und Aprikosen-Ingwer-Marmelade verstärkt. Solche Aromenwelten wirken bei weniger sensiblen Köchen schnell plakativ und sollen klischeehafte Assoziationen wecken. Nicht so hier – die Gewürze bleiben eine feinsinnige, fast flüchtige Grundierung.
Sehr gut passen dazu die mit Pilz-Duxelles gefüllten Kohlrabi-Ravioli auf einer pointiert abgeschmeckten Kokos-Safran-Limetten-Emulsion. Allerdings verschwimmen diesmal die Grenzen zwischen Haupt- und Nebentellern, denn ein separat aufgetischtes Mini-Lammkarree von stattlicher Größe, auf Holzkohle gegrillt und am Tisch in Provence-Kräutern geräuchert, macht der Schulter ernsthafte Konkurrenz. So gut das auch ist, geht der Fokus dadurch ein wenig verloren.

Nun sind wir ziemlich satt, aber die Desserts von Olivier Toussaint bringen uns hoffentlich wieder auf Trab. Auf dem Tisch steht einmal eine Variation von Pina Colada: Ein Boden aus Bretonischem Sandteig ist mit Pandan-Creme bestrichen, darauf eine im Ofen gegarte Ananasscheibe mit Korianderpesto, getoppt von Kokosmousse und einem neckischen Chili-Erdbeer-Gel. Diese knusprige, süße, exotische Schnitte, angerichtet wie ein Toast Hawaii, wird begleitet von einem kleinen Baba mit Amalfi-Zitronensirup und Pina Colada-Panna-Cotta, sowie einem hervorragenden Eis von Mango und Passionsfrucht mit Milchmädchen. Ein sehr guter, wenn auch recht gehaltvoller Abschluss.

Noch besser mundet das Blätterteigbrioche, gebraten wie Arme Ritter, mit Ahornsirup-Creme und Braune-Butter-Spähne, Karamellstreuseln und Tonkabohnensauce. Das Brioche ist vielleicht ein bisschen zu hart geraten, doch die Kunstfertigkeit, mit der ansonsten die feinen Abstufungen der karamellig-nussig-vanilligen Zutaten aufgefächert werden, macht dieses Dessert so köstlich wie handwerklich beeindruckend. Dazu gibt es ein überirdisch gutes Roggenbrot-Eis und konfierte Banane mit Bananen-Espuma. Das ist im Grunde nochmal ein Extradessert, bringt hier aber auch eine schöne Fruchtnote ins Spiel. Alles zusammen ist in seiner frivolen Üppigkeit nicht weniger, als exzellent.

Die Petits Fours müssen wir diesmal leider verschmähen, es war dann doch ganz schön viel…

Das war's, unser Mittag im Le Moissonnier. Nach allem, was zu sehen und zu lesen war, müssen wir nicht mehr viele Worte verlieren. Ein Besuch hier macht glücklich: menschlich, kulinarisch, in jeder Hinsicht. Hier wird nicht degustiert, hier wird gegessen. Und selbst wenn zwischendrin ein Gang mal nicht ganz so herausragend ist, bleibt das Gesamterlebnis in Deutschland nahezu einzigartig. Dieser Superlativ darf, nein: er muss hier einfach sein.  

Belassen wir es also dabei. Und freuen uns aufs nächste Mal. Köln ist gastronomisch vielleicht nicht ganz so spektakulär aufgestellt, wie andere deutsche Metropolen, dafür hat es in der Krefelder Straße ein eigenes kleines Schlaraffenland. Was brauchen wir mehr?

Text: Kai Mihm

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Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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