Restaurantkritik 15.Juli 2021

Slam Dunk in Deidesheim?

Unser erster Ausflug nach dem Ende des Gastro-Lockdowns musste zwei Kriterien erfüllen: es sollte für uns ein Erstbesuch sein, und es sollte eine gewisse Garantie für ein hochkarätiges Essen bestehen. Unter diesen Voraussetzungen fiel die Wahl ziemlich schnell auf das L.A. Jordan in Deidesheim. Seit Jahren wollen wir schon dorthin, irgendwie hat es nie gepasst. Jetzt aber!

An einem sonnigen Samstagmittag kommen wir in der Pfalz an. Erster Stopp: Wachenheim, Bürklin-Wolf. Aus der kleinen Weinprobe wird eine ausgiebige Verkostung, an deren Ende 16 Flaschen und die Erkenntnis stehen, dass uns Riesling erst ab einer gewissen Kategorie wirklich gut schmeckt. Als Resultat lassen wir eine nicht unbeträchtliche Bestellung da.

Dann ab nach Deidesheim, wo wir pünktlich zur Blauen Stunde zum L.A. Jordan im Ketschauer Hof spazieren. Auch wenn der Restaurantname bei uns Assoziationen an Basketball weckt, bezieht er sich auf Ludwig Andreas Jordan, den Gründer des Weinguts Bassermann-Jordan.

Seit 2014 leitet Daniel Schimkowitsch die Küche, zu dessen einstigen Lehrmeistern Christian Jürgens gehört. Nicht wenige Essensbegeisterte sind der Ansicht, dass ein Stern fürs L.A. Jordan einer zu wenig sei. Vor allem Schimkowitschs Fanatismus bei der Beschaffung allerbester Zutaten wird immer wieder gerühmt. Das macht Hoffnung.

Dass auch beste Zutaten kein Garant für eine gelungene Komposition sind, zeigt sich allerdings am Ambiente des Restaurants. Ein wunderschöner Raum aus dem 19. Jahrhundert wurde mit durchaus aufwändigen innenarchitektonischen Eingriffen direkt in die Beliebigkeit zeitgenössischer Designhotels überführt (notabene: der Wintergarten ist stimmiger). Dieser Nebenaspekt beschäftigt uns aber nur kurz, denn mit den Aperos startet nun unser Ausstieg aus dem Lockdown.

Der "Mouthcleaner", ein Apfelröllchen mit Ingwer, Jalapeno und Essig, ist noch ein wenig zu harmlos, um nach Monaten der Selbstversorgung unsere Papillen in Alarm zu versetzen. Besser gefällt die Allergiker-Alternative (kein Foto): Karotte süß-sauer mit Passionsfrucht und Ingwer kitzelt den Gaumen mit einer tollen Mischung aus Ingwerschärfe und Fruchtsäure.


Einen Gang hoch schaltet die Küche bei der Gazpacho mit geräuchertem Olivenöl und einem Tartelette mit Beeftatar, Saiblingskaviar und Amela Tomaten: Die kalte Suppe ist ein aromatisch sehr klar und pur schmeckender Gruß des Sommers, das Tartelette eine präzise balancierte Variante des Surf & Turf-Themas. Sehr fein.

Eine schöne Idee ist im Prinzip auch die Krokette von Balfego Blue Fin Tuna auf Ziegenquark – schön heiß, durchaus deftig, beinahe rustikal. Wir fragen uns nur, ob es dafür wirklich Blue Fin sein muss, denn der feine Geschmack dieses Fischs verliert sich hier natürlich. Das gilt auch für die Sashimi-Scheibe obenauf, die in der zwar schmackhaften, aber doch etwas massigen Krokette komplett untergeht.

Das finale Amuse kombiniert Saba Makrele mit Seeigeleis und Trüffel-Holunderblütengelee. Die Makrele wurde kurz gebeizt und schmeckt für sich genommen bereits exquisit. Zusammen mit den charakterstarken Mitspielern ergibt sich ein kreatives Arrangement, bei dem man ganz unterschiedliche Akzente zwischen intensiven Meeresnoten und leicht fruchtiger Erdigkeit auf den Löffel bringen kann.

Recht puristisch kommt dann der erste Gang des Menüs daher: Eine perfekt gegarte Tranche Huchen sitzt in einem Rauchfischsud. Nur sehr wenige Köche dosieren Raucharomen richtig, sprich: extrem dezent – Schimkowitsch ist offenbar einer von ihnen. Tatsächlich ist der mit Senfkörnern, Dill, grüner Peperoni und Salicornes (beides feinst geschnitten) gewürzte, kräftige und zugleich kräuterfrische Sud der heimliche Star des Tellers. Die Bittersalate mit Himbeervinaigrette setzen dazu frische, leicht fruchtige Akzente, dazwischen blitzt die Schärfe von frischem Meerrettich auf. Und alles zusammen rahmt den herausragend guten Fisch, bringt ihn nach vorne, verleiht ihm Eleganz und Komplexität. Stark, sehr stark.

In einer kleinen Schale thront eine ordentliche Nocke gereifter N25 Caviar "Special Selection DS" auf Kartoffelpüree mit weißem Zwiebelconfit. Was sollen wir sagen? Das ist ein cremig-salzig-knuspriger Wohlfühlgang par excellence. Die Zwiebeln bringen süffige Süße, krosse Kartoffelwürfelchen und ausgelassenes Hühnerfett machen das Ganze noch vollmundiger.

Nach dem ersten Löffel diskutieren wir kurz, ob dieses Gericht wirklich durch einen reichlichen Esslöffel extrateurer Fischeier aufgepimpt werden muss – aber schon beim zweiten Happen hat sich das erübrigt. Ohne den Kaviar würde diese im besten Sinne gefällige Gaumenschmeichelei natürlich auch funktionieren, nur eben längst nicht so gut.

Auch der Steinbutt aus der Vendee mit Kopfsalat, Kalamansi und Umami-Hollandaise ist ein Gericht von geradezu wollüstiger Süffigkeit, dabei jedoch immer auf der eleganten Seite. Der Butt zeigt eine wunderbare, nur bei absoluter Spitzenqualität zu erlebende, leicht bissfeste Beschaffenheit. Umso überraschender, dass er trotz einer mehrtägigen Reifung geschmacklich etwas blass bleibt. Dafür haben Hollandaise und Kopfsalatgemüse es in sich. Der braisierte Salat schmeckt saftig, chlorophyllgrün-frisch und bekommt von einer Kalamansi-Vinaigrette einen animierenden Säurekick. Der unanfechtbare Star des Tellers ist freilich die locker-luftige Hollandaise mit ihrem sensationell samtigen Mundgefühl und einer betörenden Balance aus Umami und feiner Säure.

Weiter geht's, mit norwegischem Kaisergranat auf gebratener Bio-Gänseleber, gebettet in Beurre Monté mit etwas fruchtigem Purple Curry. Der Granat und die Foie gras erweisen sich als kongeniales Gespann zwischen knackigem Biss und wohligem Schmelz – zum Augenschließen gut. Dazu braucht es gar nicht mehr, als eine leichte, schaumige Sauce. Einmal mehr ist hier alles perfekt gegart und fein abgestimmt, die Sauce zum Auslöffeln gut, die Produkte von großer Güte. Im Vergleich zu den vorherigen Gängen wirkte diese Kreation vielleicht etwas "zahm", aber an ihrer schieren Köstlichkeit ändert das nichts.

Auf den nächsten Gang freuen wir uns besonders: Kinmedai mit Morchel und Erbsen. Leider lag der edle und hierzulande rare Fisch (deutsch: Glänzender Schleimkopf) ein paar Sekunden zu lange auf dem Binchotan-Grill und ist dadurch ein bisschen trocken. Dafür schmeckt der Rest umso besser: Unter einer gar köstlichen Kojiveloute verbergen sich junge, süße Erbsen und Erbsenpüree, ganz hervorragend.

Der Bringer dieses Tellers ist allerdings eine prächtige Morchel, gefüllt mit einer Farce, die wiederum mit XO Sauce abgeschmeckt wurde. Abschließend wird das Ganze mit Kalbsglace glaciert. Wow! Das könnte man glatt als kleinen Zwischengang servieren. 

Beim einzigen "klassischen" Fleischgang steht Wagyu A5 aus Hida im Mittelpunkt – zumindest theoretisch, denn Schimkowitsch flankiert es mit Selleriepüree, gibt Oliven-Kapern-Gremolata mit Wasabi sowie Rinderjus mit altem Balsamico dazu. Das Fleisch selbst war für eine Stunde in Sake und weißer Sojasauce eingelegt, bevor es auf den Grill kam. Damit nicht genug, ist es mit australischem Wintertrüffel bedeckt. An unserem Dreiertisch gehen die Meinungen über diesen Gang stark auseinander – am Ende wird ein "Pro" (Frische und Schärfe der Gremolata balancieren die Wuchtigkeit des Fleischs sehr gut aus) von zwei Gegenmeinungen überstimmt. Kurz gesagt: Wir empfinden die Beigaben als viel zu kraftvoll. Insbesondere der Trüffel überdeckt das Fleisch nicht nur auf dem Teller, sondern vor allem am Gaumen. Zusammen mit der Gremolata schmeckt uns das fast schon unangenehm penetrant.

Wir können es nur immer wiederholen: Wagyu verträgt und braucht keine lauten Begleiter. So macht es zum Beispiel auch Clemens Rambichler im Sonnora, wo wir am nächsten Mittag gleich wieder in den Genuss von Wagyu kommen werden.

Der letzte Gang des würzigen Menüteils ist ungewöhnlich: Wan Tan bekommt man normalerweise eher als Amuse serviert. Die Idee eines belebenden Bissens zum "Runterkommen" finden wir durchaus originell – nur ist die Rehfleischfüllung von einer Wild-Intensität, die nach dem Wagyu-Gang wie ein Overkill wirkt. Die gleichfalls kräftige Reh-Hoisin-Brühe, die uns mit ihrer deutlichen Sternanisnote auch etwas zu weihnachtlich schmeckt, verstärkt diesen Eindruck noch.

Sehr schön belebend fällt dann das Pre-Dessert aus: Joghurtsorbet mit frittiertem Buchweizen schmeckt erfrischend und nicht zu süß. Ein Ragout von roter Pflaume mit Umeshusake bringt einen herb-fruchtigen Kick, eine hervorragende Sabayone von Saketrester hüllt das Ganze samtig ein. Das ist durchaus komplex, trotzdem löffelt es sich ganz entspannt weg, ohne unsere inzwischen etwas ermattete Aufmerksamkeit übermäßig zu beanspruchen.

Als Referenz an den aus Japan stammenden Patissier des Hauses ist das erste Hauptdessert mit "Ichigo" betitelt, japanisch für Erdbeere. Ein Kranz aus hocharomatischen Mara-de-Bois-Erdbeeren umringt eine Rührkuchencrème und eine Erdbeer-Gazpacho in einer Mandelteighülle – hier ist beim "Aufbrechen" Vorsicht geboten, um "Blutspritzer" auf dem Hemd zu vermeiden. Angereichert ist das Ensemble mit knackigen Mandelstiften und Shisoblüten, obenauf ein sehr gutes Erdbeersorbet sowie frischer und eingelegter Myoga (japanischer Ingwer) für einen Hauch Schärfe. Wir staunen, dass das feine Erdbeeraroma da nicht untergeht. Im Gegenteil: es ergibt sich ein zurückhaltendes Ensemble, bei dem wir uns allerdings nicht sicher sind, ob wir es nun subtil oder ein bisschen zu brav finden.

 

In die entgegengesetzte Richtung geht es mit dem abschließenden Dessert unter dem Titel "Okinawa", einer Kreation der intensiv schokoladig-cremig-dichten Sorte. Sie kombiniert diverse Zubereitungen aus Beni Wild Harvest Schokolade und Banane (Eis, Knusper, karamellisierte Scheiben...), mittendrin ein halbflüssiger Drop aus Kokutou (schwarzer Zucker aus Okinawa). Das schmeckt ziemlich wuchtig, aber auch ziemlich gut. Durch die hauchdünnen Knusperblätter sowie frische Passionsfruchtkerne kommen belebende Elemente ins Spiel, trotzdem kann die Crux der meisten Schoko-Bananendesserts nicht ganz vermieden werden: nach zwei, drei Löffeln wird uns das alles ein bisschen zu schwer. (Banane im Dessert ist relativ selten, doch lustigerweise bekamen wir am folgenden Mittag im Sonnora gleich wieder ein -grandioses- Bananendessert)

Abschließend ein paar hervorragende Petit fours: Pistazien-Macarons, Pralinen mit Miso-Karamell und Pralinen mit Genmai machen uns zum Digestif mehr als glücklich.

Mit seinem vergleichsweise puristischen, sanft japanisch inspirierten Stil steht Daniel Schimkowitsch (rechts) in Deutschland recht einzigartig dar – uns fallen höchstens eine Handvoll Köche mit einer vergleichbaren Ausprägung ein (Christian Bau zum Beispiel ist kaum puristisch zu nennen). Allerdings hätten wir noch mehr Gerichte wie den Huchen erwartet, bei denen die exemplarische Qualität der Hauptzutat so herausgearbeitet wird, dass sie sich ins kulinarische Gedächtnis einbrennt.

Das mag natürlich auch an den großartigen Saucen liegen, die den Hauptdarstellern zuweilen den Platz an der Sonne streitig machten. Noch wahrscheinlicher ist indes, dass unsere Vorstellungen durch die vielen Erzählungen in eine falsche Richtung gelenkt wurden. Nicht alles gefiel uns, keine Frage, aber dass hier auf sehr hohem Niveau und mit einem angenehmem Abgrenzungswillen gearbeitet wird, steht außer Frage. Und nun, wo wir das Hörensagen mit der Realität abgleichen konnten, werden wir gespannt verfolgen, wie es mit Jordan in L.A. – pardon: wie es im L.A. Jordan weitergeht.

 

Inzwischen ist die milde Abendstimmung einer sternenklaren Sommernacht gewichen. Bis weit nach Mitternacht sitzen wir in der Hotelbar und ertappen uns dabei, wie wir nach einer lebhaften Diskussion gedankenverloren am Gin-Tonic nippen. Wie lange mussten wir ohne diese gemeinschaftlichen Erlebnisse auskommen. Wir fühlten uns schon fast aus der Übung. Doch am Ende ist es wie mit dem Fahrradfahren: Genussfähigkeit verlernt man nicht. Freundschaft sowieso nicht. Ein letzter Schluck, dann fallen wir in die Betten. Morgen früh geht es weiter, Richtung Eifel. Der Restart lief gut. Doch am Ziel sind wir noch lange nicht.

Kai Mihm & Georg M. Lauer

 

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