Restaurantkritik 27.Oktober 2021

Casual Fine Gasthaus

Zwei Herzen schlagen, ach, in unserer Brust, denn das Johannas zählt zu den kleinen und feinen Gastronomien, die man am liebsten als Geheimtipp für sich behalten möchte. Da eine solch produktversessene Hochleistungsgasthausküche aber auch ihr Publikum braucht, ist es uns eine besondere Freude, die Entdeckung dieses Kleinods zu teilen. Bei Lichte betrachtet ist das Johannas nur das Restaurant des Familienhotels Neumayr. Noch dazu liegt es nicht in Downtown München, sondern in Großhadern, was die Absenz der üblichen Schickeria erklären könnte. Begonnen hat die Geschichte des Lokals nach dem Krieg, als Küchenchef Andi Neumayrs Großvater 1948 mit sechs Fremdenzimmern den Grundstein für den erfolgreichen Familienbetrieb legte. Heute ist das Haus zumindest in der Müncher Region längst für seine exzellente Küche bekannt.

Während unseres Besuchs treffen wir im Garten auf den Senior-Chef Josef Neumayr, der grade einige alte Tomatensorten im Garten erntet. Er hat den Betrieb 2004 seinem Sohn Andi übergeben, der nach seiner Kochlehre im Bayerischen Hof einige Zeit in Italien arbeitete, bevor er heimkehrte und das Restaurant mit bodenständiger Ambition übernahm. "Regionalität", das merken wir schnell, ist dabei kein Lippenbekenntnis, sondern authentische Grundlage der Küchenphilosophie: Das Wild stammt aus Vater Josefs eigener Jagd, der Fisch aus regionaler Zucht, Pilze werden selbst gesammelt und das Gemüse kommt aus eigenem Anbau und von befreundeten Produzenten.
Nachdem wir im lauschigen Garten Platz genommen haben, geben wir uns nach einem kurzen Austausch mit dem herzlichen Service einfach in die Hände der Küche.

Die Rehzungensülze mit Rehschinken, Wildkräutern aus dem Garten, Schmand und Kräuteröl legte die Latte direkt hoch und glänzt mit gradlinigem Handwerk und süffigem Wohlgeschmack, aufglockert durch leicht bittere Kräuter, die das Ganze überraschend vielschichtig machen.

Die geräucherte und kräftig gebratene Gänseleber hat eine angenehm feste Textur und ist dem üblichen Korsett einer allumfassenden Süße enthoben. Serviert auf einem cremigen Kartoffelpüree mit Périgord-Trüffeljus, verbindet der Teller den fetten Schmelz der Leber mit Rauch-, Röst- und Trüffelnoten, pointiert durch die feine Fruchtsäure eingelegter Marillen. Das erinnert uns an beste Gänseleber-Gerichte in gehobenen Gasthäusern Frankreichs, speziell im Elsass und dem Périgord.

Die Bernsteinmakrele im dritten Gang ist perfekt auf den Punkt: Kurz gegart, aber im Kern nicht mehr roh, fest und doch ganz zart. Eingefasst wird sie von einer Vinaigrette aus Ponzu und Amalfi-Zitrone – erstere ein Modeprodukt, das uns in letzter Zeit etwas oft begegnet, aber hier passt es prima. Super-süffiger Auberginenkaviar setzt einen würzigen, butterzartes Lauchherz einen leicht süßlichen Kontrapunkt.

Ein Höhepunkt ist der Nordsee-Kaisergranat: Exzellentes Produkt, perfekter Garpunkt, angerichtet im eigenen Sud, mit fetten Bouchot-Muscheln und hauseigenen Tomaten angereichert. Vollmundig, dunkel und schmatzig verbindet sich der dichte Fond mit dem saftig-knackigen Granat und der frischen Säure fruchtiger Tomaten zu einem absoluten Sommer-Highlight.

Unter dem Begriff 'Rehkitzaufbruch' (eine Bezeichnung für Innereien) kombiniert der Hauptgang Herz und Leber vom Rehkitz zu einem Gericht, das heutzutage Seltenheitswert besitzt. Wann bekommt man noch Innereien in der gehobeneren deutschen Gastronomie? Und dann noch vom Reh? Beides ist zart, intensiv und trotzdem elegant. Dazu spannen Knollensellerie, Rote Bete und Felsenbirne den aromatischen Bogen von feiner Frucht zu den erdigen Aromen der Birkenpilze, alles umwoben vom tiefen Bass eines köstlichen Rehjus.

Die schöne Käseauswahl vom Brett bildet für uns den Übergang…

… zu einem tiptop-tadellosen Topfen-Zwetschgenknödel mit Beeren, Vanillesauce und Schokoladeneis: warm und kalt, cremig und fruchtig. Da schließt sich der Bogen zum Beginn des Menüs, denn auch hier glänzt die Küche mit makellosem Handwerk und bodenständigstem Wohlgeschmack.

Wir können nicht oft genug wiederholen, welche Freude uns diese Art Küche macht. Der Michelin schreibt beim Johannas von einem "modernen Gasthaus" – wobei man bei einigen Gängen sicher nicht mehr von "Gasthausküche" reden kann. Nennen wir es eine Mischung aus bürgerlicher Küche, für die vor allem das Mittagsangebot mit Ochsenfleisch und Wiener Schnitzel steht, und Casual Fine Dining beim Abendmenü. Die kulinarische Handschrift Neumayrs ist hier wie da klar und unverschnörkelt, die Herkunft der Produkte auf unprätentiöse Weise transparent, die Gerichte geradlinig und trotzdem raffiniert. Eine gute Mischung.

Ganz nebenbei, auch dies sei mit Zögern und am Rande vorgetragen, hat das Johannas eine höchst attraktive, von Andi Neumayr kuratierte Weinkarte. Sie vereint das who-is-who der Weinwelt und lässt insbesondere die Herzen von Burgunder-Fans wie uns höher schlagen. Braucht es noch mehr Gründe, um bald wiederzukommen?

Text: Sebastian Bordthäuser

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