Restaurantkritik  9.April 2022

Barabbapasta!

Bei der Recherche für Kopenhagen tauchte mit schöner Regelmäßigkeit ein Restaurantname auf, den wir noch nie gehört hatten: »Barabba«. Ein lockeres italienisches Lokal, das wegen seiner späten Öffnungszeiten nicht zuletzt in der Gastrobranche beliebt ist, weil man dort auch nach dem eigenen Feierabend noch einkehren kann. Insbesondere die Pastagerichte von Küchenchef und Co-Inhaber Marco Cappelletti wurden stets gepriesen.
Die Öffnungszeiten sind inzwischen (etwas) gemäßigter – »We used to do it late« steht als Insidergag auf der Webseite. Wirklich gereizt hatte uns das Restaurant dennoch nicht: wollen wir in Kopenhagen wirklich italienisch essen? Am Ende wollten wir. Und reservierten. Zum Glück frühzeitig, denn das Lokal ist ziemlich klein und sehr gefragt.

Als wir mittwochabends um 21 Uhr eintreffen, brummt der Laden. Die Stimmung ist gelöst, das Ambiente eine Mischung aus simplen Bistrotischen, Kronleuchtern und Industrial-Chic, mit halboffener Küche und einer »Fernet«-Leuchtreklame auf unverputzter Wand – alles sehr hipstercool, aber keineswegs unterkühlt.
Die Speisekarte ist überschaubar, mit jeweils einer Handvoll Vorspeisen, Pastagerichten und Desserts, dazwischen zwei Hauptspeisen. Ein 5-Gang-Menü gibt es auch, aber so hungrig sind wir nach dem Mittag im Geranium nicht mehr. Jeweils zwei Gänge plus Dessert sind jetzt genau richtig. Die Weinkarte listet, typisch Kopenhagen, fast ausschließlich »Naturals«. Aber auch da werden wir mit etwas Unterstützung des smarten Sommeliers und Co-Inhabers Riccardo Marcon schnell fündig.

Vorab gibt es ein paar Snacks, auf dem Teller wie ein Gesicht angerichtet. Das linke »Auge« besteht aus einem knusprigen Kastaniencracker mit kräftiger Hühnerleber-Paté; rechts ein warmes, fluffig krosses Kartoffelrösti mit seidigem Robiola aus Büffelmilch und einer intensiven Creme von gebeiztem Eigelb. Den »Mund« bildet eine Art »Mezzaluna« aus Rote Beete mit einer Füllung aus Makrele – erdig, würzig, kräftig. Das Highlight findet sich allerdings in einem Extraschälchen: eine unscheinbar aussehende Brokkolimousse, die jedoch eine unerwartet deutliche und wunderbar belebende Schärfe mitbringt; der manchmal etwas banale Geschmack des Brokkoli wird dadurch mächtig aufpoliert. Als Trägermaterial dient ein sehr guter Parmesan-Crisp in Form eines Blattgerippes.

Als erste Vorspeise bestellen wir gegrillten Oktopus, butterzart und hocharomatisch. Die Stücke sind auf eine gelbe Gazpacho gebettet, deren dezente Süßlichkeit (wir tippen auf gelbe Paprika) einen anregenden Kontrapunkt zu den Grillaromen bildet. Der Clou ist allerdings eine Art Emulsion aus scharfer Paprika, die dem Ganzen Spannung verleiht, die Papillen anregt und den Geschmack des Oktopus noch weiter herauskitzelt. Sehr gut.

Ein erstes Gericht von der Pastakarte besteht aus Ravioli mit flüssiger Parmesanfüllung, getoppt von frischem Trüffel. Die Ravioli selbst sind hervorragend, bissfest, aus aromatischem Teig, mit einer intensiv nach Parmesan schmeckenden Füllung, die sich beim Zerbeißen in den Mundraum ergießt. Der Effekt ist nicht so exquisit, wie bei den berühmten Fagotelli von Heinz Beck, aber immer noch verdammt köstlich. Nicht ganz so glücklich finden wir den mit Microplane geriebenen Trüffel, denn auf diese Weise entfaltet der Pilz seine Qualitäten nur mäßig. Davon abgesehen aber ein sehr gutes Gericht.

In der nächsten Runde gibt es den Klassiker des Hauses: Spaghetti mit Kaviar. Sieht nach nichts aus. Denken wir. Bis wir den ersten Bissen probieren… Es schmeckt unglaublich. Worte können nicht das Glücksgefühl beschreiben, das dieses Gericht auslöst… Die sehr bissfesten Spaghetti sind von einer sämigen Emulsion aus Butter und »Colatura die Alici« überzogen, der berühmten Fischsauce der Amalfiküste, bei der jeder Gastronom auf seine persönliche Variante schwört. Es schmeckt würzig, reich an Umami, zugleich buttrig, mit einem winzigen Hauch Süße. Der Kaviar erweitert das Bild mit seiner eleganten, luxuriös-maritimen Salzigkeit. Perfekt. Für einen Moment vergessen wir alles um uns herum, verlieren uns ganz im Moment dieses Genusserlebnisses.

Zumindest optisch ganz anders kommen die Fregola Sarda daher. Die knackigen Nudelperlen werden im Stil eines cremigen Risotto präsentiert, gekocht mit einem kräftigen Pilzfond, angereichert mit Algen. Dieser süffige Teller ist Umami pur, dicht und vollmundig, üppig und winterlich. Waren die bisherigen Speisen von einer gewissen Eleganz, ist diese zwar sehr gut, aber auch sehr deftig. Das ist nichts Negatives, wirkt in diesem Moment nur überraschend.
Eigentlich sind wir nun ziemlich pappsatt und die letzte Weinflasche neigt sich dem Ende zu. Trotzdem wollen wir nicht verschwinden, ohne vorher ein paar Desserts zu probieren.

Auf den Tisch kommen: Kandierte Totentompreten mit Eis und Sake, die weniger »pilzig« schmecken, als gedacht, aber auch weniger spannend, als erhofft. Das aromatische Bild ist so dunkel, wie das Gericht, und changiert zwischen süßlicher Erdigkeit und einer leicht Bitterkeit. Originell, aber auch ein bisschen bemüht. Eine Interpretation von »Rocher« mit Sauerkirschen schmeckt vor allem nach Haselnuss und Schokolade, und wirkt dadurch recht schwer. Eine schaumige Kreation aus Stout Bier mit Pflaumen und Mandeleis ist das beste Dessert des Trios. Es hat eine wohltuende Fruchtigkeit, belebende Frische und durch das Bier eine elegante, malzige Würze.

Italienisch in Dänemark war doch eine gute Idee. Und einmal mehr zeigte sich die Wichtigkeit solcher Exkursionen in die »einfacheren« Gefilde einer kulinarischen Metropole. Wenngleich das Barabba nicht wirklich simple Küche anbietet, und ein Abend dort auch nicht »billig« ist. Es waren auch nicht sämtliche Gerichte absolute Highlights, speziell die Desserts überzeugten weniger. Trotzdem hat es riesigen Spaß gemacht. Und bei Gerichten wie den Kaviarspaghetti wird uns klar, dass man zwar Unsummen in den Tempeln von Paris oder London ausgeben kann – doch am Ende sind es Gerichte wie diese, die uns zum Träumen bringen. Ein Traum, der uns dermaßen verfolgte, dass wir am Abreisemittag schnell nochmal für eine Portion im Barabba einkehrten.
Sagen wir es so: Für jeden Essverrückten, der diese Bezeichnung verdient, gibt es Dinge, die gehören bei bestimmten Trips einfach dazu. Wer in San Sebastian keine Pintxos, in Hongkong kein Streetfood und in Kopenhagen kein Smørrebrød... nein, halt: keine Spaghetti im Barabba gegessen hat, der war eigentlich nicht dort.

Text: Kai Mihm

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