Restaurantkritik 30.September 2021

Alois – Die Kunst des Weglassens

Hinweis: es gab im »Alois« 2022 einen Küchenwechsel, unsere Kritik dazu findet sich hier.

Wir lieben das Gewusel bei Dallmayr. Die Mischung aus neugierig schlendernden Touristen und zielstrebig einkaufenden Münchnern verleiht dem Delikatessenhaus ein Flair zwischen Gemütlichkeit und Geschäftigkeit. Durch die schiere Größe, die vielen Theken und die reiche Auswahl fühlt man sich fast wie in einer weltstädtischen Markthalle. Wir müssen angesichts der lukullischen Verlockungen nur immer aufpassen, nicht binnen kürzester Zeit das kulinarische Monatsbduget zu verpulvern.

Heute allerdings interessiert uns vor allem der unscheinbare Aufgang ganz hinten rechts. Eine schmale Treppe führt da vom Einkaufstrubel hinauf ins Gourmetrestaurant – im Grunde ist es nur folgerichtig, bei einem solchen Zugriff auf beste Produkte auch ein entsprechendes Restaurant direkt im Haus zu haben. Früher hieß es einfach Dallmayr Restaurant, und 2015 erlebten wir dort unter dem damaligen Küchenchef Diethard Urbansky ein unvergessliches Menü. Seit 2018 heißt das Restaurant Alois (nach dem Gründer des Hauses), die Küche leitet Urbanskys vormaliger Sous-Chef Christoph Kunz.

Das Interieur wurde aufgelockert, und wenngleich uns der Teppich ein bisschen zu lila ist, machen vor allem die surreal anmutende Tapete, die bordeauxroten Ledersessel und der historische Kamin das Ambiente wohltuend anders – mehr Salon-Atmosphäre als der grau-braun-glattgeleckte Einheitslook internationaler Spitzenrestaurants. Geblieben ist glücklicherweise der äußerst angenehme Maître-Sommelier Julien Morlat, von dem wir uns wider unseren Vorsatz zu einer Weinbegleitung verlocken lassen. Die Getränkefrage wäre also geklärt, das Menü sowieso, denn es gibt nur eines. Dann kann es ja losgehen…

Zu einem Glas Lelarge-Pugeot ("Les Meuniers des Clémence") gibt es filigran gearbeitete Sauerteigblätter mit Ziegenfrischkäse, welcher mit einem Hauch Rose und Liebstöckelöl verfeinert ist. Sieht etwas banal aus, erweist sich jedoch als überraschend ausdrucksstarker Knabberspaß.

Es folgt ein Quintett an Kleinigkeiten: Wir probieren zuerst die Belgischen Ochsenmark-Waffeln mit Rindertatar und geräucherter Crème fraiche, die einen schönen, knuspernden Umami-Akzent setzen. Danach die warme Kartoffelcroustade mit Oktopus, Gurke und Süßem Senf, die angenehm vollmundig und zugleich sehr elegant schmeckt (wenngleich der Oktopus etwas untergeht). Eine Kumamoto Auster ruht in einer Mischung aus Fichtensprossenbuttermilch und Muschelfond, dazu ein paar gesalzene Blaubeeren – meeresfrisch, würzig und leicht fruchtig, alles ist millimetergenau abgestimmt und einmal mehr sehr elegant (bemerkenswert, wie hervorragend diese Kreation auch in der austernlosen Variante mit Austernkraut funktioniert). Eine Art Praline aus Rote Beete und Kürbiskernmiso auf einem Buchweizenchip bleibt geschmacklich leider blass, dafür ist die abschließende Kreation aus Mascarpone, Fenchel und Kaviar ein Knaller: voll und rund, samtig und salzig – der Schmelz der fettreichen Mascarpone und der Kaviar wirken hier wie komplementäre Elemte zusammen, ganz gegensätzlich und doch wie füreinander gemacht. Das Beste zum Schluss, sozusagen.

 

Das Menü startet mit Scheiben vom Ora King Lachs in bemerkenswerter Qualität: butterzart, dabei gut strukturiert in der Textur und ungemein delikat im Geschmack. Darunter verbirgt sich eine Mischung aus Gänselebercrème, kleinsten Mispelwürfelchen und etwas Avocadosalat, gewürzt mit Myoga. Das Ensemble changiert auf faszinierende Weise zwischen Japan (Lachs, Myoga, Mispel) und Frankreich (Foie Gras), zwischen Würzigkeit und feiner Süße. Nur wirkt das Ganze durch die Menge des Fischs (sechs Scheiben!) und die vielen weichen, cremigen Texturen auf Dauer recht mächtig. Die ätherische Eleganz droht sich ins Gegenteil zu verwandeln. Schweren Herzens lassen wir fast die Hälfte auf dem Teller (und erfahren später, dass hier -versehentlich?- die größere Portion des kleineren Mittagsmenüs geschickt wurde).

 

Nun kommt, überraschend früh im Menü, Fleisch: Ein Stück Milchferkel, präzise zu einem Quader geschnitten, wird lediglich von einem Ensemble aus Stachelbeere, Goji-Beere und ein paar Nuss-Spähnen flankiert. Dazu ein leichter Jus, alles hauchzart mit Sansho-Pfeffer gewürzt. Diese mutige Reduzierung kommt hier genau richtig, denn Milchferkel hat generell einen so delikaten Eigengeschmack, dass zu starke Beigaben ihm glatt die Schau stehlen würden. Tatsächlich fragen wir uns bei Milchferkel –ähnlich wie bei Milchlamm– oftmals, ob nicht das Fleisch etwas älterer Tiere spannender und charaktervoller wäre. So schmeckt das Fleisch auch hier sehr "mild", bekommt dank der dicken Schicht edel schmelzenden Fetts und der dünnen, krossen Schwarte aber dennoch ausreichend Kraft. Ähnlich wie beim Lachs vermitteln die Beigaben Frische und einen ganz leicht asiatischen Touch, alles auf jene subtile, elegante Art, die wir so schätzen.

 

Verspielter kommt die nächste Kreation daher. Blumenkohl in verschiedenen Texturen ist mit Gel von fermentierten Himbeeren angerichtet. Außerdem finden sich etwas Schwarzer Trüffel und einige Tropfen Kapuzinerkresse-Öl. Das sieht hübsch aus, und wir vermuten bereits mehr Spielerei als Wohlgeschmack – bis wir probieren. Es lässt sich kaum in Wort fassen, wie gut hier alles ineinandergreift: Süße und Säure, Kräuterwürze und Erdigkeit, cremiger Blumkenkohl und ein paar winzige Röschen mit perfektem Biss; dazwischen setzen die knackigen Trüffelscheibchen subtile Akzente – nichts ist zuviel, nichts dürfte fehlen. Mit jedem Löffel wird es besser. Ein Gericht zum Staunen und Träumen.

 

Weiter geht es mit Rochenflügel, ein Fisch, den wir gerne öfter in den Menüs sehen würden. Kunz kombiniert die geröstete, appetitlich glänzende Tranche lediglich mit knackig-frischen Salatherzblättern und Pimentos de Padron; anstelle einer Sauce gibt er eine milde Räucheraal-Apfelvinaigrette dazu, irgendwo kommt auch ein Tick Würze von säuerlich-bitteren Umeboshi (japanische Salzpflaumen) und Jalapeños her. Das Prinzip ist hier sehr ähnlich wie beim Ferkel: ein besonderes Produkt, herausragend zubereitet, wird aromatisch quasi freigestellt. Der Salat, die Paprika, die Vinaigrette – das sind alles fein komponierte Mitspieler, die dem Fisch mit ihrer Leichtigkeit zusätzliche Strahlkraft geben, ihm die Frische eines Sommertags am Meer verleihen.

Und das Menü bleibt auf diesem sehr hohen Niveau. In einem tiefen Teller gibt es eine Interpretation des südostasiatischen Suppenklassikers 'Laksa'. Typischerweise wird er mit Reisnudeln serviert, hier sind stattdessen dünne Streifen von Blanc de Seiche wie Pasta angerichtet, dazu noch ein paar knackige Erbsen. Der Tintenfisch ist butterzart, die klare Suppe von einer dichten, wärmenden Würze – mit einer verzögernd sich am Gaumen ausbreitenden Schärfe, die charakteristisch für Laksa ist, hier aber trotzdem im besten Sinne überraschend kommt und die Papillen schärft. Wir müssen wehmütig an Hongkong zurückdenken, wo wir ähnliche Aromenwelten erleben durften – auch Laksa, im dreifach besternten Caprice, dort jedoch als mächtiger Schaum interpretiert und längst nicht so delikat wie hier, mitten in München. Allein die etwas zu geringe Portionierung der Suppe verhindert, dass wir eine Götterspeise ausrufen.

Nun kommt schon der Hauptgang – was uns etwas melancholisch stimmt, denn es bedeutet, dass dieses überraschend großartige Menü sich langsam, aber sicher dem Ende zuneigt. Es gibt A5 Hokkaido Wagyu. Und keine Sauce. Wir warten auf das Angießen – vergeblich. Stattdessen erläutert der Service, dass Christoph Kunz das Fleisch aufgrund der hohen Qualität ganz für sich stehen lassen möchte. Mutig. Und im Grunde vollkommen richtig. Etwas Fleur de Sel, das wir selbst aufstreuen, genügt vollkommen, um den außergewöhnlichen Geschmack des Wagyu optimal herauszukitzeln. Wie selten zuvor nehmen wir die dichte Marmorierung war, das edle Fett, das im wahrsten Wortsinn auf der Zunge zergeht.
Als Ergänzung gibt es eine Art Törtchen aus Buchweizen mit Fichte, welches das nussige Aroma des Fleischs aufgreift und mit sauren Rosinen für belebende Säure sorgt, trotzdem aber diskret im Hintergrund bleibt. So radikal reduziert haben wir Wagyu außerhalb Japans selten erlebt. Anderswo würde uns als erklärten Saucenfans vermutlich etwas fehlen, doch hier, in dieser Menüdramaturgie, funktioniert es ausgezeichnet.

Im Käsegang wird kräftiger Gorgonzola leicht mit Minze aufgefrischt, auch etwas Grapefruit bricht den kräftigen Geschmack des Blauschimmelkäse auf. Die größte Rolle spielen indes verschiedene Zubereitungen von Artischocke, etwa als saftiges Herz und –vor allem– als krosse Chips. Grundsätzlich passt das alles bestens, nur sind uns auf Dauer die Knusperelemente etwas zu viel, weil der Käse dadurch in den Hintergrund gedrängt wird. Trotzdem ein gutes Käsegericht.

Das Dessert bewegt sich dann wieder in Richtung Südostasien. Aromen von Kokos und Zitronengras (als Eis und Creme) sind mit einem der thailändischen Tom Kah Gai-Suppe entlehnten Sud kombiniert. Der Fond ist hier zwar nicht brennend scharf, wie das Original, bekommt durch geröstetes Hühnerfett aber trotzdem eine dezent herzhafte Note. Ja, richtig gelesen: geröstetes Hühnerfett. In einem Dessert. Außerdem noch kleine Stücke gerösteter Hühnerhaut. Der Effekt ist erstaunlich, denn die Kreation schmeckt dadurch nicht etwa nach Brathuhn, sondern bekommt eine unergründliche Umami-Note, die sich auch in dieser süßen Umgebung als sehr wohlgeschmacksfördernd erweist. Thaibasilikum und Sojasprossen spielen ebenfalls mit der Gratwanderung von Süße und hintergründiger Herbheit. Trotzdem bleibt das Ganze immer eine Süßspeise, und zwar keine, die schlichte Urlaubsassoziationen evoziert, sondern eine, die jenseits aller Klischees bezaubert, spielerisch und präzise zugleich.

Und weil das alles so leicht und frisch war, machen wir uns auch noch mit Freude über die Petits Fours her: Speck-Madeleines, Rauchmandel-Knuspli, Matcha-Alge-Passionsfruchtschnitte, Sanddorncreme und Purple Curry Sticks, sowie Cracker mit Creme von Schwarzem Knoblauch und Johannisbeere. Alles sehr gut.

Wir sind noch in träumerischer Stimmung, als wir die schmale Treppe zum Delikatessenhaus hinabsteigen. Der Trubel hier unten kommt uns auf einmal unwirklich vor. Wir wussten nicht wirklich, was uns im Alois erwartet – und wurden aufs Positivste überrascht. Die Küche von Christoph Kunz (li.) zeichnet sich durch Eleganz, Leichtigkeit und vor allem eine Subtilität aus, die sehr rar geworden ist.

Wo andere auf immer mehr "Wumms" setzen, wird hier auf die Produkte, die Kunst des Weglassens und die bezaubernde Wirkung hintergründiger Aromenspiele vertraut – eine leise Küche, wenn man so will, durchzogen von pointierten Akzenten. Es kommt selten vor, dass wir sogar die Petits fours noch mit so viel Freude verspeisten – nicht aus Hunger, sondern vielmehr aus Lust, weil das Menü uns nicht überreizte, sondern anregte. Mit dem Namen Dallmayr verbindet man ein bayerisches Traditionshaus, bodenständig und gediegen. Mit dem Namen Alois aber verbinden wir ab jetzt eine höchst zeitgemäße Küche, fokussiert, zugänglich und auf entspannte Art weltläufig. Mitten in München. Man muss nur den Weg finden, ganz hinten rechts, ins erste Obergeschoss.


Text: Kai Mihm

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Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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