Golfplatz-Gourmandise
Auf der Karte sah das so kurz aus! Wir sitzen im Auto. In Frankreich, unweit der deutschen Grenze. Wir kommen aus dem Elsass und sind unterwegs Richtung Metz, wo wir ein Restaurant besuchen wollen, das wir schon seit Jahren auf dem Schirm hatten: das Toya bei Faulquement. Es befindet sich auf einem Golfplatz, gefühlt mitten im Nirgendwo. Prompt verpassen wir dann auch die richtige Ausfahrt, was in dieser Gegend dazu führt, dass wir laut GoogleMaps-Navigation einmal in großem Bogen um unseren Zielort herumfahren und sozusagen von der gegenüberliegenden Seite anfahren müssen. Von hinten durch die Brust ins Clubhaus sozusagen – also schnell im Restaurant angerufen. Für die hübsche ländliche Umgebung haben wir während der restlichen Fahrt leider kaum noch Augen.
Mit knapp 45 Minuten Verspätung kommen wir schließlich an. Das viele Grün und der unverbaute Blick über die Weiten Lothringens wirken kontemplatv, die Aussicht auf ein tolles Essen erzeugt dagegen wohlige Aufregung in uns.
"Toya" – der Name klingt japanisch, aber der Küchenchef Loic Villemin, Jahrgang 1986, ist Franzose. Seine Biografie liest sich beeindruckend: Ausbildung im L'Arnsbourg bei Jean-Georges Klein, Stationen bei Nicolas Le Bec in Lyon, im Relais Bernard Loiseau in Saulieu und im L'Assiette Champenoise in Reims. Schließlich ein Jahr im Burgund bei dem japanophilen Chef Laurent Peugeot. Mitte 2010 dann die Eröffnung des Toya (benannt nach einem See im japanischen Nationalpark von Shikotsa), ein Jahr später der erste Stern – was Villemin mit 25 zum damals jüngsten "Sternekoch" Frankreichs machte.
Der Name mag japanisch sein, aber der Gastraum sieht eher nach Kopenhagen aus: Puristisches Design, viel Holz, klare Linien, lichtdurchflutet – sehr schön! Die Glasfront gibt den Blick auf das satte Grün des Golfplatzes frei, wo in der Ferne ein paar Spieler an ihrem Handicap arbeiten, was heute allerdings nicht von Erfolg gekrönt sein dürfte. So bekommen wir das Entertainmentprogramm gleich noch dazu.
Als ersten Snack zum Champagner kommt ein Topinambur-Trüffel-Törtchen auf den Tisch. Sehr fein gearbeitet (insbesondere der hauchzarte Knusperteig), die Aromen sehr schön austariert – leicht erdig, leicht süßlich, angenehm würzig. Nur etwas groß ist das Teil, um es mit einem Happs in dem Mund zu bekommen.
Der zweite Apéro setzt das Törtchen-Thema fort, diesmal mit glasierten Navetten, Blütenpollen, Honig und Dill. Sehr gut auch dieser (große) Happen, nach dem erdig-würzigen Törtchen geht es hier in eine süßlicher-frische Richtung. Besonders gefällt uns das Texturspiel zwischen krossem Teig und saftiger Rübe.
Das Blutwurst-Beignet sieht deftig und rustikal aus, erweist sich aber als ungemein fluffiger, geradezu elegant-leichter Krapfen. Auch geschmacklich kann dieser zwischen Würze und feiner Süße (von der Blutwurst) changierende Happen überzeugen.
Nicht ganz so gut gefallen uns die Sellerie-Tacos mit geröstetem Gewürz-Sellerie und geräuchertem Joghurt. Der "Taco" ist nicht recht kross, sondern etwas ledrig, wodurch die an sich gute Füllung geschmacklich untergeht. Schade.
Ein Gewinner ist dafür wieder der Bao mit Wurzelgemüse und Honig-Senf: Weich und fluffig und gaumenschmeichelnd; würzig, gemüsig, mit dem Dip süßlich und feinherb. Köstlich.
Weiter geht es mit Bavarois von Ziegenmilch mit Rapsöl und Rapssamen. "Bavarois" ist hier eigentlich der falsch gewählte Begriff, denn der seidige Flan erinnert uns weniger an die gleichnamige Süßspeise, sondern vielmehr an einen superfrischen Ricotta. Durch die Verwendung von Ziegenmilch bekommt er eine angenehm herb-säuerliche Note, die durch das Rapsöl sehr schön aufgefangen wird. Sehr fein, sehr delikat das alles.
Nun geht es richtig los, mit Jakobsmuscheln, Topinambur, knusprigem Buchweizen und geräuchertem Rogen von Forelle und Hecht. Okay, klar, dieses Gericht sieht wunderschön aus. Durch den "Zweig" erinnert es uns auch ans Geranium. Aber wie schmeckt es? Die Jakobsmuscheln, als eine Art Tatar unter den Topinamburscheiben, sind von exzellenter Qualität und hervorragend gewürzt. Zusammen mit den anderen Komponenten ergibt sich ein wunderschönes, einmal mehr sehr elegantes Wechselspiel aus vollen, würzigen, erdigen Aromen und einer dezenten Süße, hier erweitert durch die jodige Frische der Muscheln. Im Grunde vereint dieses Gericht alle Qualitäten der vorhergehenden Amuses, die rückblickend wie eine Vorbereitung auf diesen ersten Menu-Gang wirken. Instafood kann toll schmecken.
Es folgt Kalbsbries mit rotem und grünem Rettich, Emulsion von fermentiertem Gemüse und Bauernjoghurt. Normalerweise wird Kalbsbries krossgebraten serviert - Villemin hingegen dämpft das Röschen in Zitrusdampf, wodurch es eine durchgehend weiche, ein wenig an Hirn erinnernde Textur bekommt. Das ist im ersten Moment etwas gewöhnungsbedürftig, gewinnt aber an Reiz, weil durch die sanfte Garmethode der Eigengeschmack des Bries sehr gut zur Geltung kommt, verstärkt durch die Zitrusfrische. Auch die hauchdünnen Rettichscheiben und der Joghurt machen das Ganze angenehm leicht und frisch, während die Gemüseemulsion eine wichtige herbe Note einbringt. Grundsätzlich bleiben wir zwar Fans von krossem Bries, aber originell und horizonterweiternd ist diese Kreation allemal.
Zeit für Fisch: Geangelter Pollack "Ikejimé" wird mit Sellerie, Gnocchi und fermentiertem Selleriesaft mit Nussbutter serviert. Die prachtvolle Tranche vom Pollack (auch Steinköhler) hat einen kräftigen Eigengeschmack, der die intensiven Beigaben gut verträgt. Vor allem die flaumigen Gnocchi begeistern uns, und auch von der buttrigen Emulsion lassen wir keinen Tropfen auf dem Teller. Das ist keine wirklich komplizierte Kreation, aber genau das macht ihre Qualität aus: toller Fisch, tolle Beilage, tolle Sauce. Fertig ist ein Wohlfühlteller.
Vor dem Hauptgang wird es kurz vegetarisch: Die Kartoffelemulsion mit Kartoffelwasser-Gelee, Malzsauce und Trüffel wirkt wie eine Hommage an Villemins Lehrmeister Jean-Georges Klein und dessen Kartoffel-Trüffel-Emulsion. Da wir Kleins Variante am Abend vorher gegessen haben, können wir sagen: Die Toya-Abwandlung gefällt uns besser. Das Ganze wirkt natürlicher, und der Eigengeschmack der Kartoffel kommt durch die Verbindung von Emulsion und Gelee wunderbar heraus. Die Malzsauce wirkt wie ein Geschmacksverstärker, und die Trüffelspäne runden das Ensemble ideal ab. So geht das.
Als Hauptgang gibt es Geflügel von Arnault Tauzin mit Kürbis, Endivien und einem krossen "Kürbisblatt". Wir müssen es klar sagen: Dieses Gericht lebt von der außerordentlichen Qualität des Hühnchens. Unglaublich saftig und aromatisch, angenehm fest im Biss, trotzdem zart; die Haut leicht kross, mit dünner Fettschicht - herrlich. Dazu eine hervorragende Sauce und ein paar recht klassisch anmutende Beigaben, die zwar schmackhaft sind, wo aber in Sachen Originalität noch Luft nach oben besteht.
Das erste Dessert besteht aus Mandarine und korsischer Kastanie- und es schmeckt genauso süffig-wohlig-köstlich, wie es aussieht. Auf einer Art Kastanienbiskuit sitzt ein hauchdünnes Tuile aus Kastanie, darauf ein Mandarinensorbet und eine schaumige Mandarinensauce von der Konsistenz einer Sabayon. Alles zusammen schmeckt wahnsinnig gut, süß und cremig, zartknuspernd und fluffig. Die pure Wonne.
Einmal mehr müssen wir es in aller Deutlichkeit sagen: Solche vermeintlich "simplen", handwerklich meisterhaften Desserts sind unendlich viel befriedigender als all die vielteiligen, pseudokreativen Nachspeisen, die uns oft vorgesetzt werden.
Das zweite Dessert besteht aus Topinambur, Erdnuss, geräuchertem Karamell und Schokolade. Und es ist leider nicht so überzeugend wie das erste. Der (leicht) geräucherte Karamell und die Topinambur bilden ein schönes Duo, und die Erdnuss wirkt erstaunlicherweise nicht zu dominant. Allein durch die Schokolade wirkt das Ganze recht schwer. Es fehlt uns etwas die Frische und Leichtigkeit. So bleibt dieser Abschluss handwerklich einwandfrei und kompositorisch solide, nicht mehr, nicht weniger.
Zum Abschluss noch ein paar gute Mignardises ...
Nach dem Essen genießen wir noch ein wenig den schönen Ausblick und lassen das Menü Revue passieren. Loic Villemin hat einen durchaus eigenen Stil entwickelt, was wir auch in Frankreich nicht mehr so häufig finden. Seine Küche wirkt dabei stellenweise tatsächlich weniger französisch, sondern changiert zwischen japanischem und mehr noch nordischem Purismus. Fermentation ist ein wichtiges Thema, und er benutzt gerne Wurzelgemüse, Rüben, Sellerie und vor allem Topinambur – vielleicht ein bisschen zu gerne, wobei uns dies während des Essens verblüffenderweise nicht negativ auffiel.
Wollte man Loic Villemin stilistisch in die französische Küchenlandschaft einordnen, so wäre er wohl in einer Gruppe mit Chefs wie David Toutain, Alexandre Couillon (La Marine), Alexandre Gauthier (La Grenouillère) und Laurent Petit vom wundervollen Clos des Sens – allesamt Köche, die den Horizont der zuweilen etwas bräsigen französischen Gastroszene erweitern wollen, meist mit Erfolg. Das Level der genannten Köche ist im Toya noch nicht erreicht. Aber Ambition und Entdeckergeist sind vorhanden, das war hier deutlich spürbar. Keines der Gerichte in unserem Menü wirkte gewollt anders oder krampfhaft kreativ, sondern alles (die Beilagen zum Huhn und das zweite Dessert ausgenommen) hatte eine lässige Zugänglichkeit, ohne in Langeweile abzudriften. Und das ist etwas, was die Franzosen so gut hinbekommen wie kaum jemand.
So steigen wir an diesem sonnigen Spätnachmittag ins Auto – satt, zufrieden und angeregt. Mal schauen, wann uns das eigene kulinarische Navi wieder hierher führt...
FAZIT
In der französischen Grenzprovinz serviert Loic Villemin eine überraschend urbane Küche zwischen Kreativität und klassischem Genuss, und das in einem bemerkenswert schönen Restaurant zu sehr fairen Preisen (auch der Wein!). Ein echter Tipp.
Text: Kai Mihm
Wein
Angesichts der Weiterfahrt nach dem Lunch entschieden wir uns zu zweit für diesen grandiosen Meursault von Arnaud Ente aus dem Jahr 2009.
Hinweis
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.