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Restaurantkritik 21.Juni 2019

Quantenkulinarik

In Spanien ist es alles andere als unüblich. Aus Skandinavien hat man sowas auch schon gehört. Aber in der Schweiz oder hierzulande kann eines der berühmtesten, immer mit vollen Reservierungsbüchern gesegneten Sternerestaurants doch nicht einfach so mal für ein paar Monate schließen. Oder? Andreas Caminada hat gezeigt, dass man das durchaus kann. Zu Beginn des letzten Jahres legten er und sein Schloss Schauenstein eine fünfmonatige Kreativpause ein – pünktlich zum 15. Jubiläum des Hauses. Mal mit den Kids die Welt bereisen, bevor das nicht mehr möglich ist, und dabei die Batterien aufladen. Das Schloss lag in dieser Zeit natürlich nicht brach. Es wurde ein bisschen umgebaut. Und ganz nebenbei entstand nebenan noch das "Casa Caminada": ein Gasthaus mit Beiz, Laden und Bäckerei. Caminada, der Rastlose, ist eben doch nie wirklich weg.

Als wir an einem heißen Sommertag in Fürstenau ankommen, sehen wir zumindest von außen keine signifikanten Veränderungen. Veträumt blüht alles im Schlossgarten in voller Pracht, die Farben sind so grell, dass sie uns beinahe blenden. Die tropischen Temperaturen lassen uns den Anblick des Schlosses nur kurz genießen, der Schatten der hoffentlich kühlen Gemäuer lockt uns im Sauseschritt nach innen. Nach der wie immer äußerst herzlichen Begrüßung werden wir zurück nach draußen geleitet, wo wir unsere geschundenen Körper kurz darauf im Schutz des Sonnenschirms mit sturzbachartigem Wasserkonsum zu rehydrieren versuchen, bevor der Champagner seinen erfrischenden Auftritt hat. Keine Situation, in der ein paar Bubbles nicht Linderung verschaffen könnten. Langsam, aber sicher sind wir angekommen, und der Hunger macht sich bemerkbar.

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In brennender Hitze starten wir auf der Terrasse mit den ersten Snacks: knuspriges Weinblatt mit dehydrierter Traube, Entenleber-Haselnüsse, Rote-Bete-Eis, eingelegter Pilz mit Lauch und Buchweizenchip mit Estragon und Tomate. Schon diese Petitessen zeigen, dass sich seit unserem letzten Besuch nicht nur bei der Inneneinrichtung etwas getan hat in Fürstenau: Die Amuse gueule sind – wie immer – hochfein gearbeitet, allerdings verändert und sorgen gleich zu Beginn für gute Laune. Trotz Glutofenhitzewallungen. Vielleicht hätten wir das Sakko besser zuhause gelassen ...

Es folgt ein Klassiker des Hauses: Senfeis mit Schinken und Schnittlauchöl.Wie Caminada den Senf zähmt und gemeinsam mit dem Schinkenschaum und dem Öl ein fast schon zärtlich harmonisches Erlebnis schafft, ist immer wieder beeindruckend. Beim Brot-Taco mit Schinken geht es dagegen eher rustikal zu. Für Schauenstein-Verhältnisse, versteht sich. Denn auch dieser Happen überzeugt durch feines Handwerk und ein ansprechend unkompliziertes Geschmacksbild. Schön.

Bevor wir komplett in unsere Einzelteile zerlaufen, tauschen wir den Platz an der Sonne mit unserem Tisch in den kühlen Schlossmauern. Nachdem wir uns kurz akklimatisiert haben, erreicht leicht gebeizter Felchen mit Zwiebelsud und Himbeere den Tisch. Der Fisch (auch Renke oder Reinanke genannt) ist von herausragender Qualität, aber leider ein bisschen zu lange gebeizt, was ihm texturell nicht so gut bekommt. Die Kombination mit der bescheidenen Zwiebel und der fruchtig-säuerlichen Himbeere dazu ist allerdings über jeden Zweifel erhaben und so herrlich sommerlich, dass uns bereits jetzt die Sonne fehlt. Zum Glück kommen wir schnell zurück zu unseren Sinnen, ...

... denn der nächste Klassiker wird direkt hinterhergeschickt. Die Saison bleibt auch bei der Kopfsalat-Gazpacho mit Gurkenschaum das alles beherrschende Thema. Nur ganz, ganz selten können wir einem grünen Ensemble wie diesem eine derartige Eleganz bei höchstem Wohlgeschmack attestieren. Gepaart mit der knackig-kühlen Frische ein perfektes Amuse.

Ausnehmend hübsch geht's weiter mit der Entenleber mit Trüffel und Roter Bete. Die Foie-Terrine versteckt sich unter dem Yin-Yang von Tuber und Bete und geht mit ihren erdig-wuchtigen Begleitern erwartungsgemäß eine nahezu perfekte Symbiose ein. Bei der Annoncierung hatten wir diese Petitesse eher in der kalten Jahreszeit verordnet – funktioniert aber auch jetzt erstaunlich gut.

Spareribs, Sparerib-Bouillon, Röstzwiebel und Dörrbirne markiert das Ende der Amuse-Armada. Gleichzeitig ist diese unscheinbare Kombination auch das bisherige Highlight des Lunchs. Ultrazartes, intensives Fleisch, das durch die tiefe Bouillon zusätzlich gepusht wird und simpel wie clever eingefasst ist. Wäre doch jedes Barbecue nur annähernd so gut.

Der erste offizielle Gang des Lunchs hört auf den Namen Saibling, Kohlrabi, Radieschen und Estragon. Im großen Schälchen befindet sich marinierter Saibling mit einer Emulsion von Saiblingsrogen, dem knackigen Gemüse und Dillspitzen. Geschmacklich ist das hervorragend, doch leider ist auch in diesem Fall der hochwertige, aus den kristallklaren Gewässern des Walensee stammende Fisch einen Ticken zu lange mariniert worden. Wir sprechen hier über Nuancen, die ein Gast, der zum ersten Mal im Schauenstein einkehrt, gar nicht bemerken würde. Doch wenn man bereits öfter hier gegessen hat, ist eine kleine Abweichung zur sonstigen Perfektion durchaus zu erkennen. À part gibt's übrigens noch etwas Saibling mit einer Rauch-Saiblingskaviar-Vinaigrette, der uns fast noch besser gefällt, als der Hauptteller. Eine Rarität. Abgesehen vom Bareiss und dem Le Moissonnier sind wir bekanntlich keine großen Fans von Zweit- und Dritttellern.

Caminada spickt seine Menüs immer wieder mal mit beliebten Gerichten früherer Tage. Langoustine mit Limone stammt konzeptionell aus dem Jahr 2008, als das Restaurant seinen zweiten Stern erhielt. Den Edelkrebs serviert die Küche gebraten und roh, zieht eine Bouillon sowie eine Nage daraus und macht einen Chip (auch Kroepoek genannt). Dazu gibt's eine Deklination der Limone. An diesem Beispiel zeigt sich sehr schön, wie stark sich die Küche hier weiterentwickelt hat. Für einen der anwesenden Sternefresser war das beim ersten Besuch vor mehr als zehn Jahren Caminadas Referenzgericht. Zwei Top-Produkte durchdekliniert und zu einem perfekten Ganzen vereint. Dieser Gang ist immer noch spitze, doch betrachtet man ihn im Kontext der heutigen Gerichte des Chefs, fällt er merklich ab. Die Küche des Schauenstein ist mittlerweile noch klarer geworden, noch raffinierter und noch selbstbewusster. Es macht richtig Spaß, die gewonnene Reife an diesem Ensemble noch eindeutiger illustriert zu bekommen und die Entwicklung quasi live innerhalb weniger Gänge nachverfolgen zu können. Schon deshalb hat dieses Gericht nach wie vor seine Berechtigung auf der Karte.

Momentan scheint die Kalbsmilke so en vogue zu sein wie schon lange nicht mehr. Das glasierte Bries wird hier mit Blumenkohl und Trüffel kombiniert. Ein geradezu klassisches Konglomerat, bei dem nicht viel schief gehen kann. Wir präferieren die Herzdrüse generell mit einer leichten Kruste, die einen schönen Kontrast zum butterzarten Inneren bietet. Da das hier nicht der Fall ist, springen die gebratenen Kohlröschen und die Tuber-Späne zumindest teilweise in die Bresche. Insgesamt schmeckt das mehr als ordentlich, ist ab dem zweiten Bissen aber auch etwas monoton. Zumindest texturell hätten wir uns hier mehr Action gewünscht, damit der Gaumen stärker in Aufregung versetzt wird. Das ist, zugegebenermaßen, Meckern auf hohem Niveau.

Es folgt Zander, Artischocke und Aubergine. Während der Fisch mit dem Korbblütler, der gebraten und mariniert zum Einsatz kommt, der Nussbutter, einer Buttermilch-Kartoffel-Jus und dem hocharomatischen Petersilienöl ein wahrlich großartiges, semi-mediterranes Gericht ergibt, stört uns der Rest dezent. Die wuchtige, konfierte Aubergine ist zu dominant. Der salzige Speck ist in unseren Augen sogar überflüssig. Beide Elemente bringen eine unnötige Schwere und Reichhaltigkeit auf den Teller, die ihren Mitspielern so gar nicht gut bekommt. Ohne diese beiden kleinen Störenfriede, um die man glücklicherweise problemlos herumessen kann, ist das aber ein tolles Gericht.

Einen weiteren Evergreen schieben wir zusätzlich ins Menü ein: Tortellini mit Schmorbratenfüllung. Die Lust auf anständige Pasta ist vor allem bei unserem anwesenden Gründungsmitglied ungebrochen. Geschmacklich ist das Intermezzo denn auch exzellent, jedoch hätten die kleinen Teigtaschen durchaus noch die eine oder andere Sekunde länger im heißen Wasser verbringen dürfen.

Als Hauptgang wird ein in Pfeffer gebratener Hirschrücken serviert, der von einer Topinamburcrème, Knoblauch und Puntarelle eingefasst ist. Erwartungsgemäß zeigt sich dieser Gang durch den großzügigen Pfeffereinsatz sehr kräftig. Jerusalem-Artischocke und Knoblauch passen zwar geschmacklich gut zum Wild, jedoch droht das Ganze ein bisschen zu stark in die süße Richtung zu kippen. Eine Stolperfalle, die durch den Einsatz des Vulkanspargels elegant umlaufen wird, da die Zichorie mit ordentlich Bitterkeit gegensteuert und als ausgleichendes Element fungiert. Insgesamt eine runde Sache.

Was man sich auf Schloss Schauenstein auf keinen Fall entgehen lassen darf, ist der Käse vom Wagen. Leider ist das schmucke Gefährt bei unserem Besuch zum wiederholten Male von metallischem Muskelkater geplagt und lässt sich deshalb nicht in Tischform biegen, doch das schmälert natürlich unseren ganz persönlichen Genuss nicht. Neben diversen exzellent gereiften Liebhaberstücken (u. a. vom neuen Käsepapst Willi Schmid und der Sennerei Andeer) gibt's auch noch Maluns, Bergkartoffeln, eine Auswahl von exzellentem lokalem Trockenfleisch (Salsiz, Speck, Bindenfleisch) sowie Senf und Dörrbirne. Wir sind ja im Grunde genommen ganz simpel gestrickt: Toller Käse und exzellenter Wein ergibt glückliche Sternefresser.

Gebrannte Crème d'Tatta mit Apfelbeignets ist eine wundervolle Hommage an Caminadas Großmutter (Tatta=rätoromanisch für Oma) - neben dem Namen lässt es das herrlich anachronistische Geschirr erahnen. Caminada sorgt mit dem süßen Einstieg für ein simples, dabei zutiefst befriedigendes Erlebnis, das wohl jedem Gast ein Lächeln ins Gesicht zaubern dürfte. Uns geht es zumindest so.

Ungleich komplexer wird's bei den Blaubeeren mit Zitronenverbene und Joghurt, der Buchweizencrème mit Brot und dem Quarksoufflé. Mit diesem Ensemble wird der Bruthitze draußen erfolgreich getrotzt. Während die Deklination der Beere für immerwährende, lebendige Fruchtigkeit sorgt, bringen sowohl die Verbene als auch der Joghurt eine knackig-leichte Frische ins Spiel, die alles herrlich luftig-locker erscheinen lässt. Der heimliche Star dieses Trios ist aber das Soufflé, das nur wenige Küchen in immer gleicher Perfektion auf den Tisch bringen, wie das die Schloss-Crew jeweils schafft. Zum Niederknien ...

Bei einem Espresso widmen wir uns noch den umfangreichen Friandises: Schokonüsse, Mandelfinancier, Aprikosen-Zitronen-Macaron, Sanddorngelee und Himbeere, Dörrbirnenganache und Tonkabohnen-Praline.

Passt Caminada seinen ultra-eleganten Stil bewusst ein bisschen an oder war das heute einfach ein Quäntchen Abweichung von der gewohnten Perfektion? Sollte heute ein jungfräulicher Gast auf Schloss Schauenstein gegessen haben, wird er oder sie (oder beide) mit Sicherheit ein grandioses Erlebnis gehabt haben. Hatten wir auch. Und um an dieser Stelle keine unnötige Polemik aufkommen zu lassen: Es waren und sind immer noch locker drei Sterne, und Caminada betreibt nach wie vor das für viele beste Restaurant der Eidgenossenschaft. Aber für alte Schauenstein-Hasen wie uns war es mehr als augenscheinlich, dass nach der selbst auferlegten Kreativpause nicht einfach wieder alles beim Alten war. Wir sprechen hier von Nuancen – z. B. beim einen Hauch zu lange marinierten Felchen und Saibling, dem allzu salzigen Speck und dem runden, unelegant wirkenden Hauptgang – die der auf dem Schloss zur Norm gewordenen Perfektion nicht ganz gerecht werden. Damit genug der Meckerei. Denn sieht man das große Ganze, ist diese Oase des guten Geschmacks in der kleinsten Stadt der Welt nach wie vor jede Reise wert und weiß durch die Symbiose aus höchstklassigem Essen, Designaffinität, traumhafter Umgebung und tollem Service jedes Mal aufs Neue zu begeistern. À propos Service: Die äusserst charmante Anna-Lena Junge und ihre sympathische Mannschaft haben kürzlich Zuwachs bekommen. Vinfant Terrible Marco Franzelin hat seine Zelte in Bergisch Gladbach abgebrochen und verwöhnt nun die Gäste des Schauenstein mit seiner unnachahmlichen Präsenz. 

Fazit

Das Gesamterlebnis Schauenstein ist und bleibt Weltklasse und rechtfertigt eine regelmäßige Pilgerreise nach Fürstenau. Von überall her.

Wein

Die Weinauswahl im Restaurant Schloss Schauenstein in Fürstenau

Fragen an die Suffmeisterin (a.k.a. Sommelière) Anna-Lena-Junge

1. Anzahl der Positionen
Wir haben ca. 900 Positionen. Das umfasst die Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und auch ein wenig Übersee.

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Der Fokus liegt auf Schweizer Weinen, insbesondere kümmern wir uns natürlich um die Bündner Herrschaft.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Am preiswertesten ist ein Riesling Kabinett Wehlener Sonnenuhr von Dr. Loosen für 69 CHF; die teuerste Flasche ist der Romanée Conti von der Domaine Romanée Conti für 13.999 CHF.

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Das sind mehrere Weine: 2012 Pinot Noir La Llopetera von Escoda Sanahuja aus Conca Barbera. Außerdem 2000 Pinot Noir TBA von Gantenbein und 2015 Albillo de Bernabeleva aus Madrid.

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Auch hier sind drei Weine zu nennen: 2015 Chardonnay Passion von Martin Donatsch aus Malans, 2013 Ilatraia von Brancaia und 2010 Pinot Noir Monolith von Christian Obrecht aus Jenins.

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Enorm angetan hat es mit der 2009er Desiguales Albarino von Eulogio Pomares aus Rias Baixas.

7. Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Den gibt es nicht – reine Tagesform :)

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Grundsätzlich sind die Wünsche nach tollen Rotweinen mit Eiswürfeln immer irritierend. Jüngst gab es auch mal die Frage nach Vino Tinto Villamar aus dem spanischen Jumilla. Meine Recherche ergab, dass das ein Tetra-Pack-Wein ist. 

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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