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Restaurantkritik  6.Juli 2019

Für jeden etwas

Manchmal sind wir dankbar, wenn auf unseren Reisen Klischees erfüllt werden. Unser heutiges Lunch-Ziel, das 'Gasthaus zum Gupf', ist genau so ein Klischee, das uns glücklich macht. Ein altes, liebevoll restauriertes Bauernhaus, auf einem 1 083 Meter hohen Gipfel im malerischen Appenzellerland gelegen. Eingerahmt von Weiden, Hügeln und Wäldern und mit Blick auf den Bodensee. 11 Hektar Land gehören zum Haus. Darauf werden unter anderem Schweine und Rinder gezüchtet. Die Tiere können sich hier oben richtig austoben. Am Eingang zum Restaurant sind zwei mannshohe Holzschnitzereien aufgestellt, die traditionell gekleidete, kernige Appenzeller Naturbuschen zeigen. So, wie es hier oben aussieht, stellt sich wohl ziemlich jeder Tourist die Schweiz vor. Klischees kommen ja schließlich nicht von ungefähr. So hübsch das alles anzuschauen ist, wir sind natürlich nicht wegen der Aussicht oder der Viehzucht nach Rehetobel gefahren, sondern um zu fressen.

Der Bayer Walter Klose kocht, mit einer signifikanten Unterbrechung, bereits seit 1998 auf dem Gupf. Der schwerreiche Besitzer des Hauses hatte im Jahr 2002 nach einem Essen bei einem jungen Koch nahe Zürich die Idee, Klose durch diesen zu ersetzen. Dieser Koch war einer gewisser Daniel Humm. Den sehr ambitionierten Schweizer hielt es jedoch nur für ein kurzes Intermezzo auf dem Berg - schon im Jahr nach seinem Amtsantritt zog er weiter in die USA. Im Eleven Madison Park in New York City hat er sich mittlerweile seinen Wunschtraum erfüllt und ist mit drei Macarons ausgezeichnet worden. Klose übernahm wieder und erkochte für den Gupf einen Stern und stolze 18 Gault-Millau-Punkte. Für einen der beiden angereisten Sternefresser schließt sich heute ein Kreis - er hat damals unter der Ägide Humms seine ersten Fresserschritte in der gehobenen Küche gewagt und ist seit mehr als 16 Jahren nicht mehr hier oben gewesen. Die Vorfreude ist groß. Genauso wie die Spannung, da wir keine Ahnung haben, was uns gleich kulinarisch erwartet. Die Umgebung und die komplett in Holz gehaltene Bodenseestube suggerieren natürlich - Klischee! Klischee! - Klassisch-deftiges. Uns durchströmt bereits beim Betreten ein instant-kuschlig-wohliges Gefühl, als ob wir bei Freunden in der - zugegebenermaßen sehr schicken - Berghütte gleich rundum verwöhnt werden. Wir sind bereit ...

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Walter Klose verzichtet auf eine Armada von Amuses-Bouches. Er beschränkt sich auf genau zwei Stück, die zeitgleich serviert werden. Da wäre die Gupf-Spanferkel-Terrine auf Kartoffelsalat mit Meerrettich. Das Schwein vom eigenen Hof ist eher subtil gewürzt, was seinen exzellenten Eigengeschmack umso mehr zur Geltung kommen lässt. Die Einfassung ist trotz Meerrettich auch eher behutsam. Überraschend leise, aber gut. Die Gemüse-Curry-Suppe befindet sich genau am anderen Ende des Geschmacksspektrums. Kräftig, würzig und richtig heiß. Vom Sockel hauen uns die beiden Petitessen nicht ...

Der erste Gang des Menüs ist eine Variation vom Seeteufel mit Fenchel und Orange. Im Detail gibt es die Lotte im Tempurateig ausgebacken, in Kataifi eingewickelt sowie gebeizt. Dazu gesellen sich marinierter Fenchel und ein Eis des Doldenblütlers, Orangenfilets und ein Macaron der Zitrusfrucht. Fenchel und Orange ist natürlich eine erprobte Kombination, doch wir fragen uns bei der Annoncierung, wie gut der Fisch da reinpasst. Die Antwort: ganz exzellent! Die einzelnen Elemente sind allesamt hochfein gearbeitet - ja, auch die frittierten Teile - und ergänzen sich toll. Bei der roh marinierten Version des Seeteufels konnten wir uns am ehesten noch vorstellen, dass das mit der Begleitung gut funktionieren kann. Auch wenn dieses hässliche Vieh eigentlich nicht gerade dafür bekannt ist, roh mariniert verwendet zu werden. Doch auch die frittierten Fischstücke funktionierten bestens in dieser Kombination, da tadelloses Handwerk an den Tag gelegt wird und die Bewahrung des Fischgeschmacks gelingt, ohne störende Pommesbudennote. Ein abwechslungsreicher, überraschender und vor allem gelungener Menüauftakt.

Exotisch geht's weiter mit südafrikanischen Scampi mit gegrilltem Saturnpfirsich, Ingwer und Curry. Das klingt erstmal schlüssig. Doch Klose und seine Mannschaft legen es wohl darauf an, ihren Gästen bei diesem Gang den vollen Umfang ihres Schöpfungswahns zu präsentieren. Denn neben den erwähnten Hauptkomponenten findet sich eine Makirolle, Sesammalto, Kimchi, Enoki-Pilze süß-sauer sowie Okraschoten auf dem Teller. Das ist jetzt aber wirklich viel zu wild, oder? Sieht ja auch schon nicht wirklich zusammengehörend aus. Wir werden erneut positiv überrascht. Jedes Puzzleteil scheint seine Berechtigung zu haben und ist schmeckbar. Gleichzeitig ergeben die vielen Bausteine ein schlüssiges Gesamtkonstrukt. Wir denken zwar, dass man diesen Teller doch auch noch um ein oder zwei Elemente reduzieren könnte, ohne dabei die Integrität dieses Gangs zu gefährden, müssen aber dennoch festhalten: Wild ist hier gar nix – nur lecker.

Nun wird es etwas klassischer und auch übersichtlicher. Taubenbrust mit Rüebli besteht neben der wunderbar 'bleu' gegarten Brust aus einem butterzarten Keulchen, Rüeblisalat, mit Quinoa und Pastinakenpüree. Im Gegensatz zum bisher Gezeigten muss man hier beinahe schon von nobler Zurückhaltung sprechen - die steht Klose exzellent zu Gesicht. Die dezente, erdig angehauchte Süße der Pastinake und der Möhren passt exzellent zum hervorragenden Vogel, dessen prägnanter Eigengeschmack durch die gelungene Sauce zusätzlich akzentuiert wird. Darüber hinaus steuern die unscheinbaren Sesamsamen auf der Karotte einen Hauch Orient bei sowie eine wunderbar reichhaltige, toastige Nussigkeit. Hier ist nun wirklich kein Bestandteil zu viel. Klasse!

Stefan Schachner, Suffmeister des Restaurants und Herr über das mehr als 30 000 (!) Flaschen umfassende Gewölbe, holt uns für einen wohlverdienten Spaziergang durch den Weinkeller ab, bevor das Menü weitergeht. Wirklich beeindruckend, was sich Besitzer Emil Eberle hier oben auf dem Berg weintechnisch hat einfallen lassen. Besonders angetan hat es uns der Raritätenkeller, den man über eine geheime Tür erreicht sowie der herrlich anachronistische Computer mit einem Betriebssystem aus den 1990ern mitten im Hauptkeller, den die Servicemitarbeiter teilweise benötigen, um schnellstmöglich die bestellten Buddeln ausfindig machen zu können. Auf unsere Nachfrage verneint Schachner zwar, jemals das Gefühl gehabt zu haben, dass ihm jemand seinen Schlüssel zum Keller klauen wollte, doch wir sind schon sehr versucht, das wertvolle Utensil mit einem kleinen Ablenkungsmanöver in unsere Hände zu bekommen. Und wenn's nur ist, um nochmals die 480 Liter fassende Flasche 2005er Trockenbeerenauslese Nouvelle Vague Grand Cuvée No. 7 von Kracher zu sehen, die es bis ins Guiness-Buch der Rekorde geschafft hat. Doch wir halten uns zurück und begeben uns brav zurück an unseren Tisch ...

Eigentlich würden jetzt die Hauptgänge folgen. Doch auf der Karte ist uns ein Cordon-bleu ins Auge gesprungen, das wir unbedingt noch einschieben wollten. Gesagt, getan. Wir bekommen eine Mini-Version dieses Klassikers mit Saisongemüse und Bratkartoffeln serviert. Was die Optik verspricht, übertrifft der Geschmack noch einmal bei weitem. Unter hörbarem Krachen schneiden wir die Rolle an, da läuft uns bereits der herrlich duftende Appenzellerkäse entgegen. Schnell aufgegabelt, inhalieren wir den ersten Bissen unter lautem, den heißen Käseschmerz lindernden Schmatzen - verdammt, ist das gut! Da braucht man nicht lange um den viel zu heißen Brei reden: Dieses Cordon-bleu-Röllchen hat Referenzqualität und zeigt, dass man selbst einen solchen Wirtshausklassiker auf Sterneniveau zubereiten kann.

Es folgt der erste Hauptgang, ein Duo vom Kalb mit Champagnerrisotto und Eierschwämmli. Spätestens jetzt bewegt sich die Küche in den sehr klassischen Gefilden, die wir hier oben eigentlich durchgehend erwartet haben. Mega spannend ist sowas natürlich nicht, doch von einer überaus überzeugenden Qualität, die keine Wünsche offenlässt. Vom Kalb gibt's ein zartes Filet und ein wunderbar mürbe geschmortes Bäggli. Das Risotto ist auf den Punkt, die sautierten Pilze bringen gemeinsam mit der Sauce eine mundfüllende Opulenz samt reichlich Umami ins Spiel, die das Ganze optimal abrundet. Sogar das frittierte Kartoffelnest ergibt Sinn, da es für texturelle Abwechslung sorgt. Wenn schon langweiliger Hauptgang, dann bitte so.

Etwas weniger gelungen ist das Lamm unter der Senf-Kräuter-Kruste mit einer Sinfonie vom Mais, Peperoni und Tannenwipfelhonig. Das liegt vor allem an der Deklination vom Mais, der als Popcorn, Minimais, weiße Polenta, Polentaknusperli und Polentaküchlein auf dem Teller landet. Insgesamt ist der vorherrschende Eindruck dadurch einfach zu süß. Eine Empfindung, die der Honig natürlich zusätzlich verstärkt. Wirklich schade, denn das sehr gute Lamm und die erneut astreine Jus machen eigentlich richtig Spaß, kommen aber bei voller Gabelbelegung einfach nicht so recht zur Geltung. Abgesehen davon, dass wir generell ein wenig Zweifel an der Tauglichkeit dieser Kombination hegen, wäre in diesem Fall zum ersten Mal weniger in der Tat wohl mehr gewesen - wenn man sich zum Beispiel nur auf die knusprige Polenta als Beilage beschränkt hätte. Wie dem auch sei, wir futtern halt einfach das Lämmchen und die Sauce weg.

Dem Zauber des heranratternden Käsewagens können wir uns niemals entziehen ...

Beim offiziellen Menüabschluss Heidelbeeren und Vanille zeigt sich das Gupf-Team noch einmal von seiner allerbesten Seite. Trotz kleinteiliger Gliederung der Beere, die frisch, in Pancakes und Crème Brûlée, als Sorbet, Heidelbeer-Baiser-Törtchen und als Sauce zum Einsatz kommt und um ein Vanilleeis und eine Vanillemousse ergänzt wird, ist das Geschmacksbild angenehm simpel und gefällig. Ohne dass beim Essen Langeweile aufkommt, versteht sich. Wollte man einen Kritikpunkt suchen und zwingend finden, wäre es der vielleicht einen Hauch zu süße Gesamteindruck. Doch das tun wir ja zum Glück nicht, sondern wir erfreuen uns einfach an diesem Leckerbissen. Was man gut am blitzeblank geschleckten Geschirr sieht.

Die Petits Fours zum aufmunternden Espresso: Salzkaramell-Trüffel, Eclaire mit Zitronenmousse, Birnengelee, Amaretto-Lolly, im Glas Apfelsorbet und Calvadosschaum.

Der Gupf erfüllt viele Klischees im positivsten Sinne, weiß aber gleichzeitig zu überraschen. Das zeigt sich auch im bunt gemischten Publikum. Hier finden sich der 60-jährige Sohn, der zum Lunch den 80-jährigen Papa im Schlepptau hat, junge Pärchen, die anscheinend erstmals die Welt der gehobenen Küche erkunden, Familien mit Kindern und weitgereiste Fresser wie uns. Blickt man in die Gesichter der Gäste, scheinen alle etwas zu teilen: ein dickes Lächeln. Kein Wunder, schließlich kocht Klose für (fast) jeden das passende. Vom deftigen, dabei exquisiten Cordon-bleu bis zum exotisch angehauchten und vor modernen Techniken nicht zurückschreckenden Scampi-Teller. Unser Menü wusste trotz der etwas old-schoolingen Ausrichtung zu gefallen – lediglich der harmlose Auftakt und der Lamm-Hauptgang fielen ab. Angesichts der guten anderen Gänge ein zu verschmerzendes Verhältnis. Abgesehen vom Essen kommen auf dem Appenzeller Berg vor allem auch dem Wein zugetane Gäste voll auf Ihre Kosten. Die Auswahl klassischer (roter) Provenienzen scheint fast grenzenlos. Allein mit der Lektüre der Weinkarte und mit der Erkundung des beeindruckenden Kellers könnte man locker einen Nachmittag füllen. Gemeinsam mit dem wunderbar einladenden Haus und der einnehmend schönen Umgebung lässt das Gasthaus zum Gupf kaum Wünsche offen – und das zu jeder Jahreszeit.

Fazit

Gute Küche, ein beeindruckender Weinkeller, überaus charmantes Setting. Mit einem Besuch bei Walter Klose in seinem kleinen Bergparadies kann man kaum etwas falsch machen.

Wein

Wein im Gasthaus zum Gupf in Rehetobel

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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