Restaurantkritik 18.September 2019

Dem Himmel so nah

Endlich wieder in Amsterdam! Wie lange ist es her - vier, fünf Jahre? Viel zu lange für diese herrliche Stadt mit ihrer immer besser werdenden Restaurantszene. Allerdings soll unser Antrittsbesuch keinem Neuling gelten, sondern einem Platzhirsch: Das Ciel Bleu im Hotel Okura gibt es seit nunmehr 15 Jahren, seit elf Jahren hat es zwei Sterne. Die Küchenleitung hat Onno Kokmeijer gemeinsam mit Arjan Speelman. Der seltene Fall einer Doppelspitze also. Wir wollten schon lange hierher, aber irgendwie kam immer etwas dazwischen - entweder der Termin passte nicht oder wir entschieden uns doch für einen Newcomer. Jetzt aber.

Das Okura befindet sich etwas außerhalb des Zentrums, im schwer angesagten, von Touristen zum Glück noch nicht überlaufenden Hipsterviertel De Pijp (eine Amsterdamer Mischung aus Kreuzberg und Prenzlberg). Der Hotelbau hebt sich mit seiner gradlinigen, japanischen Anmutung deutlich von der üblichen Amsterdamer Architektur ab, und ragt weit über die umliegenden Wohnhäuser hinaus.

Was uns wieder zum Ciel Bleu bringt: Es befindet sich im 23. Stockwerk des Hauses, und macht seinem Namen alle Ehre: durch die vollverglasten Außenwände genießt man einen majestätischen Blick über die Stadt. Als wir gegen 20 Uhr zu Tisch gehen, ist die Blaue Stunde noch nicht angebrochen. Der Gastraum wirkt etwas nüchtern und unpersönlich, ohne aber ungemütlich zu sein. So lenkt auch nichts vom Ausblick ab - und von den Tellern.

Die Aperitif-Snacks und Amuses stehen unter dem Motto "Von der Liebe zum Reisen". Es geht los mit Wien: Gugelhupf mit Olive und der orientalischen Gewürzmischung Zatar ist leider etwas trocken und bleibt auch geschmacklich fahl.

Sehr viel besser wird es bei den nächsten Happen, die ebenfalls verschiedenen Städten gewidmet sind. Von vorn im Uhrzeigersinn: Aachen: Tartelette mit Pilzen, Estragon und Fünf-Gewürz-Mischung; Saint Tropez: Tartelette von Hummer, Fenchel und Malabar-Pfeffer; Gent: Presswust, Foie gras und Piment; Amsterdam: Krokette aus Knollensellerie mit Lorbeer und Cassia. Die Idee mit den Städten hätten wir zwar nicht gebraucht, und besonders bei Aachen erschließt sich uns der Bezug nicht, aber es geht um den Geschmack, und da ist alles sehr stimmig - leicht, fein und filigran gearbeitet. Vor allem die Krokette mit ihrem delikat-deftigen, an wilde Amsterdamer Nächte erinnernden Geschmack gefällt uns prima.

Das erste Amuse führt nach Osaka: Ein Stückchen roher Dorade Royale ist in ein Shiso-Blatt gewickelt und sitzt auf einem gelierten Fond, leicht mit Gewürznelke aromatisiert. Auch dies ist sehr subtil im Geschmack, der Fisch von hervorragender Qualität.

Das zweite und letzte Amsue führt nach Tromsø und besteht aus einem Zylinder, gefüllt mit Königskrabben, Beurre-blanc-Eis und Baerii-Kaviar. Bei solchen Rollen müssen wir unweigerlich an Kevin Fehling denken, und auch geschmacklich steht dieser Happen dem Hamburger Dreisterner nicht nach: kühl, salzig, jodig-frisch und ein bisschen knusprig - eine klassische Aromen-Kombi, brillant verpackt.

Zum guten Baguette-Brötchen gibt es eine wahre Bordier-Butter-Orgie: Fünf Sorten werden aus üppig befüllten Pötten geschabt - allesamt ganz hervorragend.

Nun startet das eigentliche Menü, mit holländischen Garnelen, Osietra-Kaviar und flachen Bohnen. Das sieht ziemlich mächtig aus und erinnert ein bisschen an die Garnelen-Ringe, die man im Kühlregal findet. Natürlich spielt die Küche ganz bewusst mit dieser Assoziation, denn geschmacklich könnte der Unterschied größer kaum sein. Die kleinen Garnelen sind von außerordentlicher Güte, knackig, saftig und mild nach frischem Meer schmeckend. Der Kaviar verstärkt die salzig-jodige Note, wirkt aber auch als Counterpart zum angenehm herben, herrlich grün schmeckenden Bohnensaft. Das Ganze ist auch nicht schwer, sondern durch den Saft frisch und leicht. Optisch erinnert der akkurate Ring vielleicht an eine Nordsee-Filiale, aber geschmacklich ist diese Kreation wie ein windig-sonniger Frühsommertag an der Nordsee-Küste! Ein tolles Beispiel für üppige Regionalküche.

Als Fischgang gibt es Steinbutt mit salzigem Gemüse, Birne und Muskatblüte. Die prächtige Tranche saftigen Fischs thront auf einem Sud aus salzig eingemachtem Gemüse und Kräutern; winzige Birnenstückchen runden das kräftige Ensemble mit feiner Fruchtigkeit ab. Die Muskatblüte (auch als Glasur auf dem Fisch) bringt einen ganz leichten Hauch Exotik ins Spiel. Auf diesem Teller ist alles verdichtet und reduziert zugleich - das Ergebnis ist ein Fischgericht von komplexer Süffigkeit. Köstlich.

Inzwischen ist auch die Blaue Stunde in vollem Gange. Der Himmel changiert zwischen Orange, Blau und leuchtendem Rot, in jedem Augenblick ein bisschen anders. Auch der Gastraum wird dadurch in ein magisches Licht getaucht.

Dazu passt auch der nächste Gang, ein sattrot strahlender Hummer. Was macht man am besten mit diesem Krustentier, das ja - egal woher er kommt - meist nicht allzu viel Eigengeschmack mitbringt? Die Antwort vieler Spitzenköche lautet: kräftig würzen, am besten exotisch – Vanille (Senderens), Curry (Passard) und Limettenblatt (Ducasse) sind sehr beliebt. Im Ciel Bleu wird er indisch aufgepeppt, mit einem Tandoori-Sud und Koriander, dazu Stücke geschmorten Rhabarbers. Wir sind bekanntlich keine allzu großen Freunde asiatischer Gewürze in der Spitzenküche. Meist wirken sie allzu gefällig, wenn nicht sogar plakativ. Nicht so hier. Die Tandoori-Würze ist recht zurückhaltend eingesetzt ist, mit ihrer sanften Schärfe bringt sie den Hummer weiter nach vorn. Der anisige Koriander wirkt wie eine Überleitung zum Rhabarber, der mit seiner Säure Spannung bringt und einen frischen Kontrapunkt setzt. Sehr schön.

Am Tisch wird die in Salzkruste gebackene Mieral-Taube präsentiert, ...

... und auf den Teller kommt die Taubenbrust mit Pistazien, Granatapfel und Mélange du Trappeur, einer Trockengewürzmischung aus Ahornzucker, Knoblauch, Zwiebeln, Paprika und rotem Pfeffer. Das Fleisch ist exzellent, zart und kernig, kräftig im Geschmack und frei von jeder Lebrigkeit, die Taube zuweilen so ungenießbar macht. Allerdings erschlägt die Gewürzmischung das Gericht, und die Kruste ist nicht knusprig, sondern eher bröselig-"staubig"-trocken. In diesem Kontext wirken auch Granatapfel und Pistazie eher plakativ. Schade.

Vor dem Dessert noch ein verlockender Blick auf den Käsewagen mit niederländischen und internationalen Sorten. Können wir "Nein" sagen ...?

Das Pré-Dessert aus Litschi, Earl-Grey-Tee und gewürztem Scotch Ale macht, was es soll: Es erfrischt, ist nicht zu süß und schmeckt auch noch originell.

Das Hauptdessert aus Kakao (52 %) mit "Advocaat" Likör, Karamell und Gewürzen täuscht uns: Wir erwarten angesichts der Form eine feste, leicht knusprig gebackene Außenhülle. Doch weit gefehlt, denn es handelt sich um eine in Form gegossene Mousse. Die ist angenehm fest und zugleich gaumenschmeichelnd schmelzend, durch den Eierlikör und die Gewürze schmeckt sie auch spannender als eine herkömmliche Schoko-Mousse. Trotzdem bleibt es auf Dauer etwas eindimensional und wird zusehends schokoladig, auch durch die am Tisch angegossene Sauce. Ein ordentliches Dessert, keine Frage, aber für uns fehlt eine komplementäre Komponente.

Hervorragend munden uns die vielfältigen Mignardises und ein sehr leckerer Apfelkuchen zum Espresso. Das kommt auch nicht immer vor.

Das war ein starkes Menü. Am besten gefiel es uns, wenn Onno Kokmeijer und Arjan Speelman in heimischen Gefilden blieben und Geschmacksbilder, die man mit der holländischen Küstenregion assoziiert, für die Spitzenküche adaptierten - so etwa bei den Garnelen mit Bohnen und dem Steinbutt mit Salzgemüse. Aber auch der sanft orientalisch umspielte Hummer gefiel uns sehr gut. Lediglich bei der Taube wurde uns die Exotik ein bisschen zu massiv.

Schön ist auch, dass wir hier nicht das Gefühl hatten, ein Küchenteam würde auf Teufel-komm-raus eine Pseudo-Originalität forcieren - man merkt, dass hier eine eingespielte Crew am Werk ist, die genau weiß, was sie tut. Altmeisterlich könnte man diese Souveränität fast schon nennen, würden wir nicht spüren, dass Kokmeijer und Speelman sich noch nicht am Ende der Auszeichnungs-Fahnenstange sehen. Mal schauen ...

Die Blaue Stunde ist längst vorbei, als wir das Restaurant verlassen. In den umliegenden Straßen des hippen Pijp-Viertels suchen wir in der heißen Sommernacht nach einem Ort für einen letzten Drink. Wie ein gewaltiger Monolith ragt das Okura in den nachtschwarzen Himmel. Alle Fenster sind dunkel. Nur ganz oben, soviel ist sicher, da leuchtet was.

Fazit

Blauer Himmel und schöne Speisen - das Ciel Bleu überraschte uns mit einer ebenso unaufgeregten wir souveränen Küche, die Spaß macht und schmeckt.

Text: Kai Mihm

Wein

Die Weinauswahl im Restaurant Ciel Bleu in Amsterdam

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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