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Restaurantkritik  5.November 2019

Sterne, die vom Himmel fallen

Zürich kann sich über einen Mangel an hochdekorierten Restaurants wahrlich nicht mehr beklagen. Ein Dreisterner fehlt zwar nach wie vor im Palmares der größten Schweizer Stadt, doch darunter tummelt sich mittlerweile ein abwechslungsreiches Sammelsurium von Lokalen, die viele kulinarische Gelüste abdecken. Wem der Kopf nach französischer Küche steht, dem wird oft empfohlen, einen Tisch bei Laurent Eperon im Pavillon zu reservieren. Der Name des Chefs lässt frankophile Fresser natürlich direkt aufhorchen, klingt er doch sehr nach der Grande Nation. Eperon allerdings ist kein Franzose, sondern stammt aus dem Kanton Waadt am Genfersee. Nach seiner Lehre in einem mit 16 Gault&Millau-Talern dekorierten Restaurant in der Westschweiz zog es ihn nach Zürich. Zuerst heuerte er im The Dolder Grand an, um kurz darauf ins Baur au Lac weiterzuziehen.

Seit mittlerweile 20 Jahren ist er nun für das altehrwürdige Hotel am Zürichsee tätig und hat sich in dieser Zeit kräftig die Karriereleiter emporgeschwungen. Angefangen hat er als Commis de Cuisine und sich zu dieser Zeit den Platz am Herd mit einem gewissen Daniel Humm geteilt. Nach weiteren Stationen als Chef Rôtisseur und Chef Saucier wurde er 2009 zum Küchenchef der zehnköpfigen Brigade im Pavillon. In den vergangenen zehn Jahren wurde seine französisch geprägte, klassisch-moderne Küche mit 18 Punkten und zwei Macarons (bei unserem Besuch war es noch einer) ausgezeichnet.

Der Namensgebende Pavillon ist Teil der Parkanlage des Baur au Lac und wurde vom Stararchitekten Pierre-Yves Rochon gestaltet. Das Interieur ist luftig, der Raum durch die deckenhohen Fenster rundherum schön hell und dank des vorherrschenden Violetts angenehm anders. Merklich luxuriös zwar, aber nicht neureich-pompös. In diesem Ambiente kann man sich auf jeden Fall wohlfühlen. Nach einem kurzen Vorgespräch überlassen wir Eperon und seiner Mannschaft die Auswahl der Speisen und warten gespannt auf die Ouvertüre, während wir an unserem Roederer Cristal 2009 nippen.

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Mit zwei Apéros starten wir in den Lunch: Gougères und Kümmelbrot. Die Käsebeutel hatten wir auch schon etwas luftiger und mit mehr Käsearoma; das Kümmelbrot ist uns vom letzten Besuch ein wenig feiner gearbeitet in Erinnerung

Als Amuse gibt's Rote Bete und Petersilie. Also anders gesagt: Borschtsch. Im Grunde genommen schmeckt es nicht schlecht, wenngleich der Gesamteindruck nach einigen Löffeln zu stark ins Süße tendiert. Doch Spannung oder gar ein Ausrufezeichen sieht sicherlich anders aus.

Vielleicht folgt das ! ja beim Seeigel von den Färöer Inseln mit Langoustine aus Südafrika. Aus den Seeigelrogen stellt Eperon eine Mousse sowie eine Emulsion her, dazu gesellt sich ein Tatar des Kaisergranats. Endlich etwas, das richtig Spaß macht. Die glasklare, maritime Jodigkeit des Seeigels versteht sich bestens mit der natürlichen Süße des Krebses, dessen Zartheit dank der exzellenten Proportionierung der einzelnen Elemente auch nicht überlagert wird. Sehr gut. Einziger kleiner Makel ist die Mousse, die zu massig und zu sättigend ist.

Ein hübsches Arrangement aus unterschiedlichen Pilzen und Kaviar Osciètre aus Belgien wird als nächstes serviert. Am Tisch wird ein zwar eleganter, doch geschmacklich sehr zurückhaltender Pilzfond angegossen, der die einzelnen Komponenten zusammenbringen soll. Leider hält der Geschmack nicht ganz das, was die Optik suggeriert, denn das Ganze kommt seltsam verhalten daher. Der Teller erfordert einiges an genauem Hinschmecken. Wir sind ja auch mehr als gewillt, alles aufzusaugen, damit sich die durchscheinende Idee zu einem runden Geschmacksbild formen kann. Doch trotz zweifellos vorhandener Produktqualität will sich dieser Gang nicht so recht entfalten.

Weiter geht's mit Jakobsmuschel, Kalbskopf und Topinambur. Die St. Jacques ist gigantisch! Könnte schon beinahe als Ladysteak durchgehen. Na dann mal rein ins Gefecht. Die Muschel wird geröstet sowie als Tatar präsentiert, schafft es aber trotz der beachtlichen Größe geschmacklich nur bedingt, zu überzeugen. Kaum wahrnehmbar ist der Kalbskopf dazu, der sicherlich als deftig-salziger Konterpart zur Süße der Muschel gepasst hätte, nur leider eben nicht wirklich in Erscheinung tritt. Immerhin bietet der Jus zumindest etwas die herzhafte Stirn, doch spätestens, wenn sich die Jerusalem-Artischocke bemerkbar macht, ist der Gesamteindruck erneut zu süß und dadurch zu plump. Hm.

In bester Erinnerung als Highlight des letzten Besuchs ist einem der Sternefresser die Seezunge vom kleinen Boot mit normannischer Sauce, Muscheln und Schwarzwurzeln. Doch bereits der erste Biss offenbart, dass das heute nicht erneut der Höhepunkt des Mahls sein wird. Unser Seezungenhasser wird durch die trockene, faserige Textur direkt in seiner Abneigung bestätigt. Das geht technisch wirklich besser. Doch auch die als angenehm opulent und hochelegant in Erinnerung gebliebene Sauce hat so gar nichts mehr mit der Version von vor drei Jahren zu tun. Sie lässt die komplexe Muschelnote vermissen, und es fehlt auch sonst an aromatischer Tiefe. Auch die Muscheln als Auflage auf dem Fisch sind zwischenzeitlich fast gänzlich abgetaucht - obwohl sie sowohl geschmacklich als auch texturell aufwertend einwirken könnten bzw. müssten. Dafür ist erneut eine präsente Süße ausmachbar, die wir der Schwarzwurzel zuschreiben und die das Ganze relativ monoton und eindimensional macht. Langsam, aber sicher fragen wir uns, ob das heute noch was wird im schönen Pavillon ...

Huhn vom Bauernhof aus Gruyère, Sellerie und Trüffel suggeriert bei der Annoncierung zumindest schon mal süffige Wohlfühl-Klassik und stimmt uns kurzzeitig positiv. Bis wir das arme Geflügel mit dem leichten Graustich aus dem vakuumierten Plastiksack sehen – die typische, gummiweiche Sous-vide-Textur macht dem Genuss einen großen Strich durch die Rechnung. Nur damit das klargestellt bleibt: Wir haben grundsätzlich nichts gegen den Einsatz der Sous-vide-Technik. Aber nur weil eine Technik verfügbar ist, muss man sie nicht nutzen. Vor allem nicht, wenn sie dem Gericht und dem Produkt eher abträglich ist. Genau das ist hier der Fall. Da können wir uns auch nicht an der stimmigen Gesamtkreation erfreuen.

Bevor wir schon leicht resigniert das Besteck hinlegen möchten, probieren wir noch die appetitlich ausschauende Kartoffel. Und siehe da, die ist mal richtig geil! Wie ein perfektes Stück belgischer Pommes-Kunst. Fluffig im Innern, krachend knusprig außen, und mit einem tollen Kartoffelgeschmack. Es geht doch – zumindest bei einer Komponente.

Die Hoffnung auf einen guten Hauptgang ist also – trotz der Vielzahl der Rückschläge – intakt. Doch leider wird beim Hirschrücken aus Österreich mit Sauce Grand-Veneur, Cranberry, Kürbis und Cox-Orange-Apfel nach den ersten Bissen bereits klar, dass wir die Aussicht auf Besserung endgültig begraben müssen. Der Teller krankt, wie so viele am heutigen Mittag, vor allem an der Süße. Nichts, aber auch wirklich gar nichts stellt sich ihr entgegen. Die Cranberry-Sauce, die potenziell wenigstens für ein bisschen Säure-Balance sorgen könnte, gleicht eher einer Marmelade. Auch der Apfel wird durch eine weihnachtliche Würze jedes noch so kleinen Säuremoleküls beraubt. Einziger Lichtblick ist der Fokus aufs ordentliche Fleisch und die annehmbare Jägersauce. Lassen wir die anderen, sinnbefreiten Störenfriede weg, können wir uns so zumindest halbwegs satt essen.

Selten war der Wunsch nach einem grandiosen Dessert größer als jetzt. Darum schrecken wir zuerst kurz zusammen, als das Dessert Fourme d'Ambert, Birne, weiße Schokolade und Nüsse präsentiert wird. Soll das ein Käsegang sein oder eine Süßspeise? Sehr zu unserer Freude entpuppt es sich als Letzteres. Vom Blauschimmelkäse aus der Auvergne steht in diesem Fall weniger sein dezidierter Geschmack im Vordergrund, sondern er tritt in diesem Ensemble als Würzelement auf. Während das Trio aus Schoki, Obst und Nuss erwartungsgemäß gut funktioniert, aber reichlich süß ist (wer hätte das gedacht?) und auch etwas beliebig daherkommt, macht der Käse den positiven Unterschied. Dank dieser spannenden, perfekt proportionierten und integrierten Würze entpuppt sich dieser letzte Gang als versöhnlicher Abschluss.

Schon während des Lunchs reißen die Diskussionen an unserem Tisch natürlich nicht ab, doch bei den vernachlässigbaren Petits Fours zum Espresso geht's erst so richtig los ...

Nennen wir das Kind beim Namen: Ernüchterung herrscht vor. Zu kaum einem Zeitpunkt im Menü hatten wir das Gefühl, dass das Pavillon seinen hohen Auszeichnungen gerecht werden kann. Und wir sprechen hier noch von einem Macaron zum Zeitpunkt unserer Visite. Dass es kurz nach unserem Besuch als drittes Restaurant Zürichs mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde, ließ uns die Köpfe nur noch mehr schütteln.

Natürlich ist der Pavillon kein schlechtes Restaurant. Zu köstlich war dafür der frühere Besuch von einem von uns - immerhin drei Jahre zuvor. Aber rein konzeptionell haben die Gerichte in dieser Zeit keinen Schritt nach vorn gemacht. Zwar war diesmal kein enormer handwerklicher Lapsus auszumachen, doch es fehlte an inszenatorischer Finesse und Akkuratesse. Die Würzung und die generelle Komposition der Teller empfanden wir damals als exakter und vor allem durchdachter. Der zweite Stern jedenfalls muss, vom Himmel fallend, sein eigentliches Ziel verfehlt haben. Anders können wir uns die Aufwertung nicht erklären. Und ein Sommelier-Weltmeister hilft an dieser Stelle leider nicht – oder nur bedingt.

Fazit

Wer es mit französischer Klassik hält und gerade um die Ecke ist, der kann im Pavillon sein Glück versuchen. Einen gesonderter Stopp oder gar einen Umweg können wir wahrlich nicht empfehlen.

Weine

Die Weinauswahl im Restaurant Pavillon in Zurich

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Eure Meinung?

Was repräsentiert ein Zwei-Sterne-Restaurant für Euch?

 

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